Wann wird das Fantasy Film Fest wieder fantastisch?

30.08.2014 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Fantastisches Film Fest?
Fantasy Film Fest/moviepilot
Fantastisches Film Fest?
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Das Fantasy Film Fest geht in seine 28. Runde. Mit einigen Neuerungen: Mehr Tage. Neue Preise. Nur die Filmauswahl findet in ihrer Limitierung einen neuen Tiefpunkt und lehrt jedem Filmfan, der die Abwechslung in der Horrormonotonie sucht, wahrlich das Fürchten.

Könnt ihr euch an euer erstes Fantasy Film Fest erinnern? Das erste Mal, dass ihr dem Ruf der verheißungsvollen drei F gefolgt seid? Angelockt von einem unglaublich faszinierenden Filmprogramm sah ich mich plötzlich von Gleichgesinnten umgeben. Mit Tendenz zu dunkler Kleidung. Fachsimpelnd über Filme, die im herkömmlichen Feuilleton kaum Beachtung fanden. Ich fühlte mich damals (anno 2007) regelrecht hypnotisiert von den Eindrücken, der Vielfalt. In einer Sphäre, in der gegensätzliche Filme wie The SignalEx DrummerHallam Foe - this is my storyFido - Gute Tote sind schwer zu findenI'm a Cyborg, But That's OKDead Silence - Ein Wort. Und du bist tot. oder Paprika parallel existieren konnten. Wo jeder Titel nicht bloß gezeigt, sondern gewürdigt wurde. Eine ungeahnte, offen ausgelebte Liebe zum Genrefilm. Und das mitten im von Heimat- und Familienfilmen, romantischen Komödien und Krimis dominierten Deutschland.

Acht Jahre später sind die Schmetterlinge verflogen. Der Zauber hat sich verflüchtigt. Was folgt, ist kein Aufreger im klassischen Sinne. Viel mehr ein Ankläger der Woche. Ein Weckruf. Ein Denkanstoß. Eine Sorge um eine überlebenswichtige Institution für den Erhalt der deutschen Filmvielfalt, die sich aber auf dem besten Weg befindet, ganz nach dem Vorbild der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft, sich in eine Genremonotonie zu manövrieren.

Früher war alles besser...

Ich maße mir nicht an, über die "gute alte Zeit" lamentieren zu können. Eine reichlich hohle Phrase für jemanden, der das Festival noch keine zehn Jahre frequentiert. Die Vergleiche zwischen damals und heute wissen andere  besser zu ziehen. Ich persönlich kenne nur ein stark bevölkertes, von den Multiplexen des Potsdamer Platzes geprägtes FFF. Von familiär oder retro keine Spur. Selbst 35mm lag bereits im Sterben. Sei's drum. Das alles störte mich nie sonderlich. Ich kam wegen den Filmen.

Mit der Filmauswahl steht und fällt jedes Festival, selbst eine Veranstaltung wie das FFF, das weniger Filmfestival als Filmwanderzirkus ist. In den letzten Jahren machte sich jedoch eine Entwicklung hin zum "Everything but Fantasy" bemerkbar. Vielleicht ist es  Zufall, dass mit den stark anwachsenden Besucherzahlen jenseits der 120.000  die Filmauswahl eine starke Tendenz ins Horror- und Thrillerfach erfuhr. So immens, dass ich mich in diesem Jahr bei PR-Floskeln wie "Haunted House Horror geht einfach immer!" (Housebound) oder "Es ist ein Naturgesetz: Die Südkoreaner machen die besten Rachethriller" (The Divine Move) öfters den Brechreiz unterdrücken musste. Geister- und Haunted House Filme gehen immer? Streitbar,  aber wenn, dann bitte in Dosen, nicht zehnfach auf einen Schlag an einem Festival. Nicht nach den ewig gleichen Strickmustern. Die Deutschen sind berühmt für Weltkriegsdramen, deswegen schalte ich aber nicht bei jedem Aufguss, den uns die Öffentlich-Rechtlichen servieren, den Fernseher ein. So sehr ich dem FFF sein Erfolg im Mainstream gönne, wenn das bedeutet, nur noch mit Genres abgespeist zu werden, die beim breiten Publikum angesagt sind, dann bleib ich doch lieber zu Hause und lasse mir vom Bergdoktor eine Gänsehaut verpassen.

"Dabei bietet das Fantasy Filmfest vielmehr, als der Name vermuten lässt. Zauberer und Waldelfen sind eher selten im Programm anzutreffen. Der Begriff „Fantasy“ steht für Fantasie, Kreativität und Innovation sowie für „fantastisch“ als Qualitätsmerkmal. In dieser Auswahl sammeln sich von aufregenden Thriller-Stoffen über Horror, Science-Fiction und schrägen Arthaus-Themen cineastische Perlen, die den anspruchsvollen Kinogänger tief erfreuen." (aus dem Vorwort des aktuellen FFF-Filmprogrammhefts )

Aus der Sicht eines Cineasten und ewig Schwarztragenden, der sich in allen Subgenres pudelwohl fühlt, aber mit seinen 30 Jahren so langsam zu viel gesehen hat, um beim 100. Geisterhausabklatsch, beim 200. Rachethriller "Made in Asia" oder bei der 300. Funsplatter mit Trend-Monstern (Vampire sind so 2010, Zombies gehen immer, Werwölfe im Sonderangebot) noch in Wallung zu geraten. Also wo ist die versprochenen Innovation? Dass sich bei 62 Filmen auch spannende Genremixe, Experimentalfilme oder schlicht Überraschungen befinden, das versteht sich von selbst. Hoffe ich zumindest. Aber in welchem Verhältnis zum ganzen Rest aus billig rangeholten DTV-Filmen, die ohnehin nur wenige Tage oder Wochen nach Festivalende in den DVD- und Blu-ray-Regalen stehen werden? Wo bleibt die Abwechslung? Die Skurrilität? Die leisen, lauten, bonbonfarbenen, abstrakten Zwischentöne? Die Regenbogenfarben zwischen Pechschwarz, Blutrot und Zombieweiß? Was ist mit Sci-Fi? Animation? Dokumentarfilm? Den guten alten Retrospektiven?

Berlinale und Genrenale zeigen wie's geht

Ich verlange keine Wunder. Ich weiß nur zu gut, wie hart das Leben eines Filmkurators im Zeitalter der digitalen Medien sein kann. Filme sind heutzutage allgegenwärtig. Immer und überall in erstklassiger Qualität verfügbar. Von der neuesten Indieproduktion bis zum alten Schwarzweiß-Stummfilm. Aber warum macht ihr aus der Not keine Tugend? Wenn ihr an Sci-Fi-Mangelerscheinungen zu kämpfen habt wie in diesem Jahr, dann stellt als Gegengewicht eine Sci-Fi-Retrospektive zusammen. Ausreden wie "Wir haben einfach nicht die Möglichkeiten, die Nachfrage nach Retrospektiven war auch immer bescheiden. In den 80ern war das anders, da konnte man viele Filme sonst nirgendwo sehen." wirken billig (via ). Einerseits argumentiert ihr, dass ihr Filme zeigt, die sonst nie wieder auf Kinoleinwand zu sehen sein werden. Andererseits sträubt ihr euch dagegen, Retrospektiven durchzuführen, die genau diesem Bedürfnis nach einzigartigen Leinwanderlebnissen nachkommen würden? Musste tatsächlich erst die versnobte Berlinale kommen und euch vormachen , wie deutsche (!) Genrefilme (Tape_13, Der Samurai) und Aufführungen von restaurierten Stummfilmklassikern (Das Cabinet des Dr. Caligari) ein Filmprogramm aufwerten und um wichtige Fassetten erweitern können? Muss erst die Genrenale  zu einer Größe heranwachsen, die auch den FFF-Veranstaltern vor Augen führt, dass in Deutschland eben doch mehr Genrefilme produziert werden als gedacht 

Was ich vermisse...

Dem Fantasy Film Fest haftete stets eine gewisse Exklusivität an. Filme lange vor Kinostart sehen können. Filme, die niemals eine regulären Kinoauswertung erhalten würden, trotzdem auf großer Leinwand bestaunen. Das waren nicht selten Totschlagargumente. Heute sind es mehrheitlich Filme, bei denen der Heimkinorelease bereits lange vorher feststeht - leider meist nicht ohne Grund. Under the Skin - Tödliche Verführung ist dieses Jahr das Paradebeispiel, wie der Genrefilm des Jahres aufgrund diverser Gründe doch nicht in die deutschen Kinos gebracht wird, nach einem Aufschrei im Internet das Fantasy Film Fest als Alibi genutzt wird, den Film quasi eben doch noch so halb, irgendwie und pseudo-deutschlandweit zu zeigen (die Hintergründe dazu gibt es hier ). 

Die masochistische Seite von mir vermisst es bereits jetzt, dazu genötigt zu werden zwischen Favoriten entscheiden zu müssen. "Kill your darlings" war beim FFF schon immer elementarer Bestandteil der Programmfindung. Es war schmerzhaft, hatte aber auch etwas Befreiendes an sich, nach Stunden der Qual endlich sein ganz eigenes Programm ausgeknobelt zu haben. Bezahlt mit Schweiss und Blut, aber auch mit der Befriedigung, dadurch Zeit und Geld zu sparen. Zumindest als Dauerkartenverweigerer. Die in diesem Jahr zum ersten Mal durchgeführte Verlängerung des Filmfests auf fast zwei Wochen über zwei Wochenenden hinweg mag darum auf den ersten Blick großartig erscheinen. Wäre da nicht die bereits genannte Tatsache, dass mindestens die Hälfte der Filme seit jeher nur Lückenfüller waren. Ware zweiter Klasse, die das Licht nicht wert sind, mit dem sie ausgestrahlt werden. Die Streckung hat weniger mit cineastischer Nächstenliebe als mit wirtschaftlichen Hintergedanken zu tun. Weniger parallel laufenden Filme bedeutet weniger Kannibalisierung der Zuschauer. Für uns bedeutet das: Erneute Erhöhung der Dauerkartenpreise, die mittlerweile bei stolzen 250 Euro (Nürnberg 220) angekommen sind. Dauerkartenbesitzer müssen nun fast die Hälfte der Filme schauen um die Dauerkarte halbwegs zu amortisieren - bei 62 Filmen. Zum Vergleich: Vor wenigen Jahren reichten dazu noch 20 Filme aus. Nicht zu vergessen die Urlaubstage, die zusätzlich drauf gehen, sollte sich der Zuschauer die volle Dröhnung gönnen wollen. 

Es ginge auch anders...

Das Fantasy Film Fest bewahrte sich in den 28 Jahren seit seiner Gründung die Unabhängigkeit, ist keiner öffentlichen Hand Rechenschaft schuldig, sondern finanziert sich rein aus den Einnahmen heraus. Diese Freiheit müsste dank steigender Besucherzahlen jenseits der 120.000 eigentlich die Ambitionen beflügeln, raus aus dem eigenen Schneckenhaus kriechen zu wollen, rein ins Fantastische. Nicht bloß als leere Worthülsen im Vorwort des Programms, sondern mit echten Taten. Wie das Aussehen könnte, zeigt das Morbido Filmfestival , eines der größten fantastischen Filmfestivals Lateinamerikas, das sich gleichzeitig als Eventfestival versteht. So gibt es Open Air Screenings, Open Air Konzerte, Open Air Mexican Wrestling, Kinderprogramme, Make Up and Tattoo Events, Theater und Kunstausstellung und legendäre Partys. In den letzten Jahren war zudem der Eintritt frei. Nicht, dass ich erwarte, dass unser geliebtes Fantasy Film Fest plötzlich zum kostenlosen Kindergeburtstag mutiert. Aber der lateinamerikanische Bruder zeigt, wie der Gedanke eines innovativen Genrefestivals konkret weitergespinnt werden könnte - ohne das eigene Filmprogramm immer weiter in den Dreck zu fahren. Wie wäre es denn mit einem Zombie Run? Ein Comeback der früheren Autogrammstunden und wenn wir grad dabei sind, warum kein Tradefloor? Das Programmheft und die Filmauswahl suggerieren ohnehin längst ein Bild einer Tradeshow der DVD-Verleiher, warum also nicht konsequent dem Fan das komplette Merchandising-Paket offen darlegen? 

Ich erwarte vom FFF nicht, dass es sich vom Horror verabschiedet oder sich neu erfindet. Horror war seit jeher der Tragpfeiler des Festivals. Horror mit all seinen Variationen ist beliebter denn je. Prädestiniert, um die Massen anzulocken und unterschwellig an andere Genrefilme heranzuführen. Aber die zur Zeit wahrnehmbare Expansion des FFF in die Länge und Breite, die Tiefe dabei aber völlig vernachlässigt (gar sabotiert) wird, hat in meinen Augen keine Zukunft. Sonst baumeln irgendwann nicht bloß die ewig gleichen Geisterklischees und Teeniestereotypen aufgeknüpft am Galgen, sondern die Zuschauer, die im sich endlos wiederholenden Horrorkitsch keinen Ausweg mehr wussten.

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