Über Erinnerungen und eine Reise ohne Gefährten

01.04.2014 - 15:16 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Shosanna Dreyfus
Universal Studios
Shosanna Dreyfus
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Ich bin Hendrik, neu bei Moviepilot, und das hier ist ein Aufruf: Denn auf dem Weg nach Berlin, wo ich in der Newsredaktion die kürzlich vakant gewordene Stelle eines Praktikanten besetzen werde, habe ich meine DVD-Sammlung verloren.

Knapp dreihundert Filme, darunter teure DVD- und Serienboxen, ein paar echte Klassiker und mühsam zusammengekaufte Trilogien. Der Pate, Der Herr der Ringe, die Clerks-Saga – einfach weg. Allesamt. Und das, nachdem die stets anwachsende Sammlung so beschwerliche und abenteuerliche Reisen wie die von Hannover nach Magdeburg überstanden hat, wo ich drei Semester Kulturwissenschaften studieren und das erste Mal journalistische Texte publizieren durfte. In einer kleinen Studentenzeitung. Immerhin.

In dem Bereich gab es vorher nämlich nicht viel. Erst Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten, danach zwei Jahre die allg. Hochschulreife nachgeholt. All das, um danach den Sprung ins Haifischbecken Geisteswissenschaften zu wagen. Nur die Filme waren eben schon immer da. Und dass ich wusste, dass ich schreiben wollte. Aber Kulturwissenschaften ist nun wirklich kein Brotstudium. Abgeschlossen habe ich daher auch in Sozialwissenschaften und Germanistik mit Schwerpunkt Medienwissenschaften. Ich war ja vernünftig.

Dafür haben meine DVDs und ich zurück nach Niedersachsen ziehen müssen. Und ein weiteres Mal war alles glatt gelaufen, keinerlei Verluste. Obwohl wir halb Deutschland durchquert hatten. Die DVDs blieben unversehrt an meiner Seite, landeten gut sortiert und abgestaubt im hässlichen jedoch geräumigen Billy-Regal. In der neuen Stadt konnte ich dann einen Sommer lang für eine Lokalzeitung arbeiten, und das Film-Blog, das ich einige Monate zuvor zusammengeklaubt hatte, am Laufen halten. Inzwischen ruht die Seite wieder. Aber die Bachelorarbeit ist geschrieben und eingereicht. Ich warte nur noch auf das Zeugnis.

Dass ich zwischen dem Antritt eines Masterstudiums und dem Ende meines Bachelorstudiums ein halbes Jahr Zeit haben würde, wusste ich bereits seit dem letzten Winter.

Auch, dass moviepilot.de – meine Frühstücks- und Morgenkaffeeseite – Praktika anbietet. Beworben, freundlich empfangen, eine dreimonatige Verpflichtung eingegangen und Wohnung aufgelöst. Wieder haben die DVDs den Wohnort wechseln müssen. Dieses Mal mit verheerenden Folgen. Ein Umzug zu viel, da fühlt sich das Schicksal herausgefordert. Jetzt sind sie alle weit weg. Vertigo, Brügge sehen… und sterben?, das komplette Tarantino- Œuvre. Ja, der Mann hat auch mir den Filmenthusiasmus erst so richtig eingeprügelt. Die Braut, die Brown, die Basterds. Deshalb nun das Bild da oben, in dem so viel Kino steckt.

Das tragbare Speichermedium ist mir einfach lieber. Und wirklich verloren habe ich die guten Stücke auch nicht. Aber zurücklassen musste ich sie. Zuhause unterstellen mit meinem anderen Krimskrams – CDs, Bücher, Bilder, Wandteppich, Kaffeemaschine. Hab nämlich keine Ahnung, wie lange ich in Berlin bleiben werde, bzw. wo es danach hingeht. Aber immerhin: Mit diesem Internet habe ich mich inzwischen angefreundet. Damit lässt sich so einiges kompensieren. Auch wenn ich, was Serien angeht, Langschläfer war. Da brauchte es schon einen Dan Harmon und Vince Gilligan, mich zu bekehren. Breaking Bad und Community sind immer dabei. Doch für die DVDs ist an meiner Seite zunächst kein Platz.

Aber warum ist mir dabei so unbehaglich? Hornby? “Is it wrong, wanting to be at home with your record collection? It’s not like collecting records is like collecting stamps, or beermats, or antique thimbles. There’s a whole world in here, a nicer, dirtier, more violent, more peaceful, more colorful, sleazier, more dangerous, more loving world than the world I live in; there is history, and geography, and poetry […].”

Klar, er meint Platten. Aber es läuft ja aufs Gleiche hinaus, ob Bücher, Musik oder Filme. Zurück in die Zukunft, Funny Games, Garden State – ich fühl’ mich einfach besser, wenn die alle in der Nähe sind. Konstante Gefährten und Surrogate zur Besinnung auf kleine Episoden, die ausfasern auf ganze Lebensabschnitte. Nur bei den Umzügen – dem Gegenspieler der Konstanz – ein Klotz am Bein. Meilensteine wie die Dollar-Trilogie, so eine Reihe, die ich über Jahre zusammenkaufen musste, deren Abschluss ich mit ca. neun Jahren unmittelbar unter dem Radar elterlicher Aufsichtspflicht versteckt hinter einer Sofalehne verfolgt habe. Der erste ‚echte‘ Film, an den ich mich bewusst erinnere, dabei sogar an explizite Szenen; die Zigarette, die Der Blonde dem sterbenden Unionssoldaten zwischen die zitternden Lippen schiebt und ansteckt und diesem wie die Besiegelung sich einstellender Leblosigkeit entgleitet. Zwei Glorreiche Halunken habe ich dann doch noch aus den Untiefen unwirtlicher Umzugskisten herausgegraben und mitgenommen.

Meine erste DVD war übrigens The Fast and the Furious. Seitdem hat sich einiges getan. Denn eine Biographie strukturiert sich offenbar ganz von selbst. Aber es ist ja doch seltsam, wie so manche selektiv erinnerte Kindheitserinnerung früher oder später den augenblicklichen Zustand vollkommen logisch erscheinen lässt. Jetzt bin ich hier, erst mal ganz ohne Ballast. Und doch ziemlich froh darüber.

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