Filmsuechtiger - Kommentare

Alle Kommentare von Filmsuechtiger

  • 8

    Der griechische Neo-Noir Mittwoch 04:45 erzählt eine Kriminalgeschichte in Zeiten der Finanzkrise: Er ist 2015 erschienen, spielt aber im Jahr 2010, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.

    Es geht um Abhängigkeiten, die der Film wie nebenbei aneinanderreiht. In diesen Abhängigkeitsketten zwischen großen und kleinen Gangstern, Chefs und Angestellten, Männern und Frauen, Vätern und Söhnen ist kein Platz mehr für Nicht-Ökonomisches. Die Schulden, das ist vor allem der Druck, der nicht ausgehalten werden kann und daher weitergegeben werden muss an jene, die noch ein bisschen weiter unten stehen.

    4
    • 10

      Johnny Guitar ist der ungewöhnlichste Western seiner Zeit. Regisseur Nicholas Ray nutzt das Genre als Folie für ein überlebensgroß angelegtes Melodram, das Geschlechterrollen verkehrt und vor Sex nur so vibriert. Die farbenprächtigen Bilder und ein politischer Subtext werten den billig produzierten Klassiker zusätzlich auf.

      Alles in diesem Film – Drohungen, Schüsse, Lynchjustiz – resultiert aus sexueller Macht und der Gier nach Körperlichkeit. Die Figur von Joan Crawford wird (auch) wegen ihrer sexuellen Selbstbestimmung angefeindet. Die Antagonistin Emma Small besitzt hingegen masochistische Tendenzen: Puritanerin durch und durch, hasst sie das eigene Verlangen und jeden, der es auslöst.

      Johnny Guitar verkehrt die Geschlechterrollen ins Gegenteil: Die beiden Frauen bilden die Machtzentren des Films. Sie sind härter, abgebrühter und letztlich schlichtweg maskuliner als die Männer.

      9
      • 9

        The Minus Man ist ein erstaunlicher Serienkillerfilm: Er verzichtet auf blutige Spannungsszenen und besetzt ausgerechnet Sunnyboy Owen Wilson als Mörder.

        Die irritierende Beiläufigkeit des Films erfüllt eine konkrete Funktion: Sie bringen das Empfinden des Protagonisten zum Ausdruck, denn Vann Siegert wandelt wie ein Besucher von einem anderen Planeten unter den Menschen. Er beobachtet sie wie Ameisen, empfindet allenfalls verhaltenes Mitleid oder eine milde Faszination.

        Mit seinen Erzählungen lullt uns der Serienkiller genauso ein wie seine Opfer: Seine Informationen bleiben gehaltlos, akribisch lenkt er uns von den Leerstellen seiner Persönlichkeit ab und verkauft uns ein gutmütiges Image. Wir tun gut daran, ihm nicht jedes Wort zu glauben.

        6
        • 9
          Filmsuechtiger: Filmsucht.org 23.10.2021, 10:47 Geändert 23.10.2021, 10:52
          über Crash

          J. G. Ballards bemerkenswertester Roman Crash galt lange als unverfilmbar: Die 240 Seiten strotzen nur so vor explizitem Sex; eiskalt und medizinisch beschreibt Ballard den Akt, immer abseitiger greifen die Interieurs der Autos, deformierte Körper und Sex ineinander. Ballard formuliert eine Horrorvision, in der die Technologie die Figuren vom eigenen Menschsein entfremdet.

          Ein passendes Sujet also für David Cronenberg, der Ballards Hyperrealismus mit einen paradoxen Kunstgriff adaptiert: Er kombiniert ein intimes Storytelling mit einer distanzierten Inszenierung. Mit diesem Widerspruch neutralisiert der Regisseur die eigene Position zum Geschehen: Er zeigt nur, aber wertet nicht. Damit erweist sich Crash als eine der herausforderndsten Arbeiten Cronenbergs und im besten Sinne als Film für Erwachsene.

          12
          • 9
            über Angst

            Der griechische Klassiker Angst stürzt eine Bauernfamilie durch ein Verbrechen in die Krise. Der Kriminalfilm kombiniert vermeintlich idyllische Sommerbilder mit psychologischer Spannung. Mit geschickt eingesetzten Stilmitteln übersetzt er die Seelenqualen der Protagonisten und verleiht dem Geschehen albtraumhafte Züge.

            Der Film entwickelt eine Dualität zwischen der echten Welt und dem Geschehen in den Köpfen seiner Protagonisten. Dabei gelingt es ihm vortrefflich, beide Ebenen kulminieren und für uns erfahrbar werden zu lassen. Angst zeigt, wie Gedanken einfach nicht verschwinden wollen, sich rücksichtslos Platz verschaffen und schließlich in die Realität hinausbrechen.

            5
            • 9
              über Das Ohr

              19 Jahre lang blieb Karel Kachynas kafkaesken Thriller Das Ohr unveröffentlicht - wegen der beklemmenden Darstellung des Lebens in der sozialistischen Tschechoslowakei verboten die russlandhörigen Kommunisten die Veröffentlichung.

              Kachynas Werk lässt sich am ehesten mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf trifft auf 1984“ zusammenfassen und schildert den Verlauf einer beängstigenden Nacht. Der Protagonist muss sich mit seiner Paranoia vor dem Überwachungsstaat und einer betrunkenen Ehefrau herumschlagen.

              Das Ohr überzeugt mit politischen Implikationen und einer große Portion psychologischer Spannung. Dem humorvollen Einschlag zum Trotz lässt die Gestaltung keinen Zweifel an der Düsternis dieses filmischen Tschechiens nach dem Prager Frühling.

              6
              • 9

                Red Angel bietet eine finstere Filmerfahrung: Ein alles durchdringender Nihilismus beherrscht den japanische Antikriegsfilm.

                Indem Masumura die Schlachtfelder der Außenwelt ins Innere der Figuren verlegt, transformiert er den Antikriegsfilm zum Melodram. Ein typischer Schachzug des Regisseurs, der oft den Mantel des Genrekinos nutzte, um seine eigentlichen Themen zuzuspitzen.

                Masumuras grimmiger Antikriegsfilm suhlt sich allerdings nie im Leid, sondern tastet selbst dann noch nach humanistischen Idealen, wenn schon alles verloren scheint.

                3
                • 8
                  über Transit

                  Flüchtig sein, das bedeutet nicht nur von A nach B kommen zu müssen, sondern, im Wortsinne, nie ganz da zu sein, sich in den Umständen aufzulösen. Dieses Gefühl transportiert Petzold hervorragend und weckt dabei Reminiszenzen an einen ikonischen Klassiker: Mit Casablanca teilt sich Petzolds Werk den äußeren Konflikt - die Bedrohung durch die Nazis und den Kampf um Transitvisa. Außerdem besitzen beide Filme einen melodramatischen Kern.

                  Erst durch die Problembewältigung im kleinen, individuellen, privaten Raum gewinnen die Protagonisten die Größe, sich gegen den weltgeschichtlichen, politischen Einfluss zu erheben. Kurz gefasst: Wer menschlich handelt, erbaut sich einen Schutzschild gegen die unmenschlichen Umstände. Dass beide Werke einen Abschluss, aber kein typisches Happy End finden, wischt zudem jeden Eindruck der Verklärtheit beiseite.

                  7
                  • 9

                    Schwarzer Kies war von Anfang an als Kampfansage geplant: Regisseur Helmut Käutner hatte sich vorgenommen, „alle deutschen Tabus zu durchstoßen“ und drehte ein Melodram nach Art des Film Noir, das die schmutzigen Seiten der Nachkriegs-BRD ins Visier nimmt und in alten Wunden stochert.

                    Schwarzer Kies nimmt sich die hässlichen Seiten des Wirtschaftswunders vor und zerlegt dessen Idealbild von tüchtiger Arbeit und guten Löhnen – geschuftet wird hier nur auf dem Rücken oder unter der Hand, und immer auf die Schnelle. Doch die schnelle Mark funktioniert nur ohne Anstand, also bekommt alles ein Preisschild, von kleinen Freundschaftsdiensten bis zur Liebe.

                    Käutner nutzt das Dorf als Petrischale für die gesellschaftlichen Schattenseiten der BRD und spürt dabei den ökonomischen und emotionalen Machtgefällen nach – er zeigt einen einzigen großen Reigen des Ausbeutens und sich Korrumpierenlassens.

                    7
                    • 9

                      Der russische Klassiker Briefe eines Toten entwirft ein beängstigendes Endzeitszenario und schildert die Zustände nach einem globalen Atomkrieg. Trotz der kompromisslosen Inszenierung bewahrt sich der Film von Konstantin Lopuschanski einen humanistischen Kern. Um den Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Erhabenheit auszutreiben, fügt Lopuschanski ihnen einen gelb-braunen Farbton hinzu – das Geschehen erhält dadurch eine schmutzige, „verstrahlte“ Note.

                      Im Gegensatz zu amerikanischen Katastrophenfilmen kommt Briefe eines Toten ohne Pathos oder große Spannungsszenen aus. Der Film wirkt so ungemütlich, weil er uns ungeschminkt mit der aussterbenden Menschheit konfrontiert; ohne Ablenkung oder die Erleichterung erzählerischer Konventionen. Zusammen mit den beiden ähnlichen Werken The War Game und Threads zählt Briefe eines Toten daher zu den furchteinflößendsten Visionen eines atomaren Holocausts.

                      6
                      • Filmsuechtiger: Filmsucht.org 24.05.2019, 17:39 Geändert 24.05.2019, 17:41

                        "Wer Game of Thrones jahrelang mit Tomaten auf den Augen schaut, sieht am Ende eben rot. "

                        Großartig, Chapeau!

                        20
                        • Gerade noch ein bisschen drüber nachgedacht:

                          Aus meiner Sicht wäre es am besten für die Nutzer, wenn sie (über ein kleines Icon neben der jeweiligen Block-Überschrift) selbst entscheiden könnten, welche Blöcke ihnen auf der Filmdetailseite angezeigt werden. So könnte sich jeder die Filmdetailseite seiner Wahl selbst zusammenstellen.

                          Ich kann jetzt nur von meinem Nutzerverhalten ausgehen - ich würde so einen halben Meter weniger scrollen müssen, da ich auf "News", "Videos & Bilder", "Das könnte dich auch interessieren" und vor allem den unsäglichen Affiliate-Block (900 Pixel gleich zu Beginn!) verzichten würde.

                          Natürlich bin ich mir bewusst, dass das Ausblenden zu Einbußen an Klicks und Affiliateeinnahmen führen würde. Für mich als User würde es jedoch bedeuten, öfter und länger auf Filmdetailseiten zu verweilen, ggf. tiefer scrollen und dadurch zwangsläufig auch mehr klicken.

                          39
                          • Filmsuechtiger: Filmsucht.org 23.01.2019, 14:49 Geändert 23.01.2019, 21:03

                            Einen Großteil des Updates finde ich gut, einige Schönheitsfehler missfallen mir allerdings erheblich:

                            1. Der Farbfilter über den Nutzeravataren - wir haben uns unsere Profilbilder ja nicht liebevoll ausgesucht, um sie verschandelt zu sehen.

                            2. Crew als separater Reiter "hinter" Cast verhindert die Anzeige des Regisseurs. Der für viele wohl der wichtigste Part des Filmemachens ist. Da wäre eine Angabe in der Nähe des Filmtitels wünschenswert, wie es bspw Letterboxd auch handhabt.

                            3. Dass man sich nicht mal eben einen Überblick der Wertungen seiner Freunde verschaffen kann, nervt ziemlich. Wie wäre es mit einem Wert für den Wertungsdurchschnitt der Freunde?

                            4. Ihr braucht bessere Plätze für Werbung. So wie es jetzt ist, zersplintert sie das ohnehin bisweilen unzusammenhängend wirkende Design noch mehr.

                            -------

                            Zu den neuen "exklusiven" Labels - die finde ich erstaunlich öde, da ist noch reichlich Feintuning bei den Algorithmen nötig. Bei "ganz schön klassisch" tauchen Werke wie Die Verurteilten oder Pulp Fiction auf - langweiliger geht es kaum.

                            Zudem nervt die winzige Diashow. Wenn ich Inspiration suche, möchte ich sie auf einen Blick präsentiert bekommen und nicht zig mal fünf neue Filme einblenden müssen. Hier wäre eine umfassendere Übersicht wünschenswert und vor allem die Möglichkeit, die Vorschläge nach eigenem Gusto filtern zu können. Auch hier ist Letterboxd euch weit voraus.

                            8
                            • Drei Abende mit … Jean Renoir

                              [...] Renoir drehte vornehmlich schonungslose Sozialdramen mit sorgfältig ausgearbeiteten Charakteren, denen selten ein Happy End vergönnt ist. Inmitten seiner düsteren Welten etablierte der Filmemacher jedoch meistens auch einen zutiefst humanistischen Kern; ein Wertegefühl, für das Renoirs Figuren kämpfen und auch scheitern, zum Wohl des großen Ganzen. Damit unterscheiden sich Renoirs Arbeiten von den [...]

                              Weiterlesen: https://filmsucht.org/drei-abende-mit-jean-renoir/

                              4
                              • Filmsuechtiger: Filmsucht.org 26.04.2018, 16:04 Geändert 26.04.2018, 16:12

                                Mir fehlen noch drei auf dieser relativ USA-fokussierten Liste. :-)

                                1
                                • Drei Abende mit … Robert Bresson

                                  [...] Obwohl kaum eine wichtige Bestenliste ohne ihn auskommt, scheint Robert Bresson zumindest hierzulande nicht die Popularität eines Jean-Luc Godard oder François Truffaut zu erreichen.

                                  Das mag auch damit zusammenhängen, dass Bressons Werke durch eine spröde Strenge gekennzeichnet sind. Was aus heutiger Sicht ein wenig altmodisch erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als äußerst modern, weil Bresson eine ganz eigene [...]

                                  https://filmsucht.org/drei-abende-mit-robert-bresson/

                                  4
                                  • Schade um Johnson. In den nächsten (fünf?) Jahren gibts dann keine weiteren Perlen wie Brick mehr von ihm.

                                    3
                                    • Filmsuechtiger: Filmsucht.org 30.05.2017, 17:00 Geändert 30.05.2017, 18:56

                                      Auch hier noch mal, damit es nicht untergeht, falls jemand interessiert ist - Mosfilm hat offiziell die genial geremasterten Fassungen auf Youtube online gestellt. (O-Ton mit englischen, teilweise auch mit anderen Untertiteln)

                                      Es gibt also keine Ausrede mehr, sich Stalker nicht anzuschauen. :-)

                                      Stalker ---> https://www.youtube.com/watch?v=TGRDYpCmMcM

                                      Solaris ---> https://www.youtube.com/watch?v=6-4KydP92ss

                                      Ivans Kindheit --> https://www.youtube.com/watch?v=Z0nx70hAqjM

                                      Andrej Rublev ---> https://www.youtube.com/watch?v=x6kqlveBhVY

                                      Der Spiegel ---> https://www.youtube.com/watch?v=9Yn9q25NWAw

                                      16
                                      • Filmsuechtiger: Filmsucht.org 30.05.2017, 16:57 Geändert 30.05.2017, 18:56

                                        Streaming ist hier völlig unnötig - Mosfilm hat offiziell die genial geremasterten Fassungen auf Youtube online gestellt. (O-Ton mit englischen, teilweise auch mit anderen Untertiteln)

                                        Es gibt also keine Ausrede mehr, sich Stalker nicht anzuschauen. :-)

                                        Stalker ---> https://www.youtube.com/watch?v=TGRDYpCmMcM

                                        Solaris ---> https://www.youtube.com/watch?v=6-4KydP92ss

                                        Ivans Kindheit --> https://www.youtube.com/watch?v=Z0nx70hAqjM

                                        Andrej Rublev ---> https://www.youtube.com/watch?v=x6kqlveBhVY

                                        Der Spiegel ---> https://www.youtube.com/watch?v=9Yn9q25NWAw

                                        9
                                        • Was viele bei David Fincher nicht so wahrnehmen, ist seine überaus clevere Inszenierung von Dialogszenen.

                                          Siehe auch dieses kluge 5-Minuten-Video: https://www.youtube.com/watch?v=QPAloq5MCUA

                                          16
                                          • 1
                                            • Seit gestern läuft auf Filmsucht.org eine Godard-Retro mit 20 Filmen! Auszüge aus den Kritiken werden auch hier bei MP erscheinen.
                                              Zu finden ist das Ganze unter: http://filmsucht.org/retrospektive-jean-luc-godard/

                                              2
                                              • Einer der besten Stummfilme überhaupt. Technisch ein absolutes Meisterwerk.

                                                1
                                                • Die Vorhersagenberechnung ist Murks, solange das eigene Bewertungsverhalten nicht unmittelbar einfließt.

                                                  2