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Wenn die Menschheit von ihren Kindern gefressen wird

01.04.2015 - 11:25 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Das Gesicht der größten Schöpfung des Menschen
WarnerBros
Das Gesicht der größten Schöpfung des Menschen
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Jedes Jahr scheint schneller vorbei zu sein, als das Vorangegangene. Jedes Jahr werden mehr und mehr Rekorde aufgestellt. Und ich bin mir sicher, dass das Guinness Buch der Rekorde einen Weltrekord als Buch mit den meisten verzeichneten Rekorden aufstellen könnte, wenn es wollte. Es gibt einen Weltrekord für die größte Barbie-Sammlung, die längsten Haare und Fingernägel, die meisten Hello-Kitty-Souvenirs, … Exzess ist da schon gar kein Begriff mehr. Wir müssen immer mehr haben, immer schneller weiter gelangen, schneller höher, schneller tiefer und Maschinen bauen, deren Leistung das Verständnis eines jeden Menschen nur übersteigen können. Ich möchte mich mit einem der bekanntesten Beispiele des Supercomputers auseinandersetzen. HAL9000.

Einführung

Seit ein paar Monaten lebe ich im Hause einer Psychologin. Damit hat ein komplett neuer Zweig in mein Leben Einzug erhalten, von dem ich vorher nicht allzu viel wusste und den trotzdem überaus interessant finde. Eine der Dinge, die ich mit am faszinierendsten finde ist folgender Fakt: Das Gehirn des Menschen hat sich seit den Zeiten, in denen wir Jäger, Sammler oder Luschen waren, nicht wirklich verändert. Die Reaktion, die unser Gehirn aussendet, wenn wir den Bus oder die Bahn verpassen, ist die gleiche, wie unsere Vorfahren verspürt haben, kurz bevor ihnen das Herz von einem Bär rausgezimmert wurde. Was sagt das aus? Dass wir immer übertreiben? Vielleicht auch, aber worauf ich hinaus will ist dies: Wir verändern unsere Umwelt so sehr, dass wir gar nicht innehalten und uns fragen, ob wir es überhaupt sollten. Unser Gehirn hat sich seit unfassbaren Zeiten nicht verändert. Sollten wir als Spezies überhaupt so weit kommen? In den folgenden Zeilen werde ich es wohl nicht schaffen, ganz und gar ohne Spoiler über den Film 2001: Odyssee im Weltraum zu schreiben. Falls es unter der Leserschaft jemanden gibt, der den Film noch nicht geguckt hat: Alles fallen lassen, Film angucken. Bitte. Gut gemacht.

In 80 Jahren bin ich ein Baby

Über die Eingrenzung in ein Genre wurde bei 2001 sehr viel diskutiert. Das erste, was einem einfallen mag wäre Sciencefiction. Festlegen möchte ich mich darauf jedoch nicht, ganz einfach, weil dieser Film für mich über allen Genres steht und eine eigene Form annimmt. Trotzdem stellt sich mir die Frage, was in diesem Film nicht vorhanden ist, was zu einem Sciencefiction-Film jedoch eigentlich so sehr gehört, wie das Spendensammeln in der Kirche? Außerirdische Lebensformen. Stanley Kubrick weigert sich geradezu, Aliens zu zeigen. Was hört man noch oft im Zusammenhang mit 2001? Das Wort „größenwahnsinnig“. Womit wir wieder bei der eingangs erwähnten Sensationssucht des Menschen sind. Wieso hat der Mensch den Drang, jedes Limit auszureizen? Wieso muss er Dinge erschaffen, die die Macht des Individuums um ein Unabsehbares übersteigen? Weil der Mensch ein Wesen ist, das die endgültige Verantwortung gern abgibt. Falls letzten Endes alles den Bach runtergeht (und danach sieht es doch aus, seien wir mal ehrlich), dann war ich wenigstens nicht der Buhmann. Weil der Mensch ganz einfach Angst hat, allein zu sein. Allein in seinem Haus, allein in seinem Alter, allein in seinem Leben und allein im Universum. Kubrick zeigt keine Aliens in seinem Film. Wir sind allein. Und selbst wenn wir es nicht wären, was würde das ändern? Unsere Probleme wären die gleichen. Es wäre eine bloße Ablenkungstaktik, wir selbst sind uns doch schließlich die größte Aufgabe. Wir sind uns gleichzeitig selbst fremd und selbst am nächsten. Wir kennen uns nicht mal, halten uns aber für edle Geschöpfe, für die Krönung. Stattdessen haben wir uns den Weg nach vorne verbaut, deshalb versuchen wir es jetzt nach oben.

Na und, wann schreibst du Meckerhannes endlich von diesem coolen Computer mit dem roten Auge?

Der HAL9000, genannt Hal, ist ein Supercomputer an Bord eines Raumschiffes mit einer Besatzung von fünf Männern, drei davon im Tiefschlaf. Wir lernen Hal dadurch kennen, dass er mit den beiden Astronauten Bowman und Poole spricht und außerdem ein Interview mit einem TV-Sender auf der Erde gibt. Dabei wird deutlich, dass Hal gar Stolz zu verspüren scheint. Es wird gesagt, er sei in der Lage, Menschen nachzuahmen. Und dieser Begriff ist für mich mehr als wichtig.

Hal hat nämlich eine Eigenschaft, die die größte Stärke und größte Schwäche zugleich sein kann: reine Logik. Emotionen sind logisch nicht zu erklären, wie also kann ein Computer, dessen Maßstab die Logik ist, darauf programmiert werden? Er kann Menschen nachahmen, er kann Stimmen analysieren, er weiß, wie Menschen auf bestimmte Situationen oder Worte (wie zum Beispiel Lob) reagieren und kann diese Reaktionen nachahmen. Nachahmen heißt aber nicht nachfühlen. Nachahmen ist ein rein logischer Prozess.

He acts like he has genuine emotions.

Auf den Zuschauer mag Hal jedoch im Film durchaus lebendig wirken. Dabei gibt sich Kubrick alle Mühe, um auch das Gegenteil zu erreichen. Um Hal eben nicht menschlich wirken zu lassen. Das einzige Bild, das wir von Hal im Film bekommen, ist sein Auge. Der rote Kreis, der sich nie auch nur einen für einen Millimeter bewegt. Bewegungslosigkeit ist nämlich eine Eigenschaft, die so gar nicht zu einem lebendigen Wesen passen möchte. Sie wirkt befremdlich, abstoßend.

Am Ende stellt sich heraus, dass Hal der einzige an Bord ist, der die wahre Bestimmung, die wahre Aufgabe der Reise kennt. Ihm fällt es auch weitaus leichter, die Handlungsfreiheit der Menschen an Bord einzuschränken, als umgekehrt. Die Menschen vertrauen Maschinen mehr als sich selbst. Sie legt ihr Schicksal ihren Erfindungen, den größenwahnsinnigen Erfindungen und Maschinen, in die Hände. Und das auch noch mit Erleichterung, so scheint es. Die künstliche Intelligenz, die Hal ausmacht, beschränkt sich dann jedoch letzten Endes auf seine Sicht auf die Eigenschaften des Menschen. Er kopiert quasi die Eigenschaften, die für ihn die Menschheit ausmachen. Und welche Eigenschaften machen ihn gegen Ende des Filmes aus? Hochmut, Gier, Misstrauen. Vordergründig ist er freundlich, heimlich drückt er jedoch das Messer in den Rücken. Trifft das den Menschen? Leider ja. Bevor wir hier aber alle anfangen zu weinen; ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Wir Menschen vereinen nämlich auch die Eigenschaft der Selbstreflexion. Wir können uns selbst überdenken, Hal kann das nicht. Machen wir etwas Falsches, fühlen wir uns schlecht. Emotionen lehren uns. Hal hat solche nicht. Und da wird die Bedeutung der Emotionen deutlich.

Wiedergeburt

Stanley Kubrick war begeistert von jeglicher Technik. Deutlich wird im Film seine Liebe zu all den Maschinen, den Möglichkeiten und den Details. Dennoch scheint er, so sehe ich es, der Ausreizung jeglicher Grenzen im Bereich der Technik ein wenig mit Sorge und Missverständnis zu begegnen. Die Menschen müssen gar nichts erschaffen, was mächtiger als sie selbst ist. Das gibt es nämlich schon, wird von der Menschheit nur nicht als ein solches Wunder anerkannt. Im Film ist es in Gestalt eines Monolithen zu sehen. Ein Monolith, der für jeden bestimmt eine etwas anderen Rolle spielen mag, für mich ist er das Leben. Das Leben ist mächtiger als die Menschheit und wird letztendlich über sie siegen. Das Leben beschränkt sich nicht nur auf die Menschheit, es kann ohne sie existieren. Die Menschheit ohne das Leben jedoch nicht. Entweder ist das dem Menschen nicht bewusst oder es ist ihm sehr wohl bewusst und er ist beleidigt und versucht deshalb, ihm weniger Bedeutung beizumessen. Er mag es vielleicht faszinierend finden, aber respektiert er es? Nicht wirklich. Ehrfurcht weicht der Desinteresse. Der Monolith wird als Ausstellungsstück dargestellt, als Fund der Menschheit. Dabei ist er so viel stärker als der Mensch.

Und doch, das Ende des Filmes ist positiver Natur. Das Baby , das auf die Erde blickt. Es wird Eltern haben, die Lehren aus dem Leben gezogen haben und diese an das Kind weitergeben. Es mag seine Zeit dauern, aber Wissen breitet sich immer mehr aus. Tag für Tag lernen wir mehr. Das Baby schaut wissend, glücklich, ruhig drein. Es ist sich der Aufgabe bewusst, scheut aber nicht vor ihr. Es ist nicht wichtig, ob wir als Spezies so weit kommen sollten. Wichtig ist, dass wir hier sind und daraus das Beste machen müssen. Mit Vernunft, Neugier und Respekt. Dann werden wir auch nicht allein sein, wenn es endet.

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Hier gibt es die Texte meiner Partner in Crime:

Grimalkin: https://www.moviepilot.de/news/heavenly-creature-illuminatio-ex-machina-146165

chita91: https://www.moviepilot.de/news/her-die-zukunft-der-liebe-146474

Stefan Ishii: https://www.moviepilot.de/news/herrscher-der-zeit-145733

Absurda.: https://www.moviepilot.de/news/wenn-die-freiheit-trugerisch-wird-146867

Mr.English: https://www.moviepilot.de/news/vielleicht-in-zivilisierteren-tagen-146664

alex023: https://www.moviepilot.de/news/wer-sind-wir-eigentlich-wir-menschen-147038

pleasant28: https://www.moviepilot.de/news/eine-erfreuliche-wiedergeburt-oder-wie-eine-legende-das-21-jahrhundert-uberlebte-147039

Martin Canine: https://www.moviepilot.de/news/hier-bin-ich-maschine-hier-darf-ich-s-sein-145446

Friedsas: https://www.moviepilot.de/news/ratselhafte-briefe-147107


Das Thema für den 1. Mai lautet, vielversprechend wie eh und je, "Ich²".

Wer noch nicht zu den Weltverbesserern gehört, der solle sich bei der bezaubernden chita91 oder dem genialen Grimalkin melden. Eure Texte dürfen auch gern fröhlicher sein, als meiner. Aber bunte Bilder gehen gar nicht.

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