Margarethe von Trotta hatte ihre Vision von Hildegard von Bingen

24.09.2009 - 12:00 Uhr
Regisseurin Margarethe von Trotta am Set
Concorde Filmverleih GmbH
Regisseurin Margarethe von Trotta am Set
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Im Interview spricht die Filmemacherin Margarethe von Trotta über ihre Herangehensweise an die Figur Hildegard von Bingen und ihre Arbeit an dem Film Vision.

Ab heute ist Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen von Margarethe von Trotta zu sehen. Hier beantwortet die Regisseurin Fragen zu ihrem neuesten Film.

Wann und wie ist Ihnen der Name Hildegard von Bingen erstmals bewusst begegnet – und was hat das seinerzeit bei Ihnen bewirkt?
In den 1970er Jahren haben die Frauen im Verlauf der Frauenbewegung nach Vorbildern in der Geschichte gesucht. Weibliche Vorbilder gab es damals nicht viele – Geschichte wurde von Männern geschrieben und von Männern gemacht, die Geschichte der Frauen wurde nicht erzählt, Frauen wurden ausgegrenzt als hätten sie nie eine Rolle gespielt. Bei dieser Suche nach den vergessenen Frauen stießen wir auch auf Hildegard von Bingen. Einige Zeit später erschien, ich glaube beim Verlag 2001, ein Buch über Chemie in Lebensmitteln.

Viele Menschen wandten sich damals der alternativen Medizin zu und beschäftigten sich mit der Wirkung von Heilpflanzen. In diesem Zusammenhang tauchte erneut Hildegards Name auf. Ich fing also schon damals an, mich für sie zu interessieren, noch bevor ich das Drehbuch zu Rosa Luxemburg schrieb. Das war 1983. Und bereits in dieser Zeit habe ich mich gefragt, ob ihr Leben nicht ein Stoff für einen Film sein könnte, ich hatte sogar schon einige Szenen geschrieben, vermutete aber, dass kein Produzent bereit sein würde den Film zu machen. Also ließ ich den Gedanken wieder fallen.

Wo liegt der Reiz für Sie persönlich, einen Film über Hildegard von Bingen zu drehen, einer Nonne aus dem Mittelalter?
Nun ja, zunächst einmal gehört sie zu unserer Vorgeschichte, und sie ist für mich ein, heute würde man sagen, Multitalent. Sie ist Visionärin, aber zugleich völlig bodenständig. Eine hoch intelligente Frau, die ihr Licht aber unter den Scheffel stellen musste, weil man einer Frau und Nonne nicht zugestand, sich öffentlich zu äußern. Die einzige Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern, war die einer vom Papst anerkannten Visionärin. Aber auch darin ist sie eine Ausnahme. Es gab zu der Zeit viele Exzentrikerinnen, die sich in eine religiöse Ekstase hineinsteigerten und ihre Begegnung mit Christus im Rausch erlebten. Hildegard von Bingen erlebte ihre Visionen bewusst und bei klarem Verstand. Sie muss ein sehr starkes Unterbewusstsein gehabt haben, das ihr die Richtung anzeigte, wie sie sich durchsetzen konnte.

Natürlich glaubte sie an Gott und daran, dass ihr die Visionen von Gott gesandt waren, alle Menschen glaubten an Gott, den Teufel, das Paradies und die Hölle. Interessant ist dabei für mich, wie Hildegard von Bingen ihre Vision benutzt hat. Als Frau und Nonne war man eigentlich unbekannt und untergeordnet, man hatte unsichtbar zu sein und zu bleiben, und war zusätzlich noch in ein Kloster eingeschlossen, das man nach der Profess nie mehr verlassen durfte. Sie hat die Visionen ‘benutzt’, um als Seherin anerkannt zu werden, ein Schritt, der mit einer großen Gefahr für sie verbunden war, sie hätte ebenso gut exkommuniziert werden können, wenn man ihr nicht geglaubt hätte und sie als vom Teufel geleitet verurteilt hätte.

Wie hat sie es geschafft, dass die Menschen ihr Glauben schenkten?
Mit diplomatischen Geschick, denn sie kannte die Menschen und ihre Eitelkeiten, hat sie sich als ‘demütige Frau und Dienerin’ an Bernhard von Clairvaux gewandt. Zuerst also durfte sie ihre Visionen veröffentlichen und dann – das ist der größere revolutionäre Schritt – setzte sie mithilfe der Visionen durch, ein eigenes Kloster gründen zu können. Sie verließ Disibodenberg, die Provinz, würde man heute sagen und zog nach Bingen an den Rhein, damals ein ‘Verkehrs-Knotenpunkt’ in der Nähe des wichtigen Erzbistums Mainz. Pilger und Kaufleute aus dem Süden zogen vorbei und besuchten das Kloster. Sie war der Welt näher, erhielt die neuesten Nachrichten aus der Medizin und kam an das Wissen ihrer Zeit heran.

Und wo sehen Sie die besondere Bedeutung oder Aktualität ihrer Person für die heutige Zeit?
Im Film werden zwei Dinge angesprochen, die für Heute wichtig sind: Zum einen das ganzheitliche Denken in der Medizin. Sie sagt einmal: ‘Erst muss die Seele heil werden, dann kann der Körper ihr folgen’. Zum anderen der Hinweis, dass sich die Elemente gegen uns wenden könnten. Damals sprach man von Elementen, heute davon, dass sich die Natur gegen uns wendet oder uns zerstören wird, wenn wir sie nicht schützen. Diese beiden Punkte sind das Moderne an ihr. Und dann natürlich ihr Werk als Komponistin, sie hat über 90 Gesänge geschrieben.

In Ihrem Film fällt ein heiteres Singspiel aus dem sonst doch klösterlich-dunklen Rahmen heraus.
Diese Szene, ein Ausschnitt aus ihrem Singspiel “Ordo Virtutum” ist authentisch, ich habe sie in den historischen Berichten gefunden. An bestimmten Feiertagen durften sich die Nonnen bei Hildegard in weiße Seidengewänder hüllen, Schmuck tragen, die Haare öffnen und sich mit Kränzen schmücken. Das muss eine ganz fröhliche und unschuldige Mädchengemeinschaft gewesen sein. Hildegard von Bingen sagt dazu, das Paradies kannte keine Hässlichkeit, und da sie als Jungfrauen dem Paradies angehörten, durften sie sich auch ihrer Schönheit erfreuen. Es gab im Benediktinerorden zwei Richtungen, eine sehr strenge asketische, die bis zur Selbstkasteiung ging, die Hildegard ablehnte, und die dem Leben zugewandte Richtung, die aus der Religion auch Freude herausziehen wollte. Das habe ich mit ihrem “Ordo Virtutum” versucht zu zeigen.

Die Ablehnung der Vorstellung durch Leid Gott näher zu kommen wird im Film in einer Szene mit Jutta von Sponheim, die einen Dornengürtel trug, der bei der Waschung nach ihrem Tode von Hildegard von Bingen entdeckt wird, von Ihnen aufgegriffen.
Genau. In einer vorherigen kurzen Szene zeige ich, wie Hildegard schon als Kind entdeckt, dass sich Jutta von Sponheim geißelt, hoffend, durch ihren Schmerz Gott näher zu kommen. Die Entdeckung dieser Selbstkasteiung hat Hildegard von Bingen sehr erschüttert. Sie hat sich nie gegeißelt und dies auch nicht von anderen verlangt. Sie war auch gegen zu strenges Fasten. Für sie war der Glaube mit Freude verbunden und mit der Liebe zum Menschen.

Was reizt Sie immer wieder, starke Frauenfiguren in den Mittelpunkt zu stellen?
Bei den Figuren, die mich reizen, handelt es sich immer um Frauen, die auch Momente der Schwäche haben. Ich versuche deshalb nie, Heldinnen aus ihnen zu machen, sondern zeige sie, wie sie kämpferisch ihren Weg suchen, sich aussetzen, vieles in Kauf nehmen, um sich selber zu finden. Mich fasziniert dabei wie sie diese Hindernisse meistern um ihr Ziel zu erreichen. Hildegard von Bingen hatte den Wunsch ihr eigenes Kloster zu gründen und dabei erlebt sie immer wieder Rückschläge. Die Momente ihrer größten Schwäche sind wohl, wenn ihr die Nonne Richardis weggenommen werden soll. In dieser Situation benimmt sie sich wie ein kleines verlassenes Mädchen oder wie eine Furie – dieses Verhalten ist übrigens belegt durch ihre Briefe. Und genau solche Momente extremer Selbstaufgabe finde ich schön, überraschend, widersprüchlich. Was Hildegard von Bingen sonst anderen gibt, verlangt sie auf einmal für sich selbst. Ich wollte auf keinen Fall ein Heiligenbildchen von ihr machen.

Auf welche Schriften oder Überlieferungen stützen Sie sich?
Es gibt unter anderem eine Vita, die noch aus ihrer Zeit stammt, nicht von ihr selbst geschrieben, aber wohl zum Teil von ihr diktiert und ihren Lebensweg von der Geburt bis ins hohe Alter dokumentiert. Ebenso dienten ihre Schriften, wie zum Beispiel die ‘Scivias’, ihr erstes Visionsbuch und noch zwei andere über Natur- und Heilkunde als Grundlage. Zudem stützte ich mich auch auf ihre Korrespondenz mit Kaiser Barbarossa, den Päpsten und mit Äbten und Äbtissinnen anderer Klöster. Und es gibt ‘Die Regel des heiligen Benedikt’, in der sehr viele Hinweise über das Leben im Kloster der damaligen Zeit zu finden sind. Eine mit mir befreundete Mediävistin hat mir zudem gesagt, dass man sich im Mittelalter bei Vertragsabschlüssen und auch bei anderen Begegnungen auf den Mund geküsst hat. Das habe ich übernommen. Die waren nicht so puritanisch, wie wir denken, sondern hatten einen viel unbefangeneren Zugang zur Körperlichkeit.

An wen haben sie sich gewendet, um noch mehr über Hildegard zu erfahren?
Meine erste Ansprechpartnerin war die Benediktinerin Schwester Philippa Rath aus dem Hildegard-Kloster in Eibingen. Sie hat mir die Bücher genannt, die ich lesen sollte, mir besonders auch Hildegards Korrespondenz empfohlen. Ich habe ihr meine erste Drehbuchfassung geschickt, und sie hat mir einige wichtige Gedanken und Textstellen genannt, die ich im Film versucht habe unterzubringen. Natürlich konnte ich nicht alles übernehmen, dafür ist die normale Filmzeit zu kurz.

Welche Rolle spielt die Musik, nach welchen Kriterien haben Sie die ausgesucht?
Ich habe die Gesänge ausgewählt, die mir am besten gefallen haben, die mir ans Herz gingen und bei denen ich eine leichte Gänsehaut spürte, als ich sie das erste Mal hörte. Salome Kammer, die Schauspielerin und Sängerin, die auch in Edgar Reitz ’ “Heimat” mitgespielt und gesungen hat, singt zwei Lieder, als Nonne verkleidet. Ich wollte sie nicht von einer eingespielten CD nehmen, dort wirkt die Musik immer so geglättet. Und die Lieder mussten inhaltlich natürlich auch zur jeweiligen Szene passen. Zudem hatte Barbara Sukowa, die in den letzten zwanzig Jahren mehr als Sängerin denn als Schauspielerin aufgetreten ist, die Gelegenheit, im “Ordo Virtutum” ihren Part selbst zu singen.

Welche Mittel haben Sie eingesetzt, die Klosteratmosphäre so hautnah zu vermitteln?
Axel Block, der Kameramann, und ich haben lange über den Look des Films gesprochen. Wir waren uns einig, dass wir keine glamouröse Fotografie wollten. Der Film sollte nicht wirken wie die Heiligenbildchen, die man in die Bibel oder ins Gesangbuch steckt. Die Zeit ist zwar weit von uns entfernt, aber die Menschen sollten uns nahe, die Personen lebendig sein.

Quelle: Im Interview Margarethe von Trotta mit Material des Verleihers Concorde

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