Wie Amazon & Netflix unsere Sehgewohnheiten ändern

26.04.2013 - 20:30 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Griff nach den Sternen
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Der Griff nach den Sternen
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Diese Woche stellte Amazon seinen Usern die ersten eigenproduzierten Pilotfilme vor. Fast zeitgleich verwies Netflix HBO mit neuen Abonnement-Zahlen in die Schranken. Es ist Zeit für eine erste Bilanz der vermeintlichen Zukunft der Serienproduktion.

Wir stecken angeblich mittendrin in der Zukunft der Serienproduktion. Vor etwas mehr als einer Woche stellte der Streaming-Gigant Netflix seine zweite Eigenproduktion Hemlock Grove vor. Fast zeitgleich präsentierte das Internet-Kaufhaus Amazon 14 Pilotfilme, deren User-Bewertungen darüber entscheiden, ob eine Serien-Order folgt oder nicht. Die ersten Schritte im Angriff auf die traditionelle Herstellung und Distribution von Serien haben Netflix und Amazon getan. Es ist Zeit für eine kleine Bestandsaufnahme.

Bei den 14 Amazon-Episoden handelt es sich um die Comedy- und Kinder-Welle, Drama-Piloten werden folgen. Zu den acht Sitcoms zählen Franchise-Erweiterungen wie Zombieland und Onion News Empire, Animationsserien wie Supanatural und Dark Minions, kleine Produktionen ganz ohne Stars und die Politsatire Alpha House, die neben Hauptdarsteller John Goodman mit einem Bill Murray -Cameo aufwarten kann. Vielfalt suggeriert das Aufgebot, doch bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich als erstaunlich monoton. Nur eine der Sitcoms hat weibliche Heldinnen (Supanatural), Popkulturreferenzen und Fuck-Tiraden dominieren den Humor, der sich nicht um Werbekunden sorgen muss. Wie Willa Paskin in Salon festhält: Alle zehren von einem High Concept-Format. Die auf die technikaffine junge Stammkundschaft von Amazon zugeschnittenen Piloten spielen im Kongress, einer Raumstation, einem TV-Studio, im Büro eines Huffington Post-Verschnitts oder einer Silicon Valley-Firma. Einfache Prämissen (fünf Freunde in einer Bar, sechs Freunde in einem Coffee-Shop) suchen wir vergebens.

Die User haben nun die Chance, in Reviews ihre Einschätzung der einzelnen Piloten zu teilen. Im Verlauf des Prozesses, Quell umfangreicher Datenerhebung über die Vorlieben der Nutzer, können diese über die Qualität des Drehbuchs Auskunft geben, anmerken, ob sie nochmal einschalten würden und wie ihnen die Schauspieler gefallen. Ausgehend von den Bewertungen, Rezensionen, beantworteten Fragen, Klickzahlen und Abbruchraten wird Amazon dann entscheiden, welche Serie umgesetzt wird. Dass die Zuschauer mitbestimmen können, ist ein direkter Angriff auf das traditionelle System der Serienproduktion bei Networks und Kabelsendern. Das setzt zwar ebenfalls auf statistische Erhebungen (welcher Darsteller passt zu welcher Zielgruppe?), einen vergleichbaren Einfluss ermöglichen freilich höchstens backdoor pilots, alleinstehende TV-Filme, die bei guten Einschaltquoten zu einer Serien-Bestellung führen können. Gang und gäbe ist es dagegen, dass Pilots vorgestellt werden und Sender-Verantwortliche darüber bestimmen, ob sie gekauft werden oder nicht. Die meisten Pilotfilme erblicken deswegen niemals das Licht der Öffentlichkeit.

Manchmal ist das auch gut so. Selbst wenn eine Serie geordert wird, können sich Cast und Konzept nach dem Pilot massiv verändern. Der Pilot von Game of Thrones beispielsweise wurde 2009 gedreht. Thomas McCarthy (Win Win, Station Agent) führte Regie. Jennifer Ehle spielte Catelyn Stark, Tamzin Merchant gab Daenerys und sogar Jamie Campbell Bower war in einer Rolle zu sehen. Als 2011 die erste Episode Premiere feierte, wurden nur Bruchstücke des Pilots verwendet, ganz zu schweigen von den Cast-Änderungen, die auf freiwillige wie unfreiwillige Ausstiege aus dem Projekt zurückzuführen sind. Pilots sind deswegen immer auch Tests, die Auskunft geben, ob die Prämisse funktioniert, das Cast harmoniert und so weiter. Oft genug benötigt eine Serie trotzdem mehrere Folgen oder gar Staffeln, damit die Chemie stimmt, das Konzept zu sich selbst findet. Wer hätte nach der ersten, eher harmlosen Episode von Community erahnt, dass die Show einmal eine ausgefeilte Actionfilm-Hommage produzieren würde, ganz zu schweigen von einem Geniestreich wie Remedial Chaos Theory?

Greifen Networks schon seit einiger Zeit auf Test-Screenings zurück, um von einer kleinen Zuschauerschaft auf die möglichen Reaktionen einer großen zu schließen, so übernimmt Amazon das Prinzip und überträgt es von vornherein auf Millionen von Nutzer. Letztlich liegt auch hier die Entschlusskraft bei den Bossen, die Produktionskosten, Risiken, Views und potenzielle Neukunden (für Amazon Prime bzw. Lovefilm) abwägen müssen, bevor grünes Licht durch die Hallen in Seattle strahlt. Die Zuschauereinbindung, übrigens nicht nur ein cleveres Mittel zur Datensammlung, auch ein perfektes Marketing-Instrument, garantiert keineswegs bessere Serien. Die Amazon-Piloten sind im großen und ganzen unscheinbarer Durchschnitt, hier und da mit Potenzial versehen, doch im Grunde so genau auf die Wähler zugeschnitten, dass es an innovativen oder auch nur herausfordernden Ideen mangelt. Wen wundert’s, kennt der Konzern das Kaufverhalten seiner Kundschaft doch in und auswendig.

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