Alles ist vergänglich. Ob der
Spaghetti-Western, der mit Anbruch der 1970er-Jahre jäh unter die
Erde kam, oder der große Monumentalfilm, der einst noch Spartacusse und
Maximusse im Dauertakt ins Lichtspielhaus beförderte. Statt Sandalen sieht das
Auge auf der Leinwand heute viele Capes und digitales Metall. Auch dieses
Zeitalter wird enden. Oder laut Optimus Prime: "Das
ist kein Krieg. Das ist der Untergang der Menschheit."
Ganz so drastisch ist der scheinbare
Tod der Transformers natürlich nicht. Es sei dem Drehbuch von Ära des Untergangs, das nur jähzornige Extreme kennt, verziehen. Oder
dem offiziellen Film-Song der Imagine Dragons, der natürlich Battle Cry,
also "Schlachtruf", heißt - was auch sonst. Doch sollte die
einst so kassenträchtige Action-Reihe wirklich vor dem Aus stehen,
wie es zuletzt immer mehr schien, verliert das Kino der Zukunft eine
unglaublich wichtige Komponente: den Mut zum Wahnsinn.
Transformers ist leider geil, auch Ära des Untergangs
Mehr als 210 Millionen US-Dollar Budget stellte Paramount dem pyromanischen Filmemacher Michael Bay noch den vierten Teil zur Verfügung, der damit so ziemlich alles anstellen durfte, was er wollte. Und es auch tat. Immerhin geht‘s in dieser fast dreistündigen Destruktionsstudie um Roboter-Dinosaurier und Darwinismus.
Schlechter und bekloppter war kein Film im Jahr 2014, doch den Zuschauern gefiel‘s. Und mir auch: Immerhin macht der fraktionslose Roboter Lockdown Jagd auf Optimus Prime, um ihn dessen Schöpfer zu übergeben. Während Steve Jablonskys hemmungslose Klangtiraden untermalen, wie der Magnet eines Raumschiffs mit Hongkong Ping Pong spielt. Und ein von Menschen geschaffener Transformer namens Galvatron sich mit einem T-Rex prügelt. Und Stanley Tucci Shuhua-Milch schlürft ... Wo hat man so etwas bitte je zuvor gesehen?
Ära des Untergangs gönnte ich mir seitdem jedenfalls fünf weitere Male, trotz 2.0-Bewertung auf Moviepilot. Der Widerspruch hat Methode: mehr als eine Milliarde am weltweiten Box-Office zum Beispiel. Der Nachfolger Transformers 5: The Last Knight und das Spin-off Bumblebee nahmen zusammen jedoch weniger ein als noch Teil 4 allein. Schon scheint das geplante Mega-Franchise (es waren zahlreiche Spin-offs und Sequels angedacht) wieder ausgeträumt.
Produzent Lorenzo
Di Bonaventura gab zuletzt zu, dass für einen sechsten Teil aktuell
schlichtweg die Ideen fehlen. Kein Wunder: In The Last Knight, dem
vielleicht spritzigsten, weil verrücktesten Blockbuster der letzten
Dekade, packte man schon alles rein, was dem menschlichen Gehirn
einzufallen vermag: Tafelritter, Merlin, noch mehr Dinos, U-Boote, Hitler und Stonehenge.
Michael Bay setzt dem Kino ein Denkmal
Hier
muss Michael Bay allerhöchster Respekt gezollt werden. Der
Krawallmacher ist heute wohl der letzte Regisseur, der einfach macht
und sich nicht in sein Schaffen reinreden lässt. Genau deshalb ist Bay ist ein großartiger, wenn nicht gar der beste
Regisseur.
Vielleicht nicht, wenn es um Montage und Schauspiel geht - diese Disziplinen sind Bay herzlichst egal -, doch die Transformers-Filme bestechen vielmehr durch andere Werte: Sie sind handgemacht. Ausgenommen von den CGI-Robotern ist alles echt, Bay inszeniert nahezu jede Explosion, jeden Stunt und jede Massenkarambolage real und ohne Kompromisse. Für seinen früheren Film Bad Boys II etwa ließ Bay sogar eine komplette Villa in Florida errichten, nur um sie vor der Kamera wieder in die Luft zu jagen.
Zudem dreht der Kalifornier gerne auf analogem Film und führt die Kamera häufig auch selbst, während er aufgeregt seine Instruktionen via Megafon durchgibt. Tut also genau die Dinge, die mit dem Beruf eines Regisseurs eigentlich verbunden werden.
Wer
sich das Behind-the-Scenes-Material der Transformers-Filme ansieht,
dem dürfte kaum entgehen, mit wie viel Einsatz der 54-Jährige
arbeitet. Nicht selten schnauzt er auch mal seine Crew an, flucht,
was das Zeug hält. Das ist zum Teil auch bedenklich. Michael Bay schert sich trotzdem wenig darum, was
andere von ihm halten. Dieser Hang zum Narzissmus spiegelt sich
ebenso massiv in den Filmen wider, wenn Bay seine Welt in
maximaler Opulenz inszeniert.
Meistens werden Figuren untersichtig fotografiert, um möglichst groß zu wirken, die immer polierten Autos präsentieren sich wie aus besten Werbespots, besonders spektakuläre Detonationen werden in Zeiltupe und mit möglichst tiefen Bässen abgespielt - die Inszenierungsexzesse in Transformers sind purer Technikporno, bei dem der Zuschauer der sprichwörtlichen Masturbation entlarvt wird.
Mehr steckt auch nie dahinter. Selbstreflexion geht der Regisseur stets aus dem Weg. Das mag zwar naiv, misanthropisch und geschmacklos sein - es ist aber auch eine eine beachtliche Leistung, derart aufwendige und plastische Bilder mit derart viel Selbstverständnis zu kreieren und zugleich so wenig auf politische Korrektheit zu achten. Auch befremdliche Kunst kann Kunst sein - die im Kino immer mehr verloren geht.
Siehe 6 Underground: Wer sein Ding drehen will, geht zu Netflix
Bay ist selbst schon aufgefallen, dass seine unverkennbare Handschrift bei den großen Studios keine Zukunft hat. Diese sind aktuell eher damit beschäftigt, sich zahnlose Regisseure ohne kreativen Eigenwillen zu suchen. Disney und das Star Wars sind das beste Beispiel hierfür. Erst kürzlich wurden die Game of Thrones-Macher von ihrer Arbeit abgezogen - sie sind nicht die ersten, denen das im Star Wars-Franchise passiert.
Ausgerechnet für Netflix inszenierte er also den Kaputtmach-Quatsch 6 Underground, wo Bay sich mehr denn je austoben durfte: Abgerissene Augen, Sex im Kugelgewitter, es erinnert an den größenwahnsinnigen wie qualitativen Bay-Höhepunkt Bad Boys II von 2003.
- Zum Weiterlesen: Bad Boys 3 fehlt der verrückte Michael Bay-Größenwahn
Selbst ein Altmeister wie Martin Scorsese, dessen Methoden sich Planeten von Bay entfernen, fand über Netflix in The Irishman wieder zu seinem Stil zurück. Und David Fincher hat schon vor Jahren im Streaming seine neue Heimat entdeckt. Auf dem heimischen Fernseher bereiten diese Lebenswerke allerdings nur halb so viel Freude wie in einem gut bestückten Dolby-Atmos-Kinosaal.
Eine Leinwand, auf der sich in Zukunft nur noch brave Auftragsregisseure für Disneys Maschinerien die Finger wund machen und selbst ein kindlicher Egomane wie Bay davon die Nase voll hat - welche Zukunft hat die Kunstform Kino dann noch? Wenn es radikales Popcorn-Entertainment wie Transformers 4: Ära des Untergangs nicht mehr gibt ... Um es mit den Worten Friedrich Hebbels zu sagen: Ich sehe lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts.
Transformers 4: Ära des Untergangs läuft am heutigen Freitagabend, dem 24. Januar 2020, um 20:15 Uhr auf ProSieben.
Habt ihr genug von Transformers oder könnt ihr auch nicht genug kriegen?