SOMA & The Talos Principle – Wie weiß ich, ob ich bin?

30.12.2015 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Zwei Spiele, eine Frage
Croteam / Frictional Games
Zwei Spiele, eine Frage
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Wer bin ich? Was zeichnet mich aus? Wie kann ich meine Überzeugungen beweisen? SOMA und The Talos Principle ackern sich durch das erste Philosophie-Semester, doch wie gehen die beiden grundverschiedenen Spiele mit den Grundfragen um, die sie sich teilen?

Der Jahreswechsel kann eine furchtbare Angelegenheit sein. Kaum eine Zeit im Jahr lässt uns stärker über uns selbst nachdenken. Wie lief denn so das letzte Jahr für dich, Hannes? Alles gut? Und was hast du so für 2016 geplant? Da kannst du sicher noch was besser machen... Vielleicht betrinken wir uns ja deswegen zu Silvester so gern, dann müssen wir nicht so unangenehm selbstreflektiert sein und uns unseren Wünschen, Träumen und Lebenslügen stellen. Wer will das schon?

Wenn es nicht gerade um Sport, den Beruf und die Liebe geht, verlieren wir uns aber gern in Gedanken und gehen den Sachen auch mal gründlich auf den Grund. Gibt es denn eine spannendere Überlegung als die Frage nach dem Ich? Jaja, Existenzphilosophie ist prätentiös und pfui, doch in diesem Jahr kamen mir gleich zwei spannende Spiele unter, die mich mit ganz elementaren Problematiken konfrontiert haben: SOMA und The Talos Principle. Die momentane Lust auf die Zukunft ermöglicht es auch Science Fiction-Spielen immer mehr die gewohnten RPG- und Simulations-Käfige zu verlassen und andere Genres zu inspirieren.

In der Welt der Videospiele ist es bekanntlich nicht selten, dass sich Titel gleichen können, doch passiert das meist auf einer spielmechanischen Ebene. SOMA und The Talos Principle haben mich hingegen in der Ähnlichkeit ihrer philosophischen Erörterungen überrascht. Beide Titel behandeln Identität, Menschlichkeit und fragen nach dem Verhältnis von Körper und Geist. Aber auch wenn sich die Entwickler von Frictional Games und Croteam mit analogen Grundfragen auseinandergesetzt haben, die Herangehensweisen an diese Thematiken sind grundverschieden.

SOMA & der lange Weg zur Selbsterkenntnis

Zu SOMA habe ich schon im Oktober ein paar Worte verloren  und stellte dabei vor allem die Erwartungshaltung heraus, die wir an dem vermeintlichen Horror-Titel aus dem Hause Frictional Games hatten. Denn obwohl SOMA durchaus klassische Horror-Motive bedient, scheint dies längst nicht mehr der Kern der Spielerfahrung zu sein. Der Grusel ist ein Zugeständnis an das Publikum und eine Art Rechtfertigung, auch philosophische Themen abhandeln zu dürfen. Denn wirklich spannend wird SOMA erst dann, wenn wir uns nicht verstecken müssen, sondern mit der Frage nach uns selbst beschäftigen dürfen.


Vor Spoilerängsten habe ich in diesem Text leider keinen Respekt, stellt euch also darauf ein.

In SOMA schlüpfen wir in die Rolle von Simon Jarrett, der nach einem schweren Autounfall an Gehirnverletzungen leidet. Eine experimentelle Hirnscan-Therapie verspricht Hoffnung, doch letztlich führt der Versuch nur dazu, dass eine Kopie unseres Verstandes angefertigt wird, die knappe 100 Jahre später auf einer Unterwasser-Forschungsstation erwacht. Der "echte" Simon Jarrett ist längst tot und unser kopiertes Ich steuert eine unbekannte Leiche durch die dunklen Gänge.

Schnell drängt sich die Frage auf, ob wir denn eigentlich noch menschlich sind. Jede Einzigartigkeit ist durch die Tatsache, dass wir als Kopie vor einer irre gewordenen KI flüchten, dahin. Der Selbsterhaltungstrieb, der letztlich auch nur abgepaust wurde, lässt uns weitermachen, doch langsam aber sicher bröckelt die lebensnotwendige Ignoranz und Zweifel gewinnen Überhand. Besonders interessant sind die Momente in SOMA, in denen das Kopie-Motiv erneut aufgegriffen wird. Denn im Verlauf dieses Prozesses erlangt stets eine Version von Simon die Möglichkeit weiterzumachen, während die andere Version zurückbleiben muss. Der themenverwandte Indie-Titel The Swapper greift dieses Motiv spielmechanisch auf und treibt es auf die Spitze, da wir ständig Klone von uns opfern müssen, um fortfahren zu können.

SOMA – Was bleibt von mir, wenn ich mich kopiere?

Bin ich noch ich, wenn ich doch nur eine Kopie bin? Brauche ich einen menschlichen Körper um menschlich zu sein? Brauche ich überhaupt einen Körper? Die Suche nach Orientierung und existenzieller Sicherheit, die uns in SOMA antreibt, wird durch überraschend klassische Erzählweisen vorangetrieben. In erster Linie erfahren wir Hintergründe durch das Abrufen fremder E-Mails, dem Durchsuchen der Forschungseinrichtung und den Dialogen mit Catherine, einem weiteren Gehirnscan, den wir in einem tragbaren Werkzeug durch PATHOS-II schleppen. Wirklich aktiv können wir in SOMA nicht werden, denn eigentlich warten wir nur auf den nächsten Brotkrumen, der uns näher zu den Antworten auf die Fragen führt, die das Spiel ständig in den Raum wirft.

Zwar spielen der Grusel und der Horror in SOMA eine wichtige Rolle, doch nichts davon spielt der Erzählung in die Hände. Die Angst, nicht man selbst zu sein, ist gigantisch, nur äußert sie sich eben nicht in kurzzeitigen Jumpscares. Wirklich unter die Haut ging SOMA dann, wenn ich mit den Konsequenzen von verschobener Selbstwahrnehmung konfrontiert wurde. So treffe ich auf Roboter, die weiterhin glauben, sie wären menschlich oder ich sehe meine eigene Kopie vor mir, die ich zwangsläufig zurücklassen und ihrem nassen Grab überlassen muss. Damit ich überleben kann, muss ein anderes Ich ihr Leben lassen.

SOMA ist intensiv erzählt und zeichnet ein größtenteils pessimistisches Bild. Die Erkenntnis über uns selbst stellt sich nur allmählich ein und ist dabei alles andere als vollständig. Bis zuletzt gewinnen wir kaum Sicherheiten, sondern erkennen eigentlich nur immer weitere Implikationen unserer Situation. SOMA endet sowohl in einem dunklen Gefängnis als auch in einer paradiesartigen Simulation, je nachdem, wer wir sind. Und wer wir sind, das erfahren wir erst ganz zum Schluss.

The Talos Principle & die Menschlichkeit in der Logik

Nur wenige Wochen nachdem ich SOMA beendete, wagte ich mich an das First Person-Puzzle The Talos Principle. Abermals erwacht meine Spielfigur in einer fremden Umgebung, ohne jedes Wissen darüber, wie sie dorthin gelangt war. Im Gegensatz zu SOMA wird in The Talos Principle aber schnell deutlich, dass ich kein Mensch bin, sondern ein Roboter, der offenbar mit einer KI ausgestattet ist, die menschliche Züge aufweist. Eine ätherische Stimme, die sich mir als Elohim vorstellt, übernimmt die Rolle der allwissenden Gottheit, die einen besonderen Plan und eine Aufgabe für mich hat. Durch das Lösen von Logik-Rätseln soll ich beweisen, dass ich es wert bin, Unsterblichkeit zu erlangen.


Dass Elohim aber nicht der ist, der er vorgibt zu sein, wird schnell klar. Doch auch Milton, eine weitere KI, die mit mir via Terminals kommuniziert, lockt mich mit rhetorischen Winkelzügen in die Irre. Wie im Grundkurs Philosophie versucht er mir zu zeigen, wie meine Überzeugungen davon, was eine Person oder was Realität ausmacht, in Widersprüchen enden. Wir glauben ja nur zu wissen, doch wirkliche Erkenntnisse können wir gar nicht erlangen, alles lässt sich letztlich anzweifeln. Ich stehe ohne feste Überzeugungen da, was mich selbst betrifft. Bin ich real? Bin ich selbstbestimmt? Was macht einen Menschen aus, da ich doch einem von ihnen nachempfunden wurde?

Die erzählerische Schnittmenge zu SOMA ist groß, doch die Art und Weise, wie mich The Talos Principle an diese Fragen heranführt, lässt den passiven Stil von SOMA hinter sich. Die zahlreichen Rätsel, die ich im Spiel bewältigen muss, zwingen mich zur aktiven Auseinandersetzung mit meiner Umgebung. Ich muss jederzeit wissen, wo ich bin und wie ich an mein Ziel gelange. Mit besonderen Hilfsmitteln und meiner Erfahrung im Umgang mit ihnen, gelingt es mir nach und nach Ordnung in das Chaos zu bringen, die Rätsel abzuschließen und mit Bausteinen belohnt zu werden. In The Talos Principle erfahre ich stets Erfolge, die mich darin bestätigen, auf dem rechten Weg zu sein. Rückschläge gibt es eigentlich keine, auch wenn der Frust manchmal seinen Besuch abstattet.

Die Ambivalenz des Wasserglases

Das ganze Konzept des Spiels nimmt die Form einer Prüfung an, die ich zu bestehen habe. Elohim will mich testen, Milton fordert richtige Antworten und die Rätsel fordern mich ohnehin. In SOMA starte ich vom Status als vollwertige Person, die nach und nach an Selbstzweifeln gewinnt und die Selbstwahrnehmung sich dabei verschiebt. Ich rücke von meiner Menschlichkeit immer weiter ab. Doch in The Talos Principle ist es genau umgekehrt. Nach und nach scheine ich mich zu rechtfertigen und mich durch meine Leistungen zu beweisen, die mich letztlich menschlich machen.

Diese Erzählweise findet ihren Höhepunkt, wenn ich sowohl den Versprechungen Elohims entsage als auch die berechtigten Zweifel Miltons ignoriere und den verbotenen Turm hinaufsteige. Das Spiel endet, meine KI hat ihren Test der Selbstbestimmung bestanden und wird aus der Simulation in die reale Welt geladen, in der sie einen echten Roboter belebt, der durch die Ruinen unserer zerstörten Zivilisation wandelt. In SOMA verläuft das Ende gegenteilig, denn anstatt den Wechsel aus einer Simulation in die echte Welt als "Rettung" zu feiern, versuche ich die sterbende Erde durch den Sprung in die Arche zu verlassen, eine paradiesische Simulation, die verschiedene Gehirnscans aufbewahrt.

The Talos Principle – Menschlichkeit wird mit Katzen belohnt

SOMA lässt mich mit meinen Zweifeln allein und entreißt mir nach und nach meine persönlichen Überzeugungen. Ich erlebe diesen Zerfall durch klassische Erzählweisen, die mich zum Zuschauer machen. Ob ich nun noch menschlich bin oder nicht, das muss ich am Ende selbst entscheiden. The Talos Principle hingegen präsentiert mir eine Auflösung, die mir am Ende des Spiels verrät, dass ich auch menschlich sein kann, ohne ein Mensch zu sein. Allein mein selbstbestimmter Verstand, den ich unter Beweis gestellt habe, rechtfertigt meine Person. Beide Spiele enthalten mir einen organischen Körper vor, doch wo SOMA die daraus entstehenden Probleme aufzeigt, will The Talos Principle beweisen, dass der Körper ohnehin nie wichtig war.

Auf der einen Seite verlieren wir an Menschlichkeit, auf der anderen gewinnen wir an Menschlichkeit. Je nach unserer Ausgangssituation bedeutet das bisschen Ich-Gefühl entweder einen Sieg oder einen Verlust. Aber auch wenn beide Spiele große Erörterungen auffahren, die mich entweder verunsichern oder eben bestätigen sollen, wirkliche Erkenntnisse gewinne ich nirgends. Sowohl SOMA als auch The Talos Principle enden mit einer verzweifelten Entscheidung, deren Ausgang ich nicht abschätzen kann. So sehr ich mich auch mit mir selbst beschäftige und so viel ich auch über mich und meine Situation lerne, am Ende bleibt trotzdem nur die nackte Hoffnung.

Wie an Silvester, eigentlich.

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