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Welche Typ Filmliebhaber bist du?, oder: Typographie der Filmverrückten

01.09.2015 - 22:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Pompeii 3D: Schund oder avantgardistisches Überwerk? Je nachdem.
Constantin Film
Pompeii 3D: Schund oder avantgardistisches Überwerk? Je nachdem.
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Es gibt so viele Filmliebhaber auf der Welt; und keine zwei Filmgeschmäcker sind gleich - sollte man meinen. Doch lässt sich eine interessante grundsätzliche Unterteilung aller Filmliebhaber in drei Gruppen beobachten. Innerhalb dieser Gruppen betrachten, kritisieren und bewerten diese Filmverrückten die Filme erstaunlich homogen, zumal sie sich wohl auch bevorzugt Austausch mit ihresgleichen suchen, und von der Existenz der anderen Gruppen manchmal gar nicht wissen.

Natürlich ist es gewagt, eine so strenge Einteilung wie die folgende vorzunehmen. Sie erhebt selbstverständlich nicht den Anspruch auf universelle Gültigkeit, es wird stark vereinfacht und ich bediene mich auch Klischees. Natürlich gibt es auch Mischformen zwischen den Gruppen. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Einteilung als gewisses Grundschema nicht von der Hand zu weisen ist.

Typ A: Der Filmfreak

"Filmfreaks" (so nenne ich dies mal, kann auch anders genannt werden) sind die häufigste Sorte unter den Filmliebhabern. Ihre Lieblingsfilme sind stehts die gleichen: Pulp Fiction, Fight Club (diese zwei Filme fehlen NIE, unter keinen Umständen), Memento, Love Exposure, Oldboy, The Dark Knight, Requiem for a Dream, sowie "Klassiker" wie Spiel mir das Lied vom Tod, der Pate, Goodfellas, Die Zwölf Geschworenen, Herr der Ringe - Trilogie usw usf. Auf diese Filme werden immer wieder von neuem Lobeshymnen verfasst, auch wenn bereits deren Tausende mit exakt gleichem Inhalt existieren.

Als Qualitätssiegel eines Films gilt dieser Gruppe, dass der Film mit möglichst originellen Dialogen aufwartet (hier schwärmt man unermüdlich von Tarantino), dass er eine coole, neuartige HANDLUNG besitzt (die Handlung ist ihnen sehr wichtig); idealerweise sollte man so eine Handlung noch NIE gesehen haben. Dann ist wichtig, dass ein Film Charaktere besitzt, welche im Gedächtnis haften bleiben, und welche möglichst cool sein sollten (der Dude oder Walter Sobchak wird hierfür als Vorbild genommen; genau so muss doch ein Filmcharakter sein, ne? Am besten sollte er nach aussen `ne harte Schale haben aber innen drinne dann doch n` lieber Kerl sein). Diese Charakteren sollen aber auch anständig in den Film eingeführt werden, man soll etwas über ihren Hintergrund erfahren. Wichtig ist ausserdem, dass man sich nicht langweilt; hierfür sollte der Film schon etwas Thrill besitzen, etwas, das einen ordentlich auf den (Kino-(?))Sessel kleben lässt. Zusätzlich sollte der Film einen tollen, groovigen Soundtrack besitzen, und auf keinen Fall darf er humorlos sein - wenn ein Film sich zu ernst nimmt, kann er auch die grossartigste Prämisse noch in den Sand setzen, laut den Filmfreaks.

Regisseure wie Tarantino, Fincher, Scorsese, Cronenberg, Lynch, Coen-Gebrüder, Kubrick, oft durchaus auch Malick, Kurosawa, Wes/P.T. Anderson, Wilder, Hitchcock, Michael Mann, dePalma etc. sind dieser Gruppe zwar bestens geläufig und werden über alle Massen verehrt; dennoch sind für sie die Schauspieler mindestens so wichtig wie die Regisseure. Man ist hier der Meinung, dass ein guter Schauspieler einen noch so - für sie - schwachen Film erheblich aufwertet und zumindest sehenswert macht.

Interessant ist ausserdem, dass diese Gruppe nie müde wird zu betonen, wie schwachsinnig sämtliche deutschsprachigen Filme sind, wobei sie keinerlei Horizont haben, welcher über Schweiger- /Schweighöfer-Filme und "Feuchtgebiete" hinausreicht, und sie bemerkenswerterweise auch kein Interesse zeigen, diesen Horizont zu erweitern.

Typ B: Der Filmliebhaber (oder: Literatur-Cinephile)

Dieser zweiten Gruppe ist Gruppe A zu sehr im Mainstream verortet. Typ B sind sehr belesene Leute mit grossem allgemeinen Bildungshintergrund, die beim Betrachten eines Films möglichst dazu angeregt werden wollen, ihre Weltsicht zu reflektieren. Ihre Lieblingsregisseure sind dabei ganz klar: Tarkovsky, Bergman, Bresson, Antonioni (diese vier rangieren meist über allen Anderen), dann auch beispielsweise Fellini, Kiarostami, Tarr, Kaurismäki, Haneke, Welles, Truffaut, Godard, W. Allen etc.

Dieser Gruppe ist besonders wichtig, dass der Film keine klischeehafte Handlung besitzt, dass sämtliche Charaktere gut ausgearbeitet sind, das philosophische Themen angesprochen werden usw; kurzum, genau dieselben Dinge, die ihnen an Büchern wichtig sind.

Bei dieser Gruppe gibt es oft bestimmte Themenbereiche, welche besonders interessieren, und andere, welche überhaupt nicht interessieren; deshalb ist der Punkt, worum es im Film geht ein wichtiger Faktor, ob dieser nun geschaut wird oder nicht. Diese sture Haltung führt allerdings dazu, dass sich die Diskussion genauso wie bei Gruppe A nur auf einige wenige Filme beschränkt, und dass gewisse Filme verkannt werden, die, obwohl ein vermeintlich "niedrigeres" Thema behandelnd, doch äusserst kunstvoll gefertigt sind.

Typ C: Der Cinephile

Die dritte Gruppe wiederum betrachtet den Typus B als "zu Mainstream". Gruppe A nimmt von Gruppe C im Normalfall keinerlei Notiz, Gruppe B ist von Gruppe C meistens verwirrt. Von dieser Gruppe gibt es auf Moviepilot eher wenige (sie waren früher v.a. auf der Plattform Mubi, heute oft auch auf Letterboxd zu finden). Für sie gibt es beim Betrachten eines Films genau zwei Faktoren, die völlig uninteressant sind: erstens, die Handlung / um was es geht (dies spielt 0 Rolle als Indikator ob ein Film gesichtet werden soll oder nicht) und zweitens die Schauspieler. Nichts auf der ganzen Welt könnte diese Gruppe weniger interessieren, was bei den anderen Gruppen zumeist Erstaunen hervorruft, da z.Bsp. für Gruppe A gerade diese zwei Dinge äusserst wichtig sind.

Hochgeschätzten Regisseure dieser Gruppe sind beispielsweise: Abel Ferrara, Michael Mann, Godard, Pedro Costa, Claire Denis, Maurice Pialat, Straub/Huillet, Rossellini, Ford, N. Ray, Raoul Walsh, Hou Hsiao-Hsien, Tsai Ming-Liang, Rivette, J. Tourneur, Carpenter, DePalma, etc.
Interessant ist, dass viele dieser Regisseure auch von anderen Gruppen geliebt werden, dies dann jedoch, laut Gruppe C, aus den falschen Gründen. Und meist werden dann von Gruppe C diejenigen Filme zu den besten Werke dieser Regisseuren erkoren, die sonst als Schlechteste gelten. So gelten z.Bsp. nicht etwa Bad Lieutenant oder King of New York - König zwischen Tag und Nacht, zwei Werke, als Abel Ferraras Meisterwerke, sondern die sonst von keiner Gruppe geschätzten New Rose Hotel (welches einheitlich als eines der besten Werke der 90er Jahre gefeiert wird) und Go Go Tales, und dies nicht etwa aufgrund nervenkitzelnder Spannung und coolen Dialogen, sondern aufgrund der Nähe Ferraras Bildsprache zu derjenigen Murnaus. Ebenso gelten De Palmas` "Scarface und Die Unbestechlichen klar als seine schwächsten Werke; die Besten seien hingegen Femme Fatale und Der Tod kommt zweimal. Ebenso bei Godard: Dessen Meisterwerke seiene weniger, wie von Gruppe B so befunden, Jean-Luc Godard: Die Geschichte der Nana S. und Die Verachtung, sondern vielmehr Werke der 80er wie Passion, King Lear oder auch Notre musique.

Für diese Gruppe die formale Konstruktion eines Films äusserst wichtig. Es wird untersucht, wie genau Aspekte der Mise-en-scene und Montage etwas über den Text resp. Subtext des FIlms aussagen. Die Komplexität eines Charakters kann - laut Typ C - nicht an Massstäben messen, welche dem Roman entnommen sind, sondern manifestiert sich darüber, auf welche Weise die Charaktere ins Bild gesetzt werden. So erklärt es sich, dass Miami Vice, Public Enemies und jüngst Blackhat völlig einhellig zu angeblich avantgardistischen Meisterwerken gezählt werden und als "radikalste Filme Hollywoods seit langer Zeit" gelten. Sie halten Gruppe B deswegen immer wieder entgegen: "Film is a visual medium". Gruppe B betrachte Filme zu sehr als reine Illustration eines Buchs, verkenne dabei aber das dem Film Eigene. Die Jahresbestenlisten  dieser Gruppe sehen dann auch auf den ersten Blick merkwürdig  aus: so stehen Filme der Ultra-ultra-"Arthäusler" Pedro Costa (Horse Money), Jean-Marie Straub, oder Lisandro Alonso (Jauja) direkt neben vermeintlich "hirnlosen", "völlig blöden" (so von Gruppe B deklariert) Werken von Paul W. S. Anderson (Pompeii 3D), Farrelly-Brothers (Dumm und Dümmehr) und Eastwood (Jersey Boys).

Professionelle Kritiker gehören im deutschsprachigen Raum meist zur Gruppe B, in USA oft entweder A oder C.

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