Warum früher längst nicht alles besser war

16.04.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
He-Man: Dahingerafft vom unerwarteten Tiefgang neuer Kinderserien
Filmation Associates/moviepilot
He-Man: Dahingerafft vom unerwarteten Tiefgang neuer Kinderserien
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Die Vergangenheit ist vorbei, und früher war längst nicht alles gut. Dies beweist uns User Teo heute durch einen Blick jenseits der Ruinen von Eternia und ein Plädoyer für das heutige Kinderfernsehen. Nieder mit der Nostalgie, öffnet eure Augen!

Kinder und Medien sind ein beliebtes Thema für Kulturpessimisten und Nostalgiker. Die Jugend von heute hängt nur noch im Internet rum, guckt den ganzen Tag Fernsehen und verblödet – zumindest ist das wohl die landläufige Meinung. Ebenfalls sehr verbreitet scheint die Ansicht zu sein, dass Kinderfernsehen einen erheblichen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet. Früher war das Kinderprogramm natürlich besser. So gute Sachen wie wir früher, haben die ja heute gar nicht mehr. Wie stark die Emotionen sind, die mit alten Kinderserien verbunden werden, kann gut an der Diskussion um die Modernisierung von Die Biene Maja beobachtet werden. Aber Gefühle und verklärte Erinnerungen sind etwas Tückisches. Die Bilder in unseren Köpfen werden rosarot gefärbt, Kanten werden geglättet, Ecken und Grate abgeschliffen, Negatives verdrängt. Dazu kommt, dass Kinder ungleich begeisterungsfähiger sind, als Erwachsene. Denken wir also an unsere Kindheit vor dem Fernseher zurück, ist das alles andere als objektiv. Meinen Realitätsschock erlebte ich mit der Serie He-Man and the Masters of the Universe. Als Kind konnte ich dem Prinzen Adam und seinen Gefährten stundenlang bei ihren Abenteuern zusehen. Ich fand den Beschützer Eternias großartig! Als ich später mit Aufkommen von YouTube meine Erinnerungen etwas auffrischen wollte, war ich verblüfft, wie groß die Unterschiede zwischen den Bildern in meinem Kopf und der Realität waren. Sowohl die Animationen, als auch die Geschichten fühlten sich in meinem Hirn sehr viel lebendiger an, als auf dem Bildschirm. Das war der Moment, in dem bei mir der Groschen fiel und klar war, weshalb He-Man nicht mehr im regulären Kinderfernsehen zu finden ist: Die Ansprüche sind gewachsen. Die Qualität heutigen Kinderfernsehens ist besser als aufgeblasene Werbespots für Action-Figuren.

Ein verbreiteter Vorwurf ist, dass Kinder heute nur noch Computeranimationen oder grob Gezeichnetes vorgesetzt bekämen. Dies habe kein Herz und sei seelenlos. Wieso eigentlich? War Bugs Bunny – Mein Name ist Hase so viel detailierter gezeichnet als Cosmo & Wanda – Wenn Elfen helfen? Sieht Heidi besser aus als Kick Buttowski? Vielleicht liegt der Hund unter einem anderen Baum begraben. Die Kinderserien von heute werden für Kinder von heute produziert, nicht für Erwachsene von heute. Wer heute 10 Jahre alt ist, hat Ice Age vermutlich zum ersten mal im Free TV oder aus der Konserve gesehen. Was für die ein oder zwei Generationen zuvor Der König der Löwen war, ist für die folgenden Findet Nemo. Die Welt hat sich weiter gedreht. Die Kinder von heute sind mit Computeranimationen aufgewachsen, und sie mögen sie. Weshalb sollte diese Art der Animation auch objektiv schlechter sein als Handgezeichnetes? Woran machen die Kritiker die verderbende Wirkung von Computeranimation fest? Mal abgesehen davon, dass heute aus Kostengründen vermutlich in asiatischen Zeichenfabriken das “Herz” in die Serien gepeitscht würde, sehe ich keinen triftigen Grund, weshalb das, was da aus dem Computer kommt, schlechter sein sollte, als das, was aus Stiften kommt. Natürlich waren die Anfänge der Computeranimation im Kinderfernsehen etwas holprig, wovon man sich z.B. bei ReBoot einen Eindruck verschaffen kann. Die Serie mit einer Tron ’esquen Geschichte wurde Mitte der Neunziger in Kanada produziert. Vergleicht man ReBoot aber mit aktuellen computeranimierten Serien, wie Angelo! wird die Weiterentwicklung der Technik deutlich.

Viel wichtiger als die äussere Erscheinung einer Fernsehserie ist aber die Geschichte, die sie erzählt. Angesichts der aktuellen Kinderfernsehlandschaft kann man da als Erwachsener fast schon neidisch werden. Kinder von heute kommen in den Genuss verhältnissmäßig komplexer Geschichten, die selbst für Erwachsene manchmal noch Erkenntnisgewinn bereithalten. Eine der beeindruckendsten Kinderserien der letzten Jahre ist für mich Avatar – Der Herr der Elemente. Die Anime-Serie um den kleinen Jungen, der aufgrund seiner besonderen Kräfte die Welt retten muss, beeindruckt durch vielschichtige Charaktere, spannende Wendungen und historisch-politischen Bezug zur Wirklichkeit. Nicht selten fallen dem aufmerksamen Erwachsenen Parallelen zu den Weltkriegen vor die Füße. Auch die Nachfolgeserie Die Legende von Korra schafft es, dieses Niveau zu halten, behandelt dabei aber Themen der Gegenwart, wie z.B. Terrorismus. Mir fällt keine Serie aus meiner Kindheit ein, die z.B. den Terrorismus der RAF angemessen aufgriff. Natürlich gab es auch früher Moral im Kinderfernsehen, aber die wurde leider meist mit dem Holzhammer vermittelt, wie bei Captain Planet. Das schafft SpongeBob Schwammkopf deutlich subtiler. Offenbar so subtil, dass Erwachsene seine Botschaften oft übersehen. Dabei ist das Meerestier schon als moralisch integeres Vorbild angelegt. Spongebob ist fleissig, freundlich, fürsorglich, treu und ehrlich. Seine Naivität und phasenweise Überdrehtheit machen ihn für Kinder zu einer Identifikationsfigur. Sein geldgieriger Chef Mr. Krabs und sein ewig nörgelnder Nachbar Thaddäus sind hingegen die Abbilder eher unsympathischer Erwachsener. Vielleicht erkennt sich so mancher Volljähriger auch genau in diesen Figuren wieder und mag die Serie deshalb nicht.

Wer schon Spongebob für anarchistisch hält, sollte erst recht die Finger von Adventure Time lassen. Die Serie um Jake, den magischen Hund, und Finn, den letzten Menschen, ist wohl das Fantasievollste, was das Kinderfernsehen derzeit zu bieten hat. Sie bricht mit Konventionen, stellt Rollenbilder in Frage, ist künstlerisch-expressionistisch und vermittelt doch Werte wie Freundschaft und Pflichtbewusstsein. Dazu wird immer wieder deutlich, dass die Hintergrundgeschichte sehr viel düsterer ist, als man von einer Kinderserie erwartet. Ich schrieb dazu bereits etwas für die Aktion Mein Herz für Serie hier auf Moviepilot. Ich würde mir wünschen, dass Adventure Time auf einen vernünftigen Sendeplatz eines deutschen Free TV-Senders programmiert würde, damit mehr deutschsprachige Kinder in den Genuss dieser tollen Serie kämen.

Natürlich gibt es auch Negativbeispiele. Eddie Angsthorn und Au Schwarte! ertrage ich nicht lange und auch mit “Banana Cabana” bin ich nie warm geworden. Im Gegenzug weiss ich sehr wohl zu schätzen, was Wickie und die starken Männer, Adolars phantastische Abenteuer oder Mumins für meine Kindheit geleistet haben. Trotzdem sollten wir im Hinterkopf behalten, dass es auch früher schon schlechtes Kinderfernsehen gab. Das Schöne ist ja, dass die alten Serien nicht verschwinden. Wenn wir möchten, kaufen wir sie auf Silberscheiben und machen sie somit der nächsten Generation zugänglich, wenn die Fernsehsender dies nicht wollen. Insgesamt haben es die Kinder von heute besser als wir. Sie haben das Alte und das Neue. Sie haben noch dazu deutlich mehr Auswahl, da es nicht mehr nur drei Programme mit ein paar Stunden Kinderprogramm am Tag gibt. Es gibt da draußen sehr schöne neue Serien für Kinder, die man aber nicht entdecken wird, wenn man die Augen davor verschließt. Es ist leicht, Dinge nieder zu machen und in Nostalgon zu baden, aber es kostet vielleicht etwas Überwindung anzuerkennen, dass auch die heutige Jugend eine schöne Fernsehkindheit hat.

Dieses Plädoyer für die Moderne des Nichtnurkinderfernsehens stammt von moviepilot-Mitglied Teo. Wenn ihr auch mal an unserer moviepilot Speakers’ Corner stehen und die Massen erfreuen und belehren wollt, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und dann: schreibt, schreibt, schreibt. Schickt einfach den fertigen Text an community[@]moviepilot.de und die Speakers’ Corner gehört Euch!

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