Shion Sono - Der Poet des Blutbades

21.07.2012 - 06:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
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Seit gestern läuft der exzentrische Thriller Guilty of Romance in den deutschen Kinos, mit dem sich Shion Sono einmal mehr als einer der aufregendsten, aber auch streitbarsten Filmemacher seines Heimatlandes Japan präsentiert.

Die Inhaltsangabe von Guilty of Romance lässt erst einmal ein Potpourri an nicht zusammenpassenden Ideen vermuten. Da wären eine Sadomaso-liebende Polizistin, eine schüchterne Hausfrau, ein Autor von Schundromanen, eine sexsüchtige Gelegenheitsprostituierte und natürlich ein Mörder, der dem Torso einer Frauenleiche Teile einer Schaufensterpuppe annäht. Das ist nur die spoilerfreie Auswahl eines Werkes, das mit seinen verrückten Ideen ebenso viele Zuschauer befremden wie leidenschaftlich verliebt machen dürfte. Wer deshalb auch nur einen Film von Shion Sono (romanisiert: Sion Sono) gesehen hat, kann nach den ersten Schlagwörtern den Regisseur erahnen. Der Japaner, der schon seit den 80ern Filme dreht, aber erst dank Suicide Circle und Love Exposure in die Höhen des im Westen gefeierten asiatischen Kultkinos aufgestiegen ist, hat sich über die Jahre das Image eines Enfant terribles aufgebaut, vor dem kein Tabu der Gesellschaft sicher ist.

Das ausschlaggebende Bild, das in den Filmen von Shion Sono bis heute nachhallt, wird deswegen von 54 Schulmädchen bevölkert, die gemeinsam vor einen Zug springen. Es ist der Auftakt von Suicide Circle aus dem Jahr 2001, einem Film, der aus der Ohnmacht und dem Unverständnis eine ungeheure Dynamik entwickelt. Da werden die Grausamkeiten zur Triebfeder für ein radikales Kino, das weniger auf Antworten sinnt, stattdessen teils unverständliche Schreie ausstößt, an deren Ende irgendwo ein Fragezeichen wartet.

Obwohl er auf Grund seiner teils brutalen, immer irgendwie abnormen Motive mit Takashi Miike (Audition) verglichen wird, geht Shion Sono dessen Genre-Fixierung ab. Der Teilzeit-Dichter, der seine Filme oft in Buch- oder Mangaform weiterschreibt, ähnelt mit seinen scheinbar im Affekt ausgestoßenen Bilderwelten eher einem Shunji Iwai (Yentown, All About Lily Chou-Chou), der außer Kontrolle geraten ist. Die Arbeit mit den Konventionen eines Genres ist in Filmen wie Love Exposure und Strange Circus immer nur ein klitzekleiner Bestandteil einer geradezu an Jackson Pollock erinnernden Überwältigung in sich widersprüchlicher Elemente. Der vierstündige Love Exposure vereint beispielsweise das japanische Genre par excellence, den Coming of Age-Film, via Martial Arts-Motivik mit der Geschichte eines jungen Mannes aus katholischem Hause, der semi-professionell Fotos von der Unterwäsche von Mädchen macht. Während diese sie tragen. Warum der Film vier Stunden dauert, kann sich bei diesem Quell an Ideen jeder denken.

Das, was wie ein blutgetränkter Regenbogen aus dem Thorax der Filme von Sion Sono hervorbricht, brodelte bei den japanischen Meistern der 40er und 50er Jahre (Yasujiro Ozu, Kenji Mizoguchi…) noch unter der Oberfläche der gesellschaftlichen Akzeptanz. Auf den Wellen der Erruption japanischer Freizügigkeit in den Gangsterfilmen der 60er reiten Filme wie Love Exposure, Cold Fish und Guilty of Romance (auch bekannt als die Trilogie des Hasses). Sie lassen die melodramatischen Motive innerfamiliärer und -gesellschaftlicher Abgründe ans Tageslicht treten. Wenn der Schriftsteller in Guilty of Romance im trauten Heim seine schüchterne Ehefrau drangsaliert, erscheint ein blutiger Mord weniger wie ein Fremdkörper, stattdessen wird das in geradezu brodelnden Bildern hervorgeholt, was sich hinter dem kühlen Lächeln eines Ottonormalverbrauchers verbirgt. Shion Sono, der sich dieses Recht auf das Offenlegen der grausigsten Wunden über zwanzig Jahre bewahrt hat, ist deswegen genau der richtige Mann, um mit Himizu – Dein Schicksal ist vorbestimmt einen Film über die Tsunami-Katastrophe zu drehen, die sein Land so schwer erschütterte. Es wäre schön, wenn auch dieses Werk irgendwann mal in Deutschland zu begutachten wäre.

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