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Vom verlorenen Kampf gegen das Leben

29.08.2015 - 09:00 Uhr
Du brauchst Hilfe, Garry.
Universal Pictures
Du brauchst Hilfe, Garry.
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Für viele  ist die Cornetto-Trilogie von Edgar Wright eine Action-Comedy-Show mit Simon Pegg und Nick Frost. Mal ein paar Zombies in SHAUN OF THE DEAD, mal etwas BAD BOYS Anleihen in HOT FUZZ. Doch dann wäre da noch THE WORLD'S END, der oft als "nicht so lustig wie die Vorgänger" verrufen wird. Stimmt. Denn THE WORLD'S END ist unter der Fassade ein zutiefst deprimierendes Drama über den Limbus der Jugend und die Angst vor dem Erwachsenwerden - und gerade deshalb der wichtigste Teil der Reihe.

Es gibt nur einen Gary King.

Die Cornetto-Trilogie ist für mich eine sehr persönliche Trilogie: Shaun of the Dead gehört auf meinen Thron der Lieblingsfilme. Ohne Wenn und Aber. Nicht nur, weil er handwerklich exzellent gemacht ist und mit tollen Aufnahmen und hervorragenden Zitaten gespickt ist. Er erzählt eine wunderbare Geschichte über das Erwachsenwerden und echte Freundschaften, in die ich mich großartig hineinversetzen kann, da sich viele Teile meiner Jugend darin wiederfinden. Hot Fuzz vermochte mich auch "herausragend" zu unterhalten, da er für die Filmkids der 80er ein liebevolles und stilvoll aufbereitetes Sammelsurium an Zitaten aus dem Buddy-Actioner-Milieu geworden ist und respektvoll eigene Ideen einspinnt. Beide Filme vereinigt, dass es einen mehr oder minder strahlenden Helden gibt, der sein Leben neu ausrichtet, alte Laster über Board wirft und seinem Leben dadurch einen neuen Anstrich verleiht. Und dann? Dann ist da noch The World's End.

Gary King - der Freund, den jeder von uns kennt.

Der in der Kritik oft durchgefallene und auch beim Publikum missverstandene dritte Teil des Pegg-Frost-Wright-Gespanns bietet einen Hybrid-Bastard aus beiden vorangehenden Filmen: also wäre Shaun vor der Apokalypse in das Setting von Nicholas Angel geraten und hätte dabei nie den Sprung aus seinem alten Leben heraus geschafft. Was bleibt ist Gary King, eine gescheiterte Existenz, die irgendwann in ihren jungen Jahren hängen geblieben ist und nie den Sprung in das Erwachsensein vollzogen hat. So wie dieser Freund, den man nach drei Jahrzehnten mal wieder in seinem Heimatdorf trifft und der sich nur über "Weißt du noch?" in Laune reden kann und noch immer davon redet "als wäre es gestern gewesen", seither aber das "Morgen" vor sich herschiebt.

War Shaun noch ein liebenswerter, aber schusseliger Zeitgenosse, ist Garry King ein Versager, der lieber im "damals" liebt als im Hier und Jetzt, während seine Freunde Karriere gemacht und eine Familie gegründet haben. Simon Pegg spielt hier einen unendlich tragischen Anti-Helden, der nie aus dieser Rolle auszubrechen vermag. Das klingt düsterer und tragischer, als die beiden Vorgänger und das ist der Film auch: Trotz aller grandioser Momente, trotz dem Witz, den netten Referenzen und dem freundschaftlichen Beieinander - er ist düster. Sehr düster.

How can you tell if you're drunk if you're never sober?

Hinter jedem Lachen von Garry King, hinter jeder absurden Situation, hinter jeder Fratze des Humors steckt die tragische Figur eines gescheiterten, sozialen Außenseiters, der nichts Lebenswertes hat, an das er sich klammern kann. Nur wenn er und seine Freunde über Relikte der Vergangenheit stolpern blüht Gary auf, sonnt sich im Ruhm vergangener Tage und man erkennt kurz das Blitzen in den sonst vom Alkohol und Drogen erloschenen Augen. So ist es auch, dass es dieses Mal seine Freunde sind, die die Helden in diesem Stück sind und die sich ihren Ängsten und den Gefahren stellen müssen, während King nur versucht, einmal im Leben etwas zu vollenden: die "Goldene Meile". 12 Bars, 12 Pints. Das mag in der Exposition der Jugendfreunde ein großes Unterfangen sein; als gestandener Erwachsener hingegen erweist es sich aber bald als das, was ist es: ein trauriges Beieinander, das nur durch Nostalgie und schales Bier, aber ohne freundschaftliche Bande zusammengehalten wird. So ist es dann auch, dass Gary King seine Meile zwar vollendet; doch an Stelle des Sonnenaufgangs auf dem Hügel der Kindheit erwartet ihn am Ende nur die Erkenntnis, dass er erst durch die Zerstörung seiner gesamtem Kindheit in der Lage war, sein neues Leben zu beginnen - oder zumindest das, was er als Leben in diesem Fall definiert.

You don't need our help to get fucked up.
You've done a perfectly good job on your own.

Daher überrascht es auch im Verlaufe des Filmes nicht, dass es der sonst eher trottelige Nick Frost beziehungsweise seine Figur Andy ist, die dieses Mal der wahre Held in diesem Film wird, wenngleich Peggs Performance absolut souverän von der Hand geht. Andy, der früher der beste Freund von Gary war, hat sich auf Grund eines selbstverschuldeten Schicksalsschlages dazu entschlossen, Gary und seinen Eskapaden zu entsagen und sein eigenes Leben zu leben. Er steht für das, was Gary auch hätte haben können, wenn er es jemals geschafft hätte, sein Leben in den Griff zu bekommen. Und so bleibt es am Ende auch Andy auferlegt, seinen ehemals besten Freund so weit zu erden, dass dieser in einer unendlich tragischen und zutiefst deprimierenden Szene endlich einsieht, was er ist. Ein hoffnungsloser Versager ohne Perspektive:

"What is so important about the Golden Mile?" - "It's all I've got!"

Was bleibt, ist ein Neuanfang.

Auch wenn nach der Szene sich vieles zum vermeintlich Guten wendet bleibt doch ein für die Trilogie ungewohnt düsteres Ende. THE WORLD'S END - das ist keine Liebes-Komödie oder ein unterhaltsames Action-Duett; hier geht es um das Erkennen, dass man sein Leben nicht an der Vergangenheit festnageln sollte und dass man immer in der Lage ist, selbst etwas zu ändern, auch wenn das bedeutet, dass man (metaphorisch) alles zerstören und allem Bekannten entsagen muss, um neue Wege zu gehen. Doch dazu gehören Freunde, dazu gehört viel Kraft und vor allem eines: Die Erkenntnis, dass alles was zwischen trauriger Vergangenheit und Zukunft steht, man im schlimmsten Fall selbst ist. Und das zu erkennen, das fordert Mut. Das ist dann wohl die wichtigste Leistung, die Gary King je vollbracht hat: er hatte den Mut, sich selbst diese Schwäche einzugestehen. Am Ende helfen ihm dann weder Suizidversuche noch nostalgische Erinnerungen, sondern nur sein Mut, endlich für etwas einzustehen und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Denn jede Entscheidung basiert auf den Entscheidungen davor - egal ob sie gut oder schlecht waren. Viel wichtiger ist, dass sie uns in die richtige Bahn lenken, die unser Leben wieder lebenswert macht. Und das ist es auch, das Gary erkannt hat.

"Hey! It is our basic human right to be fuck ups. This civilization was founded on fuck ups and you know what? That makes me proud!"

Danke, Gary - Und danke Edgar Wright für einen Film, so amüsant, so witzig, so actionreich und so voller Leben, dass man fast vergisst, wie unendlich tragisch und düster er eigentlich ist. Genießt euer Leben und denkt immer daran: es liegt in eurer Hand, nicht ein Gary King zu werden. There's only one Gary King - und das ist auch gut so.

Game Over?

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Dieser Community-Blog ist im Rahmen der Aktion Lieblingsfilm 2015 entstanden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Medienpartnern und Sponsoren für diese Preise:


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