Angesengte Haare oder eine gewaltige Explosion?

18.12.2011 - 21:45 Uhr
Tatort - Der Weg ins Paradies
NDR
Tatort - Der Weg ins Paradies
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Der neue Hamburger Tatort beschäftigte sich mit dem heiklen Thema Terrorismus. Dass ihm dies außerordentlich gut gelang, lag nicht zuletzt an Mehmet Kurtuluş alias Cenk Batu, dessen Weggang nun umso mehr schmerzt.

Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) ist das Beste, was dem Tatort passieren konnte. Das bewies auch sein neuer Fall Tatort: Der Weg ins Paradies, in dem der Undercover-Cop aus Hamburg eine terroristische Zelle infiltrieren musste. Umso trauriger ist der geplante Abgang des Mehmet Kurtuluş, dessen vorletzten Tatort wir damit bewundern durften. Denn sein charmanter Ermittler hat einmal mehr ein echtes Kino-Feeling in den Tatort gebracht. Ich vermisse ihn jetzt schon. Vor Spoilern wird wie immer gewarnt.

Lokalkolorit: Abgesehen von der Kontrastierung hipper Designer-Läden im Schanzenviertel mit drögen Männerwohnheimen verlegte sich Tatort: Der Weg ins Paradies vor allem auf die Innenansichten einer muslimischen Gemeinde. Die wirkte im Vergleich zur abweisenden Wohn- und Arbeitswelt, in die Cenk/Taylan eintritt, sicherlich nicht zufällig wie ein warmes Empfangskomitee.

Plot: Cenk Batu hat keinen Bock mehr auf Undercover-Arbeit, doch er wird überredet, in die Terrorzelle des Christian Marschall (Ken Duken) einzusteigen. Stört bei manchen Tatorten das Privatleben der Kommissare (Hallo, Frau Lindholm), bereicherte Cenks Flirt mit der hübschen Designerin die Story. Denn die schien allgegenwärtig als stete Erinnerung dessen, was der verdeckte Ermittler nie haben kann. Ähnlich stringent wurde auch die Terror-Thematik umgesetzt, die vornehmlich durch die in Paranoia getränkten Funktionsmechanismen der Zelle beeindruckte.

Unterhaltung: Der wie immer herrlich trockene Uwe Kohnau (Peter Jordan) bereicherte den Tatort um ein paar Schmunzler. Ansonsten ging es am Sonntag todernst zu. Selten stand in einem Tatort so viel auf dem Spiel. Dementsprechend hoch war die Spannung, selbst als herauskam, dass die echte Bombe “nur” in dem Linienbus platziert war. Eine der besten Szenen beinhaltete dann auch den manisch kichernden Ken Duken im Fahrstuhl, als Cenk erkennt, was dessen wahrer Plan ist. Nicht weniger eindrücklich war jener Moment, in dem der angehende Selbstmordattentäter im Bus einer Muslima gegenübersitzt und sie fragt, wann sie denn aussteigt.

Tiefgang: Mit Der Weg ins Paradies gab es am Sonntag nicht nur einen Terror-Thriller mit gewagten Anleihen beim 11. September 2001. Vielmehr wurde Cenk Batus liberal gelebter Islam der radikalisierten Variante gegenübergestellt. Dabei überzeugte die Entscheidung, einen deutschen Konvertiten als Widersacher zu wählen. Dessen familiärer Hintergrund sowie die kurzen Einblicke in die abweisende Arbeitswelt sowohl des echten Cenks, als auch des falschen Taylan sorgten für eine ungewohnt durchdachte Auseinandersetzung mit den Wurzeln des religiösen Extremismus. Der Tatort am Sonntag war alles andere als eine Apologie, aber dafür eine viel zu seltene menschliche Betrachtung eines politisch-religiösen Phänomens.

Mord des Sonntags: Bisher noch nicht erwähnt und eigentlich ein Selbstmord, aber egal: Die hochgradig filmische Selbstrichtung per Granate in einer marokkanischen Toilette zu Beginn des Films muss hier unbedingt genannt werden.

Zitat des Sonntags: “Das, was ich hier lerne, hat nichts mit Spiritualität zu tun, geschweige denn mit dem Islam.”

Ich empfand den neuen Tatort aus Hamburg als außerordentlich sehenswert, doch wie hat er euch gefallen?

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