Der Horrorfilm ist ein merkwürdiges Genre. Stehen normalerweise die Hauptdarsteller, die Guten, die Helden im Mittelpunkt, sind im Horrorgenre, gerade im Franchise-Bereich, die Schurken und Monster die wahren Stars.
Nicht ohne Grund gilt es bei unserem Halloween-Horror-Check herauszufinden, welchem mordenden Unhold ihr am ähnlichsten seid. Denn bei Horror-Helden sieht es schon schwieriger aus: Professor Van Helsing vielleicht. Oder Ash aus den Tanz der Teufel -Filmen. Aber sonst?
Doch Moment: Was wäre der Horrorfilme ohne junge Frauen mit ausgeprägter Stimme. Scream Queens, wie man sie seit den seeligen Zeiten nannte, in denen Fay Wray einen großen Primaten anschrie. Kein Slasher, kein Metzelfilm, kein Freddy, Jason, Alien ohne eine weibliche Figur, die größte Strapazen auf sich nimmt und am Ende triumphiert. Zumindest bis zur Fortsetzung.
Lange Zeit standen Scream Queens in keinem guten Ruf: Strunzblöde Weibchenklischees seien sie, deren Oberweite wichtiger wäre als der Verstand. Frauenverachtende Phantasien degenerierter Macher und Zuschauer, die sich dran aufgeilen, wenn Frauen gequält und, mit wenig Sachen an, durch die Gegend gejagt werden.
Ein Klischee, das immer schon etwas wackelig war, denn für jede großbusige Blondine, die tumb ins Messer lief, gab es eine tapfere, über sich selbst hinauswachsende und keineswegs dumme weibliche Figur, die es am Ende schafft, trotz körperlicher Unterlegenheit das Monster zu besiegen.
Jamie Curtis wurde durch Halloween – Die Nacht des Grauens und ihre nachfolgenden Horror-Rollen zur ersten modernen Scream-Queen. Obwohl schreien nur einen kleinen Teil ihrer Rollen ausmachte, galt sie bald als weibliches Gesicht des Horrorfilms. Eine Rolle, die sie eine Zeit lang gerne gab und von der sie sich erst Mitte der 80er Jahre mit Rollen wie der Hure mit Herz in Die Glücksritter freispielen konnten.
Andere blieben dem Genre treu: John Carpenter s Ex-Frau Adrienne Barbeau eroberte das Publikum in The Fog – Nebel des Grauens und spielte nicht nur in weiteren Filmen ihres Mannes, sie kehrte über die Jahre immer wieder in die Gefilde des makaberen zurück und stellte sich Zombies, Geistern und Psychopathen. Barbeau stellte dabei aber, wie auch Sigourney Weaver, die sich in Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt als Scream Queen empfahl, immer die toughere Frau dar, die sich ihrer Haut sehr wohl erwehren kann.
Diesen Wesenszug teilt sie mit vielen Kolleginnen. Auch Neve Campbell, die sich durch drei Teile von Scream – Schrei! scheuchen ließ, war keineswegs ein hilfloses Blödchen. Und Sarah Michelle Gellar zeigte nicht nur im TV als Buffy den Dämonen, wer die Hosen wirklich anhat, sie bewies auch in vielen Horrorfilmen wie The Grudge – Der Fluch, dass sie sich durchaus gegen übermächtige Gegner behaupten kann.
Derzeit macht sich Mary Elizabeth Winstead eine Namen als Scream Queen. Mit Auftritten in Final Destination 3, Death Proof – Todsicher, Black Christmas, The Ring 2 hat sie bereits ein beachtliches Horror-Portfolio vorzuweisen. Dicht auf den Fersen ist ihr Rose McGowan, die nicht erst seit ihrer nähren Bekanntschaft mit Robert Rodriguez dem Grusel-Genre nahesteht. Ob Phantoms, Grindhouse, Scream – Schrei! oder Machete : Rose scheut sich weder vor Mutanten noch vor kübelweise Blut. Spaß machts erst, wenn alles klebt – diese Weisheit teilt der Splatterfilm mit anderen Werken der Erwachsenenunterhaltung.
Um ihre Karriere und Ruf müssen sich die Damen dabei wohl keine Sorgen machen, denn selbst die feministische Filmkritik steht den Heldinnen des Horror mittlerweile wohlgesonnener gegenüber. Spätestens seit sich die Autorin Carol J. Clover in ihrem Buch “Men, Women and Chain Saws: Gender in the Modern Horror Film” mit dem Slasher-Genre beschäftigte und dabei den Begriff des Final Girl definierte, wird das berüchtigte Genre etwas differenzierter betrachtet.
Das Final Girl ist eben jene Heldin – meist weniger promiskuitiv und weniger selbstsüchtig als die übrigen Opfer -, die überlebt. Ja diejenige, die sich den finalen Kampf mit dem Bösen liefert. Denn, so die Theorie, auch wenn die Filme anfänglich eher zur Identifikation mit dem mächtigen Täter einladen, verschiebt sich das im Laufe des Films. Das vorwiegend männliche Publikum, das für gewöhnlicher eher den klassischen Helden, den Macho, den Kerl als Identifikationsfigur wählt, wird am Ende der meisten Slasher gezwungen die Position des weiblichen Opfers einzunehmen.
Damit einhergehend, erfährt das Final Girl in den letzten Akten jedes Films eine Charakterverschiebung: Sie wird ausdauernder, proaktiv, entschlossen und rücksichtsloser, bedient sich bisweilen der Methoden des Täters – bekommt also männliche Attribute zugeschrieben, wird sexuelle ambivalent. Kein Macho, kein hilfloses Weibchen. Selbst die Namen der Finals Girls sind oftmals Unisex-Namen: Teddy, Billie, Georgie, Sidney. Das Final Girl steht also über den klassischen Rollenklisches. Es ist das universelle Opfer, mit dem sich die Zuschauer identifzieren.
Es mag dahingestellt sein, inwiefern diese Aufteilung zu grobschlächtig ist, wäre es doch vermessen, wollte man die oben genannten Eigenschaften als ausschließlich männliche “Tugenden” definieren. Dennoch bleibt es eine spannende Beobachtung, dass sich das meist männliche Slasher-Publikum Filme mit starken, oder stark werdenden Frauen ansieht, die sich gegen übermächtige und oftmals sexuell gestörte männliche Angreifer zur Wehr setzen. Den der Spaß liegt zum Finale hin ja gerade darin, dem Final Girl die Daumen zu drücken, mit ihr zu zittern und freudig aufzuschreien, wenn der Bösewicht sein wohlverdientes Ende findet.
Bleibt die Frage, ob Männer diese Art von starken Frauen im wahren Leben derart zu schätzen wissen.
Scream Queens stehen also nicht nur für die “billigen Reize” des Horrorfilms – auch wenn Sex and Blood nach wie vor immer gut ankommen – sondern sind sehr vitale Anzeichen dafür, dass die Emanzipation doch irgendwie in der Realität angekommen ist.