The Order: 1886 — Bin ich der einzige, der unbedingt ein Sequel will?

09.06.2016 - 17:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
The Order 1886
Sony
The Order 1886
4
2
The Order: 1886 ist erst ein Jahr alt und doch werden sich heute wohl mehr Spieler an die hitzigen Diskussionen um das Spiel als an die Namen der Hauptcharaktere erinnern können. Viel Unzufriedenheit umgab diesen Titel, sodass ich mich heute frage: Bin ich denn der einzige, der unbedingt ein Sequel will?

Das erstaunlich kurze Spiel The Order: 1886 umgab schon kurz nach Release erstaunlich viele lautstark geführte Diskussionen: Die etwa sechs bis sieben Stunden lange Einzelspieler-Kampagne warf ein weiteres Mal die Frage auf, wie viel "Spiel" für 60 Euro "eingefordert" werden darf. Und während fieberhaft versucht wurde, subjektive Empfindungen wie Spielspaß und Unterhaltung in harte Euromünzen umzurechnen, wurde nebenan schon die nächste Büchse der Pandora geöffnet: Ist The Order überhaupt noch ein Spiel, wenn Zwischensequenzen und enge Schlauchlevel die spielerische Freiheit ständig einschränken? Natürlich nicht! Oder doch?

The Order: 1886 war besser, als ihr es in Erinnerung behalten habt.

Mitten in diesem lautstarken Durcheinander saß ich auf meiner Couch und erlebte ein spannendes Abenteuer, das von den Rittern der Tafelrunde erzählt, die im viktorianischen London gegen Werwölfe und Verräter in den eigenen Reihen kämpfen. Ja, die im Vergleich zu anderen AAA-Spielen recht sparsame Spielzeit wurde von nervigen Schleichpassagen noch unnötig in die Länge gezogen und ja, ab und zu hätte ich auch gerne einmal den Schlauchlevel verlassen. Doch zu keinem Zeitpunkt war ich enttäuscht von dem Spiel, das Ready At Dawn nach jahrelangem Mühen schließlich fertiggestellt hatte.

Aus verschiedenen Gründen, die von den spektakulär emotionalen Wutgesprächen leider vielfach überdeckt wurden, war mir The Order: 1886 jeden Cent und jeden Frust über unfaire Checkpoints wert. Mehr noch: Der Startschuss dieses Franchises war so gut, dass es ein Sequel mehr als verdient hat. Mit dieser Meinung kann ich doch nicht alleine sein? Oder liegt es nur daran, dass ihr euch nur noch an wütende Kommentare, nicht aber mehr an das Spiel und seine Qualitäten erinnern könnt? Dann lasst mich euer Gedächtnis auffrischen.

The Order: 1886 ist hübsch. So hübsch.

Es ist der Elefant im Raum, den ich direkt aus dem Weg karren möchte. The Order: 1886 sieht fantastisch aus, damals wie heute — da bedarf es kaum noch weiterer Worte. Angelehnt an die viktorianische Epoche entwarfen die Entwickler eine Welt des Neo-Viktorianismus, die eine ordentliche Portion Steampunk in sich trägt.

Die Welt von The Order: 1886 ist glaubwürdig und in sich geschlossen.

Doch nicht nur die glaubwürdigen Umgebungen, die von tiefen Kerkern bis hin zu Zeppelinen und Festungsanlagen reichen, sehen fantastisch aus. Auch das Design der verschiedenen Waffen, die wir in den Kampf führen, fügt sich nahtlos in die Welt von The Order: 1886 ein und bezieht gleichermaßen Inspiration aus der Fantasie und dem Ersten Weltkrieg. Es ist eine Kunst, die die Entwickler hervorragend beherrschen, dass ihre Welt in allen Facetten schlichtweg Sinn ergibt.

Dabei ist Grafik noch lange kein Gütesiegel für ein gelungenes Spiel, allerdings sehr wohl ein toller Bonus, wenn der große Rest unter der Oberfläche ebenso beeindruckt. Spoiler: Ja, das tut er.

Ein Ensemble irgendwo zwischen Klischee und Überraschung

Der erste Blick auf die prominentesten Bilder, mit denen die Entwickler The Order: 1886 bewarben, wird dem eigentlichen Spiel glücklicherweise nicht gerecht: Klassische Videospielhelden blicken uns da entgegen, die spontan nicht wirklich im Gedächtnis bleiben. Immerhin keine Dessous-Rüstung!

The Order und der falsche erste Eindruck

Doch The Order: 1886 spielt mit einigen, bei weitem aber nicht allen, seiner Charaktere und widerspricht hier und da bewusst den Erwartungshaltungen, die wir schon vor Spielbeginn aufbauen. So lernen wir den kantigen und berühmten Ritter Sir Galahad als Gefangenen kennen, der von seinen Peinigern auf äußerst unangenehme Weise gefoltert wird. Nur mühsam entkommen wir dem Gefängnis, dabei schleifen und schlurfen wir auf dem rauen Steinboden und an den Wänden entlang. Es folgt eine Rückblende, die erzählt, wie es zur Gefangenschaft kommen konnte und wenngleich hier Galahad wieder als klassischer Held inszeniert wird, ruht der Schatten des Vorspanns schwer auf ihm — und davon profitiert dieser Charakter sehr.

Isabeau D’Argyll ist die Frau im Bunde der Hauptfiguren und stellt ein tolles Gegengewicht zur überwiegend männlichen Truppe dar: Sie ist stark, unabhängig und hinterfragt die Taten ihrer Kollegen mehr als einmal. Ihre Taten und Worte sprechen für sie, nicht ihre körperlichen Reize. Seit dem Release von The Order konnte nur Evie Frye aus Assassin's Creed: Syndicate mit dieser emanzipierten Charakterisierung mithalten, während die Mehrheit der großen AAA-Spiele  ihre weiblichen Hauptfiguren weiterhin in Stöckelschuhen und Kniestrümpfen durch die Gegend wackeln lassen.

Vielfalt, die niemandem schadet

Ein weiterer solcher Höhepunkt der Charakter-Riege sind Devi Nayar und Lakshmi Bai, zwei indische Kriegerinnen und Adlige, die im späteren Spielverlauf zum Abenteuer hinzustoßen. Sie ergänzen das doch recht uniform aussehende Team der Tafelrunde und bereichern das bis dahin vorwiegend testosterongeladene Abenteuer um neue Perspektiven, die ein Jahr später noch immer viel zu selten in der AAA-Peripherie vertreten sind. Vielfalt, die niemandem schadet  — auch dafür steht The Order: 1886.

Einige der harschen Kritiken waren allerdings nicht unbegründet: So sollte sich Ready At Dawn noch einmal genau überlegen, ob Stealth-Abschnitte wirklich Spaß machen, die wir nach einem einzigen Blickkontakt mit den Wachen sofort komplett neu starten müssen. Auch verträgt die Balance von Zwischensequenzen und tatsächlichem Spiel noch einmal eine Feinjustierung, auch wenn ich persönlich hier The Order: 1886 bereits als ziemlich gelungen ansah. Ich lasse mich gerne durch Schlauchgänge ziehen, wenn diese hübsch, interessant oder irgendwie sonst ansprechend sind. Ich muss nicht ständig auf einen Controller klopfen, um mich daran zu erinnern, dass ich ein Spiel spiele.

Immerhin: Wo viele Fehler passieren, besteht auch viel Potenzial für Verbesserungen und gelernte Lektionen. Ein neues The Order-Spiel könnte auf unheimlich viel Potenzial aufbauen und weiß genau über seine Stärken und Schwächen Bescheid. Außerdem wäre es wirklich schade, wenn wir niemals wieder in die fantastische Welt zurückkehren dürfen, die die Ritter der modernen Tafelrunde bevölkern. Je länger ich nun also darüber nachdenke, desto sicherer werde ich mir: Ich bin sicherlich nicht der Einzige, der unbedingt ein Sequel will.

Ganz sicher nicht.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News