Mein Vater und ich erschienen eine knappe Stunde zu früh, sodass wir uns noch auf dem Messegelände umsehen konnten, ehe wir, in der Festhalle wartend, zehn Mal den Trailer zu „Titanic – mit Liveorchester!“ sehen durften. Wir saßen in der 4. Reihe, fast direkt vor Morricones Dirigentenstuhl. Der ideale Platz.
Um kurz nach 8 wurde es dunkel im Raum, nun leuchteten einzig die
Scheinwerfer der Bühne. Nach und nach tauchten die Mitglieder des
Orchesters auf, darunter knapp 50 Sängerinnen und Sänger. Und dann, nach
einer gefühlten Ewigkeit, trat er endlich ins Rampenlicht.
Ennio Morricone
war so, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte. Er war klein, wirkte
gebrechlich, angespannt, leicht genervt, aber zugleich auch sichtlich
gerührt von dem Applaus, der ihm schon zu Beginn entgegenschlug.
Vereinzelte "Maestro-Schreie" machten sich im Raum bemerkbar. Er schritt
langsam zu seinem Dirigentenstuhl. Es war mittlerweile
mucksmäuschenstill im Saal. Er setzte sich, er erhob den Stock – und die
wunderbaren Klänge von „Deborahs Theme“ aus Es war einmal in Amerika
drangen an meine Ohren.
Vor meinen Augen spielte sich der gesamte Film in Hochgeschwindigkeit
ab. Der junge Noodles auf den Straßen mit seinen Freunden, der alte Noodles beim Besuch der Gräber, der Tanz Deborahs im Hinterzimmer des
Gasthauses. Jede Szene nahm dank der Musik Gestalt von meinem Auge an,
und nachdem Morricone sein Stück vollendete, und das Orchester wieder
verstummte, hatte ich bereits Tränen in den Augen. Tränen der Freude.
Und
so ging es weiter; erst einmal spielte man die Musik eines eher
unbekannten Filmes, gefolgt von weiteren, mir unbekannten Melodien, ehe
nach einer knappen halben Stunde die am heißesten erwarteten Musikstücke
ertönten; das Thema der glorreichen Halunken, „Jill’s Theme“ aus Spiel mir das Lied vom Tod und ein Titel aus Todesmelodie.
Und mit einem kraftvollen „Ecstacy of Gold“, bei dem der Boden
regelrecht bebte, die Wände vibrierten, und die Ohren vor Lautstärke
abzufallen drohten, endete die erste Hälfte. Das Publikum, mich
eingeschlossen, war endlos begeistert. Standing Ovations in der ganzen
Festhalle, es hielt niemanden mehr auf seinem Platze fest. Lautstarker
Applaus für den 86-jährigen, der sich bei seiner Verbeugung am Pult
stützt.
Die Musikstücke, die sich für die zweite Hälfte vom
Konzert überlegt wurden, waren zwar um ein vielfaches unbekannter als
die zu Beginn gespielten, doch qualitativ absolut gleichrangig. So
spielte man ziemlich am Anfang das Thema des Filmes Der Profi, eine unglaublich emotionale Komposition, später dann die Titelmusik von den Unbestechlichen mit Sean Connery.
Nach weiteren 45 Minuten war es dann vorbei. Donnernder Applaus, wieder Standing Ovations.
Morricone erhob sich ein weiteres Mal, verbeugte sich, ließ seinen Blick durch die Zuschauermengen schweifen, mit sichtlichen Tränen in den Augen. Er lächelte schwach, verschwand kurz, kam zurück und gab die gewünschte Zugabe, in Form des Stückes Chi Mai aus Der Profi. Wieder ohrenbetäubender Beifall, wieder Standing Ovations. Wieder verschwindet Ennio kurz, wieder kehrt er zurück. Und auch diesmal verwehrt er dem Publikum nicht die Zugabe. Diese Prozedur wiederholte sich noch knappe 3 Male, ehe das Konzert endgültig durch ein Ecstacy of Gold, bzw. einen auf einem Friedhof rennenden Eli Wallach, beendet wurde. Und auch nachdem Morricone die Bühne bereits verlassen hatte, schrie das Publikum immer noch lautstark: „Maestro, Maestro, Maestro!“.