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Zwischen Kultfilm, Trash und Meisterwerk.

25.07.2019 - 20:00 Uhr
Heather hat Angst
Artisan-Entertainment/Lions Gate
Heather hat Angst
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Geliebt. Gehasst. Irgendwo dazwischen. Der 1999 erschienene Film war damals kontrovers aufgenommen worden, bestach jedoch durch Charme. Er zählt außerdem zu einer Gruppe von Filmen, die um die Jahrtausendwende das Genre veränderte. Eine Reflexion.
Ja, dieses Genre polarisiert, neigt zu heftigen Übertreibungen, ist Ziel höhnischen Spottes sowie diverser Angriffe von allen nur erdenklichen Seiten: das sprichwörtliche schwarze Schaf. Manchmal ist es völlig bekloppt, daneben, degeneriert. Vor allem aber ist es eines: ziemlich alt. Und gegenwärtig wieder äußerst populär. Wann hat denn der erneute Höhenflug begonnen?

Wie viele Entwicklungen, Prozesse und Veränderungen das Genre in einem langen Zeitraum mitgemacht hat, kann anhand des Materials und des filmtheoretischen Kontextes erschlossen werden. Ist man auf der Suche nach Bezeichnendem, ist ein weiter Sprung zurück gar nicht vonnöten, waren doch die letzten zwanzig Jahre in hohem Maße fruchtbar, in erster Linie, und das wird nicht jeder oder jede so sehen, in Bezug auf die Genreprogression.

1999

Wir schreiben besagtes Jahr. Der Horrorfilm befindet sich in der Krise, oder, nein, vielleicht ist das übertrieben. Doch tatsächlich: blickt man auf die Dichte der in dieser Dekade veröffentlichten Meilensteine oder richtungsweisenden Filme, dann erweist sich das Ergebnis mitunter als überschaubar, überraschend handzahm, weniger offensichtlich. Zumindest als in früheren Jahrzehnten. Und möglicherweise hat dieser Mangel an herausragenden Filmen dazu geführt, dass dieses Jahrzehnt rückblickend als tendenziell schwach angesehen wird, was diese spezielle Gattung anbelangt. Doch ist es die ganze Wahrheit? Kann sie es sein? Nun, eben nicht. Wahrscheinlich nicht. Vielleicht teilweise schon.

Wie auch immer: Anständige Werke sind in jener Zeit sehr wohl produziert worden, man denke nur an die Ringu-Reihe aus Japan, mit einer ihrer Enttäuschung wegen aus dem Fernseher kriechenden Göre. Nicht zu vergessen das hypersensible und dezent angeknackste Milchbubi aus The Sixth Sense. Was ist mit Audition (OT: Ōdishon) von Skandalnudel Takashi Miike? Da war Anständiges dabei. Doch wie sieht es in Relation gesetzt aus? In den 60ern und 70ern veränderte sich das Genre grundlegend, da gab es ja faktisch Neues, dementsprechend zahlreiche Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Tabus wurden gebrochen und neue Terrains bewandert. In den 80ern kamen zwar weitere Impulse hinzu. Etwa das Abdriften in das Komödiantische, Slapstickartige, oder auch die italienischen Genreregisseure sollen hier Erwähnung finden mit ihren partiell sehr drastischen Filmen. Gewiss machten sich nicht minder Abnutzungserscheinungen bemerkbar, wie es ähnlich immer wieder geschehen war. In den 90ern rutschte die Gattung etwas ab, salopp formuliert und verkürzt: die Luft war draußen. Gehörig.

The Blair Witch Project stand am Anfang einer neuen Reihe, oder begleitete den Start, gemeinsam mit anderen selbstverständlich. Haben sie damals nicht eine weitere Umbruchphase eingeleitet, mitgestaltet, quasi als eine Aufwärmübung des Genres, für das, was nachfolgen sollte? Die Found-Footage-Welle etwa mit Filmen wie Paranormal Activity oder Rec, wobei zweiterer einen Glanzpunkt darstellte, auf jeden Fall, wenn einem der Auftakt der Rec-Reihe in den Sinn kommt. Was ist mit Torture-Porn (Haute Tension)? Saw? Über Filme wie The Descent ging es dann weiter zu – auf der einen Seite – heftigeren Gewalteskapaden (Human Centipede, Serbian Film etc.), die jeglichen Rahmen sprengten, als ebenso hin zu einer Verfeinerung des Artifiziellen sowie Anspruchs, was sich in der gegenwärtigen Arthouse-Welle (The Witch u.v.a.) beinahe überdeutlich manifestiert zeigt, gar wie ein Facehugger ins Gesicht springt. The Blair Witch Project hat zu diesen Entwicklungen massiv beigetragen. Hauptsächlich wegen seines Looks.

Das Stilmittel Found-Footage mag schlimmer missbraucht worden sein als Sally in The Texas Chainsaw Massacre; nun dämmert langsam, wer daran schuld sein könnte, nämlich die Macher von Blair Witch Project, gleichwohl ist das hier so etwas wie die Mutter der Found-Footage-Streifen. Schwer zu bestreiten, die zahlreichen Epigonen liefern erste Beweise. Erfunden haben Myrick und Sánchez, die jungen Wilden allerdings nichts, denn Found-Footage gab es im Genre ein gutes Stück vor Blair Witch Project (Cannibal Holocaust lässt grüßen).

Na gut, es ist doch in der Tat erstaunlich: die beiden Filmstudenten haben 1999 mit einem Mini-Budget, das bei anderen Filmen gerade das Catering, ohne Alkohol und Extras, finanzieren würde, einen riesigen Hype kreiert – und das gelang ihnen mit einem ausgesprochen dreckigen Film. Einem Film, dem jedwede Hoffnung verloren gegangen zu sein scheint, der sich garantiert ernst nimmt, der mitsamt Laiendarstellern, gewagten Improvisationen sowie dem kaum vorhandenen Drehbuch realisiert worden ist. Nichts für schwache Nerven, unabhängig davon, wie jemand dazu stehen mag. Die kongeniale Homepage, welche das Verschwinden der drei Protagonisten fingiert hatte, hat ohne Zweifel Anteil am Erfolg gehabt.

Fazit

Wir befinden uns in Burkittsville, Maryland. Unter Fans des Genres ist das öde Kaff im Osten der USA sehr bekannt, in etwa so wie Transsylvanien, die Elm Street oder Camp-Crystal-Lake. Wir blicken uns um: Irgendwie wirkt dieses 200-Seelen-Städtchen gar nicht so spektakulär, gar nicht angsteinflößend. Was soll besonders sein? Nun, aus heutiger Perspektive wirkt alles etwas eingeschlafen, vielleicht etwas angestaubt, zwanzig Jahre vergehen ja wie im Flug, mit Veränderungen ist unweigerlich zu rechnen. Damals stand dieser Ort für einen Wechsel, eine Wende, für die jungen Wilden, die plötzlich so aufgetaucht waren; mit nichts als einer Idee mischten sie alte bewährte Zutaten in einem Topf mit neuen, frischeren Ansätzen und vereinten gleichsam gestern und heute, mitsamt einfacher Geschichte und vulgärer Optik. Der Film ist Ergebnis und Postulat zugleich. Ein Wegbereiter des postmodernen Horrorfilms, wenn auch teilweise in Vergessenheit geraten, nach zwanzig Jahren mitunter belächelt von jüngeren Generationen, aber doch seinen Platz in dieser vieljährigen und turbulenten Genregeschichte behauptend. Nicht nur für Fans des Backwood-Settings eine Bereicherung. Alles Gute zum zwanzigsten Geburtstag!

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