Oscar-Kampagnen - Warum Faulheit über Gewinner bestimmt

22.02.2015 - 16:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Shakespeare in Love, The Imitation Game, Zero Dark Thirty, Selma, A Beautiful Mind
AMPAS, Universal, Squareone, Dreamworks, StudioCanal
Shakespeare in Love, The Imitation Game, Zero Dark Thirty, Selma, A Beautiful Mind
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Ein Oscar kostet eine Stange Geld, und damit ist nicht nur die vergoldete Statuette aus Britanniametall gemeint. Millionen von Dollar stecken kleine und große Studios in die Kampagnen, um ihren Film in einen Abräumer zu verwandeln.

"Ehrt den Film. Ehrt den Mann." Um die Oscar-Strategien von Harvey Weinstein zu durchschauen, braucht es keinen genialen Mathematiker, wohl aber einen starken Magen. Dieses Jahr setzt Weinstein jeden Cent auf sein letztes Pferd im Rennen, das Biopic The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben mit Benedict Cumberbatch, und damit einher gehen Verzweiflungsslogans wie der obige, der Academy-Wählern ziemlich geschmacklos die Pistole auf die Brust setzt: Ehrt The Imitation Game oder beleidigt Alan Turing und all jene, die sein Schicksal teilten. Weinstein aber kann nicht anders: Zu diesem Zeitpunkt hat seine Firma wie die Konkurrenz Millionen in die eigene Oscar-Kampagne gesteckt. Wer am Ende gewinnt, hängt von einer Mischung aus strategischem Feingefühl, einem spendablen Buchhalter und viel Teflon-PR ab.

Qualität reicht nicht
Zuallererst: Geld ist nicht alles, auch bei den Academy Awards gilt dies. Kostenintensive Kampagnen finanzierten Konzertabende für potenzielle Wähler von Inside Llewyn Davis und Saving Mr. Banks, in Goldstatuetten war der Aufwand letztlich nicht umzusetzen (The Independent ). Zum Zweiten: Geld ist alles, auch bei den Academy Awards. Indie-Prestige und eine Festivalkarriere mögen die ein oder andere Alibi-Nominierung herausschlagen. Wenn der Kontostand nicht reicht, den 6028 Wahlberechtigten in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (A.M.P.A.S.) sowie den sonstigen Verbänden und Journalisten den Film zu zeigen, wenn die Talente nicht von Special Screening zu Special Screening, Q&A zu Q&A geflogen werden können, nutzt das überschwänglichste Kritikerlob wenig. Das System macht auch vor Stars wie Robert Redford nicht halt, der die fehlende Oscar-Berücksichtigung seines Schiffbruchsdramas All Is Lost 2014 mit der Kampagne von Lionsgate-Tochter Roadside Attractions begründete, bzw. deren Nichtvorhandensein: "Ich weiß nicht, wovor sie Angst hatten. Sie wollten nichts ausgeben oder sie konnten es nicht." (Variety ) Ob und wie viel in die Oscar-Kampagnen investiert wird, hängt von einer komplexen Kosten-Nutzen-Abwägung ab, deren Risiken, je kleiner das verantwortliche Studio ist, an die Existenzgrundlagen gehen können. 2 Millionen Dollar müssen für eine Nominierungs-Kampagne in den Hauptkategorien aufgebracht werden , die Screener beinhaltet, Partys, For Your Consideration-Anzeigen und PR-Verantwortliche. Das ist die Untergrenze.

Als Shakespeare in Love am 21. März 1999 den Favoriten Der Soldat James Ryan in die Schranken verwies und sieben Oscars einheimste, war dies das Ergebnis einer rund 15 Millionen Dollar teuren Kampagne von Harvey Weinstein und Miramax (HuffPoLive ). Zur Einordnung: Das Produktionsbudget von John Maddens Historien-Liebelei mit Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow wird auf 25 Millionen geschätzt. Anders als Spielbergs Kriegsdrama folgte Shakespeare in Love einer der klassischen Auswertungsstrategien der Oscar-Saison. Der späten Premiere im Dezember schloss sich eine begrenzte Veröffentlichung in knapp 300 US-Kinos an, die im Januar zeitnah zu den Golden Globes erweitert wurde. Wenige Wochen vor den Oscars lief Shakespeare in Love schließlich in 2000 Kinos, profitierte damit einerseits finanziell von den gewonnenen Globes und anstehenden Oscars, andererseits bugsierte die Auswertungsstrategie den Film innerhalb kürzester Zeit ins Bewusstsein der Wähler. Dort blieb er auch. Sieben Oscars und 33 Kinowochen später hatte der Weinstein-Erfolg 100,3 Millionen Dollar eingespielt.

Die traditionelle Alternative zu diesem Marketing-Blitz erfordert Durchhaltevermögen, aber kaum weniger Geld. Für Ben Afflecks Argo wurde 2012 eines der klassischen Herbstfestivals als Startblock ausgewählt. Nach der Premiere in Telluride lief der Thriller im Oktober landesweit an und spielte bis zum Jahreswechsel um die 100 Millionen ein. Unmittelbar vor den Golden Globes 2013 lief Argo nur noch in 302 US-Kinos. Nachdem Afflecks Film den Drama-Globe gewann, waren es 700 und in den Wochen vor der Oscar-Verleihung zeitweise bis zu 1400. Am Ende seiner US-Auswertung hatte Argo 136 Millionen Dollar eingenommen.

Je älter der Film, desto geringer fällt in der Regel der unmittelbare Oscar-Profit an den Kinokassen aus. Der Herbst als Veröffentlichungszeitraum ist deswegen so attraktiv, Kino-Auswertung und Oscar-Hype gehen im Idealfall ineinander über. Neben einer kostspieligen Wiederveröffentlichung bleibt die Option, das finanzielle Aufkommen einer Kampagne nur durch den höheren Ertrag im Heimvideo-Segment zu rechtfertigen, den so ein goldener Aufkleber verspricht. Beim Juni-Start Tödliches Kommando - The Hurt Locker, dessen Oscar-Kampagne 2009/2010 5 Millionen Dollar gekostet haben soll, führte der Academy Award als Bester Film beispielsweise zu besseren DVD-Verkaufszahlen (HuffPoLive ). Autor und Produzent Stephen Follows  errechnete, dass 56 Prozent aller Filme, die zwischen 2000 und 2014 in der Kategorie Bester Film nominiert wurden, Starttermine im November oder Dezember besaßen. Die Oscar-Saison existiert und ihre Geschäftsmodell ergibt Sinn. Irgendwie.

Wie Faulheit über die Oscars entscheidet
Follows unterscheidet zwei Phasen in den Oscar-Kampagnen, jene vor der Nominierung und jene danach. Das A und O von Phase 1 bleibt, den Film so vielen Leuten wie möglich zu zeigen, ob in Academy-Screenings oder daheim. Als Braveheart im März 1996 mit dem Oscar für den Besten Film ausgezeichnet wurde, waren viele Beobachter perplex, galten doch Apollo 13 und Sinn und Sinnlichkeit als Favoriten. Der Sieg des Kilt-Werbespots wird heute auch mit einem wegweisenden technischen Detail erklärt. Braveheart war nämlich der erste Oscar-Beitrag, dessen Kampagne auf Screener für Academy-Mitglieder setzte, also kostenlos versandte VHS und später DVDs. Heute sind sie neben Werbung ein elementarer Bestandteil der ersten Phase. In den Folgejahren zwang die Filmpiraterie Studios dazu, die Ansichtsexemplare mit individuellen Wasserzeichen zu versehen, was den Produktionsprozess verlangsamte und die Kosten in die Höhe trieb. Dass das Bürgerrechtsdrama Selma 2015 mit nur zwei Oscar-Nominierungen abgespeist wurde, kann auf vieles zurückgeführt werden, einer der Hauptgründe dürfte ein praktischer gewesen sein: Die Screener wurden von Paramount Vantage zu spät ausgeliefert. Unter anderem deswegen tauchte Selma bei den Nominierungen der Branchenverbände (SAG, PGA, DGA ...) kaum auf, was sich bei den Oscars wiederholte. Zehn Prozent der Academy-Mitglieder geben in einer aktuellen Umfrage des Hollywood Reporters  an, Selma gar nicht gesehen zu haben. So viele wie bei keinem anderen Beitrag in der Kategorie Bester Film. Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit, den Favoriten für Sonntagnacht, haben nur 2 Prozent verpasst. Wenn Terminstress oder Faulheit Screening-Besuchen im Wege stehen, muss der Film eben an die Haustür der Academy-Mitglieder geliefert werden.

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