jp@movies - Kommentare

Alle Kommentare von jp@movies

  • Eigentlich hatte ich etwas anderes vor, nämlich so eine Art Rückkehr mit meinem ersten richtigen Kommentar seit … keine Ahnung, kann mich nicht erinnern. Ich wollte was über THE BEAR schreiben und eine Perspektive anbieten, die meiner Meinung nach in der Rezeption fehlt, aber jetzt habe ich keine Lust mehr dazu, weil … wozu?

    Es gab keinen konkreten Anlass, wir wissen alle wie kaputtgewirtschaftet diese Seite ist, und unser aller letzter Halt hier ist die Community, die langsam dahinschmilzt. Ich notiere die Namen, die meiner Freundesliste abhanden kommen, poste sie als Edit in meinen alten Druko unter meinem eigenen, noch älteren Kommentar im Forum, weil … weiß nicht, es sich richtig anfühlt? Eine Art letzter Respekt vor dem, was einmal war, WeUsedToBeTheUsers – aber wir erinnern uns noch an eure Namen.

    Erstmalig war jetzt ein Druko von mir unerwünscht und ich bin dem Wunsch nach Löschung gerne nachgekommen, ich will ja niemandem auf die Füße treten. Es heißt gleichzeitig allerdings auch, dass ich mich mit meiner Expertise und Sichtweise nicht mehr willkommen fühle. Ist das eine Überreaktion? Mag sein. Aber die Folge ist halt Selbstzensur, und dann lasse ich es lieber gleich ganz. Häh? Ist das nicht erst recht Selbstzensur? Ja, natürlich. Ich denke und schreibe ja weiterhin, nur poste es nicht mehr im Internet (bzw. nur noch auf meinen Blogs, wenn auch mehr als öffentlich einsehbares Backup – Leser erreiche ich damit auch nicht).

    Weil für wen denn?

    Ich habe Artikeln widersprochen, wenn dort Fachliches „versehentlich“ falsch wiedergegeben wurde, war mir nie zu Schade den Erklärbär zu spielen, in möglichst verständlicher Sprache, habe leidenschaftlich diskutiert und unzählige, bereichernde und tolle Stunden hier verbracht, aber davon ist nur ein fahles Echo geblieben.

    Deswegen will ich aber nicht lauter in diese Leere hineinschreien.

    Für’s Schreiben von Interviews, die außer meinem Redakteur keiner liest werde ich immerhin bezahlt, meine Leidenschaft für Film war aber am ehesten hier zu lesen. Die stirbt aber einen ebenso grauenhaft langsamen Tod wie das Medium selbst, und es geht gerade um alles: Hollywood und AI gegen das Handwerk vor und hinter der Kamera. Kriegen das überhaupt alle mit? Aber wozu rege ich mich auf. Schade um die Zeit und Energie.

    Kurzum: selbst Moviepilot tut mir nicht mehr gut.
    Drum stelle ich alle meine Aktivitäten hier ein, selbst die spärlichen Likes und Drukos.
    Das ist damit mein dritter Abschied, auf der Deathpool-Skala der Abgänge mit anschließender Wiederauferstehungen ist das zwar nicht einmal der Rede wert, aber schauen wir mal …

    Fragen und DM beantworte ich (wahrscheinlich) weiterhin.

    War schön hier, man liest und trifft sich vielleicht anderswo, ich geb den Löffel ab.

    Euer jp@movies.

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    • über Birdy

      Es ist vielleicht ein Fehler, meine Sichtung vom Filmende her zu beginnen, aber das ist für mich einfach das schönste der Filmgeschichte. Ich habe dafür auch andere Kandidaten (die Schlusssequenz aus HAROLD & MAUDE etwa, oder natürlich NORTH BY NORTHWEST), aber dieses hier hat ganz eigene Qualitäten. Mehr verrate ich hier nicht, falls es jemand noch nicht kennt. Es funktioniert aber wirklich nur dann, wenn man den Film vorher gesehen hat, weniger vom reinen Verständnis her, sondern weil es so gut vorbereitet ist.

      Was einem auch erst nach Jahrzehnten schauspielerischer Eskapaden wieder auffällt ist, wie gut Nicolas Cage hier spielt. Auch in den Rückblenden, aber deutlich mehr noch als traumatisierter Veteran. Allein schon der merkwürdig federnde Gang, den er hier an den Tag legt, wie ständig auf dem Sprung um sich hinter dem nächstbesten Schreibtisch in Deckung schmeißen zu können. Alles andere macht er mit seinen Augen und seiner Stimme, die mehr zu sich selbst spricht, als zu seinem Freund. Matthew Modine begeistert mich umgekehrt eigentlich mehr mit seinem Spiel in den Rückblenden, auch wenn die ikonischen Bilder aus der Psychiatriezelle natürlich besser im Gedächtnis bleiben, jedes davon hätte es verdient als Poster an Wände geklebt zu werden. Aber die Introvertiertheit die er in den Rückblenden spielt, ist so wahnsinnig gut, und stellenweise unglaublich lustig: etwa wenn er neben seiner Double-Date-Hälfte die Luft anhält und dabei die Zeit stoppt. Das ist so traurig schön und sympathisch, diese echte Begeisterung bei gleichzeitiger kompletter Abwesenheit aus den Lebenswelten aller anderen um sich herum. Wenn Birdy sich dann immer mehr zurück zieht, und die Kamera ihm immer näher rückt, und in Großaufnahmen von Matthew Modine's Gesicht vor seiner gefiederten Freundin gipfelt, sind Form und Inhalt endgültig eins. Das sind Details, für die ich vor 30 oder 35 Jahren noch kein Auge hatte, um so größer ist jetzt meine Begeisterung.

      Auch die Vaterfiguren sind fantastisch - in nur wenigen Szenen entworfen, und könnten gegensätzlicher nicht sein. Auch das hat Seltenheitswert, und fächert mit einer Selbstverständlichkeit ein Spektrum an Männlichkeitsbildern auf, wie man es selten zu Gesicht bekommt. Oder der Frust der Krankenschwester, die helfen will, und dann mit ihrem Frust allein bleibt, wenn es einfach keine richtige Reaktion auf die komplexe Situation gibt. Was bleibt, ist diese dicke Freundschaft zweier so unterschiedlicher Charaktere, die sich gänzlich aufeinander einlassen, obwohl sie im ersten Moment wenig mit dem Hobby des anderen anfangen können, Vögel hier, Autos da. Aber sie sind füreinander da, lassen sich mit Haut und Haaren und Federn auf den anderen ein, und sind damit weniger allein auf einer Welt, die sie in einen Krieg schickt, in dem es nichts zu gewinnen gibt, und die sie dann mit ihren Traumata allein lässt.

      Ist der Film gut gealtert? Da bin ich etwas unschlüssig, mich stört das langsame Erzähltempo nicht, Zuschauer jüngeren Datums werden vielleicht die Geduld damit verlieren. Ich habe früher eher auf die Rückblenden gewartet, jetzt schätze ich die im Vergleich dazu fast the­a­tral inszenierten Psychiatrie-Szenen mehr als damals. Die teils sehr langen Einstellungen bringen gerade das Schauspiel von Nicolas Cage richtig zur Geltung, und den Druck der auf ihm lastet, wenn er hier an mehreren Fronten gleichzeitig arbeitet: gegen die Klinikleitung, für seinen Freund, mit sich selbst ringend. Dazwischen gibt es noch Raum für hypnotisch schöne Bilder mit den fantastischen Klängen von Peter Gabriel. Was will man denn mehr?

      Auch wenn ich es nicht so richtig mit Worten zu fassen kriege, dieser Film berührt etwas in mir, fängt mit Bildern ein, wie es ist sich fremd in der Welt zu fühlen, wie wichtig und unverzichtbar ein Freund ist, der mit einem durch dick und dünn und doof geht, und wie sehr man sich in seinen eigenen Welten verlieren kann. Und kaum glaube ich, dass ich ihn jetzt wie eine Spatz in der Hand habe, entwischt er mir und fliegt höher, immer ein Stück außer Reichweite. Aber er kommt immer zu mir zurück und findet ein offenes Fenster in mein Herz.

      Hier gibt's übrigens tolle Hintergrundinfos und Fotos zum Film, vom Meister selbst: http://alanparker.com/film/birdy/

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      • jp@movies: Film & TV Kamera 26.03.2022, 12:48 Geändert 01.04.2022, 12:10

        "Wir zwei, lieber Freund, sind Sonne und Mond, sind Meer und Land. Unser Ziel ist nicht, ineinander überzugehen, sondern einander zu erkennen und einer im anderen das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des anderen Gegenstück und Egänzung."

        Das ist der Buchrückentext meiner NARZISS UND GOLDMUND Ausgabe, und ZU KEINEM FUCKING MOMENT STELLT SICH DIESES GEFÜHL AUCH NUR ANSATZWEISE IN DIESEM UNFASSBAREN CLUSTERFUCK VON EINEM MOSAIK GEBLIEBENEM FILM EIN!

        Verzeihung. Ich komm nochmal rein. Oder auch nicht. Steh ja schon drin in diesem Haufen, und verteile jetzt dessen Geruch überall in meinem Kopf. Ich bitte die CAPS LOCK Attacke zu verzeihen, denn es ist weder meine Art noch die von Hermann Hesse, dass groß herumgeschrien werden muss, in um Emotionalität bemühten deutschen Filmen aber umso mehr, geradezu aus Prinzip, das erschließt sich mir vermutlich nie. Als Bewunderer der Sprache und meisten Bücher von Hermann Hesse, war ich skeptisch was die Verfilmung angeht, aber da ich mich nicht mehr groß an das Buch erinnerte, dachte ich mir: ok, frischen wir mal mein Gedächtnis auf. Aber dieses Desaster hatte ich nicht kommen sehen.

        Es fühlte sich sehr schnell so an wie einen Unfall gleichzeitig im Zeitraffer und in Zeitlupe zu sehen, die Bestandteile fliegen in alle Richtungen an einem vorbei und obwohl man es möchte, kann man nicht wegsehen. Was ist das? Ein Versuch DER NAME DER ROSE nach dem Zufallsprinzip der Spanischen Inquisition von Monty Python inszenieren zu lassen, aber anstelle von Arthur Schnitzler's TRAUMNOVELLE mit unpassenden Zitaten aus dem Buch von Hesse garniert? Ich meine, da fällt ernsthaft Goldmund mal aus einem Baum Narziss vor die Füße, wie Brian in das Loch des Mannes mit dem Schweigegelübde. Erstens konnte er kaum stehen, geschweigedenn gehen, ist dann aber auf einen Baum geklettert um sich dort zu verstecken? Dann schneiden wir in die Totale und sehen einen kümmerlichen Baum, in den man ein darin hockendes Eichhörnchen nicht hätte übersehen können. Wie kann man das ernsthaft drehen ohne laut zu lachen, wie ich vorm Fernseher? Gut, es war schon da eher hysterisch, weil der Film bis weit über die Hälfte hinaus von WTF-Moment zu "bitte was?" stolpert, wie eine Flipperkugel. War das eben Georg Friedrich, der nicht mal auf eine Minute Screentime kam? Ja.

        Nun gut, kurzer Szenenwechsel. Ausstattung, Kostüme, Maske und Drehorte sind der Hammer. Immer wieder haut mich von den Socken welche Detailliebe in diesem Werk steckt, nur um dann von allen anderen Gewerken mehr oder weniger im Stich gelassen zu werden. Die Besetzung spielt gegen ein Drehbuch an, das Hesse mit den oben genannten Werken verwechselt, der Schnitt ist hektisch, weil man auf Teufel komm raus auf zwei Stunden runterkommen musste, was unmöglich gelingen konnte, die Kamera müht sich, hat aber keine erkennbare Haltung und leuchtet so bunt, als versuche sie der queeren Regenbogen in jeder Einstellung unter zu bringen. Das ist einerseits lobenswert, denn die homoerotischen Untertöne der Vorlage werden tatsächlich thematisiert, allerdings ohne sie auch nur ansatzweise verstanden zu haben. Außerdem konnte man sich wohl nicht entscheiden, ob man Nachtszenen konsequent Day for Night dreht oder stattdessen mit Sky Panels in türkis zuballert - mir tun die Augen noch immer weh. Der Gipfel war glaube ich eine zentrale Aussprache, in der unser bereits augenbeklappter Held Goldmund im Profil gezeigt wird, und die Worte von Narziss verarbeitet. Selbstredend ist die Kamera dabei auf der Gesichtsseite mit der Augenklappe, weil es sonst ein Achsensprung gewesen wäre. Übrigens motiviert, weil er in dem Moment etwas begreift. Keine Ahnung, was da los war, ich kann mir gut vorstellen, dass es andere Einstellungen davon gibt, dann aber eine der drölfhundert Koproduzenten sagte: "Aber das ist ja ein Achsensprung!" - und dann mussten die deswegen die Einstellung auf der Augenklappenseite nehmen. Genau so fühlt sich der ganze Film an. Ruiniert von einer Schar an Köchen, von denen keiner das Rezept gelesen hat, oder die Zutaten im Schrank hat, und eigentlich stehen die alle in einem anderen Wald. Ich hab ja schon viele kaputtproduzierte deutsche Filme gesehen, aber der hier schlägt dem Fass den Boden aus, und sogar den gemauerten Klosterkellerboden darunter durch bis zum Erdkern, wo uns ein verdutzer Dwayne Johnson anblinzelt und fragend eine Augenbraue anhebt.

        Am Morgen danach nehme ich das Buch aus dem Regal und schon der erste Absatz liefert ein Bild wie gemacht für eine Verfilmung: Ein Esskastanienbaum im Kloster, der dort nicht heimisch ist, aber von den Mönchen über Generationen hinweg geliebt, gleichzeitig von Einheimischen mißtrauisch beäugt wird. Da ist der Hesse, dessen Sprache ich so liebe. Wenn man seinen Pathos heraus und die Absolutheit etwas zurück nimmt, wäre ein wunderbarer Film drin gewesen, in dem die Suche nach und das Verständnis der Weiblichkeit zentrales Thema sind. Stattdessen haben wir einen herumzappelnden Brad Pitt Verschnitt, der in seiner Notgeilheit von Ehemännern und Vätern aus den Schlafzimmern vertrieben und geprügelt wird, obwohl er eigentlich nach seiner Mutter sucht? Äh… was? Die möchte er "künstlerisch" nachempfinden, und das beginnt damit, dass er eine Vulva zeichnet, als Wichsvorlage für seine Mitmönche. Könnte eigentlich "Der Ursprung der Welt" von Gustave Courbet sein, was eine brillante Idee gewesen wäre. Nun ja, stattdessen halt Pornographie, die Eifersucht erzeugt. Seufz. Es ist so traurig. Von der Vulva ausgehend versucht der Künstler Goldmund sich dann bis zum Gesicht hoch zu arbeiten, um es als Bildhauer der Madonna zu verpassen. In der Lehre bei Uwe Ochsenknecht fertigt er eine entsprechende Skizze an, schnitzt dann aber versehentlich Narziss? Ja. Äh. Kann passieren, wenn man mit dem Schnitzmesser abrutscht. Zehntausend Mal. Hat da jemand wirklich das Buch gelesen, oder nur den Wikipedia Artikel? Nein, leider nicht - gerade geguckt, selbst der drückt das Buch besser aus, als der Film.

        Was will dieser Film eigentlich sein? Wir sehen Goldmund als Novize, Zeichner, Bildhauer, Schreiber, Liebhaber, Wikinger(?), drogenabhängigen Schausteller, manches nur eine Einstellung lang, anderes mit Längen, ach ja, und dann beißt noch ein Zombie Henriette Confurius, während Goldmund spontan die Pestbeulen auf den Leichen in einem Dort zeichnen muss. Doch, ist so. Obwohl sie ne Szene vorher noch zusammen mit den Ratten aus einer Stadt vor der Pest geflohen sind, darf die Confurius jetzt keinerlei Fluchtreflex zeigen, obwohl sie nach links wie rechts freies Feld hat, und die einsturzgefährdete Hütte hinter ihr ebenfalls zu allen Seiten hin eher so der Typ Stoßlüften ist. Oder halt dem offensichtlich Kranken den Wasserkrug über den Schädel zimmern, anstatt sich vergewaltigen zu lassen. Leider holt die Pest dann ihre Figur anstatt den Film, der nur vor einem mehr Angst hat, als der potentiellen Vaterschaft: der eingangs erwähnten schwulen Liebe. Die spielt nämlich eigentlich keine Rolle, zumindest keine, mit der sich ernsthaft auseinandergesetzt wird. Eigentlich beginnt es schon mit dem Abt und seinem Zögling Narziss, auch hier ist zumindest in der Vorlage mehr unter den Roben verborgen, als man je zu Gesicht bekommt. Aber im Film wird man ja zum Mönch um den Gelüsten nicht nachzugeben, und zur Belohnung später selbst zum Abt, und der findet am Ende sogar sein Glück im Tod von Goldmund. Endlich kann er beruhigt an den Baum gelehnt lächelnd herumsitzen. Das ist allen ernstes das letzte Bild des Films. Eigentlich erzählt er verklemmt die eigene Homophobie unter den Kutten, während er aber in erster Linie nur immer wieder den begehrenswerten nackten männlichen Körper von Jannis Niewöhner in Szene setzt, der darüber in jeder Rückblende aufs Neue so erstaunt ist, wie beim ersten Mal.

        Ich versuche mir gerade vorzustellen, was Sebastian Meise aus dem Stoff hätte machen können, als Prequel von GROSSE FREIHEIT zum Beispiel. Der kann aber auch Liebe, Sex, Begehren und Freundschaft auseinander halten, und dennoch im gleichen Film erzählen. Im Buch ist es übrigens Narziss, der die Muttersuche in seinem Freund und Zögling erkennt, und der findet seinen Frieden erst nach einer Nahtoderfahrung, wenn gebrochene Rippen sprichwörtlich seine harte Schale aufbrechen und das Herz befreien. Das Buch wieder aus dem Regal genommen zu haben, ist die einzige Leistung, die dieser Film vollbracht hat, dafür bin ich durchaus dankbar, denn sie hält mich jetzt davon ab ihn minutiös durch zu gehen und in der Luft zu zerreißen. Aber diese Verschwendung an Talenten, Zeit und Geld für dieser Unfall von Film ist mir unbegreiflich, das hat keiner der Beteiligten, und am allerwenigsten die literarische Vorlage verdient.

        Nachtrag:
        Nachdem ich jetzt das ganze Buch gelesen habe, ist mein Unverständnis über die Verfilmung nur noch gewachsen. Keiner, wirklich kein einziger der wesentlichen Punkte wird getroffen; schlimmer noch: oft noch so umgeschrieben, dass sie erst recht missverstanden werden. Ja, Goldmund ist durchaus ein Schürzenjäger und steigt mit jeder ins Bett, aber Hermann Hesse legt darauf wert, dass er bei jeder(!) im Buch geschilderten Liebschaft einen ihm neuen Aspekt der Weiblichkeit kennenlernt, die ihm neu waren, und die er als Facette der Urmutter erkennt. Der Film kommt dabei aber leider nicht einmal an das Niveau von Ingo Insterburg ( https://youtu.be/vR9P0L4jKk8 ) heran. Seine erste Liebe Lydia lässt er sogar als von der Pest entstellte Rachegöttin auftreten, obwohl es gerade ihr Gesicht ist, das er seiner Madonna am Ende des Buches gibt. Die Urmutter Eva entzieht sich ihm bis zuletzt ihrer Darstellung, und er macht seinen Frieden damit, weil sie ihn wieder zu sich nimmt, wie sie ihm einst das Leben geschenkt hatte. Andere Änderungen sind ähnlich haarsträubend fehlinterpretiert, dass ich sie gar nicht mehr im einzelnen aufzählen möchte. Lest das Buch. Zum Abschluss lassen wir also den Meister selbst noch einmal zu Wort kommen, der ein Werk wie diese Verfilmung in seinem gleichnamigen Buch nämlich wie folgt beschreibt:

        "Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung dennoch klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinahe verhaßt waren. (...) Sie waren so schwer enttäuschend, weil sie das Verlangen nach Höchstem erweckten und es doch nicht erfüllten, weil ihnen die Hauptsache fehlte: das Geheimnis. Das war es, was Traum und höchstes Kunstwerk Gemeinsames hatten: das Geheimnis."

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        • jp@movies: Film & TV Kamera 21.02.2022, 17:30 Geändert 21.02.2022, 19:14

          Es ist so ungemein erfrischend, wenn ein Film so leichtfüßig gänzlich eigenen Regeln folgt, ohne dabei auch nur ansatzweise zu straucheln oder woanders hin zu schielen. Häh? Was will er uns denn jetzt wieder sagen? Dass mich dieser zweite Film der Zürchers genauso begeistert hat, wie ihr großartiger Erstling DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN. Die "Spinne" hier beweist jedenfalls, dass es sich bei den Filmemachern um keine Eintagsfliege handelt, denn die wird im Filmverlauf ja auch platt gehauen. Was? Nichts, ich äh, springe mehr hin und her, als es der Film jemals tut. Also da springt höchstens mal ein Hunde an einer verschlossenen Tür hoch. Doch, echt jetzt.

          Also was genau begeistert mich hier jetzt? Der Plot ist es nicht, denn hier zieht nur jemand von A nach B, und dabei begegnen uns alte und neue Mitbewohnerinnen, Freunde, Handwerker, sowie die Mutter der Umzugstochter. Das wird mit einer beiläufigen Präzision wiedergegeben, die für sich genommen schon sehr viel handwerkliches Geschick erfordert, denn es passiert in ziemlich langen - auf mache Zuschauer bestimmt bald eintönig wirkenden - Szenen, auf Augenhöhe der Erwachsenen, von Kindern, sowie von Haustieren. Die Perspektiven werden dabei mit jedem Schnitt geändert, und dabei erschließt sich dem Zuschauer nicht nur nach und nach wer hier eigentlich wer ist und wen wie kennt, sondern wundert sich auch über das Verhalten der Menschen. Zunächst das von Mara, dem titelgebenden Mädchen, aber mit zunehmender Laufzeit wundert man sich wirklich über alle. Wobei sich fast zeitgleich beim Zuschauer Hypothesen bilden sollten, wie hat der Handwerker hier eben flirtend gelächelt, oder wollte er nur freundlich sein, weil er sich eine Zigarette drehen wollte? Wieso war Mara jetzt so unfreundlich zu der neuen Nachbarin? Ach so, sie zieht gar nicht mit ein… hilft sie deshalb nicht mit? Und so weiter. Das klingt bis hierhin noch banal, wird aber mit jeder weiteren Begegnung um eine neue Perspektive und weitere Schicht bereichert, bis das Netz so dicht gewoben, und man selbst die Fliege ist, die dieser Spinne von einem Film ins Netz gegangen ist. Ein Meisterwerk, wunderbar gespielt vom gesamten Ensemble, virtuos und doch zurückhaltend inszeniert. Großartige Kamera, die immer so nah an den Blickachsen ist, dass man fast das Gefühl hat jemandem im Weg zu stehen. So fühlt man sich auch sehr direkt angesprochen. Das Licht ist sehr schön, und man merkt dem Studiodreh das Studio nur dann an, wenn einem klar wird, dass das Licht unmöglich so lange gleichbleibend gewesen sein kann, und um so schöner ist es dann, wenn es sich eben doch ändert, und das Licht aus einem Gesicht verschwindet. Wunderbar. Bin so hin und weg, dass ich sogar die leitmotivische 80er Jahre Schnulze "Voyage, Voyage" ertragen habe.

          Das ist ein derart ureigener, ausgereifter Stil, wie es ihn im deutschsprachigen Kino wirklich nur ca. alle 20 Jahre zu entdecken gibt, und man kann nur hoffen, dass nicht wieder 8 Jahre vergehen müssen, bis es ihren nächsten Film zu sehen gibt. Zum Glück laden sie derart zum mehrfachen Sehen ein, dass ich genau daran noch sehr viel Freude haben werde. Großes Kino im Kleinen, ein Makrokosmos.

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          • Ich glaub ich brauch hier mal eure Hilfe. Das war mein erster Claire Denis Film (shame on me, I know) und ich stehe auch einen Tag später ein bisschen ratlos davor mit meinen Eindrücken herum:

            Was mir von Anfang an ins Auge stach, war wie "billig" er sich verkauft. Nicht falsch verstehen, Sci-Fi braucht in meinen Augen kein großes Bling-Bling, einige meiner liebsten machen aus dieser Not eine Tugend, und das Gummiball-Alien aus DARK STAR ist für mich prägender gewesen, als das der ALIEN Franchise. Hier grenzt es allerdings fast schon an ein demonstratives Desinteresse, wenn offensichtliche Hausgänge, Zimmer und Keller rudimentär zum Raumschiff umdekoriert werden. Auch damit kann ich leben, selbst wenn bei der Entsorgung von Leichen durch die offene Schleuse z.B. schon ein simples Sicherungskabel die Glaubwürdigkeit erheblich erhöht hätte, wenn die Körper dann schon offensichtlich aus dem Bild fallen. Auch das hätte man einfach nur anders auflösen müssen, um es zu kaschieren, indem man etwa den Akt des Loslassens in Großaufnahme zeigt. Aber mit zunehmender Laufzeit überwog bei mir der Eindruck von, nun ja, eben Desinteresse. Eine alternative Erklärung wäre Absicht, denn das CGI ist einfach zu sorgfältig (vgl. https://youtu.be/hhHTwJySYCg ), auch in wissenschaftlicher Hinsicht, wenn ich mich nicht irre (erinnert mit dem Schwarzen Loch z.B. sehr an INTERSTELLAR, nur viel beiläufiger, oder die Erwähnung von Effekten in der Nähe von Lichtgeschwindigkeit auf unsere Wahrnehmung - das war sehr angenehm). Unvermögen schließe ich daher aus, auch weil dafür die Schauspielführung und Montage zu gut ist. Ich finde es halt schade, weil man könnte auch mit Augenzwinkern auf das knappe Budget verweisen, oder sich eben minimal mehr anstrengen. Ich denken meinetwegen an ION TICHY, oder ach, egal. Ist ja legitim sich einfach nicht drum zu scheren. Andererseits… warum dann überhaupt eine Luftschleuse mit Zahlenschloss dekorieren? Was denn jetzt? Daher mein Stirnrunzeln.

            Parallel dazu stach der echte Umgang von Robert Pattinson mit dem Baby ins Auge, dem sehr viel Screentime eingeräumt wird. Um so offensichtlicher, da die Montage nahelegt, dass es hier viel mehr Material gab, als der finale Film erahnen lässt. Das war nicht groß gestoryboarded, oder wirkt jedenfalls nicht so (finde ich weder gut noch schlecht, wirklich wertfrei gemeint). Er gibt einen tollen Vater ab, und der nicht-linearen Montage ist es wichtig das entsprechend heraus zu stellen, bevor wir von der Zeugung erfahren. Und da wird's für mich haarig. Denn seine "Mönchshaftigkeit" wird heraus gestellt und überhöht, legt damit nahe, dass Enthaltsamkeit die Spermaqualität erhöht. Analog dazu ist die Jungfräulichkeit der Mutter mindestens ebenso wichtig für die Widerstandsfähigkeit des Kindes. Seriously? Ok. Jesus 2.0 mit Binoche als geiler Göttin, is mir recht. Darf sie bitte mal wieder mehr spielen als das? Mehr BLAU bitte. Groß aufspielen dürfen andererseits auch die anderen nicht, dazu bietet ihnen das Drehbuch zu wenig Gelegenheit, zugunsten von Raum für unsere eigenen Empfindungen. Bei mir halt leider eher Langeweile. In dem Film ist zwar alles symbolisch interpretierbar, mit fickenden Raumschiffen, oder die Reise zum und durch's Schwarze Loch, das auch nichts anderes ist als ein Geburtstunnel, und und und, ja und? Das Paradies an Bord, schön, but please, ich bin mit SILENT RUNNING und Flashbacks zur Erde ebenda und in SOLARIS aufgewachsen. Was mich auch verwirrt ist, das Yorick Le Saux (PERSONAL SHOPPER, LITTLE WOMEN) hinter der Kamera stand, und den finde ich sonst ausgezeichnet, hier harmonierte vieles für mich nicht, wie gesagt, ich steh auf dem Schlauch.

            Unterm Strich war mir das einfach zu wenig. Dann warte ich lieber weiter auf eine Serienverfilmung von Ursula K. Le Guin's "Paradises Lost", wenn wir schon das Thema "im Weltraum geborene Generation" anschneiden. Mag sein, dass das für jemanden, der noch wenig Kontakt mit Sci-Fi Erzählungen hatte, interessante Ideen und Gedanken sind, aber für mich war hier nix Neues dabei, und filmisch nicht überzeugend. Der Film lässt wunderbar viel Platz für eigene Interpretationen, wie ich es zuletzt ähnlich in AD ASTRA gesehen habe. Der macht auch nicht mehr aus seinem Stoff, braucht aber gefühlt doppelt so lange bei x-mal größerem Budget. Dafür bin ich dann doch sehr dankbar.

            Meine Frage also: Was habe ich hier verpasst? Übersehen? Ignoriert?

            PS: Lese mich gerade durch weitere Infos auf IMDB, weil es mich nicht los lässt, und stolpere da gerade über dieses Zitat der Filmemacherin: "It's about the bond of a father and his daughter in this spaceship and to me that's very emotionally powerful." Kann ich so unterschreiben, das habe ich so gesehen und wahrgenommen, aber stand dann vielleicht zu wenig im Mittelpunkt? Da hätte ich anstelle der Zeugungsfrage vielleicht lieber anderen Altersstufen der Tochter beigewohnt, als nur Baby und "geschlechtsreife" (fürchterliches Wort) Jugendliche. Weiteres Zitat: "Sexuality is about fluids. As soon as sexuality stirs within us, we know it's all about fluids - blood, sperm, etc. I thought if I wanted that fluid subtext to work, we had to reduce the sex act to masturbation. I forbade myself any naked scenes. No erect cocks, no gaping pussies." Puh, na ja. Mehr "on the nose" ging das mit den "fluids" wohl kaum, hinterließ aber ehrlich gesagt nur ein Schulterzucken bei mir. Geärgert habe ich mich hingegen sehr über die versuchte Vergewaltigung mit Rache am Vergewaltiger und Rettung des Opfers durch unseren mönchshaften Helden. Das wird auch dann nicht besser, wenn es eine Frau inszeniert. Überstrapaziertes Klischee. Ich will das nicht mehr sehen müssen. Nie mehr. Das war wohl auch konkret die Szene, wo mich der Film verloren hat. Noch eine Info: "The original script was only 30 pages long and unconventional in the sense that unlike normal scripts, it wasn't the story itself but instead only the description of a few key scenes and scientific facts (…)" Well, yes, it shows. "Claire [Denis] purposefully didn't need her performers to understand every beat. Part of this movie is about the unknown and about characters who don't necessarily understand why they are where they are." Oh weh, ja, nee.

            Damit erklären sich eigentlich meine Fragen, drum ersetzte ich sie durch eine bessere, nämlich diese: Was hätte ich mir stattdessen von Claire Denis ansehen sollen?

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            • Lieber Herbert, mach's gut. Wer ihn noch nicht kennt, schaut am besten zuerst mal hier rein, als Annäherung an das "Schaf im Wolfspelz": https://www.youtube.com/watch?v=t0hU98vgyUE - das habe ich noch auf VHS. Und auch einige seiner Filme, weil bei Netflix is nix mit "MixWix" oder seinen anderen Kleinoden, da macht euch bitte einen eigenen Reim draus, zefix no amoi.

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              • Camerimage 2021 - #20 / No Time to Die

                Hm, ok. Ich muss wohl vorausschicken, dass ich den Film nur genau bis zur Hälfte geguckt hab, und das ganz ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Das Drehbuch ist so sehr am Reißbrett durchgetaktet, dass man es sich locker leicht ausrechnen kann wenn Blofeld… aber lassen wir das. Ein paar Spuren von Phoebe Waller-Bridge waren spürbar, aber leider so spärlich gesät, dass sie kaum Wirkung auf das große Ganze haben. Und so blieb bei mir vor allem eins: Langeweile. Schon wieder, wie mehr oder weniger bei allen, die nach CASINO ROYALE kamen. Das Beste an den Bondfilmen sind inzwischen die Trailer, aus dem ich schon diesen irren Motorradstunt kannte. Darüber hinaus hat mich nur die Einführungssequenz von Ana de Armas überzeugt, die es schafft eine Uzzi als das natürlichere Accessoire als eine Handtasche wirken zu lassen, wenn man ein schwarzes Kleid trägt von dem man nicht weiß von was das wo oder wie zusammengehalten wird. Gegangen bin ich trotzdem, weil mir das einfach zu albern wurde und ich dann wenigstens etwas mehr in Stimmung dafür sein muss. War ich nicht. Wie auch, wenn von Killer-Nanobots die Rede ist, während um einen herum die Pandemie wieder massiv an Fahrt aufnimmt? Also bin ich doch noch auf die SONY-Party gegangen bis ich ein wenig beschwipst war, da war der Film aber dann auch aus, wie das Festival für dieses Jahr nun auch. Es ist einfach ähnlich wie bei den anderen großen Reihen, da ist es letztendlich genauso egal wer Regie führt, die wesentlichen Entscheidungen sind schon längst woanders gefallen. Ein wenig fühlt sich die Entwicklung der Bond-Franchise an wie der Handel mit CO2 Zertifikaten gegen den Klimawandel. Künstlerischer Wandel ist dort genauso wenig zu erwarten, wie umgekehrt ein Um- oder Einlenken in der Politik. Ein bisschen Farbe drüberpinseln, mehr ist nicht drin. Ich bin halt selbst zum tote Pferde* reiten noch zu doof.

                * riechen vielleicht etwas streng, aber werfen einen nicht ab :)

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                • Camerimage 2021 - #19

                  Das war weit besser als ich erwartet hätte, und trotzdem bleibe ich ein bisschen ratlos damit zurück. Für eine romantische Komödie ist der Film eigentlich zu schlau und versucht erst gar nicht das zu verstecken. Das macht dann erstaunlich viel Spaß, man guckt gerne zu, und ist gut unterhalten. Fehlt ihm am Ende was? Eigentlich nicht, es ist halt nicht das, was man vom Genre erwartet, was in jeder Hinsicht erfrischend ist, aber eine gewisse, ungelenke deutsche Steifheit bleibt, auch wenn sie mit englischem Akzent spricht. Gleichzeitig passt das zum Film, also worüber beschwere ich mich hier eigentlich? Tue ich das denn? Ich glaube nicht. Für eine romantische Komödie ist diese wirklich erfrischend, und ich hätte dem gerne einfach noch länger zugeguckt - was gleichzeitig bedeutet, dass er den richtigen Zeitpunkt für den Schluss erwischt hat. Wahrscheinlich wunderte ich mich insgeheim nur darüber, warum nicht stattdessen NAHSCHUSS als deutscher Oscar-Vorauswahlfilm eingereicht worden ist. Schade, aber halt auch nicht mehr zu ändern. Die beiden Hauptdarsteller spielen jedenfalls toll auf, und es macht Spaß ihnen dabei zuzusehen.

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                  • Camerimage 2021 - #18

                    Wenn schon die Verleiher nichts mit dem Film anfangen können und ihm einen bescheuerten deutschen Titel verpassen, der so rein gar nichts aussagt - dann überrascht es einen auch nicht, dass die Trailer-Schmieden damit überfordert waren. Dabei kehrt hier Jacques Audiard nach seinem gelungenen Hollywoodausflug zu seiner rohen Art des Filmemachens zurück, für die ich ihn lieben und bewundern gelernt habe. Im besten Sinne des Wortes lebendiges Kino, das von seiner bewegten Kamera lebt, wie Paul Guilhaume selbst herausstellte, der ein brillantes Making-of-Seminar anstelle eines Q&As gab. Vielleicht kriege ich ihn morgen noch vor meine Kamera, es würde sich lohnen. So viel habe ich noch nie über Audiard erfahren dürfen, wie ungeduldig er am Set sei, das nach fünf Minuten das Licht stehen müsse, und dann werde in einem Affentempo gedreht. Das mag vielleicht nicht auf alle seine Filme übertragbar sein, aber in diesem spielen auch Laien mit, und womöglich hat es damit zu tun, aber verlieben tut man sich hier ohnehin in alle Protagonisten. Das muss ihm erstmal wer nachmachen. Dieser Film pumpt und atmet Leben in einem brillanten s/w, dessen Rezept uns der Kameramann dann einfach verraten hat. Man muss nichts über diesen Film wissen, um ihn genießen zu können, er folgt einfach einer handvoll Menschen über ein paar Monate, die in der gleichen Ecke von Paris wohnen (eben dem 13. Distrikt, genauer den "Les Olympiades" genannten Hochhäuser) und mehr oder weniger miteinander zu tun haben, sich lieben oder vielleicht doch eher nicht, und sich mit ihren diversen Problemchen herumschlagen. Das ist so lebendig, leicht und grundehrlich erzählt und beobachtet, dass es es einen mitreißt. Die anfängliche Banalität wird mit jeder Szene komplexer, bis man so tief in der Story und den Figuren steckt, dass man gegen Ende mit allen mitfiebert. Der Schnitt von Juliette Welfling ist die Definition von Perfektion und bringt eine Struktur in dieses Chaos, dass man gar nicht mehr merkt wie die Zeit vergeht. Besser kann Kino nicht sein. Und Noémie Merlant ist einmal mehr unwiderstehlich bis an die Schmerzgrenze. Die Bandbreite an Emotionen die sie ohne Worte zu spielen in der Lage ist, raubt einem den Atem. Nach diesem Film will ich mal wieder nach Frankreich ziehen um dort zu leben bis ich sterbe. So und nicht anders muss Kino sein.

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                    • Camerimage 2021 - #17

                      Es gab den kurzen Schrecken, ob Dave Grohl womöglich selbst anwesend sein könnte, denn da war ein Q&A nach dem Film angesetzt. Ich hab ihn zuletzt im November 1991 in München im Nachtwerk auf der Bühne gesehen, auf Nirvana's Nevermind-Tour, mit den Screaming Trees im Vorprogramm. Das war ungefähr zu der Zeit, als "das" Video herauskam und plötzlich alle Welt durchdrehte. An jenem Abend war die Halle nicht mal voll, und das Nachtwerk als Halle zu bezeichnen, ist dabei schon sehr wohlwollend formuliert. Hier geben sich so viele Musiker quasi die Autoschlüssel in die Hand, dass selbst die Beatles einen fahren lassen. Auch wir Fans aus der Provinz mussten genauso zu den Konzerten fahren, aber glücklicherweise konnten wir uns immerhin den Sprit teilen, weil wir die Karten meistens umsonst bekamen. Also umsonst im Sinne von wir schrieben für unser Fanzine ( speedgickerl.com ) darüber und machten ab und zu sogar Interviews ohne nennenswerte Englisch-Kenntnisse. Ganz ehrlich? Ohne diese bekloppte Zeit vor 30 (und mehr) Jahren säße ich heute nicht hier und würde Interviews mit Kameraleuten machen. Muss der Chefredakteur ja nicht wissen. Also weder der heutige, noch der damalige. Schon gar nicht, dass ich manche der seinerzeit begonnenen Artikel bis heute nicht abgegeben habe. Eine Band hat sich sogar aufgelöst, ist jetzt 30 Jahre später wieder zusammen und arbeitet an einem neuen Album (Damn the machine). Das sind so die Momente, da komme ich ins Grübeln darüber, was ich hier eigentlich mache? Spaß haben natürlich, damals wie heute. Wer das nicht am eigenen Leib erlebt hat, das krumm auf Rücksitzen schlafen, bei Gigs Stagediver in die Fresse kriegen oder sich wenigstens in Moshpits blutige Zehen geholt hat, der hat heute sicher weder Rückenprobleme, fehlende Zähne oder braucht Schuheinlagen - aber das ist überhaupt nicht der Punkt, sondern der Punk! Rock! Roll! Drauf geschissen, dass das nur Talking Heads mit Tonnen von Archivmaterial sind, aber die bringen Erinnerungen zurück. Die berechtigte Frage ist halt, wo bleibt eine neue Rockband, die heute Arenen füllt? Andererseits ist mir das egal, denn die besten Konzerte waren immer jene in den kleineren, intimen Clubs. Solche wie das Nachtwerk, wo ich z.B. noch Pearl Jam, Soundgarden, Rage against the Machine, Primus und viele andere gesehen habe. Alle so um 1991/92 herum. Und die anderen Bands anderswo. Eine herrliche Zeitreise für so olle alte Dickschädel wie mich.

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                      • Camerimage 2021 - #15

                        Gruselig, wie Dating vor 200 Jahren ablief. Viel interessanter war aber, wie meisterhaft William Wyler mit Räumen und Türen arbeitet, seine Figuren anderen in der Bildkomposition bedrängen lässt, mit wie wenigen Großaufnahmen man damals noch in Filmen auskam, und wie viel Tiefenschärfe diese Bilder hatten, obwohl das Filmmaterial damals viel unempfindlicher war - vor allem im Vergleich zu heutigen Kameras, die mehr sehen als das menschliche Auge. Dumm nur, dass ich früher raus musste, und jetzt wohl nie erfahren werde, ob Olivia de Havilland und Montgomery Clift am Ende doch noch heiraten können werden. (seufz) Zusätzlich brachte mich durcheinander, dass es im Film auf 11.00 Uhr zugeht, wenn er um ihre Hand anhalten wollte und ich ständig nachrechnete, dass ich dann ja noch 20 Minuten sitzen bleiben könnte, weil auf dem Weg vom Kino zum Konferenzraum brauche ich ja nur - und dann bin ich beinahe zu spät los.

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                        • Camerimage 2021 - #14

                          Was hat Clooney insgeheim vor, den Streaminganbieter-Hattrick? Nach Netflix läuft sein neuer Film nun bei den Amazon Studios, und von all seinen Regiearbeiten, dürfte das seine zugänglichste sein. Sie wirkt beinahe wie eine Fortsetzung der Motive aus C'MON C'MON, was natürlich Quatsch ist, aber man beginnt auf einem Festival unvermeidlich auch da Verbindungen zu sehen, wo keine sind, und wenn sie noch so kuratiert wirken. Wobei manches ist ja tatsächlich kuratiert, aber das gehört in meinen Festivalartikel, nicht hierher. THE TENDER BAR ist ein Wohlfühlfilm mit einem grandios aufgelegtem Ben Affleck und auch sonst toller Besetzung, Tye Sheridan sehe ich zum ersten Mal seit MUD wieder, und er trägt die Rolle perfekt. Damit ist leider schon so ziemlich alles gesagt, und Joaquin Phoenix ist immer noch der bessere Onkel, aber man kann ja zum Glück auch mehr als einen haben. Ein Onkel im Ärmel. Könnte schon wieder ein Billy Wilder Film sein, und damit schließt sich für mich der Kreis des heutigen Tages.

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                          • Camerimage 2021 - #12

                            Es gibt glaube ich keinen besseren Weg einen Tag zu beginnen, als mit einem Film von Billy Wilder. Schon nach den ersten Dialogzeilen ist man verliebt in diesen einzigartigen Stil, der nie nur witzig ist, sondern auch immer etwas über die Charaktere und deren Weltsicht, sowie die Zeit in der die Geschichte spielt erzählt. Hier dekonstruiert Wilder alles, was man über Journalismus wissen muss, und obwohl vor 70 Jahren gedreht, leider so aktuell wie eh und je. Warum hier zwei Leute aus dem Film gegangen sind, ist mir schleierhaft. Ich tippe mal auf Durchfall. Jedenfalls lief der in der "Remembering the Masters" Sektion, die eigentlich bisher Kameraleuten galt, aber in diesem Fall eben nicht einmal Billy Wilder, sondern Kirk Douglas. Morgen ist es dann Olivia de Havilland, und… nun ja, ich werde früher raus müssen, weil sich die Vorstellung mit einem Interview-Termin überschneidet. Also waren das heute früh vielleicht nur Kollegen von mir? Das fände ich deutlich sympathischer, als sie als Banausen abzustempeln. Zu ihrem Glück war es ja zu dunkel im Saal, als das ich mir ihre Nummernschilder hätte merken können. Oder ob sie gleichzeitig Gürtel und Hosenträger tragen.

                            PS: Gönnt euch bitte allein diesen fantastischen Filmanfang: https://youtu.be/uz0Vql8g_9w

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                            • jp@movies: Film & TV Kamera 17.11.2021, 00:51 Geändert 17.11.2021, 01:06

                              Camerimage 2021 - #11

                              Was sagt es über einen Kinofilm aus, wenn der komplette Saal von Anfang an wie hypnotisiert von dem Geschehen auf der Leinwand mitgerissen wird, und bis ans Ende des Abspanns gespannt alle Wendungen mitverfolgt? So gefesselt habe ich lange keinen Saal mehr wahrgenommen, und das bei einer Geschichte, in der sich eigentlich nur der Onkel für ein paar Tage um seinen 9-jährigen Neffen kümmert. So simpel dieser Plot ist, er erzählt verdammt nochmal alles, was man über Elternschaft wissen muss. Und zwar gute Eltern. Richtig. Gute. Eltern. Eltern oder Erwachsene, die unseren jungen Menschen zuhören. Dieser Film macht etwas mit einem, weil er nicht mehr und nicht weniger schafft, als den Sinn des Lebens zu erzählen. Nachvollziehbar. Also alles. Unfassbar großartiger Film, ich liebe alles an ihm, bin völlig von den Socken, und damit nicht alleine. Meisterwerk. Trust me on this.

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                              • Camerimage 2021 - #4

                                Oh weh, wie soll man über diesen Film schreiben, ohne Ständer, äh standesgemäß… und schon ist's passiert. Nein, ich meinte wirklich die Standesgesellschaft, wenn der Ingenieur und die Tochter aus hohem Hause einander vielsagend Blicke zuwerfen. Wären es nicht Romain Duris und Emma Mackey würde man es eh nicht glauben, und am schönsten gelingt das noch in einer Tanzszene der beiden unter aller Augen, die ohne Schnitt gedreht ist. Alles andere ist so wie man es schon zu oft ähnlich gesehen hat, als das es als Gerüst den Film tragen würde. Bleibt noch die Errichtung des gleichnamigen Turms. Auch die kommt beinahe zu kurz, dabei spielt dessen Höhe von 300m eine wichtige Rolle - obwohl es mal hieß auf die Länge, äh Höhe käme es nicht an? Erklimmt hier wirklich die Herzensdame die Baustelle, besteigt und erklimmt also symbolisch den… oh Mann. Da wird mir genauso schwindlig wie ihr. Der pubertierende Junge in mir hat jedenfalls den ganzen Film über in der Küchenpsychologie (ist das eigentliche Thema des Films Impotenz?) herumgerührt und vor sich hin gekichert, während auf der Leinwand eine Szene nach der anderen zu unangebrachten Peniswitzen einlud. Da wird wie wild skizziert, wenn man sich eigentlich die Klamotten vom Leib reißen will, und er malt im Grunde was nochmal in der Horizontalen was mal vertikal stehen sollte? Für mehr als hundert Jahre? Für die Ewigkeit? Man errichtet halt keinen Turm, in dem es von Arbeitern wimmelt, von denen schon zuvor jeder Einzelne rettend an Land gezogen wurde, wenn er von der Brückenbaustelle ins Wasser fiel (Was ist die Lösung? Die Morgenlatte lässt aufrichten: "Ich brauche mehr Holz."). Hat da noch jemand "every sperm is sacred" von Monty Python auf dem Ohr, oder war das nur ich? Ach ja, die Musik von Alexandre Desplat recycelt seine eigenen Motive von IMITATION GAME bis UN PROPHET und fügt dem nicht wirklich Neues hinzu, genauso wenig wie der Film dem romantischen Liebesfilm. Ein Film wie Viagra, aber halt leider ohne Partner, weil eigentlich zu sehr auf den eigenen, namensgebenden Pille(r)mann konzentriert :)

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                                • Camerimage 2021 - #3

                                  Lars Eidinger kann ich in deutschen Filmen so gut wie nie etwas abgewinnen, doch in diesem schafft er unter der Regie von Franziska Stünkel das Kunststück, ihn eigentlich allein komplett über seine Atmung zu spielen. Wie er raucht, flach atmet, den Rhythmus verliert, sie anhält, nach Luft japst - das klingt jetzt in der Aufzählung dramatischer als es ist, denn es ist wirklich mehr für das Ohr, und wer immer diese Tonmischung gemacht hat, verdient mehr Aufmerksamkeit. Wer "Am Fenster" von City ausgewählt hat, allerdings nicht. Doch, ich mag's, aber ich kann's nicht mehr hören, wenn es als d a s Lied mit DDR-Hintergrund benutzt wird. Warum nicht wenigstens mal nur das lange Intro? Aber egal, der Film funktioniert und trumpft mit vielen Gänsehautmomenten auf, die zum Teil dem Dreh an Originalschauplätzen geschuldet sind, aber stets von den ausgezeichneten darstellerischen Leistungen getragen wird. Nicht nur Eidinger glänzt, auch Luise Heyer und Devid Striesow bekommen Szenen, die ihre Nebenfiguren aus dem Schatten holen. Es sind die stillen Momente dieses Dramas, die im Gedächtnis bleiben, nicht das Ende. Die kleinen Lebenswelten zuvor sind das, was berührt, die Schicksale von Menschen, die unbedachte Schritte nicht mehr rückgängig machen können in einem Staat, der seinen Bürgern nicht vertraut.

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                                  • Camerimage 2021 - #6

                                    Was für eine Wucht von einem Film. Vertraut gänzlich dem starken Spiel seiner Hauptdarsteller und zeugt von großer künstlerischen Reife, brennt sich einem ins Gedächtnis, äh, geht einem unter die Haut und bleibt dort. Je weniger man vorher weiß, desto besser, um so heftiger treffen vor allem im ersten Drittel die ohnehin seltenen, wenigen Worte. Welches Gewicht die bekommen, was in der Stille dazwischen hängt, zerreißt einen. Spärlich eingesetzte, einsame Trompetenklänge sind fast alles, was man als Soundtrack zu hören bekommt, und mehr braucht es auch gar nicht. Ich könnte noch deutlich mehr schreiben, aber belasse es bei der Empfehlung: Wenn ich euch bisher nur einen einzigen Film empfehlen dürfte (und während ich dies schreibe bin ich schon einige weiter, ich komme ja kaum hinterher), dann wäre es dieser hier. Dieses gänzlich unpädagogische Plädoyer für menschliche Wärme, Liebe und Freiheit weitet euch das Herz, wenn ihr noch eins habt.

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                                    • Camerimage 2021 - #9

                                      Ein Bilderrausch. Bin aufgrund von Müdigkeit mindestens mehralseinmalgenickt, und ich bin mir nicht sicher, ob das den Film nicht sogar besser gemacht hat. Die Märchen- bis Traumhaftigkeit reißt einen sicher auch ohne Festival-Schlafentzug irgendwann mit, der Anfang war mir dennoch ein wenig zu holprig erzählt, doch wenn man sich dann erstmal - wie der Protagonist ja auch - in den Bildern verlaufen hat, ist es einfach nur wunderschön. Alicia Vikander hat einen atemberaubend schön gesprochenen Monolog, der einem wie Honig ist Ohr geht, und nicht nur ihretwegen möchte ich den Film unbedingt noch einmal sehen. Er ist wie eine Schatztruhe auf dem Dachboden, die einen immer wieder einlädt hinein zu gucken, obwohl man eigentlich genau um jedes Stück weiß, das darin liegt. Also vorausgesetzt ich bin dann an anderen Stellen wacher, als beim ersten Mal.

                                      THE GREEN KNIGHT wäre toll im Doublefeature mit TRAGEDY OF MACBETH, denn wo letzterer beim Festivalauftakt noch nüchtern war, ist ersterer regelrecht besoffen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Na gut, vielleicht doch ein wenig, das macht aber nix. Nach dem Q&A um kurz vor ein Uhr morgens ist Lowery noch zurück ins Hotel um die neue Schnittfassung von PETER PAN & WENDY abzunehmen sowie weiter am nächsten Drehbuch zu schreiben. Der Mann schläft wahrhaftig nicht, und bringt seine Träume stattdessen gleich zu Papier. So kann man es natürlich auch machen.

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                                      • Camerimage 2021 - #5

                                        Schockverliebt schon bei den ersten Klängen von Jonny Greenwood - glaubt ihr nicht? Bittersehr: https://youtu.be/OySTGT3gBVo Die Bilder der Landschaften sind eine Augenweide. Wo die Kühe das Gras fressen, glotzt man sich die als Zuschauer die Augen voll. Jane Campion ist in bester Erzähllaune, und Benedict Cumberbatch spielt unter seiner rauhen Schale so viel mit, dass man ihm beinahe verzeiht, was für ein Arschloch er hier doch eigentlich ist. Noch mehr gefreut habe ich mich allerdings über die neuerliche Paarung von Kirsten Dunst mit Jesse Plemons, das bei mir auf angenehmste Weise FARGO Staffel 2 "You've got to stop stabbing him"-Vibes ausgelöst hat. Wenn man Kodi Smit-McPhee als Sohn hier beinahe übersieht, obwohl seiner Stimme die ersten Worte des Films gehören, hat man nicht aufgepasst, ist aber vielleicht auch ganz gut so. Hat mich gut unterhalten der Film, aber was neben dem Soundtrack noch am meisten hängen bleibt ist, dass niemand Pullover (oder Wolle?) so tragen kann wie Kirsten Dunst. Zeit für ein Essay über Wolle tragen im Film, narrated by Christopher Walken: https://youtu.be/OIXHzKpgBFo

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                                        • über Titane

                                          Camerimage 2021 - #8

                                          Der Hype um den Film ist mit einem lauten Zischen an mir vorbei gerauscht, und ließ mich mit einem eher gleichgültigen Schulterzucken zurück. Wenn ich ein Essay über die Auflösung und Dekonstruktion von Familien und Geschlechtern schreiben müsste, wäre ich sehr glücklich mit dem Film geworden, als Film leider überhaupt nicht. Zu fragmentarisch blieb er mir am Ende egal. Für Körperhorror bleibt Cronenberg Referenz, für ästhetisierte Gewalteskapaden Tarantino und für Feuerwehr Grisu, der kleine Drache.

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                                          • Camerimage 2021 - #2

                                            Kameramann José Luis Alcaine erzählte vorab von den über 300 Tagen Sonnenschein im Jahr mit denen er aufgewachsen ist, und dass der Film ebenso sonnendurchflutet sei, er Almodovar sogar dazu angehalten habe die Szenen mit Uhrzeiten zu versehen, so dass er sie in entsprechendes Licht tauchen könne. Im Corona-Lockdown habe er Filme der 40er bis 70er Jahre geguckt, deren größere Tiefenschärfe es den Zuschauern erlaube sich auszusuchen*, wo sie hinsehen wollten. Auch das hat er übernommen, und nur die ersten paar Einstellungen achtet man tatsächlich noch darauf, ehe einen der Film mitreißt und man - nun ja - sehr viele Untertitel lesen muss. Der Dialoglastigkeit zum Trotz ist der Film einmal mehr perfekt konstruiert und läuft wie eine geölte Maschine. Wie wunderbar einfach und genial Kamera und Regie hier Dinge erzählen, erkennt man zum Beispiel daran, wenn in einer zentralen Szene oberflächlich nicht mehr passiert, als dass die Darstellerinnen die Seiten im Raum getauscht haben. Darin steckt eine Meisterschaft, der ich gerne zusehe.

                                            * Quergucker?

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                                            • jp@movies: Film & TV Kamera 14.11.2021, 09:29 Geändert 15.11.2021, 08:19
                                              über Macbeth

                                              Camerimage 2021 - #1

                                              Dieser Film stellte nicht nur den Eröffnungsfilm dar, sondern - wie ich zu meiner Schande gestehen muss - die erste Macbeth-Verfilmung, die ich überhaupt sehe. So wie ich im Saal erst noch einen Sitz finden musste, suchte ich dann nach einem Weg an der geschliffenen Sprache vorbei in den Film hinein. Den fand ich sogleich in den Bildern, an deren Härte und Klarheit man sich die Halsschlagader aufschneiden kann. Atemberaubend schöne Kompositionen! Linien! Schatten! Nebel! Gesichter! Untermalt mit so tiefen Klängen von Carter Burwell, dass sie genüßlich Erdbeben auslösen und Bäume an den Wurzeln durchsägen. Das macht großen Spaß, auch wenn einem die Nuancen der Sprache desöfteren entgleiten. Ich glaube das größte Kompliment, das man dem Film machen kann ist, dass er so komplett aus der Zeit fällt, in der er entstanden ist, dass er so zeitlos wird, wie seine Vorlage, und deswegen leider von vielen ebenso links liegen gelassen wird. Hochkultur, und ich bin ein unwürdiger Kulturbanause, der sich dabei dennoch ins Fäustchen lacht.

                                              Im anschließende Q&A erzählen Joel Coen und Bruno Delbonnel noch von ihrem "Was wäre wenn…" Dialog-Pingpong am Set, mit dem sie sich jeder Szene angenähert haben. Beide unterstrichen dabei, dass ihnen daran gelegen war, die Geschichte bis auf ihre Knochen herunter zu brechen, und selbst die Mauern von allen Ornamenten und Schnickschnack zu befreien, bis sie nur noch die Trennwände zwischen zwei Räumen sind. Das sieht man, und es sieht vom ersten bis zum letzten Bild fantastisch aus.

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                                              • Der hat richtig Spaß gemacht und läuft von Anfang bis Ende wie eine gut geölte Maschine, der man die viele Arbeit dahinter nicht anmerkt. So leichtfüßig wie die schönste Tanzeinlage seit… euch halt zuletzt eine derart im Gedächtnis geblieben ist, die euch vor Begeisterung grinsend zurück gelassen hat.

                                                Der Film spielt ja mit einer Protagonistin, die die Kultur, Mode und Musik der 60er Jahre verehrt und sich in der heutigen Zeit fremd fühlt, während Edgar Wright das hinter der Kamera gekonnt auf die Bildästhetik und entsprechende Filmklassiker überträgt, die er mindestens ebenso liebt, wie unsereins. LAST NIGHT IN SOHO passt wunderbar in eine Reihe von diversen Polanski Filmen oder L'ENFER von Henri-Georges Clouzot (kein Spoiler, nur Ästhetik): https://youtu.be/aZ38CcJ-2vw - ohne dass man einen davon gesehen haben müsste. Und wenn sie ihn jetzt nicht den nächsten Bond drehen lassen, haben die Brokkolis wohl selbigen nur zerkocht im Hirn.

                                                War der perfekte Film für das Halloween-Wochenende, und mein erster Kinobesuch seit 18 Monaten. Boah, was hat mir die Leinwand gefehlt. Gönnt euch und genießt jede Minute!

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                                                • An sich gucke ich Amy Adams ja gerne dabei zu, wie sie sich aus schicken Weingläsern betrinkt, und auch darüber hinaus spielt sie gewohnt fantastisch, nuanciert, überzeugend. Nur hat hier außer ihr niemand viel zu tun, was schade ist, denn die Besetzung war zum Finger schlecken, versprach großartiges, kriegte immerhinpro Kopf eine halbgare Minute, in der aufblitzt, was hätte sein können, oder werden gleich ganz übergangen, wie Jennifer Jason Leigh von Moviepilot - ja, die ist hier nämlich auch noch mit dabei, und in dem Moment, wo sie beinahe was interessantes am Telefon gesagt hätte, wird unhöflich aufgelegt. So wagt sich noch vor der Protagonistin vor allem das Drehbuch nicht aus den selbst gesetzten Genre-Grenzen hinaus, und wenn allein das Production Design, sowie die Kameraarbeit mehr Hitchcock Easter-Eggs unterbringen, als der zugrunde liegende Plot, dann hat der Film ein Problem. Ein Riesenproblem, mit einem großen, schimmligen Loch aus Langeweile in der Mitte. Die Inszenierung hat gar keinen Bock, der Schnitt fragmentarisiert alles lieb- ja sogar grundlos, und über die dumme, alles viel zu dick zukleisternde Musikbrühe würde ich mich immer noch aufregend, wenn davon wenigstens ein Motiv hängen geblieben wäre. Das hatte aber ja nicht mal der Mörder, also was soll's. Prost Amy, we feel you.

                                                  PS: Wie kann es sein, das Netflix so unfassbar schlecht in der Produktion von Spielfilmen ist? Ich mein, wenn sie welche einkaufen und sich nur noch ins gemachte Nest setzen müssen, geht's noch, aber sonst? Grundgütiger.

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                                                  • SPOILER durch und durch, bitte weitergehen!

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                                                    Ok. Was soll das jetzt? Wir sind doch vorher nach links(!) abgebogen, während die deutschen Siedler auf der A8 im Stau stehen. Johanna hat ihre Kindheitserinnerung konfrontiert, kann sie hinter sich lassen und kehrt zu den Indianern zurück. Tom „Kidd“ Hanks nimmt sich daran ein Beispiel und stellt sich dem Tod seiner Frau und kehrt daanch zu der tollen Hotelbetreiberin zurück, die seit Jahren auf ihn wartet - zu der Person dank derer Sprachkenntnisse der „Onkel“ dann auch weiter Kontakt zu seiner Adoptiv-Nichte halten kann. Eine ganzheitliche, kreisförmige Lebensphilosophie, nicht mehr linear der Straße folgen, wie in der stärksten und anrührendsten Szene des Films, wo Helena Zengel ohne Worte Hanks an die Wand spielt, und ihn den Wagen und uns die Luft anhalten lässt. Hammer! Auch so wär’s immer noch ein Wohlfühlfilm, aber nun ja, runder vielleicht?

                                                    Das liest sich doch so, als wäre es exakt so angelegt worden, oder spinne ich? Hat hier jemand den zugrunde liegenden Roman gelesen? Ist es da auch so? Stattdessen zieht sich das echte Ende danach endgültig in die Länge und hört auf wie jede Nachrichtensendung heute: mit der lustigen Meldung, die einen die Hiobsbotschaften davor vergessen lässt. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Und jetzt das Wetter.

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