Wer braucht schon Fotorealismus?

08.10.2013 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Ellen Page als Jodie in Beyond: Two Souls
Sony
Ellen Page als Jodie in Beyond: Two Souls
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Spiele wie Beyond: Two Souls mit Ellen Page locken nicht nur mit Stars, sondern auch mit fast detailgenauer Grafik. Fotorealismus soll laut vielen Spielemachern der Schlüssel zur Innovation sein, aber ist das wirklich so?

“Realistischer wird’s nicht.”

Das ist ein Satz, der in der Vergangenheit der Videospielgrafik schon häufig gefallen ist und ebenso oft widerlegt wurde. Denn wenn Videospiele eines bewiesen haben, dann, dass sie sich gerne selbst übertreffen. Fotorealismus scheint immer nur ein Spiel, eine Engine, eine Konsolengeneration, entfernt zu sein und schon jetzt verwechselt manch ungeübtes Auge gern Realität mit digitalen Abbildungen.

Einer der größten Verfechter des Fotorealismus in Videospielen ist David Cage von Quantic Dream, deren neues Spiel Beyond: Two Souls seit heute in den Läden steht. Der PS3-exklusive Titel hat in den vergangenen Monaten nicht nur die Aufmerksamkeit von Gamern, sondern auch von Filmfans auf sich gezogen. Allem voran deshalb, weil die Schauspieler Ellen Page (Juno) und Willem Dafoe (Platoon) nicht nur den Hauptcharakteren ihre Stimmen, sondern dank Motion Capture auch Aussehen, Gestik und Mimik leihen. Das aufwendige Verfahren soll für ein noch realistischeres und intensiveres Erlebnis sorgen.

Gerade an der Schwelle zur nächsten Konsolengeneration, die Sony und Microsoft im November mit PS4 und Xbox One einleiten, wird das Thema Fotorealismus immer wieder heiß diskutiert. Entwickler wie David Cage sind der Ansicht, dass die Videospielbranche nur so ein breiteres Publikum ansprechen und aus ihrem Nischendasein heraustreten könne, während Christoph Hartmann von 2K Games sogar so weit ging zu behaupten, dass nur Fotorealismus emotionale Erfahrungen bieten und neue Genres eröffnen könne. Erst durch eine realistische Abbildung von Gefühlen sei es Videospielen möglich, die konstante Action hinter sich zu lassen und neue Wege zu beschreiten.

Den Unsinn dieser Aussage erkennt jeder, der jemals einen Zeichentrick- oder Animationsfilm von Disney gesehen hat, die es regelmäßig schaffen, erwachsene Menschen durch gezeichnete Löwen oder animierte Spielsachen in schluchzende Kleinkinder zu verwandeln. Emotionale Tiefe lässt sich ebenso wenig mit einer realistischen Darstellung gleichsetzen, wie eine bessere Grafik automatisch ein besseres Spiel bedeutet. Optik und Innovation sind nicht gleichbedeutend. Denn egal wie beeindruckend ein einstürzendes Gebäude aussieht oder wie schön das Licht in einer Pfütze reflektiert wird, letztlich ist das völlig unbedeutend, wenn die Erfahrung, in der wir diese Elemente finden, eine ist, die wir schon unzählige Male hinter uns gebracht haben. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, Spielen wie Battlefield oder Call of Duty vorzuwerfen, dass sie nicht gut aussehen. Der Mangel an innovativen Ideen ist allerdings etwas, das sich beide Franchises regelmäßig vorhalten lassen müssen.

Suchen wir in Videospielen nach originellen Ansätzen, fällt unser Blick früher oder später automatisch auf Indie-Games. Sie wagen es, Wege zu gehen, die AAA-Titel aufgrund des finanziellen Risikos nicht beschreiten wollen oder können. Indies kommen mit weit kleineren Budgets und ohne lebensnahe Grafik aus. Stattdessen erfinden sie sich selbst und die Idee, was Videospiele eigentlich sind, immer wieder neu. Das geschieht sowohl durch die Art wie Geschichten erzählt, als auch wie sie erlebt werden. Gone Home lässt euch beispielsweise ein verlassenes Haus auf der Suche nach Hinweisen zu eurer verschwundenen Schwester erkunden, Papers, Please macht euch zum moralisch geforderten Grenzbeamten und Thomas Was Alone zeigt, wie viele Gefühle Quadrate eigentlich haben können. Sie alle beeindrucken trotz simpler Grafik und minimalistischem Gameplay durch emotionale Tiefe und kreatives Storytelling, wie sie Blockbuster-Titel oft vermissen lassen.

Natürlich ist es oft leicht, unabhängige Entwickler für Mut und Innovation zu loben und an Publisher gebundene Studios einen Mangel an Kreativität vorzuwerfen, aber damit würden wir es uns zu einfach machen. Nur weil Blockbuster-Studios häufig konventioneller vorgehen, heißt das nicht, dass sie Innovation ausschließen oder, dass Fotorealismus nicht mehr als ein optisches Gimmick für grafisch anspruchsvolle Gamer ist. Er mag nicht das Allheilmittel sein, für das manche Entwickler ihn halten, trotzdem trägt er zur Verbesserung des Mediums bei.

Die stellenweise realitätsnahe Optik von Uncharted, The Last of Us oder Heavy Rain schafft eine fast filmische Anmutung, was wiederum ein breiteres Publikum auch jenseits der Core Gamer anspricht. Gerade die Spiele von Quantic Dream bestechen durch David Cages spürbares Interesse an Filmen. Gameplay nimmt bei Heavy Rain oder Beyond: Two Souls eine untergeordnete Rolle ein, der Fokus liegt sowohl auf Grafik als auch auf der Handlung, weshalb sie sich mehr wie interaktive Filme als herkömmliche Videospiele anführen. Das lässt sie zugänglicher werden und macht sie so für eine völlig neue Zielgruppe interessant.

Diese Markterweiterung bedeutet nicht nur einfach zusätzliches Geld, sondern sorgt außerdem dafür, dass Spiele einen großen Schritt in Richtung Mainstream machen, wodurch sie die Chance erhalten, weiter zu wachsen. Mehr Spieler bedeuten mehr Entwickler und somit frischen Wind, der für Innovationen sorgt – sei es nun auf grafischer, spielerischer oder erzählerischer Ebene. Eine breit gefächerte Zielgruppe sorgt für eine ebensolche Vielfalt unter den Spielemachern und letztlich auch unter den Games selbst.

Videospiele sind ein noch sehr junges Medium, das, wie David Cage gerne anmerkt, am Peter-Pan-Syndrom leidet und langsam erwachsen werden muss. Das mag zwar vor allem eine inhaltliche und keine grafische Frage sein, trotzdem schlägt sich auf den ersten Blick gerade die Optik eines Spiels wie Beyond: Two Souls auf die Außenwahrnehmung nieder und weckt so auch Interesse außerhalb der eingeschworenen Gamer-Gemeinde. Es stimmt also vielleicht nicht, dass nur Fotorealismus für Innovation sorgt, trotzdem trägt er nicht unerheblich dazu bei – nur eben auf eine etwas andere Art, als viele glauben wollen.

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