Jürgen Kiontke - Kommentare

Alle Kommentare von Jürgen Kiontke

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    über Trash

    Ob Fußball-WM und Olympischen Spiele nächstes Jahr: Die brasilianische Großstadt Rio de Janeiro macht weltweit auf sich aufmerksam. Und zwar nicht nur positiv, sondern auch mit Korruption und kruder Misswirtschaft.
    Nicht zum ersten Mal dient dies als Grundlage eines Spielfilms. Nun hat sich Regisseur Stephen Daldry den vorgenommen, die Stadt abzuklopfen. Mit der Drehbuchvorlage von „Trash“, dem Roman von Andy Mulligan, wühlt er im Müll der künftigen Wirtschaftsmacht Brasilien.
    Ganz sprichwörtlich: Kurz bevor José Angelo (Wagner Moura) von Polizisten getötet wird, kann er seine Brieftasche mit brisantem Inhalt noch auf einen Mülltransporter werfen. Der korrupte Polizist Frederico (Selton Mello) lässt sofort die Slums durchkämmen, aber da haben die Müllsammel-Kinder Rafael (Rickson Tevez) und Gardo (Eduardo Luis) die Brieftasche mit dem Geheimnis schon eingesteckt. Frederico versucht es dann mit einer großzügigen Belohnung – aber die Jungen halten dicht.
    Ab jetzt wird’s ruppig. Bald wird klar, das Leben eines Müllsammlers in Rio ist nicht viel wert – und staatliche Organe spielen eine höchst unrühmliche Rolle. Sie lassen Menschen verschwinden, drohen mit Scheinexekutionen oder echten.
    Ein Film voller sozialer Spannungen und irrer Begebenheiten, der die Menschenrechtssituation in der Karnevalsstadt drastisch ausmalt.

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    • 6

      Der marschierende Nationalsozialismus der Massen ist weitgehend abwesend, hier ist einer der Spezialisten am Werk. Im Zentrum steht, was die Diktatur mit dem Einzelnen macht. Elser erklärt seinen Quälern, dass es unter den gegenwärtigen Bedingungen wenig Möglichkeiten zur kollektiven Aktion gibt. Seinen Attentatsplan habe er allein umsetzen müssen, er wäre sonst aufgeflogen. "Und Sie werden lachen", sagt er. "Es hätte auch niemand mitgemacht." Bis 1945 blieb Elser in Haft, dann wurde er hingerichtet.
      Es fällt nicht immer leicht, sich auf die einzelnen Aspekte seines Lebens in den Rückblendungen einzulassen. Etwas oft trällert der kunstsinnige Handwerker ein Liedchen. Auch Szenen mit seiner Geliebten Elsa (Katharina Schüttler), die mit einem nazitreuen Säufer verheiratet ist, nehmen viel Raum ein.
      Konkrete Politik und Hitler hingegen fehlen fast komplett. Was steht zu dem Zeitpunkt auf der Agenda in Berlin und sonstwo? Interessiert nicht. Hirschbiegel will nur den einzelnen Menschen in extremer Situation. So weit gutes Gebrauchskino.
      Was den Film dann allerdings recht besonders macht: Die beiden Folterknechte Nebe und Müller sind selbst nicht ganz überzeugt von ihrem Auftrag; sie denken nicht, dass Elser Mittäter verschweigt. Nach dem anfänglichen Folterfuror, der nicht recht verfangen will, lassen sie ihn die Bombe einfach nachbauen. Schafft er’s ohne Hilfe, beweist er seine Einzeltäterschaft. Für Elser, den Präzisionstechniker, der auch als Uhrmacher arbeitete, selbstverständlich kein Problem, ein herbeigezogener Ingenieur attestiert als Gutachter die Funktionsfähigkeit seines Apparats.
      Konsterniert stellen Nebe und Müller Elser zur Rede. Was ihm denn einfiele, unschuldige Menschen umzubringen, fragen die beiden Schlächter. Gerade sei die Meldung hereingekommen, dass eine weitere Person verstorben, die Opferzahl liege nun bei acht. Allesamt Kellner, Fahrer oder Servicekräfte, ganz abgesehen von den Dutzenden Verletzten.
      Aus den beiden Oberpolizisten, die jeden Dreck der Welt an den Stiefeln kleben haben, scheint die tiefste Überzeugung zu sprechen, wenn sie feststellen: So etwas geht gar nicht. Elser gerät schwer in die Defensive und Erklärungsnot: »Der Zweck heiligt die Mittel.«
      Manchmal geht’s nicht anders – ein klassisches Argument der Diktatur. Die irre Verkehrung der Verantwortlichkeit – die Gestapo als Hüterin der Menschenrechte – leitet über zu der philosophischen Fragestellung, die auch die Gegenwart beherrscht: Wann ist der Einsatz von Gewalt legitim?
      Nicht mal, so will es der Film, der berechtigte Tyrannenmörder Elser scheint diese Frage anders beantworten zu können als mit jener Kernformel aller Täter-Rechtfertigungen. Eine Spielsituation wie im absurden Theater, mit der der ganze Film gegen den Strich gebürstet wird. Und so bleibt nach den gezeigten Vorgängen die Frage im Kinosaal: Wann hat man damit recht, wann ist Gewalt legitim? Die Diskussion ist eröffnet, und sie sollte nach jeder Vorführung stattfinden: Stimmt das so?
      Hier ist ein aufweckender Film gelungen, der an aktuelle Diskurse anknüpft – aus dem anonymen Zuschauer kann ein fragender Mensch werden.

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      • 6 .5

        Fliegaufs Film beruht auf einer tatsächlich geschehenen Mordserie in den Jahren 2008 und 2009: Die Vorgehensweise war immer gleich: Häuser wurden von den Angreifern mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt, anschließend wurden die Flüchtenden erschossen. Dabei starben sechs Menschen.
        Die Taten sind Ausdruck eines erstarkenden Rassismus. Rechtsradikale ungarische Parteien schüren ethnische Spannungen, um sich Wahlerfolge zu sichern. In Zeiten wirtschaftlich schwieriger Bedingungen ein billiges, populistisches Mittel.
        Die Kamera filmt die Menschen in diesem Film nicht. Sie ist mitten unter ihnen, zwischen ihnen, schaut über die Schulter. Der Zuschauer erlebt plastisch, was geschieht. Fliegaufs filmischer Ansatz schafft die Möglichkeit, ganz in der Geschichte zu sein. Wenig fragt der Film nach Ursachen und gesellschaftlichen Entwicklungen - und birgt damit Potenzial für kontroverse Diskussionen. Ist Ungarn ein Einzelfall? Worin gründet sich der Rassismus dort?
        Andererseits gelingt es ihm in der einmal gewählten Perspektive, das Klima ständiger Bedrohung erlebbar zu machen. Und dies ist das Verdienst von Fliegaufs Film: An der Figur der Mari und ihrer Familie hakt Bence Fliegauf wie in einer Check-Liste die Facetten des Rassismus ab. Wird ein Computerbildschirm geklaut, fällt der Verdacht zuerst auf Maris Tochter Anna. „Sie stinken“, sagt Maris Chef, und stellt ihr beim Gespräch den Ventilator vors Gesicht. Der Bus hält 50 Meter hinter der Haltestelle, wenn Mari einsteigen will. Als ein schwarzer Wagen dem Sohn Rio folgt, ist klar: Bis zu den nächsten Gewehrschüssen ist es nur noch einen Schritt.
        Fliegauf lässt dem Publikum wenig vom Glauben an eine Besserung der Zustände - sein Film ist ein deprimierendes Werk, das die ganze Hoffnungslosigkeit der Lage auf Spielfilmlänge komprimiert.
        Ein Film, der auch die Jury-Mitglieder des diesjährigen Amnesty-Preises - Schauspielerin Birgit Minichmayr, Regisseur Ayat Nayafi und den Amnesty-International-Kommunikationschef Deutschand Marcus Beeko beeindruckte: Sie verliehen „Just the Wind“ die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung.

        • 8

          Kenneth Branaghs Film ist ein flammendes Plädoyer für die Monarchie in Zeiten weltpo­litischer Unübersichtlichkeit. Vielleicht sollte man sich diesen Vorschlag aus der Kultur ja mal als Modell für die Europäische Union durch den Kopf gehen lassen. Vorausgesetzt, genau die Personen sind an der Macht, die es im Film auch sind. Abgesehen davon: Im Unterschied zu "50 Shades of Grey" hält dieser Film locker zwei Stunden durch. Die Sexszenen sind in beiden vernachlässigungswürdig. Dabei sorgt eine neue Optik dafür, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

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          • 4
            über Selma

            Gleich bekommt Martin Luther King den Friedensnobelpreis. Es ist das Jahr 1964, der US-Pastor und hält seine legendäre Rede: "We shall overcome", mit der er die Zustände in seinem Heimatland anprangert, in deren südlichem Teil Schwarze auf offener Straße getötet werden können, ihnen das Wahlrecht versagt wird, obwohl es Gesetz ist.
            Ava DuVernay setzt den legendären Vorkämpfer des gewaltlosen Widerstands in Szene. Sie folgt King in die Stadt Selma, wo Aktivisten den Widerstand gegen Rassendiskriminierung vor Ort organisieren. Die Polizei dort ist besonders gewalttätig - wenn die Bürgerrechtsbewegung hier erfolgreich ist, so die Überlegung, kriegen die mordsüchtigen Weißen kein Bein mehr auf die Erde. Dafür müssen sie eigentlich nur das tun, wofür sie bekannt sind: ihre Brutalität ausleben.
            Zeitgleich verhandelt King mit dem Präsidenten Lyndon B. Johnson, wie die Rechte der afroamerikanischen Minderheit durchgesetzt werden können. Die Szenen im Weißen Haus zählen – leider – zu den besten des Films: Denn hier werden Widersprüche offenbar. Während die Figuren im Rest dieses wichtigen Films trotz liebevoller Ausstattung recht eindimensional daher kommen. So bleibt nur der Anfang furios.
            Und es mag ja logisch sein, dass man einen Meister der gewaltlosen Worte die meiste Zeit beim Reden zeigt, unterbrochen nur von den immer gleichen Prügelorgien der Polizei, ein bisschen FBI und einer zickigen Ehefrau. Im Ergebnis ist dies jedoch recht bildarm. Etwas mehr Stilvielfalt mit erzählerischen Nebensträngen wäre womöglich überzeugender gewesen.

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            • 7

              Der Schacht Konrad hat seine Anwohner schon vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte getrieben. Kein Wunder: Der alte Stollen bei Salzgitter soll als Atommüllendlager dienen.
              Wenn in den vergangenen Jahren irgendwo Radioaktivität drauf stand, war meist die Repression nicht weit. Der Atombetrieb fordert seinen Tribut. Hunderttausende Tonnen Material müssten sicher gelagert werden – und sicher heißt: mindestens für die nächsten 100.000 Jahre.
              Welche Folgen das hat, lotet der Film „Auf der Suche nach dem sichersten Ort der Welt“ aus. Regisseur Edgar Hagen nimmt uns mit auf eine lustige Reise durch die Erdschichten. Er folgt dem Wissenschaftler Charles McCombie, der auf der Suche nach einer passenden Endlagerstätte ist. Unterwegs lernt man Fachleute kennen und Menschenrechtsaktivisten wie Russell Jim von der Yakama Indian Nation. Auf dem Gelände, wo die früher lebte, befinden sich die Reste der Atombombenherstellung im Zweiten Weltkrieg. Dass damals keine Rücksicht auf die aus Indianersicht sakralen Status des Geländes genommen wurde, geschenkt. Die Krebsrate ist dementsprechend. Man hätte trotzdem mal besser hinschauen sollen, sagt Jim: Der heilige Berg ist aus Basalt und neigt zu Rissen, seit neuestem sickert der Müll in den Columbia River.
              In Hagens Film geben sich Gesundheitspolitiker, Umweltschützer und Menschenrechtsexperten zwischen Australien und Lüchow-Dannenberg ein Stelldichein. Der hochinteressante Film stellt jede Menge Fragen über die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, Bürgerrechte heute und morgen.

              • 6

                "Ich glaube an Gott. Weil ich ihn fürchte!" Der junge afghanische Soldat macht sich über seine Arbeit keine Illusionen. Ein 24-Stunden-Einsatz wird das hier, haben die Vorgesetzten gesagt. Eine Texteinblendung korrigiert: Es werden 45 Tage.
                Wie sich die Armee Afghanistans bei der Sicherung ihres Landes - und was Politiker dafür halten - schlägt, das ist das Thema des Dokumentarfilms „Tell Spring Not to Come This Year“.
                Die Regisseure Saeed Taji Farouky und Michael McEvoy begleiteten die Soldaten bei Übungen und auf ihren Einsätzen in der Provinz Helmand. Jetzt, wo die internationalen Truppen abgezogen sind, kämpfen sie gegen die Taliban. Zwischendrin schildern die Männer ihre Vorstellungen von Gegenwart und Zukunft. Die Arbeitslosigkeit hat sie in die Armee getrieben.
                Die Kamera ist dabei, wenn sie sich in den Unterkünften langweilen wie auch in den Gefechten. Und zwar so nah dran, dass man sich wundert, wie die Filmemacher ihre Arbeit überlebt haben. Den Soldaten gelingt das nicht immer. Der Film enthält sehr explizite Szenen, Menschen werden vor laufender Kamera angeschossen.
                Auch ansonsten gilt: Der Alltag ist irrwitzig. So durchforsten die Einsatzkräfte riesige Opiumplantagen auf der Suche nach jenen Aktivisten, die jede Nacht auf die Kaserne schießen – als wäre es ein Jugendstreich. Was werden sie hier ausrichten? Das gefährliche Leben bringt durchaus realistische Einschätzungen hervor. "Wir haben keine Angst! Sondern unseren Sold nicht bekommen", sagen sie. Und das seit neun Monaten.
                Der Frühling soll nicht kommen, heißt es im Film. Sonst überdecken die Blumen, und allen voran die Mohnblumen für die Opiumproduktion, das Leid. Spätestens dieser Kommentar macht das Werk wohl zu einem erklärten Antikriegsfilm.

                • 3 .5

                  Brad Pitts neuer Film bringt sich recht philosophisch auf die Leinwand. Das Drama um eine amerikanische Panzerbesatzung, die 1945 die Nazis in Deutschland zusammenhauen soll, versteht das kämpferische Engagement vorrangig als industriellen Vorgang. Sprichwörtlich am Beispiel des jungen Rekruten Norman, der fast, aber nicht ganz aus Versehen im Krieg landet. Er ist ausgebildet als Schreibkraft. "Ich schaffe 60 Wörter pro Minute." Als nächstes zeigt er sich ganz flott auf dem requirierten Klavier, anschließend am Panzer-MG. Eigentlich will er nicht im Krieg sein, dafür macht er sich aber ganz gut – nachdem ihm Panzerkommandant Brad "Wardaddy" Pitt gezeigt hat, wie man Kriegsgefangene erschießt. Die Schreibmaschinengewehrtaktung behält er bei – 60 Töne oder Tote in der Minute. "Kriegs-, Fick- und Saufmaschine" heißen ihn die Kameraden bald – nom de guerre: "Machine". So verbindet der Film die Angestelltenkultur der Vorkriegszeit mit dem industriellen Töten.
                  "Herz aus Stahl", der Titel trifft's ganz gut. Überhaupt lernt man eine Menge über Panzer im Einsatz, natürlich ist die Kiste etwas veraltet. Wie Wardaddy Pitt auch recht angejahrt erscheint. Wird der nie befördert?
                  Übers Drehbuch guckt ja auch keiner. Vor allem in der zweiten Halbzeit gehorcht das Werk schlechteren Hollywood-Gewohnheiten. Dies hätte ein besserer Film sein können. Ob es ein Happy-end gibt oder nicht? Schaut selbst, wie dieser Zweite Weltkrieg ausgeht.

                  • 3

                    Hochzeit, große Torte, Konfetti-Regen: Im Hotel Vier mal Schwuppdiwupp steppt die Luzie. Der Blick fährt durch den Festsaal, landet im Gang, verweilt bei den Kellnern, schaut durch die Küche, landet in der Spülabteilung.
                    Je weiter sich die Kamera in die Tiefen der Sterne-Gastronomie vorwagt, desto dunkler werden die Menschen. Vorn tanzt weiße Oberschicht, hinten putzt Südsahelzone. Danach kommen nur noch die Mülltonnen. Wäre der Film „Heute bin Samba“ hier zu Ende, es winkte der Auslands-Oscar.
                    Samba (Omar Sy) ist ein Riesenkerl, der schon zehn Jahre in Frankreich verbringt. Ein Illegaler, ein Arbeitsmigrant, der seiner Familie Geld schickt, das er in Sans-Papier-Hinterhöfen verdient. Nun soll er abgeschoben werden.
                    Erstaunlich lange hat man das Gefühl, das könnte hier noch was werden. Die Filmemacher leuchten viele Ecken des illegalen Prekariats aus, und gar nicht schlecht. Fensterputzer, Security, Asphaltierer – Samba absolviert eine Tour de Force durchs Tagelöhnertum. Gut gemacht!
                    Dann wird's Slap und vor allem Sticky: Im Hilfeverein trifft er die Burn-out-geschädigte Karriere-Tussi Alice (Charlotte Gainsbourg), die ihr Ehrenamt als Sinn-Reha versteht. Es knistert zwischen schönem Mann und schöner Frau; erweist sich doch der gute Senegalese als einfühlsamer Therapeut (Psycho wie Physio). Eine Menge Skurriles geschieht und so lustige Menschen drumrum: die schlagfertige Pariserin, der lustige Wuschelkopf… Nun schaut auch die Polizei vorbei, aber schon zwinkert die ganz verschmitzt!
                    Das erinnert ein bisschen an "Ziemlich beste Freunde", was kein Wunder ist, teilen sich doch beide Filme Regie und Hauptdarsteller. Wurde ersterer mit seinen politischen Unkorrektheiten in der Gegenüberstellung Proll-Ausländer - reicher Behinderter zum Erfolg, richtet es bei „Samba“ die Kombi Aufenthaltsbescheinigung trifft unterfickte Karrierefrau.
                    Hoffentlich stimmt das auch alles! Manchen schwant da was - die Schauspieler sind ganz schön am schauspielern, Gainsbourgs Augen ganz groß vor so viel Realität. Vielleicht doch noch mal ein Kurs belegen an der Lee-Strasberg-Schule? Der allzu smarte Omar Sy sollte sich mal nach einer Rolle als reicher Schnöselrapper umsehen.
                    Fazit: Schau an, jetzt dreht man auch in Frankreich schon deutsche Komödien. Aber vielleicht ist das alles ja auch genau richtig so. Und gerade - und nur! - das banalisierte Migrantenschicksal erwärmt die Herzen in großer Menge.

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                    • 6 .5

                      Ein Kniefall ist der Film nicht. Im Mittelpunkt steht immer wieder die Frage nach den von Mandela eingeführten Wahrheitskommissionen, die das Unrecht der Apartheid-Zeit aufarbeiten sollten. Reicht es wirklich, wenn Täter zugeben, was sie gemacht haben, und im Gegenzug Straffreiheit erhalten? Mandelas Devise lautete: Vergeben statt vergessen. Schöne Sache, meint Charity Kondile, deren Angehörige Opfer der weißen Polizei geworden sind: „Wir wurden massiv gedrängt zu vergeben.“
                      Ist Mandela mit der Versöhnung zu weit gegangen?, fragt Regisseur Matabane, der hier das Idol seiner Jugend erforscht. Und zugleich in eine äußerst verwirrende Gegenwart schaut.

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                      • 7

                        Der Film erzählt vielschichtig von Gewalterfahrungen junger Frauen in Äthiopien. Mädchenentführung in afrikanischen Ländern – besonders seit die terroristische Gruppe Boko Haram in Nigeria im April 2014 200 junge Frauen in ihre Gewalt brachte, ist diese alte Praxis in die Medien geraten. Auch in Äthiopien kommt es vor, dass die Tochter auf einmal verschwindet. Denn auf dem Land gilt nach wie vor die Tradition der „Telefa“, die Entführung zum Zweck der Eheschließung. „Das Mädchen Hirut“ (im Original: Difret) von Regisseur Zeresenay Berhane Mehari spielt dies an einem echten Fall aus dem Jahr 1996 durch.
                        Hirut will nicht nur Opfer sein, sie leistet Widerstand: Sie erschießt den Entführer und Vergewaltiger mit dessen eigenem Gewehr. Nun droht ihr die Todesstrafe.
                        Meaza Ashenafi, eine engagierte Anwältin, die in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ein Netzwerk zur Unterstützung mittelloser Frauen gegründet hat, übernimmt Hiruts Verteidigung - und sieht sich bald selbst Angriffen ausgesetzt.
                        Viel Zeit nimmt sich der Film, ein Bild Äthiopiens an der Grenze zur Moderne zu zeichnen. Es ist auch ein Kampf um Zukunftschancen, um Menschenrechte und Bildung: Was sagen Eltern, Nachbarn, Angehörige, was sagt der Staat? Der Film gibt einen differenzierten Einblick in eine Gesellschaft im Wandel und schildert einen grundsätzlichen Konflikt, der auch in anderen Ländern virulent ist.

                        • 6

                          Regisseur Damian John Harper wirft einen Blick auf die schwierigen Lebensverhältnisse im Schatten des gelobten reichen Nordens. Weil Staat und Ökonomie wenig Alternativen bieten, etablieren sich klandestine Strukturen – beileibe auch nicht gerade eine Garantie für ein besseres Leben. Wie so viele steckt der junge Protagonist in einer Zwangslage.
                          Dabei filmt Harper die, die von diesem Leben Ahnung haben: Viele Szenen wurden in dem kleinen Dorf Santa Ana del Valle gedreht, dessen Bewohner zugleich die Darsteller dieses semidokumentarischen Spielfilms sind.
                          Groß anstrengen mussten sie sich nicht: Der Film soll das tägliche Leben in der Region Oaxaca im Süden Mexikos abbilden. Im Ergebnis gibt's durchaus schon mal langwierigere Passagen, die Dramaturgie verirrt sich zuweilen – aber so ist er, der prekäre Alltag in einem Land, das sich hier zum Abhauen schlimm präsentiert.

                          • 6 .5

                            Einerseits gibt es die Spielwiese für die Älteren - die Börse. Dafür stehen Dino und Giovanni. Die prekäre Ökonomie der Kulturszene und ihre haarspalterischen Diskurse repräsentiert Carla mit ihren Mitstreitern. Das Thema Berufseinstieg und Zukunftsplanung im gegenwärtig gebeutelten Italien diskutieren Serena und ihre Klassenkameraden. Für Erotik, Aggression und rasante Action sorgen wiederum alle zusammen.
                            Hier will man keine Sekunde verpassen. Die interessanten Wendungen, intelligenten Lösungen und Dialoge fesseln an die Handlung. Die dargestellte recht reduzierte Welt der Wirtschaft setzt der Regisseur mit perfekter Fotografie, Dramaturgie und immer wieder tollen Schauspielern in Szene. Er macht es, indem er die Ökonomie als Beziehungsgeflecht von Abhängigen darlegt. Geld, das sind wir schließlich alle.

                            • 6 .5

                              Leben mit freien Tieren in der Natur – und die Konzerne warten schon: Der Film „Die Hüter der Tundra“ erzählt von einer bedrohten Lebensweise auf der russischen Kola-Halbinsel.
                              Im Mittelpunkt steht, neben der grandiosen Landschaft, das Leben im Dorf Krasnotschelje. Ihm droht das Schicksal, das schon 13.000 andere Landsiedlungen in Russland ereilt hat:von der Landkarte zu verschwinden. Dabei ist dies der Ort einer einzigartigen Kultur, wie Harders Protagonistin Alexandra Artiewa betont: fast autark, kaum Müll, im beinahe ewigen Schnee. "Russland, du Gefrierschrank", sagen die Bewohner liebevoll.
                              Den Film versauen mit O-Tönen von Konzernmanagern und hochrangigen Entscheidern wollte Harder sich wohl nicht. Warum auch? Norwegen ist mittlerweile aus dem Projekt ausgestiegen, der neue Kolchosen-Teilhaber investiert in die Rentierzucht, eine neue Schule ist in Bau.
                              Lieber mehr Tier – „Die Hüter der Tundra“ ist nicht nur ein Lehrstück über Opposition in fast aussichtsloser Lage, sondern auch ein Meilenstein auf dem Gebiet der Rentierkinos.

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                              • 6 .5
                                über Bekas

                                Karzan Kader behandelt in seinem bildgewaltig fotografierten Film „Bekas“ das Thema Migration am eigenen Beispiel - die Story basiert auf biografischen Erfahrungen des Regisseurs. Der Zuschauer lernt eine feindliche Welt kennen, die in jeder Situation Intelligenz erfordert.

                                „Bekas“ - das ist spannendes Schauspiel mit dem topaktuellen Thema Flüchtlingsschicksal. Das Beispiel der beiden Kinder steht für 50 Millionen Menschen, die derzeit weltweit aus unterschiedlichen Gründen auf der Flucht sind.

                                • 6 .5

                                  Der mauretanische Regisseur Sissako erzählt nicht ohne Sinn fürs Absurde: Kitanes Kuh heißt "GPS", und wenn die Dschihadisten mal Pause vom heiligen Krieg machen, stehen sie in der Raucherecke und diskutieren. War Zidane der bessere Fußballer oder ist es Messi?

                                  Sie erscheinen als erwachsene Kleinkinder. "Timbuktu" ist ein bildhaft subtiler, inhaltlich sehr expliziter und vor allem topaktueller Film.

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                                  • 2

                                    Die Geschichte um den verschrobenen Qohen Leth, der die Null ausrechnen soll, die für die letzte Frage der Menschheit steht, packt einen nicht. Sie verharrt beinahe ausschließlich in einer ausrangierten Kirche. Dort kämpft der Computerarbeiter mit „Management“, einer diffusen, aber gut angezogenen Überwachungsinstanz. Seit Jahren wartet Qohen auf einen wichtigen Anruf; und sollten seine Forschungen erfolgreich sein, stellt ihm sein Auftraggeber die Erfüllung seiner Wünsche in Aussicht. Störend wirkt sich da der Besuch der Internetstricherin Bainsley aus - eine Cindy Lauper auf Speed, die ihn recht freizügig ablenkt. Um seine Geschichte in Szene zu setzen, benutzt Gilliam recht ausrangierte Bilder. Quohen trägt einen Virtual-Reality-Ganzkörperanzug, den die Hobbits genäht haben könnten. Die Storyline sagen die Figuren mit dem Vokabular alter Rechner im Gestus eines antiimperialistischen Agendasettings („die da oben“) auf. Oh mein Gott, sie haben einen Riesenzentralcomputer! Der alles kontrolliert! Aussehen tut er wie die Dampfturbinen in der Titanic, laufen tut er, glaub ich, mit Kohle. Und die Gedankengebäude, die Qohen im Terminal zusammenbaut, gemahnen an Atari-Tetris.
                                    Ergo: Internetkritik für Leute ohne Internet. Am härtesten von allem aber ist die Schauspielertruppe. Mit Christoph Waltz und Tilda Swinton sind die Spitzenkräfte des verkleideten Overactings am Start.

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                                    • 7 .5

                                      Wenn Volpe so weitermacht, entsteht vielleicht mal etwas wirklich Großes. Warum ihren Film nicht als Plädoyer verstehen für die von ihr unterstützte Initiative »Pro Quote«, die den Anteil von Regisseurinnen bei der Filmförderung anheben will? Von den 62,5 Millionen, die der Förderfonds 2013 vergeben hat, gingen knapp sechs Millionen an Regisseurinnen und etwas mehr als 56,5 Millionen an Regisseure. Und die haben jede Menge Stuss gedreht. Den sucht man in »Traumland« vergeblich. Da gibt es Witz, Ironie, Härte. Die Themen orientieren sich an dem an der Beziehungskomödie geschulten deutschsprachigen Kino: Beziehungen, Liebe, Erotik. Daraus und aus dem Rest holt die Regisseurin dann das Beste heraus.

                                      • 7
                                        über Pride

                                        Was der Film mithin mehr hätte beleuchten können, ist die politisch-administrative Ebene. Warum und wieso ganz Großbritannien von den Konservativen ökonomisch und politisch umgestrickt wird, das bleibt zumeist im Dunkeln. Thatcher hört man dann und wann aus dem Fernsehen quaken, hin und wieder gibt’s Zeitungsschlagzeilen.
                                        „Pride“ möchte stattdessen die gesellschaftlichen Wendepunkte in seinen Figuren aufzeigen, in der Entwicklung der einzelnen Charaktere. Die Gewerkschaften mussten sich unter Druck gesellschaftlichen Strömungen öffnen, Minderheiten lernten den sozialen Kampf im Kollektiv. Wie sich hier relevante Berührungspunkte zu erkennen geben, davon erzählt der Film. Aber er erzählt auch davon, wie schwierig es ist, in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft Gemeinschaften herzustellen.
                                        „Pride“ erzählt viel in den zwei Stunden und als Komödie hat er gut zu enden. Er lässt aber ahnen, dass es solche solidarischen Aktionen nicht allzu oft gibt und wohl auch nicht geben wird, denn Gegenwind weht immer, oft aus nicht vorhersehbarer Richtung: Die Schwulen der LGSM-Initiative werden bei der Gay-Parade im Jahr darauf ans Ende des Zuges verbannt. Erst als die Arbeiter aus Wales zur Unterstützung kommen und die Zugspitze übernehmen, werden sie von ihren unpolitischen Parade-Organisatoren ernst genommen. Ein kleines Happy-End einer leider sehr seltenen Geschichte.

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                                        • 7 .5
                                          über Geron

                                          "Geron" ist ein ernster, sehr schöner Film, seine Helden sind einsame Individuen inmitten verdichteter Diskurse. Pornoszenen gibt es keine in diesem exorbitanten Werk. Das mag die Fans stören – aber ohnehin werden sie sich jemand Neues suchen müssen. LaBruce scheint entschieden zu haben: Das brauche ich nicht mehr – expliziten Sex wie Erwartungen. Sie könnten den Blick aufs Menschsein verstellen.

                                          • 6

                                            Der Film, der etwas an Bildarmut leidet, weil er sehr auf seinen Protagonisten fixiert ist, ist mit guter Absicht gedreht: So hat Obert zeitgleich das „Bayaka Project“ gegründet – mit ihm will er Louis Sarno und seine Nachbarn unterstützen und für Finanzen sorgen, um zu einer besseren Versorgung mit Medikamenten, Nahrungsmitteln und Schulbildung beizutragen.
                                            Und natürlich zum Erhalt des vielstimmigen musikalischen Erbes der Bayaka - traurig genug: An viele Lieder erinnert sich schon keiner mehr – sie existieren nur noch als Aufnahme in Sarnos Archiv.

                                            • 6 .5

                                              Ausnahmsweise mal was anders: Ein Interview mit dem Regisseur!

                                              Der Film „Praia do Futuro“ von Karim Aïnouz ist eine globale Migrationsgeschichte. In Brasilien wird er nur mit Warnung auf seinen homosexuellen Inhalt gezeigt.

                                              Das Wasser ist das Element Donatos (Wagner Moura) und das Meer sein Zuhause. Als zwei Männer in eine gefährliche Strömung geraten, kann er den deutschen Touristen Konrad (Clemens Schick) retten. Der brasilianische Rettungsschwimmer und der deutsche Motorradschrauber kommen sich bald näher – explizite Szenen sind durchaus vorhanden.
                                              Donato folgt Konrad nach Berlin und damit in eine Stadt, die nicht am Meer liegt, in der er sich neu erfinden will: Die Szene, in der er als Taucher das riesige Fischbassin im Aquadom schrubbt, ist schon seit der Premiere auf der diesjährigen Berlinale legendär. „Praia do Futuro“ ist eine Geschichte über Migration und Zukunftschancen – als intensive Verbindung zweier Nationalitäten. Der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz, der seit 2009 in Berlin lebt, ist in seiner Heimat seit dem Film „Madam Satã“ (2002) über die Drag Queen João Francisco dos Santos eine Kinolegende.

                                              HERR AÏNOUZ, WIE KAM „PRAIA DO FUTURO“ BEIM BRASILIANISCHEN PUBLIKUM AN?
                                              Eigentlich prima. Bisher haben ihn 150.000 Menschen gesehen! Die meisten Reaktionen waren positiv. Ich sag mal: Das ist ein guter Einstieg.

                                              ES GAB ABER AUCH RECHT FEINDSELIGE EINWÄNDE…
                                              Ja, leider. Es gab sogar mehrere richtige Zwischenfälle. So wurde ein Ticketverkäufer von einigen Kinobesuchern in der Stadt João Pessoa schwer angegangen und physisch bedroht. Die Gruppe verließ den Film in der Mitte der Aufführung ziemlich erbost - die Begründung: Niemand habe ihnen gesagt, dass dies eine schwule Liebesgeschichte sei. Sie würden sich davon belästigt fühlen. Da haben sie sich den Verkäufer vorgeknöpft. Seitdem tragen die Tickets einen Stempelaufdruck, der bedeutet, dass der Verkäufer auf den schwulen Kontext des Films hingewiesen hat. Ähnliche Vorfälle sind aus anderen Städten bekannt geworden. Allerdings berichtete die Presse ausführlich darüber. Von verschiedener Seite wurde der Film verteidigt und die Reaktionen als homophob identifiziert. Das sind sie ja auch: Ich habe noch nie davon gehört, dass bei „Romeo und Julia“ darauf hingewiesen wird, dass dies ein Film mit explizit heterosexuellem Inhalt ist.

                                              WAR DIES DER ERSTE BRASILIANISCHE FILM ÜBER SCHWULE?
                                              Nein. Es gab schon mehrere Filme und auch in einer sehr beliebten Telenovela, die derzeit läuft, gab es kürzlich ein schwules Pärchen.

                                              WIE SIND DANN DIE KRASSEN REAKTIONEN ZU ERKLÄREN?
                                              Brasilien ist sehr widersprüchlich: Wir haben eine der größten CSD-Paraden der Welt. Das Land hat aber auch eine der höchsten Verbrechensraten. Wer weiß, was das zu bedeuten hat - aber so ist die Situation derzeit.

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                                                Der Dokumentarfilm „Concerning Violence“ hat dieses Jahr den Berlinale-Sonderpreis „Cinema fairbindet“ gewonnen. „Fair“ passt aber nicht so recht auf dieses Werk. Er besteht aus ungewöhnlichem und aus ungewöhnlich brutalen Filmmaterial. Geht es doch um „Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence“, wie der Untertitel lautet; Szenen aus den afrikanischen Befreiungskriegen und Streikaktionen der sechziger bis achtziger Jahre in Angola, Mozambique, Liberia und Tansania.
                                                Regisseur Göran Hugo Olsson, der sich einen Namen mit „The Black Power Mixtape 1967-1975“ gemacht hat, gräbt unbekanntes Archivmaterial aus. Es sind Szenen vom Krieg, von zerrissenen und verbrannten Soldaten und Zivilisten. Da wird mittels Brandbomben der Regenwald sichtfrei gemacht und die Kolonialherren aus Portugal oder England treten gnadenlos auf. Olsson will zeigen, was Gewalt ist und wie sie in dieser Zeit angewandt wurde.
                                                Derweil sagt Sängerin Lauryn Hill Texte des antikolonialen Theoretikers Frantz Fanon auf. Angesichts der schlimmen Bilder plädiert der Autor für Gerechtigkeit in der Welt. Wichtige Passagen werden im Film eingeblendet.
                                                Ob Hills unablässige, ein- wenn nicht aufdringliche lautstarke Rezitationen dabei eine gute Idee waren, sei dahingestellt. Hier wird Sterben effekthascherisch instrumentalisiert. Klassische Dokumentarfilmarbeit wäre durchaus angebracht gewesen. Die Bilder hätten als eminent wichtiges Filmdokument für sich allein gesprochen.

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                                                  Wie sich Menschenwürde mit einer durch Ökonomie bestimmten Lebensform in Einklang bringen soll, ist wohl ein großes Rätsel. Das jedenfalls denkt sich der Journalist und Regisseur Peter Scharf – angesichts einer Entzündung im Fuß, die ihn vom einen auf den anderen Tag zum Krückenläufer macht. „Was bin ich wert?“, will er wissen. Leicht konsterniert lässt er sich von Profis durchrechnen - Wissenschaftler, Ärzte, Anwälte.
                                                  Rein chemisch betrachtet kommt der Körper auf 1500 Euro. Kohlenstoff bringt am meisten.
                                                  Im Zuge seiner Recherchen landet Scharf auch bei einer Gruppe Männern in Moldawien, die sich aus Geldnot als Nierenspender – macht 3000 Dollar pro Stück - betätigt haben. Einer von ihnen sagt: „Man ist irgendwie nicht mehr derselbe.“
                                                  Die Berechnung des Menschenwerts spielt bei Unfällen eine Rolle, beim Klimaschutz, gefallenen Soldaten. In Kiew, New York, bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse - „Humankapital“ nennt es die Wirtschaft. Berechnungsgrundlagen ergeben sich auch bei Lösegeldzahlungen, Prostitution und Leihmutterschaft. Scharf interviewt die führenden Anwälte in den Schadenersatzprozessen von Costa Concordia und 9/11. Und was ist der Mensch im Osten der schottischen Stadt Glasgow wert? „Nicht allzu viel“, teilt Shaun, ein ehemaliges Gang-Mitglied, mit.
                                                  Das Individuum als Rohstoff, Sondermüll, Lösegeldzahlung: Scharfs kleine Episoden malen ein düster-heiteres Porträt des Seins: Welche Menschenrechte hat eigentlich eine Ware?
                                                  Ein schönes kleines Self-Documentary, das neben belastbaren Zahlen mehr Fragen als Antworten präsentiert.

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                                                    "Besser als nix" präsentiert eine ganze Riege sehr guter Schauspieler und Schauspielerinnen mit großer Leinwandpräsenz. Ihnen zuzuschauen ist eine Freude, man ist traurig, dass der Film nicht drei Stunden dauert.
                                                    Dass hier manche Sachen leider recht schlecht funktionieren, macht den Film eigentlich noch sympathischer: So ist der Einsatz der Musik oft etwas eindimensional. Wenn einer weint, gibt’s traurige Gitarrenmusik, haben alle gute Laune, läuft irgendein Feel-Good-Kram. Am besten hätte man sie weggelassen - außer in der Szene rund um Mikes Leiche im Beerdigungsinstitut, die dann wieder zu den besten Disko-Szenen im deutschen Kino gehört. Wo Licht ist, da klappt es eben auch mit dem Schatten. Eine seltsam aussehende Bierwampe, wie man sie Wotan Wilke Möhring unters T-Shirt getackert hat, ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, wer mag bloß auf diese Idee gekommen sein...
                                                    An einigen Stellen scheint die Geschichte in die fürs deutsche Kino typische Lachhaftigkeit zu verfallen, droht manchmal wie Rosamunde-Pilcher zu trivialisieren. Aber in den meisten Fällen kriegt "Besser als nix" die Kurve.
                                                    Schließlich wird man lange nach einem Spielfilm suchen müssen, in dem die Darstellung eines Ausbildungsgangs mit solcher Aufmerksamkeit für die Fragen nach beruflicher Orientierung gelungen ist. Die Jugend träumt vom schönen Leben - sie muss es. Auch wenn regelmäßig die Erdung kommt: "Besser als nix".