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Überwältigung in Guanajuato

13.02.2015 - 02:51 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Elmer Bäck in "Eisenstein in Guanajuato"
Berlinale
Elmer Bäck in "Eisenstein in Guanajuato"
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Knight of Cups war gestern. Heute habe ich bereits einen neuen Favoriten. Aber nicht jeder Wettbewerbsfilm kann mich begeistern. Großartig hingegen ist Walter Salles' Dokumentarfilm über Jia Zhang-ke.

Meine Freude über den großartigen Knight of Cups von Terrence Malick ist noch deutlich zu spüren gewesen als ich mich heute früh auf den Weg machte. Ich traf mich wieder mit diversen Filmfreunden, um neue wunderbare Werke entdecken zu können. Ich hätte jedoch nicht erwartet, dass bereits heute ein Film den Rang meines bisherigen Favoriten bei der diesjährigen Berlinale dem Herrn Malick streitig machen würde. Aber genau dies ist geschehen...

Eine gänzlich neue Stufe an Euphorie ist erreicht

Eisenstein in Guanajuato von Altmeister Peter Greenaway ist einfach nur der Wahnsinn. Was uns der 1942 geborene Brite da serviert, habe ich in der Form wirklich nicht kommen sehen. Auch wenn Greenaway für außergewöhnliche Filme wie beispielsweise Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber bekannt ist, so hat mich sein neuester Film wirklich absolut überrascht. Ich muss aber auch zugeben, in den letzten Jahren wenig von ihm gesehen zu haben. Jedenfalls ist der neueste Film unglaublich rasant, modern und überwältigend. Ein Freund bezeichnete den Film schlicht als "mind-blowing". Greenaway arbeitet mit Split-Screens, mit Collagen, mit überstilisierten Bühnen und Settings. Seine Experimentierfreude ist dabei so groß, dass dieser kreative Ansatz niemals langweilig wird. Er variierte und spielt damit auf so frische und wundervolle Art wie ich es schon lange nicht mehr im Kino erleben durfte. Der Film selbst berichtet von der Reise des exzentrischen, russischen Regisseurs Sergei M. Eisenstein nach Mexiko, um einen Film namens Que Viva México zu drehen. Dabei entdeckt er nicht nur eine neue Welt, sondern auch seine Homosexualität. Der Film beschäftigt sich im Grunde überhaupt nicht mit den Dreharbeiten, vielmehr dreht sich alles um die Person Sergei Eisenstein. Der 1981 in Finnland geborene Elmer Bäck war mir bisher völlig unbekannt, sieht Sergei Eisenstein erstaunlich ähnlich und spielt den Exzentriker mit einer unfassbaren Kraft. Fast noch in einem größeren Ausmaß als Wende Snijders' Schauspiel in Zurich empfand ich Bäcks Leistung als pure Naturgewalt. Ich hoffe, dass die Jury seine Darstellung Eisensteins würdigen wird. Für mich persönlich ist er bisher der größte Favorit auf einen Bären. Auch der Film selbst hätte es absolut verdient. Hoffentlich läßt sich die Jury nicht von der sexuellen Freizügigkeit des Filmes abschrecken, die in einer in der Form noch nie gesehenen Deutlichkeit eines schwulen Geschlechtsaktes gipfelt. Besagte Szene ist einfach nur unfassbar grandios inszeniert.

Nach meiner bescheidenen Meinung ist der diesjährige Wettbewerb einer der stärksten der letzten Jahre. Dass aber nicht jeder Wettbewerbsfilm dieses Jahr auch großartig ist, bewies der nächste Beitrag aus China.

Mein zweiter Wettbewerbsfilm heute hat mir leider nur mäßig gefallen. Gone with the Bullets (Yi Bu Zhi Yao) von Wen Jiang fing furios an. Die Eröffnungsszene ist eine witzige Hommage an die bekannte Szene aus Der Pate. Wen Jiang, der nicht nur als Regisseur fungierte, sondern auch die Hauptfigur spielte, lieferte hier eine wirklich witzige Marlon-Brando-Imitation ab. Danach folgt eine berauschende Musical-Tanzeinlage, die aus einem Film von Baz Luhrmann entsprungen scheint. Alles deutete auf eine überdrehte Gangsterkomödie mit Musicaleinlagen hin. Das stimmt auch soweit, nur dass das Überdrehte langsam zurück geschraubt wird zu Gunsten einer 08/15-Geschichte mit viel Klamauk und etwas Langeweile. Auch die Musikszenen halten sich in einem überschaubaren Rahmen. Eigentlich schade, wie ich finde. Die letzte halbe Stunde hat mir dann auch überhaupt nicht mehr gefallen. Dass Gone with the Bullets der zweite Teil einer Trilogie ist, spielt keine Rolle. Und wirklich Interesse an den Vorgänger- bzw. Nachfolgefilmen kam jetzt bei mir nicht so recht auf.

Jia Zhang-ke, ein Typ aus Fenyang

Walter Salles, der Regisseur von Filmen wie Central Station, On the Road oder Die Reise des jungen Che, präsentiert uns hier einen Dokumentarfilm über Jia Zhang-ke. Wer mit dem Namen Jia nichts anfangen kann, befindet sich sicherlich in bester Gesellschaft. Hat sein wohl bekanntester Film, der Dreischluchten-Staudamm-Film Still Life und Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig 2006, hier bei moviepilot doch gerade einmal nur 71 Bewertungen. Dabei finden sich seine Filme sogar in der They Shoot Pictures, Don’t They -Liste wieder. Dort belegt Still Life Platz 949 und mein eigener Lieblingsfilm von Jia Zhang-ke, Der Bahnsteig aus dem Jahre 2000, befindet sich sogar auf Platz 509. Aber ich muss auch zugeben, bis vor kurzem ebenfalls lediglich Still Life gesehen zu haben. Vor wenigen Wochen kaufte ich mir jedoch sechs seiner Filme und aus Anlass dieses Dokumentarfilmes sah ich sie mir auch endlich einmal an. Sehr empfehlen kann ich neben dem bereits erwähnten Der Bahnsteig noch den teilweise mit Schauspielern gedrehten Dokumentarfilm 24 City. Sein aktuellster Film, A Touch of Sin, fällt auf den ersten Blick scheinbar aus dem Rahmen, beinhaltet beim genaueren Hinschauen jedoch durchaus Jias typische Themen.

Jia Zhang-ke wurde 1970 in der Kleinstadt Fenyang geboren und gehört zu den führenden Köpfen der sogenannten Sechsten Generation chinesischer Filmemacher. Manchmal verschwimmen bei ihm die Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentation. Seine Filme sind zumeist geprägt von dreckigem Realismus und werfen einen ungeschönten Blick auf die chinesische Gesellschaft mit all ihren Gegenwartsthemen. Dass solche Filme nicht staatlich unterstützt werden, kann sich sicherlich jeder vorstellen. Deshalb sind sie auch oft eher gering budgetiert oder mittels ausländischer Geldgeber realisiert worden. Große Gefühle oder Schönheit findet man bei Jia Zhang-ke natürlich eher selten; trotzdem haben die Filme eine wunderbare Kraft, die mich sehr fasziniert. Meist arbeitet der Regisseur mit Laiendarstellern, hat aber auch einige Schauspieler, die in fast jedem seiner Filmen auftauchen (allen voran die wundervolle Tao Zhao, aber auch Wang Hongwei). Jias Figuren sind oft Aussenseiter, Kleinkriminelle oder einfach Personen, die mit dem rasanten Wandel nicht mehr mithalten könne oder wollen. Wir beobachten sie in ihrem Alltagsleben. Diese Figuren spiegeln dabei die Hoffnungen, Enttäuschungen und Probleme wider, die durch die teils dramatischen Veränderungen während der verschiedenen Epochen des chinesischen Staates hervorgerufen wurden. Der genaue Zeitpunkt des Geschehens ist zumeist aus Radio- oder Fernsehübertragungen ableitbar. Der gesellschaftlich einschneidende Bau von Infrastruktur oder Atomkraftwerken wird gezeigt oder höchstens erwähnt. Alles passiert auf einem sehr zurückhaltenden, subtilen Niveau. Jia Zhang-kes Bildsprache zeichnet sich dabei durch lange, ruhige Breitbild- und Landschaftsaufnahmen oder gar Plansequenzen aus. Hektische Schnitte, übertriebenes Schauspiel oder sonstige Effekte bleiben glücklicherweise aus. Für mich ist er irgendwo zwischen Hou Hsiao-hsien und Michelangelo Antonioni anzusiedeln. Naja, vielleicht knapp unter diesen Meistern des Kinos...

Jia Zhang-ke, a guy from Fenyang ist vielleicht eher an Leute gerichtet, die sich etwas in der Filmographie Jias auskennen. Walter Salles läßt den Regisseur und seine Mitstreiter zu Wort kommen und in Erinnerungen schwelgen. Dabei zeichnet er ein interessantes und stellenweise sogar emotionales wie persönliches Porträt. Salles' Kamera begleitet Jia zu seinen Ursprüngen in Fenyang und vergleicht Filmausschnitte mit dem aktuellen Zustand. Eine gewisse Chronologie und filmische Evolution innerhalb des Schaffens Jia Zhang-kes wird dabei eingehalten. Damit greift diese Dokumentation ein Thema Jias direkt auf: Die Veränderungen und dessen Wahrnehmen durch die Zeit. Salles nimmt sich hier selbst zurück. Er ist niemals Teil dieses Filmes. Das hat mir unglaublich gut gefallen. Es gibt auch keine Erzählerstimme, die in irgendeiner anderen Sprache etwas erklären will, was sowieso sichtbar sein sollte. Was der Film aber auf jeden Fall bei mir bewirkt hat, ist den Wunsch zu erwecken, Jia Zhang-kes Filmographie erneut zu durchwandern. Und mit Welt Park Peking fehlt mir ja sowieso noch ein wichtiges Teil.

Mein zweiter Kontakt mit Kon Ichikawa

Der Tempel zur goldenen Halle (Enjo) von Kon Ichikawa ist kein einfacher Film. Die Geschichte wird in Rückblenden erzählt und die Figuren sind Außenseiter. Der junge Mizoguchi ist Stotterer und er kämpf in seinem Kloster mit einem System aus Demütigung und Doppelmoral. Ichikawa nutzt diesen jungen Mann, um ein gesellschaftliches Problem zu erforschen. Ich muss jedoch zugeben, dass der Film für mich schwer zugänglich war. Also ist auch mein zweiter Kontakt mit dem japanischen Regisseur zunächst keine Liebe auf den ersten Blick. Aber ich denke, viel Tiefgehendes entdeckt zu haben. Ich glaube, ich muss bei Gelegenheit dem Film eine zweite Chance geben. Zumal dies wohl einer von Kon Ichikawas liebsten Filmen war.


Zusammenfassung


Meine bisherigen Blogeinträge zur Berlinale:

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