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Über Castingshows und warum Menderes die deutsche Medienlandschaft in die Pfanne haut

04.02.2016 - 15:35 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
My Heart is Beating like a Jungle Drum...
RTL
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Seit dem Dschungelcamp 2016 ist ein Name in aller Munde: Menderes Bagci. Warum er zur interessantesten Figur im deutschsprachigen Raum avancierte und wir uns alle eine Scheibe von ihm abschneiden können, hier in diesem Artikel!

Das Dschungelcamp 2016 ist vorbei. Menderes Bagci hat gewonnen. Das mag dem Großteil der User dieser Website egal sein. Wie auch besagte Fernsehshow der Community - ganz anders als der Redaktion - egal ist. Ich persönlich habe es dieses Jahr gehalten wie immer: zunächst wenig Interesse an der Show, und als es dann losging mit der multimedialen Berichterstattung, habe ich es aufgesogen wie Sophia Wollersheim ihren roten Ekelsaft. Dabei hat sich mein Fokus in den letzten Jahren immer weiter verschoben: von den voyeuristischen Aufgaben zu der Dynamik im Camp. Tatsächlich handelt es wich hierbei - wenngleich freilich gefiltert und im Schnitt dramatisiert - um eine der faszinierendsten Sozialstudien, die es im Fernsehen gibt. Da sind sich Boulevard- und Qualitätszeitungen einig. Im Grunde liefert uns "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" genau das psychologische Experiment, dass man sonst nur in einer psychologischen Praxis oder in Filmen wie Breakfast Club - Der Frühstücksclub oder Die zwölf Geschworenen bekommt.
Aber es soll hier nicht ums Dschungelcamp gehen, sondern um den amtierenden Dschungelkönig Menderes, und um Castingshows allgemein.

Was Castingshows angeht, muss ich zuerst mal ganz klar eine Begrenzung setzen: deutsche Castingshows sind mit der amerikanischen bzw. britischen Variante nicht zu vergleichen. Wenngleich die Shows selbst nicht immer gut wegkommen, können die Teilnehmer solcher Shows durchaus erfolgreiche Karrieren aufweisen. Musiker wie Kelly Clarkson, Adam Lambert (beide American Idol), Leona Lewis (X-Factor), Lindsey Stirling (America's Got Talent) oder Miranda Lambert (Nashville Star) werden sowohl vom Publikum als auch von der Kritik wohlwollend aufgenommen. Das hat mehrere Gründe: auch international reißt man sich um diese Stars, weshalb sie von Haus aus mehr Erfolg bekommen. Selbst, wenn der Rum nur national erfolgt - der Siegeszug ist tausendmal größer. Folglicherweise sind die Auswahlkriterien strenger - um dort zu gewinnen, muss man schon wirklich was können - und man gibt sich beim Endprodukt wesentlich mehr Mühe, um nicht nur kurzzeitig auf dem Hype mitzuschwimmen, sondern weltweit Hits zu landen. Nicht selten sind die Künstler auch selbst wesentlich an der Musik beteiligt, schreiben Songs oder spielen Instrumente. Ab einem gewissen Erfolg folgt oft eine komplette Abspaltung von der Vermarktung und absolute Eigenständigkeit. Schlicht und ergreifend sind die Veröffentlichungen der CastingteilnehmerInnen hochwertiger.

Im deutschsprachigen Raum hat man sich gewissermaßen schon daran gewöhnt, dass man bei Deutschland sucht den Superstar, Das Supertalent und Konsorten KEINE Stars mehr castet. Der Hauptgewinn sind die Shows selbst, kaum mehr ist die Musik mehr als ein Gimmick. Anders als zu Beginn der Castingwelle, wo die Teilnehmer (nicht nur die Gewinner) durchaus noch Platten verkaufen konnten und längere Zeit medienpräsent waren, sind die Alben der heutigen Gewinner oftmals den Aufwand nicht wert, sie zu schreiben und zu produzieren. Solange der Hype um die Show noch nachhallt, kann man noch ein paar Groschen mit den Kandidaten verdienen, bevor diese dann in der Versenkung verschwinden. Oftmals erscheinen die Alben der "Superstars" wenige Tage nach Ende der Show und wurden (so vermute ich zumindest) bereits vorab mit mehreren Teilnehmern aufgenommen.
Besonders minderwertig waren die letzten paar Staffeln von Popstars . Die Sieger der ersten 5 Seasons konnten sich allesamt in den Charts behaupten. Zwar schafften es lediglich die No Angels und Monrose, sich langfristig zu bewähren und mehrere erfolgreiche Hitsingles und -alben zu veröffentlichen, dennoch waren allesamt profitabel. Und ja, "Your Dark Side" von Nu Pagadi und "Strictly Physical" von Monrose finde ich für Castingpop gar nicht so schlecht. Als es allerdings ab dem Flop von Room 2012 immer weniger Einnahmen mit den Siegern gab, wird bei allen folgenden Bands deutlich hörbar, wie ein paar Songs billig zusammengeschustert wurden, zur Hälfte gecovert, und in wenigen Takes von den Kandidaten aufgenommen wurden. Die frechste Masche war ja, als das Debutalbum von Queensberry noch vor Bekanntgabe des letzten Mitglieds in 3 Versionen mit jeweils einer der Finalistinnen veröffentlicht wurde (ein Kauf zählte wie eine Votingsimme).

Menderes Bagci hat sie alle überdauert. Er war seit 2002 bei DSDS, und danach in jedem Jahr erneut - auf die ein oder andere Weise. Das trifft sonst nur auf Juror Dieter Bohlen zu. Und niemand, aber wirklich niemand, hat so eine extreme und positive Entwicklung durchgemacht wie er.

Alles begann in der ersten Staffel mit diesem Auftritt .

Menderes war ein klarer Fall von Nichtskönner. Jemand, der für unfreiwillige Lacher sorgt. Das war seine Rolle. Niemand hätte das abgestritten. Aber durch seine überdrehte, aufgeschlossen Art und seinen Humor wurde er nicht wie viele andere nur als eben solcher abgestempelt. Nein, er entwickelte sich zum Kult und wurde neben Bohlen zu DEM Aushängeschild der Show. Neben ihm haben es sich auch andere scheinbar hoffnungslos unbegabte Bewerber nicht nehmen lassen, immer wieder erneut bei den Castings zu erscheinen. Keiner erlangte den Status von Menderes. Zunächst wurde er etwas ähnliches wie das deutsche Pendant zu William Hung, der durch "American Idol" bekannt wurde, wo er durch absolute Talentfreiheit, aber leidenschaftliches und optimistisches Auftreten eine große Fanbase für sich gewann. Der Unterschied: Hung bekam einen Plattenvertrag. Er nahm 2 Cover- und ein Weihnachtsalbum auf, alle 3 wurden als Scherz vermarktet und gelten als die schlechtesten Gesangseinlagen, die je auf einer professionell und kommerziell veröffentlichten CD erschienen sind.

Gott sei Dank war Menderes das bislang noch nicht vergönnt. Und das ist keineswegs böse gemeint. Denn der junge Sänger arbeitete ehrgeizig und erbittert, um seinen Traum von einer Musikkarriere zu verwirklichen. Er nahm Gesangsunterricht, trainierte fleißig seine Stimme und lernte, im Takt zu singen, Emotionen an den Tag zu legen, Noten zu treffen und mit verschiedenen Dynamiken zu spielen. Rein technisch ist Menderes nun einer der besten Sänger, die Bohlen vor sich hatte. Und er schaffte es in den letzten Jahren auch immer in den Recall. Sein Pech ist seine von Natur aus hohe und nasale Stimmlage, die vielen nicht gefällt und zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig ist. Das Image einer Witzfigur blieb ihm allerdings.

Nun ist Menderes Dschungelkönig 2016. Und gewonnen hat er weder aus Mitleid, noch, weil er für so viel unfreiwillige Komik sorgte. Nein, er überraschte alle durch seine Intelligenz, Tapferkeit, seinen Gerechtigkeitssinn, seine Charakterstärke und Fähigkeit zur Selbstreflexion. Hinter dem einstigen Trash-Meister steckt ein sensibler und verletzlicher Mann, dem Vorurteile fremd sind und der sehr bedacht und feinfühlig agiert. Er gab auch Preis, wie er unter dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, zu leiden hat. Er wird auch als Person nicht ernstgenommen, und in der Liebe hatte er kein Glück. Er weiß auch, dass er nicht der beste Sänger ist, hält aber weiter an seiner Musikkarriere fest. Zum Einen aus Ambition und Liebe zum Gesang, zum Anderen, weil er auch genau weiß, dass er nicht der schlechteste ist.
Man kann es nur so ausdrücken: der ganze deutschsprachige Raum war baff. Und ja, das schlechte Gewissen darf ruhig an einem nagen.

Menderes Weg bis nach oben war ein harter voller Entbehrungen, Frust und Enttäuschungen. Und er blieb stark, bewies Wille, Ausdauer und einen immensen Glauben daran, seinen Weg gefunden zu haben. Er ist Vollblutkünstler. Und jeder von uns, egal, ob seine Leidenschaft in Musik, Film, bildender Kunst, Poesie, Prosa, Tanz, Gastronomie, Schulwesen, Politik, Journalismus, oder egal, welcher Richtung liegt, der kann sich an Menderes Bagci ein großes Beispiel nehmen.

Ich wünsche Menderes nun 3 Dinge:
1. Er soll nun endlich einen Plattenvertrag bekommen.
2. Er soll an Produzenten und Manager geraten, die ihn ernstnehmen und nicht als Clown vermarkten, und seine musikalischen Vorstellungen verwirklichen
3. Er soll ganz, ganz, ganz viel Erfolg haben und der profitabelste Castingstar Deutschlands werden.

Und wer von ihm immer noch nicht überzeugt ist...
...ihr alle wisst ja vielleicht, dass ich großer Prince-Fan bin. Der galt in den 80ern und 90ern als einer der besten Musiker überhaupt, und konnte nahezu durchgehend euphorische Kritiken einheimsen.
Dieser Song ist einer meiner liebsten von Prince, er stammt vom Album "Sign o' the Times", welches auf vielerlei Listen der besten Musikalben aller Zeiten unter den besten 100 dabei ist.

Und ganz ehrlich - Menderes klingt heute verdammt ähnlich:

If I was your Girlfriend 

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