Wenn die Chemie stimmt

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Breaking Bad
Sony Pictures/moviepilot
Breaking Bad
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Ein moviepilot-user hat uns diesen Text zur Aktion Lieblingsserie zugeschickt. Sein Beitrag handelt von Breaking Bad, der allseits beliebten Show um den Chemielehrer und Dealer Walter White. Am besten lest ihr selbst, was er oder sie zu sagen hat.

Serotonin- und Endorphinhaushalt sind ausgeglichen. Unmotiviert zappe ich durch die Einöde der Fernsehlandschaft. Eine neue Serie auf arte. Deutsch synchronisiert, autsch. Aber für einen ersten Eindruck reichts.

Ein halbnackter Typ mit grüner Schürze steht völlig aufgelöst und mit gezogener Knarre auf einer Straße inmitten der Wüste und… mehr kann ich leider nicht sagen, weil ich kurz darauf einschlafe. Ich weiß, es klingt nicht gerade wie der Beginn einer leidenschaftlichen Beziehung. Aber war es nur die Ruhe vor der Sucht?

Gestatten, der Typ mit der Schürze heißt Walter White. Chemielehrer, Familienvater, Loser. Als todgeweihter Krebspatient beginnt er, mit seinem ehemaligen Schüler Jesse Pinkman das beste Crystal Meth herzustellen, dass New Mexico je gesehen hat. Zur finanziellen Absicherung der Familie, versteht sich.
Was folgt ist nicht weniger als die totale Transformation eines Mannes bis an die Grenzen der Moral – und weit darüber hinaus. Aus dem zurückhaltenden Walter wird der Drogenkoch Heisenberg. Und Heisenberg lässt alles raus, was er in seinen ersten 50 Lebensjahren unterdrückt hat. Er scheißt auf alles und jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Und er kann – oder will – schon alsbald nicht mehr zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse unterscheiden. Seine Waffe: Intelligenz. Heisenberg denkt, plant und gewinnt. Und verliert Stück für Stück seine Menschlichkeit. Düster. Böse. Genial.

So hoch wie die Qualität des blauen Crystal, ist diese Show selbst ein Methamphetamin der Fernsehgeschichte: Klar in Storyline und Charakterzeichnung, rein in der technischen Umsetzung und hochgradig süchtig machend. Eine sich ständig erneuernde Kreativbombe, zusammengeschustert und gezündet von Mastermind Vince Gilligan und seinem Team. Visuell und schnitttechnisch auf höchstem Niveau, werden sogar Labortätigkeiten zum ästhetischen Hochgenuss. Eine Verneigung vor der faszinierenden Welt der Chemie. Der Soundtrack so stilsicher und präzise ausgewählt, dass sogar die wandelnde Plattenkiste Quentin Tarantino den (schwarzen) Hut ziehen dürfte. Weitere Elemente docken an: Das marode Gesundheitssystem der USA bekommt sein Fett weg. Die verlogenen Fassaden des Spießbürgertum werden gnadenlos entlarvt. Und hinter allem steht der tägliche Kampf einer Familie in Zeiten der Wirtschaftskrise. Diese Serie setzt sich aus vielen Teilchen zusammen. Alle sind sie wertvoll und bündeln ihre Stärken für die chemisch-emotionalen Reaktionen des Publikums. Es brodelt. Meine Serienliebe kocht auf Volldampf.

Was aber wäre das hochklassige Writing ohne eine fabelhafte Darstellerriege, in diesem Fall angeführt von Bryan Cranston und Aaron Paul? Wir fühlen mit Walter White, der Zeit seines Lebens nur gebuckelt hat und der Welt jetzt kollektiv den Mittelfinger zeigt. Wir fühlen mit Jesse Pinkman, der doch einfach nur alles richtig machen und ein besserer Mensch sein will. Es ist die Beziehung dieser explosiven Gegenpole, welche die Serie mit der emotionalen Power einer Supernova vorantreibt. “Zwei wie Nitro und Glytzerin” wäre wohl eine in jeder Hinsicht passende Tagline. Vertrauen und Verrat. Egoismus und Empathie. Leben und Tod: ‘Everything I’ve ever cared about is gone. Ruined, turned to shit, dead. Ever since I hooked up with the great Heisenberg. I have never been more alone. I have NOTHING! NO ONE! Alright? It’s all GONE!’ – Drehbuchzeilen für die Ewigkeit. Gänsehaut und feuchte Augen. Zwei Emmys. Und ja: Bryan Cranston, das ist der freakige Vater aus Malcolm mittendrin. Unglaublich.
Die Nebendarsteller und ihre Rollen stehen dem in nichts nach. Exemplarisch Giancarlo Esposito, der als Drogenboss hinter der gutbürgerlichen Fassade des Schnellrestaurantbesitzers eine Art Gegenentwurf zu Tony Montana darstellt: Ruhig, analytisch, freundlich. Kackfreundlich, um genau zu sein. Die Momente, in denen seine Macht und Skrupellosigkeit aufblitzen, sind gerade deshalb umso effektiver. Und ja: Giancarlo Esposito, das ist der melancholisch-lustige Jojo aus Night on Earth. Unglaublich.

Die Symptome anhaltenden Meth-Verzehrs beschreiben die Auswirkungen, die diese Serie auf mich hat: Euphorie, vermindertes Schlafbedürfnis, gesteigerter Mitteilungsdrang. Mein Wohnzimmer wird zum Drogenbunker, Computer und Fernseher zu den Instrumenten des Konsums. Mein Dealer AMC, mein (Show-)Runner Vince Gilligan. Fast täglich wechselnde Wallpaper zieren meinen Desktophintergrund mit immer neuer Fan Art. Nach jeder Episode verleihen Facebook-Statusmeldungen meiner Begeisterung überbordenden Ausdruck, so dass der eine oder andere wahrscheinlich schon mein ‘Abonnement deaktiviert’ hat. Egal. Wahre Liebe muss geteilt werden. Die Information, dass Teile der fünften Staffel in Hannover gedreht werden, löst Seltsames in mir aus. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, einfach mal in die niedersächsische Landeshauptstadt zu fahren. Was würde ich da tun? Mit einem ‘Jesse, I love you’ -Plakat vor dem Hotel warten? Vor meinem geistigen Auge werde ich zu einem kreischenden, hyperventilierenden Mädchen bei einem Justin Bieber -Konzert. Es macht keinen Sinn. Aber es macht Spaß. Diagnose? Akuter Fanboyalarm. Fast bin ich schon so weit, das Periodensystem der Elemente wieder auswendig zu lernen. OK – nur fast. Es gibt Grenzen.

Bestimmte Qualitäts-Faktoren, die diese Show ausmachen, gelten sicherlich auch für andere großartige Serien. Ich liebe die Kleinstadt von David Lynch, fühle mich als Teil der Die Sopranos -Familie und stehe McNulty im Drogenkrieg von Baltimore bei. Und trotzdem ist eine wahre Lieblingsserie mehr als die Summe ihrer Teile. Ich muss an Kalle Grabowski denken: ‘Aber du brauchst ein Fahrzeug, was zu dir passt. Mit Stil. Eins mit Charakter. Verstehste? Ein Baby. Zum Liebhaben.’
Das ist es wohl, was meine Lieblingsserie abschließend am besten beschreibt: sie ist mein Baby. Es ist die Serie, die immer wieder die richtigen Knöpfe bei mir drückt. Die irgendwas in mir auslöst und mich tief berührt. Es ist die Serie, die mein Leben bereichert und inspiriert wie keine Zweite. Die eine Serie… bei der die Chemie zu 100% stimmt. Breaking Bad.


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