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Wiedergeburt-Taufe-Kafka

14.10.2014 - 12:00 Uhr
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NFP* / Drei Freunde / Warner
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„Headhunters“ ist Morten Tyldums Thriller aus dem Jahr 2011, basierend auf Joe Nesbos gleichnamigem Roman. In mehreren Stationen eleben wir das Ablösen diverser Häute, die sich Roger Brown angelegt hat um die eigene Körpergröße zu kompensieren, begonnen mit seiner Kleidung, bis hin zum Kopfhaar. Am Ende geht er zu seiner Frau und ist nur noch er, eine zer- und verstörte Variante des eigenen Ichs. Erst jetzt kann auch sie ehrlich zu ihm sein. Nach dem Ablegen der Kleider und der Flucht aus dem eigenen Leben folgt das Abwaschen aller Fassaden über die sich der selbstinszenierte Roger Brown definiert: In der Scheiße versunken, die missliche Lage zum eigenen Vorteil nutzen und aus der Scheiße hervorsteigen als Mensch, der offiziell nichts mehr zu verlieren hat.


Er wusste, wo er war. Er würde ihn finden.

Roger war sich noch nicht ganz sicher, wie es zu der unheimlichen Verbindung zwischen ihm und Clas kam, aber er spürte, dass jede Faser seines Seins mit ihm verknüpft war und jetzt konnte er das Kläffen seines Köters hören. Durch die herzförmige Öffnung in der Holztür, ein ironisches Angebot der Erleichterung an die Geruchsnerven, die mit ihm hier eingesperrt waren, konnte er die Bulldogge aus dem Wald auf die Hütte zukommen sehen. Das hohe Gras wurde rücksichtslos von dem massigen Körper plattgewalzt und Roger meinte selbst durch den penetranten Duft von Scheiße, der ihn umgab den scharfen, fauligen Geruch ihres schweren, sabberfeuchten Atems riechen zu können. Mein Gott, er hasste Hunde und gerade mit diesem wollte er die Bekanntschaft keinesfalls erneuern! Es war eine so abgrundtiefe, furchtgeprägte Abneigung, dass es menschliches Fassungsvermögen übersteigt zu begreifen, dass er den Mann, der jetzt ebenfalls, katzenartig den bindfaden-dichten Regen durchschnitt, noch mehr hasste. Clas Greve hatte mit seiner Frau gevögelt, seinen Partner umgelegt, war Schuld daran, dass Roger in einem windschiefen Plumpsklo in der Pampa saß und nun hatte er ihn in die Enge gedrängt, wie ein Stück Vieh, das er mit seinem Terrorköter hetzte.

Sie verschwanden in der Hütte. Oves Knarre lag auf dem Küchentisch. Roger konnte Greve vor sich sehen, wie er sie aufnahm, entsicherte. Als er wieder ins Freie trat, schimmerte es silbern im matten Licht zwischen den behandschuhten Händen. Männer wie Clas Greve hatten ihre Vorgehensweisen, sie waren vorhersehbar, aber das machte den Mann nicht weniger gefährlich. Rogers Pupillen wurden weit, sein regennasses Hemd durchtränkte sich noch etwas mehr mit Angstschweiß. Der Hund witterte und grollte leise. Angst, profane, nackte, alles auslöschende Angst und der Impuls zu rennen. Die Augen des Herrn, nicht weniger stumpf, genauso blutdurstig, folgten dem angespannt zitternden Tierkörper, wanderten zu dem Abort. Angst, der Impuls zu rennen. Aber rennen war nicht möglich. Vor ihm der Killer und sein Köter. Hinter ihm die Bretterwand. Dazwischen eine Grube unbestimmbarer Tiefe, bis zum Rand gefüllt mit einer bräunlichen Suppe, die stank, als hätte ganz Norwegen sich hier erleichtert. Notdürftig abgedeckt von einer Holzklappe, die sich problemfrei heben ließ.

Denken reduziert sich unter Adrenalineinfluss auf die minimale Notwendigkeit.

Draußen schwere Schritte, das fast ebenso schwere Patschen von vier Pfoten im Schlamm, heftiges, hechelndes Atmen, die Gewissheit das Opfer gestellt zu haben, die Vorfreude zuzuschnappen.

Kafkas Maus hatte hinter sich die Katze und vor sich die Wand. Roger hatte eine dritte Option.

Die Tür wurde aufgestoßen und Greves starre Miene war einem Lächeln außergewöhnlich nahe, bis er merkte, dass der Raum leer war. Ein kleiner Raum. Vier Ecken. Tausend Fliegen. Eine notdürftig mit Holz umzimmerte Grube. Widerlicher Gestank, nicht eben konzentrationsfördernd.

Roger war nicht da. Roger war nicht mehr wirklich oben auf. Roger saß in der Scheiße und zwar bis über die Hüften. Wenn Angst ein nacktes, alles bestimmendes Gefühl ist, wenn hinter dir die Wand und vor dir die Katze ist, dann gibt es keine Alternativen, außer dir mit einer leeren Klopapierrolle im Mund die Scheiße zum Freund zu machen und immer tiefer darin zu versinken. Als Clas, der von Natur aus gründlich war, den Deckel hochhob, sah er einen unbewegten, stummen See aus Dreck, Dreck verschiedenster Art und Müll – aus der Mitte ragte sogar noch ein Stück alte Klopapierrolle heraus.

Clas, der nicht den Eindruck hatte, dass jemand, der freiwillig hier sein Geschäft verrichtete noch viel Wert darauf legte, sich den Arsch abzuwischen, rümpfte die Nase und zog sich ein Stück zurück. Es saß ihm im Nacken wie eine lästige Fliege, die lästige Fliege die Roger Brown für ihn war, dass hier nichts war, dass der Peilsender, den er sorgsam kontrollierte, auf einmal kein Signal mehr gab. Ein letzter Blick in die Runde, schon an der Türschwelle. Es gab keinen Weg hier raus ohne beobachtet zu werden. Folglich war hier nie jemand gewesen. Sein Instinkt protestierte, doch ein guter Soldat nimmt Tatsachen hin, wenn es darum geht, Zeit zu sparen.

Roger Brown. Was für eine lästige Fliege, aber wer hätte gedacht, dass er ebenso schwer zu erwischen sein würde?

Es war vielleicht weniger als eine Minute die Greve brauchte, um das Interesse an Rogers Versteck zu verlieren. Roger konnte nicht sehen was er tat, er konnte nichts hören oder sonst einen Sinn bedienen, weil mittlerweile in jede seiner Poren Scheiße so tief eingesickert war, dass er sicher war, den bestialischen Gestank von nun an als neue Haut zu tragen…sollte er überhaupt noch sehr viel länger über eine Haut verfügen, die nicht von Greves Bluthund zerfetzt war. In seinen Lungen blähte sich ein verzweifelter Schrei nach Licht und Luft und doch brachte er es irgendwie, aus den Tiefen seines zu kleinen, zu schmächtigen, zu unbenutzten Körpers auf, nicht zu schreien und erst als er sicher, sicher, sicher war, allein zu sein, tauchte er, langsam, Millimeter für Millimeter auf, ein Wesen aus Exkrement, dominiert von riesengroßen Augen, aus denen nackte Panik und Verzweiflung ab jetzt nicht mehr verschwinden würden. Roger Brown, den Headhunter, den gelassenen Mann von Welt, den gab es bereits nicht mehr.


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