Wir schauen Homeland - 4. Staffel, 7. Folge

11.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Homeland
Showtime
Homeland
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Homeland spielt mit dem Blutdruck seiner Zuschauer und dem Geisteszustand seiner Heldin. In der 7. Folge der 4. Staffel wechseln sich tiefsinnige Diskussionen über Gott und die Welt mit klassischer Homeland-Tollheit ab. Wem's bekommt...

Was Homer Simpson kann, kann Carrie Mathison schon lange. Zwar hopst sie in der Folge Redux nicht mit einem Kojoten-Johnny-Cash  durch die Wüste, dafür pewpewpewt sie auf den Straßen von Islamabad Verfolger zu Boden, faltet Quinn zusammen und krabbelt in die Arme eines rothaarigen Zombies. Was genau der ISI damit bezweckt, die CIA-Chefin der Sektion Pakistan unter Drogen zu setzen, erfahren wir hoffentlich in der nächsten Folge. Zwischen den diplomatischen Verstimmungen und religionsphilosophischen Diskussionen wirkt die zugegebenermaßen effektvoll inszenierte Episode innerhalb der Episode deplatziert. In einem Moment haben wir eine respektable Agentenserie vor uns, im nächsten eine psychotische Seifenoper. Dieses Ungleichgewicht ist für Homeland-Verhältnisse allerdings nichts ungewohntes.

Homeland - S04E07 (Redux)

Tatsächlich gehört das Sounddesign in den halluzinatorischen Carrie-Szenen zum besten, was Homeland bisher auf inszenatorischer Ebene auf die Beine gestellt hat. Was sich zunächst im Rauschen einer Leuchtstofflampe bemerkbar macht, erwächst schnell zum auditiven Reizüberfluss voller klirrender Tassen, knurrender Hunde und Straßengebrabbel, der insbesondere nach der zweiten Pillendosis aufs Bild übergreift; bis hin zu einem dahergeträumten Brody im Haus des ISI-Lieutenants Aasar Khan (Raza Jaffrey aus Spooks). Nervenschwache Homeland-Fans mögen an dieser Stelle ihren Fernseher aus dem Fenster geworfen oder die tumblr-Warteschleife bis ins nächste Jahr gefüllt haben. Eine gewisse sadistische Lust am Spiel mit den Zuschauererwartungen lässt sich den Machern der Serie ohne Weiteres unterstellen. Immerhin haben sie sich, vermutlich auf Showtime-Anweisung, durch drei Staffeln mit Brody gequält. Nun lungert seine Stimme im Vorspann herum, von seinem frischen Nachwuchs gar nicht zu reden, warum also nicht einen auf  Steven Moffat  machen? Darüber hinaus bietet die Beicht-Passage in den Armen des imaginären Brody (Damian Lewis) natürlich Parallelen zu Carries Schuld am Tod Aayans. Aber lässt sich dieser problemlos mit jenem Brodys vergleichen? Oder läuft die Serie hier nicht vielmehr Gefahr, mit Hilfe eines rothaarigen Sünden-Amalgams die sehr unterschiedlichen Verantwortungen am Schicksal zweier sehr unterschiedlicher Menschen gleichzumachen, aber das eine dezent über das andere zu stellen? Anders gefragt: Ist Brody in der Mitte von Staffel 4 überhaupt relevant für Homeland?

Diese Frage müssen die Autoren in den kommenden Folgen selbst beantworten und damit gleichzeitig entscheiden, ob die Serie im Schatten ihrer ehemaligen Hauptfigur weiter existiert. Rückgriffe solcherart können gerade in einer langlebigen Serie kurzzeitig für etwas Nostalgie sorgen oder das Psychogramm einer Figur füttern. Eines ist aber klar: Redux ist weder inhaltlich noch bezüglich des Anspruches ein The Test Dream  (oder auch nur ein Restless ) und für eine breit angelegte Brody-Sehnsucht die Homeland-Welt in Staffel 4 nicht bereit.

Verantwortlich für El Viaje Misterioso de Carrie ist ISI-Agentin Tasneem (Nimrat Kaur), die dank Dennis "The Menace" Boyd (Mark Moses) das Antidepressivum Nortriptylin gegen eine unbekannte Droge austauschen kann. Mittlerweile ist der Ehemann der US-Botschafterin ganz in seinem Element, sodass nach Fara auch der ausgebildete CIA-Agent Quinn (Rupert Friend) nicht bemerkt, dass sich ein Einbrecher in Carries Apartment befindet. Fehlt eigentlich nur noch, dass der talentierte Schleicher Boyd Visitenkarten  hinterlässt. Von seiner neuen Berufung sowie einem ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb angestachelt, verhindert er zudem, dass seine Gattin die Flinte ins Korn wirft. Anstatt gegenüber dem CIA-Trampel Lockhart (Tracy Letts) einzuknicken und zu kündigen, hält Botschafterin Boyd (Laila Robins) die Ehre des US-Außenministeriums vorerst aufrecht. Sie versucht es mit der guten alten Diplomatie und bekommt einen Gefangenenaustausch für Saul in Aussicht gestellt.

The Beard verbringt seine Zeit derweil als menschliches Schutzschild des Terroristen Haqqani (Numan Açar), was gute Seiten hat (lecker Essen!), schlechte (er ist ein menschliches Schutzschild!?) und, sagen wir mal, unbehagliche (Feierabend-Erotikunterhaltung gibt's für lau!). In einer Episode, in der Carrie an den Rand des Wahnsinns getrieben wird, darf Saul zudem die Stimme der Vernunft geben. Als Sprachrohr der Autoren diskutiert er mit dem nicht ausschließlich als böse dargestellten Terroristen über die Lehren des Islam bzw. über die Existenz eines anderen Islam, der in Homelands Außendarstellung  bekanntlich keine Berücksichtigung findet. Auf einmal wirkt Saul (Mandy Patinkin) nicht mehr wie ein notdürftig herbeigezwungenes Ensemble-Mitglied, sondern bereichert als verzweifelter kultureller Mediator die Serienwelt, so wie wir ihn schon früher kennen und lieben gelernt haben.

Im Kern der Episode lauert aber das große Fragezeichen über seinem Kopf: Wäre es nicht doch die richtige Entscheidung gewesen, den Ex-Chef der CIA als ziviles Opfer in einer langen Liste ziviler Opfer in Kauf zu nehmen, um den Terroristen auszuschalten? Je mehr Konzessionen CIA und State Department machen müssen, um Saul zu befreien, desto drängender wird die Rückschau, gerade weil sich die Situation wiederholen könnte. Aber vielleicht endet Homelands Staffel 4 auch in einer 50-minütigen Drogenparty mit Carrie, Saul und einem Kojoten, der den Folsom Prison Blues pfeift. In dieser Phase der Serie traue ich den Homeland-Autoren alles zu.

TIL: "I hardly remember reading that in the hadith", bemerkt Saul im Gespräch mit Haqqani und beweist wieder einmal seinen Blick über den religiösen Tellerrand. Denn neben dem Koran, also der (im Arabischen) wörtlichen Offenbarung Gottes durch den Engel Gabriel an den Propheten Mohammed, spielen die Hadithe eine wichtige Rolle in Gestaltung und Weitergabe islamischer Handlungsweisen und Rechtsprechung. Ein Hadith ist dabei eine ursprünglich mündliche Überlieferung eines Ausspruchs oder einer Tat des Propheten Mohammed, wobei auch Handlungen anderer im Beisein des "stillschweigenden" Mohammed darunter fallen. Hadithe wurden über die Jahrhunderte beispielsweise entsprechend ihrer Authentizität oder der Anzahl und des Charakters ihrer Überlieferer kategorisiert und in verschiedenen Sammlungen zusammengefasst. Sunniten und Schiiten greifen auf unterschiedliche Hadith-Sammlungen zurück, da die Überlieferer in der Zeit des Machtkampfes nach dem Tod Mohammeds von beiden Seiten als unterschiedlich verlässlich eingeschätzt wurden. Das wiederum beeinflusste die Rechtsprechung und Bräuche der islamischen Strömungen.

Die Struktur einer solchen "Erzählung" hebt zunächst den oder die Kette der Überlieferer hervor, dann folgt der eigentliche Bericht. Hier ein Beispiel aus der von Sunniten gebrauchten Hadith-Sammlung Sahih Muslim , die auf das 9. Jahrhundert zurückgeht, also rund 200 Jahre nach dem Tod Mohammeds zusammengestellt wurde:

Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete:
Ein Mann kam zum Gesandten Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, und sagte: „O Gesandter Allahs, wer hat am meisten Anspruch auf meine gütige Kameradschaftlichkeit?“ Der Prophet sagte: „Deine Mutter!“ Der Mann fragte weiter: „Wer sonst?“ Der Prophet sagte: „Deine Mutter!“ Der Mann fragte weiter: „Wer sonst?“ Der Prophet sagte: „Deine Mutter!“ Der Mann fragte weiter: „Wer sonst?“ Der Prophet sagte: „Dann dein Vater.“

Zitat der Folge: "You taught an entire generation to live with one foot in the afterlife."

Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 6
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 5
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 4
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 3
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 1 & 2

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