Die Menschlichkeit der Antagonisten in Metal Gear Solid

30.08.2015 - 09:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Es gibt viele Gründe, sich auf Metal Gear Solid V: The Phantom Pain zu freuen. Ein Grund dürfte Hideo Kojimas Gespür für authentische Antagonisten sein. Sie schultern die Handlung und hinterfragen unsere Taten - wenn es bereits zu spät ist.

Klassische Videospiele führen uns von Level zu Level und stellen als Hürde zum Überschritt ins nächste Terrain einen Antagonisten vor. Für den Geübten selten ein Problem: Eine geeignete Taktik finden, anwenden, fertig. Eine Beziehung baut der Spieler zu den oft zu Statisten degradierten Bösewichten dabei selten auf.

Die Metal Gear-Reihe macht es anders. Schurken brauchen eine Identität, die in uns Emotionen erzeugt. Schurken brauchen ein sattes Leben mit bewegter Vergangenheit, wenn wir ihnen schon ihre Zukunft nehmen. Der stoische Charakter der Hauptfigur Snake lässt uns sehnen nach Menschlichkeit - in ihrer ausgeprägtesten Form häufig von unseren Gegnern verkörpert. Für die Qualität eines Videospiels dieser Art ist das eine Notwendigkeit.

Metal Gear Solid — In der Zwickmühle

Alaska, Bering-See: Ein U-Boot nähert sich der Atomwaffen-Entsorgungsanlage Shadow Moses Island, die abtrünnige Fox Hound-Mitglieder unter ihre Gewalt gebracht haben. Solid Snake erhält sein Briefing, unser Briefing, pirscht sich durch den unscheinbaren Hangar — und niemand hätte zu diesem Zeitpunkt erahnt, wie stark die einzelnen Boss-Charaktere in der nachfolgenden stofflichen Nebeldichte ausstrahlen werden.

Im Gegensatz zu den einfachen Soldaten sind die Bossgegner erstaunlich vielschichtig.

Treten uns Revolver Ocelot und Vulcan Raven in den ersten Kämpfen noch verhalten gegenüber, präsentiert sich der Cyborg Ninja bereits als innerlich zerrissene Persönlichkeit. Gray Fox, der bereits Jahre zuvor von Solid Snake besiegt, anschließend als Versuchsobjekt wiederbelebt und missbraucht worden war, sann nicht nach Rache. Beispielhaft für viele weitere Bossgegner verkörpert er das Motiv der Erlösung, des Handelns aus Überzeugung, der Suche nach Gerechtigkeit. Simple Rache würde keinem dieser mehrdimensionalen Charaktere gerecht.

Von ihrer eigenen harten Vergangenheit gezeichnet, gesteht sich auch Sniper Wolf ein, während sie im Schneefeld vom Schlachtfeld spricht, nur eine Marionette des Krieges gewesen zu sein. Der Krieg – ein bitteres Szenario, das sich nicht für Menschen interessiert. Hier ist kein Platz für Freunde und Familie; eigene Bedürfnisse und die Persönlichkeit ordnen sich dem Durst oberer Mächte unter.

Aller Anfang ist...leise.

Auf animierte Gefühle konnte Kojima mit der damaligen Technik kaum zurückgreifen, weshalb die Darstellung des Menschen hinter dem Bösewicht verschiedenartige Ausgestaltung erfuhr. So ertönt während Sniper Wolfs Ableben die eindringliche Metal Gear-Hymne "The Best Is Yet To Come" , Demut verschmilzt mit den fallenden Schneeflocken, bevor sich Otacons Liebesschwur der Gänsehaut-Tragik beimengt. Wer in Metal Gear Solid kämpft, kämpft immer ein Stück weit gegen sich selbst, gegen die Emotionen und Sympathien für den Kontrahenten. Jeder Bosskampf ist ein Weg der Reue.

Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty – Lady Luck im Unglück

Der Nachfolger stellte die Konventionalität einer mehrteiligen, inhaltlich aufeinander aufbauenden Videospielreihe auf den Kopf. Der charmante Pragmatismus Solid Snakes wich der Naivität des aschblonden Soldaten Raiden. Ihm gegenüber stand eine Riege von Schurken, womit Kojima seine Vorliebe für gegnerische Gruppierungen, deren lebhafte Mitglieder unabhängig voneinander handeln, wiederholt umsetzte.

Es waren die technischen Umbrüche, die Kojima neue Möglichkeiten boten, seine Vision von abwechslungsreichen Bosskämpfen weiter auszubauen. Äußerliche Qualitäten standen in einer Zeit, in der sich jeder Entwickler beim Armdrücken um das optisch beste Produkt für die damaligen Next-Gen-Konsolen beteiligte, im Vordergrund. Das dennoch gelungene Ergebnis war unter anderem ein kugeliger Fatman, der Rollschuh fahrend Wein durch einen Strohhalm trank. Zugegeben, jede rührende, menschliche Geschichte hätte sein groteskes Erscheinungsbild verfälscht.

Der Tod des Fatman

Dieser Bombenleger war nicht weniger als eine skurrile Mixtur aus sadistischem Größenwahn und strahlender Besessenheit. Der rabiate Vamp stand als zweites Mitglied der terroristischen Dead Cell-Vereinigung seinem Komplizen in nichts nach. Sein fanatischer Hang zum Chaos und dem Ende der Weltordnung dienten ebenfalls zur Entmenschlichung — aus gutem Grunde. Erst Fortune, die einzige Frau im Bunde, vereinte den bewährten emotionalen Sprengstoff auf sich, der in dem furiosen Finale schließlich detonierte. Was für eine eindrucksvolle Frau: Von mystischen Klängen umgeben, einem umschweifenden Kugelhagel, und dieses riesige Gewehr voller zuckender Blitze!

Vielleicht ist sie sogar die tragischste, die menschlichste Figur unter den Metal Gear-Bösewichten. Auch ihrem Charakter liegt eine nachvollziehbare Motivation zugrunde. Zerfressen von Verzweiflung darüber, dass alle Mitstreiter sterben und nur sie im Krieg als scheinbar Unsterbliche zurückbleibt und der Einsamkeit ausgesetzt ist, wird ihr herzlicher Charakter um eine konträre Facette erweitert. Ihr natürliches Hervorstechen regt mit Verständnis und Mitgefühl zwei wahrlich menschliche Eigenschaften an. Fortune stirbt als stolze, ungebrochene Frau durch die feige Hand unseres größten Widersachers Liquid Ocelot. Viel bedeutsamer aber ist: Fortune stirbt als Mensch.

Metal Gear Solid 3: Snake Eater – Das Ende einer Partnerschaft

Am effektivsten entfaltet sich das Schleich-Element der Metal Gear-Reihe in den geschlossenen Räumen, in der Enge der Umgebung mit der Dunkelheit als Respekt für das schlichte Geheimnis — eine Anlage, wie Shadow Moses Island sie war. Der lichte Dschungel im 3. Teil forderte Umgewöhnung ein, ebenso das eher missglückte Heilungs-Menü, aber die Geschichte des 2004 erschienenen Ur-Prequels wusste inszenatorisch erneut bis ins Mark zu durchdringen.

Alt aber gefährlich: The End

Kojima nutzte die Zusammenstellung der sogenannten Cobra Unit, der gleich sechs Mitglieder angehörten, um die Bosse mit ihrer Umgebung verschmelzen zu lassen, was auf den altersschwachen Scharfschützen The End sogar wortwörtlich zutraf. Der visuellen Unterhaltung zuliebe rückte das sonst so interessante Innenleben der Gegenspieler in den Hintergrund, nicht ohne dabei die Anführerin, The Boss, mit dem Kontrast der Selbstlosigkeit als treibende Kraft zu belegen. Wegen der geschickt gewählten emotionalen Blässe der anderen Schurken, getrieben von Machthunger und Todeslust, grenzt sie sich von ihren Verbündeten ab. Sie gibt ihr Leben für ein hohes, aufrichtiges Ideal, und wieder finden wir uns in der Misere wieder, einer kalten Logik des Krieges folgen zu müssen.

Der Endkampf im weiß glitzernden Lilienfeld lässt das unrühmliche Verhängnis einer partnerschaftlichen, endenden Liaison erleiden, und natürlich folgt nach dem Abspann noch ein Twist, ein Ausblick, der Cliffhanger. Jedes Ende ist ein Anfang. Ein kleiner Trost.

Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots – Die Sirenen des Krieges

Kehrte mit Solid Snake ein altbekannter Held zurück, zog mit der Beauty and the Beast-Unit ein neues Phänomen in die Videospielreihe ein. In einer Kriegswelt, in der der technische Wandel die Art und Weise des Kämpfens verändert hat, stoßen wir nun auf mechanische Wesen, die erst auf den zweiten, gar dritten Blick menschlich sind. Symbolisch mahnen sie selbstreferentiell an, dass jeder Kämpfer im Krieg zunächst nur eine Hülle ist, dargestellt durch die Kampfrüstung, und inspiriert von früheren Antagonisten wie Psycho Mantis oder Vulcan Raven. Ein schöner Gruß an die Fans.

Psycho

Hat Snake den Menschen dieser Ein-Frau-Kampfeinheit von der Rüstung befreit, türmt sich die fleischgewordene Bestechlichkeit vor uns auf: Vier ansehnliche Grazien, die so unschuldig wirken, als hätten sie gerade das Licht der Welt erblickt. Doch der Schein trügt. In ihnen rumort es, in ihnen schallen die Schreie der Vergangenheit. Hier kämpfen wir nicht gegen Täter, wir kämpfen gegen Opfer. Kojima legt damit die Essenz seiner sämtlichen Bossgegnermotive offen: Das Trauma — die wohl menschlichste Reaktion auf hochtragische Einschnitte im Leben. Und leicht verletzlich ruht die Seele unter der zweiten Hülle. Im Krieg ist jeder ein Mensch.

“No more Metal Gear”

Mit The Phantom Pain erscheint der 5. Teil der Metal Gear Solid-Reihe. Hatte Hideo Kojima bislang nach jedem Teil angekündigt, keine weitere Episode mehr kreieren zu wollen, sehen wir uns wegen des Konami-Zwists tatsächlich der Ungewissheit ausgesetzt. Doch solange Kojima an irgendeiner Spiele-Entwicklung mitwirkt, dürfen wir uns auf Bossgegner freuen, die in der Videospiellandschaft ihresgleichen suchen. Sie werden uns Nerven rauben, uns zum Lachen bringen, mit uns weinen, uns ein Denkanstoß und mehr sein.

Sie sind die gesamte Bandbreite der Menschlichkeit.

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