Sexsüchtige HIV-infizierte Monsterbären

16.02.2011 - 08:50 Uhr
Olos Diary: The Great Bear und Target
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Olos Diary: The Great Bear und Target
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Der sechste Tag der Berlinale warf mich von einem Extrem ins nächste. Ein russischer Sci-Fi-Film, eine chinesische HIV-Dokumentation und ein dänischer Animationsfilm standen auf dem Programm.

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich kürzlich nur wenige Meter von mir entfernt Isabella Rossellini den Kinosaal betreten sah – mit ihrer Jury-Sippschaft im Schlepptau – und erkannte, dass ihre Augenringe auch immer dunkler und ihre Frisur wilder wurde. Ganz nach der Devise, geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich gebe es zu, es gab Zeiten, da stellte ich mir das Filmjurorenleben wie den Himmel auf Erden vor. Aber es ist harte Arbeit, besonders wenn die Filme nicht den entscheidenden Funken zünden können, wird der Kampf gegen die Müdigkeit zur Qual. Das Filmfestival das nur Perlen im Programm hat, muss erst noch ins Leben gerufen werden, faule Eier schlummern überall, besonders bei der Berlinale.

Target – Mishen
Eine Gruppe von vermögenden Russen macht sich auf den Weg in die tiefste Ödnis, um dem Geheimnis der ewigen Jugend auf die Spur zu kommen. Eine gigantische, langsam vor sich hin verwildernde Parabolantenne soll der Schlüssel dazu sein. Wie Stefan und ich bereits im Podcast mutmaßten, liegt der Vergleich zu Andrei Tarkowski und seinem Sci-Fi-Klassiker Stalker nicht weit entfernt. Worin wir uns aber irrten, ist der Schwerpunkt. Bei Andrei Tarkowski ist der Weg ein bedeutender Bestandteil des Ziels. Bei Target – Die Zone ewiger Jugend endet der Weg nach 20 Minuten und die Charaktere müssen sich mit den Folgen ihrer erreichten Wünschen auseinandersetzen – auf recht eigenwillige Art und Weise.

Die Menschen erlangen ewige Jugend und verlieren sich zunächst in ihrer Euphorie. Neue Liebe entwickelt sich, sexuelle Begierden werden ausgeschöpft, eine Hochstimmung, wie man sie Anfang mit Anfang 20 erfährt – als einem die ganze Welt zur Füßen liegt und nichts unmöglich scheint – macht sich breit. Der Film dreht sich während seinen ganzen, nicht immer kurzweiligen 150 Minuten um die immer wiederkehrenden Begriffe Freiheit, Jugend und Glück, die als die absoluten Ideale angesehen werden. Aber die ewige Jugend hat auch ihren Preis. Die Protagonisten verlieren jeden Antrieb, schleppen sich von einem Orgasmus zum anderen, als ob sie nur noch auf diese Weise fähig wären, das Leben zu genießen. Das Wertesystem wird aus den Angeln gehoben.

Target – Die Zone ewiger Jugend vermischt viele Einflüsse, neben Andrei Tarkowski drängt sich öfters die Assoziation mit Stanley Kubrick auf. Die Darstellung einer nicht so fernen Zukunft, von anarchistischen, emotional amoklaufenden Charakteren und nicht zuletzt die Darstellung der Parabolantenne als rätselhafter, existenzieller auch bedrohlicher Monolith mitten eines landschaftlichen Nichts erinnern an Uhrwerk Orange und 2001: Odyssee im Weltraum. Ich habe noch keine Ahnung, wie ich Target – Die Zone ewiger Jugend einschätzen soll. Gegen Ende hatte ich den Film bereits abgeschrieben, aber mit der Schlusseinstellung – eine der schönsten seit Jahren – schlug der Film nochmals eine neue Richtung ein. Muss der Parabolspiegel und die ewige Jugend, die er schenkt, als Gottes Prüfung und die Gruppe von Menschen als Repräsentanten der Menschheit verstanden werden? Ich muss diesen Film erst noch etwas beiseite legen, aber allen Fans der beiden genannten Regisseure ist der Film bedenkenlos zu empfehlen.

Together – Zai Yi Qi
Es fing alles damit an, dass der Regisseur Changwei Gu, der 2005 den silbernen Bären gewann, für sein neustes Projekt über die Diskriminierung von Aidskranken in China echte HIV-Infiziete als Nebendarsteller und Statisten verpflichten wollte. Die Suche nach ihnen im Vorfeld der Dreharbeiten hat Regisseur Zhao Liang in seinem Dokumentarfilm Together festgehalten, der parallel zu Changweis aufwendigem Melodrama Mo Shu Wai Zhuan entstand. Viele HIV-Infizierte haben aus Furcht vor der Reaktion der eigenen Verwandten oder Familie, die nichts von der Krankheit wissen sich in eine selbst auferlegte Isolation begeben und leiden im Stillen vor sich hin. Die Furcht vor Diskriminierung bringt die meisten Patienten dazu, ihre Krankheit zu verbergen. Doch gegenüber Zhao Liang haben sie sich offenbart. Er kontaktierte sie über Hilfsforen im Internet, er besuchte aidskranke Kinder in einer Red-Ribbon-Schule, vor allem aber unterhielt er sich mit Aidskranken bei den Dreharbeiten zu Gu Changweis Film, der durch sie eine besondere Authentizität erhält.

Das Kunststück des Films sind die dokumentierten Dreharbeiten des Films innerhalb des Films und die Filmcrew darf – muss sogar – als Metapher für die Zustände in China verstanden werden. Die in Together porträtierten Aidskranke leiden nicht allein an den Folgen der HIV-Infektion, sondern auch daran, dass Aids in der Volksrepublik totgeschwiegen wird. Aids ist hier eine tabuisierte Krankheit. Die Öffentlichkeit weiß wenig über sie, mehrheitlich bringt man sie mit Promiskuität in Verbindung.

Der Film zielt direkt ins schlagende Herz eines jeden Zuschauers. Dem Film ist idealistisch und auch naiv, er träumt von einem utopischen China, in dem Minderheiten mit Respekt und Toleranz begegnet wird. Von einer Welt die noch lange auf sich warten lässt. Aber zumindest innerhalb des dokumentierten Filmdrehs bildete sich eine solche kleine, aufgeklärte Gesellschaft und entlässt die begleiteten Aidskranken und auch den Zuschauer mit einem Stück Hoffnung.

The Great Bear – Den kæmpestore bjørn
Der Film rund um ein Monster von Bär stellt das Langfilmdebüt von Esben Toft Jacobsen dar, der bereits 2007 bei der Berlinale mit seinem Kurzfilm Drengen I Kufferten vertreten war. The Great Bear vermischt die klassische Geschichte von “ein kleines Kind freundet sich mit großem, missverstandenem Monster an” mit einer schönen, aber nicht mehr ganz zeitgemäßen Optik. Kein Wunder, handelt es sich hierbei um eine verhältnismäßig kleine, dänische Produktion. Das Publikum, das größtenteils aus Kindern bestand, war am Ende sehr vom Film angetan. Aus der Sicht eines Kindes fallen die vielen Klischees, bei denen sich The Great Bear bedient, auch nicht negativ ins Gewicht. Doch als Erwachsener – auch wenn ich mein inneres Kind noch so hege und pflege – stieß ich schnell an meine Grenzen. Eine simple, schöne Abenteuergeschichte frei von Überraschungen ohne große Ambitionen.

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