Schon seit seinem Debüt-Kurzfilm Koza (1995) gehört der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan zu den gern gesehenen Gästen des Festivals in Cannes. Für Drei Affen – Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen wurde er mit dem Regiepreis des Filmfestivals ausgezeichnet, sein letzter Film Once Upon a Time in Anatolia gewann wie schon Uzak – Weit den Großen Preis der Jury. Nur die Goldene Palme ziert sich noch. Ob Nuri Bilge Ceylans neuer Film Winterschlaf den Hauptpreis endlich auf den Kaminsims des 55-Jährigen befördert, erfahren wir in einer Woche. Eine Übersicht der ersten Kritiken zu Winter Sleep gibt es hier:
Worum geht es in Winter Sleep?
Aydin (Haluk Bilginer), ein ehemaliger Schauspieler, leitet gemeinsam mit seiner jungen Ehefrau Nihal (Melisa Sozen) und seiner Schwester Necla (Demet Akbag) ein kleines Hotel in Zentralanatolien. Die Beziehung zwischen Aydin und Nihal ist problematisch, Necla leidet unter ihrer frischen Scheidung. Als der Winter hereinbricht und der erste Schnee zu fallen beginnt, bietet ihnen das Hotel eine willkommene Zuflucht. Es ist jedoch ebenso ein Ort, dessen räumliche Enge zwangsläufig Zündstoff für die sowieso angespannten Beziehungen der drei Menschen untereinander bietet…
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Für die Variety sah Justin Chang ein “hinreißend schönes Magnum Opus, das fraglos als am wenigsten langweiliger 196-Minuten-Film aller Zeiten durchgeht. […] Nach Ceylans großartigem Drama Once Upon a Time in Anatolia, bohrt sich diese ähnlich selbstbewusste, aber deutlich zugänglichere Charakterstudie in die alltägliche Existenz eines früheren Schauspielers im Mittleren Alter […] und tritt als facettenreiche Studie menschlicher Zerbrechlichkeit empor, deren moralische Implikationen weit über die türkische Landschaft hinaus nachhallen.”
Barbara Scharres zählt sich zwar zu den Bewunderern Nuri Bilge Ceylans, allerdings ließ sie Winter Sleep unbefriedigt zurück: Es sei “ein Film, der ausführlich im Kreis herum redet mit einem sozusagen tschechowschen Ansatz in der Auseinandersetzung mit Klassenunterschieden, moralischer Verzweiflung und der von den Figuren umfangreich verbalisierten Unzufriedenheit mit ihrem eigenen Leben.”
Ex-Schauspieler und Hotelbesitzer “Aydin steht im Zentrum eines Films, der eigentlich kein Zentrum hat. Er ist ein überheblicher Kotzbrocken, der, und das ist eines der vielen Verdienste von Winter Sleep (Kış Uykusu), überraschend sympathisch wirkt”, heißt es in der Kritik von Michael Kienzl: “Die Freiheit des Films besteht darin, dass sich die vielen Motive und Erzählstränge nicht treffen müssen, sondern nebeneinander existieren können. Immer wieder findet Ceylan einen Weg, stereotype Konflikte auf spannende Weise aufzulösen.”
“[Once Upon a Time in Anatolia] nutzte die prachtvollen dunklen Landschaften als Hintergrund scheinbar nebensächlicher, philosophischer Gespräche”, heißt es in der Kritik von Peter Labuza bei The Film Stage. “Winter Sleep betont als allererstes seine Beziehungen, in dem die Dialoge das Innenleben der Figuren nach außen kehren.” Das “brutale Porträt eines Mannes” sei gewissermaßen Ceylans eigene Version von Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe.
Hart geht Guy Lodge mit dem Cannes-Film Winter Sleep ins Gericht. Er “wickelt seine vielen Momente der Intelligenz und Neugier in schwülstige Erklärungen und eine selbstverliebte Form, Winter Sleep ist ungeniertes Essay-Kino, das die eigene Schwierigkeit zu seinem allerwichtigsten künstlerischen Ziel macht.”
Mehr internationale Kritiken zu Winter Sleep gibt es auf fandor. Eine Übersicht über die deutschen Kritiken wird bei Film-Zeit zu finden sein.