jp@movies - Kommentare

Alle Kommentare von jp@movies

  • jp@movies: Film & TV Kamera 06.02.2022, 14:33 Geändert 09.02.2022, 12:39

    "That was some intense stuff in there, Carroll."

    Erst vier von zehn Folgen gesehen, aber ich kann es nicht länger aushalten und muss sie euch jetzt schon empfehlen. Das dachte ich schon nach der Pilotfolge, die so unfassbar gut war, in allen Belangen: Buch, Inszenierung, Besetzung, Schauspiel, Kamera, Schnitt… die zweite Folge ist dann deutlich schwerer verdaulich, weil sie so viele Lücken haben muss, die sich erst im weiteren Verlauf füllen werden (vgl. Folge 4 und ff, nehme ich an, but wtf do I know?), aber Folge drei knallt dann wieder sooo voll auf allen Ebenen, ohne dabei laut werden zu müssen - überhaupt braucht es so wenig um so viel zu sagen. So einen Achterbahnfahrt an Mitgefühl und grundlegenden Existenzfragen hatte ich zuletzt bei THE LEFTOVERS, und wenig verwunderlich steckt hinter der Buchadaption Patrick Somerville, der dort schon ein paar Folgen schreiben durfte (wie auch bei MANIAC, aber erinnert mich daran, dass ich jetzt noch MADE FOR LOVE gucken will). Die Dreharbeiten über den tödlichen Ausbruch einer Pandemie mussten übrigens Aufgrund des Ausbruchs einer tödlichen Pandemie verschoben werden. Umso gegenwärtiger fühlt es sich an und stellt die richtigen Fragen für eine Zeit danach. Guckt keine Trailer, stürzt euch hinein. Aufmerksam.

    Das ist sicher keine Serie für jeden - aber hey, welche ist das schon? Eine konkrete Empfehlung gebe ich ganz am Ende, aber für den Moment möchte ich herausstellen, was für eine Wohltat es ist, wenn etwas von Anfang an handwerklich so gut ist, dass ich genau den Umstand gleich wieder vergesse. Oder höchstens für Sekunden registriere, das hier jemand während des Telefonats in der S-Bahn kurz am Ende des Wagen steht, weil er nicht will, dass ein Kind mithört, und sich dann dort von außen rot-blaue Lichter reflektieren. Blocking, Kamera und Licht vom allerfeinsten, und man muss für nix davon ein Auge haben um trotzdem von der Story mitgerissen zu werden. Und das ist nur der verdammte Anfang. Es wird so viel mehr aufgemacht, aber alles war bereits in der Pilotfolge angelegt, nur ohne dass wir den späteren Implikationen unsere volle Aufmerksamkeit gewidmet hätten (wie denn auch?), eben weil es da so beiläufig leicht inszeniert war. Und es gibt nichts, das schwerer hin zu kriegen ist, als das. Etwas zu ruinieren oder überdeutlich heraus zu stellen (Zeitlupe! Close-up!) wäre viel einfacher, und die Stimmen gab es bestimmt am Set und hinter den Kulissen im Schnittraum. Ich bin so aufmerksam mit allen Sinnen dabei, dass mir in Folge vier an einer Stelle sogar auffiel, das vermutlich ein Reaktions-Gegenschuss von Dieter am Tisch leicht aus der Chronologie innerhalb der Szene nach hinten verschoben wurde, aber Himmel, ich bin Cutter - das ist mein Job. Ich liebe alles bis hierher! Nun ja, vielleicht bis auf die Entscheidung Lori Petty wieder gleichzeitig die Haare zu rasieren und ihr eine Brille mit breitem Rahmen auf zu setzen - das ist einfach keine gute Idee. Sobald eins von beiden fehlt, geht es sofort, ansonsten wähnt man sich halt kurz wieder im Frauenknast. Egal. Die Verletzlichkeit in den Augen von Mackenzie Davis macht alles wieder wett. Endlich nach HALT AND CATCH FIRE wieder eine Rolle mit Tiefgang. Voll in den Bauch, man weiß gar nicht, ob man das überlebt. Mehr verrate ich nicht, weil weiß ja eh noch nicht wie es weiter geht :)

    Alle die was mit Kultur machen und / oder was mit Kindern zu tun haben (ohne dass es die eigenen sein müssen), sei diese große Mini-Serie wärmstens ans Herz gelegt. Gerade jetzt. Unbedingt.

    "There is no rescue mission. We are safe."

    PS: Ein paar Anmerkungen noch, nachdem ich jetzt durch bin: Ich kann verstehen, wenn Leute damit Schwierigkeiten haben, die hatte ich auch. Theaterleute haben mich schon immer mit ihren Fimmeln genervt, und das bildet diese Serie so hervorragend ab, dass es mir die Fussnägel aufrollt. Das ist gleichzeitig fantastisch und furchtbar… wenn ihr versteht was ich meine? Dennoch ist hier alles verdammt gut umgesetzt, vor allem nachdem ich jetzt online Vergleiche zum Buch gelesen habe. Die Adaption ist mutig, und was hier rausgeholt wurde, hat mich abgeholt, verloren, wieder mitgenommen und unterm Strich sehr glücklich gemacht. Mehr kann man nicht verlangen. Und Bonuspunkte gibt es sicher für die treffende Darstellung meiner Zivi-Zeit, bzw. deren Prequel? Ist nicht so leicht zu beschreiben, ohne spoilern zu müssen, deswegen lasse ich das an dieser Stelle so stehen. Ist vage genug, und ich hoffe die Serie findet noch mehr Zuschauer, die noch gar nicht wissen, wie sehr sie genau diese gerade brauchen. Haltet durch. Sie findet euch neun Mal, vielleicht sogar zehn Mal…

    "Why are you helping me?" - "Stabbing you didn't work."

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    • über MaPa

      Noch kein einziger Kommentar hier? Na dann… mach ich halt den Anfang. Wie die Serie auch, denn sowas habe ich aus Deutschland noch nicht gesehen. Jedenfalls nicht so ehrlich und gut beobachtet. Vielleicht in AFTER LIFE, aber mit einem Kleinkind anstelle des Hundes? Ok, das ist jetzt nicht fair, denn jeder weiß, dass der deutsche Fernsehzuschauer da lieber dem Schäferhund folgt, als einem alleinerziehenden Vater auf den Spielplatz. MILCHEINSCHUSS fiele mir noch als andere Referenz ein, aber bleiben wir mal in Berlin und lassen uns auf der Straße stilecht von einem Bettelpunk beleidigen.

      Der Plot klingt natürlich erstmal gar nicht nach lustig - wie denn auch, wenn die Mutter des Babys tot ist? Dank der nichtlinearen Erzählweise kriegen wir aber die sehr ansteckend lebendige Emma trotzdem viel zu Gesicht, und ich gebe gerne zu, dass Lia von Blarer dem Protagonisten hier ein wenig die Schau stiehlt. Ja, es geht durchweg um Eltern- und Vaterschaft, und davor darf man gerne auch ein bisschen Schiss haben, verdammt. Aber wie bei allem im Leben gibt es eine Geheimwaffe, mit der man alles bewältigen kann, und die heißt Humor. Damit sind manche Deutsche schon in der Vorstellung überfordert, aber glücklicherweise nicht die Autoren (“Voll geil mit der Amnesie, haben wir voll lang nicht mehr erzählt.”). Der Humor ist hier endlich mal nicht von der Hau-Drauf-Sorte, sondern fein inszeniert, leise, hintergründig, und traut seinen Zuschauern zu das alles ohne Lacher vom Band zu verstehen. Wenn ich mich so ernst genommen fühle, kann ich befreit lachen. Es geht nämlich auch ohne Dauergelaber und mit Montagesequenzen. Und Klobürsten.

      Selbst Situationen, die uns zunächst als gefährlich "pädagogisch wertvoll" anmuten, weil uns Jahre an ÖRR-Produktionen schon entsprechend kaputt konditioniert haben, fallen uns hier auf die Füße und lassen erleichtert losprusten. “Du schubst deine Mutter?”

      Ein geübtes Auge sieht der Serie zwar ihren Geldmangel an, aber das wird durch Engagement und Herzblut vom Team und dem tollen Ensemble aufgefangen, was eigentlich eine Schande ist. Die Grimme-Preis Nominierung haben sie sich mehr als verdient, und wenn es eine höhere Gerechtigkeit (und nicht nur eine Jury) gäbe, dann würden sie mit Abstand gewinnen. Dass es sie überhaupt gibt ist ein kleines Wunder, wie jedes Kind, dass es auf die Welt schafft. Das spürt man, und ich wollte Lene weiter beim größer werden und Metin beim erwachsener werden zusehen. Stattdessen wird das Baby wohl aus dem Fenster geschmissen. Nicht auszudenken, was man da mit ein bisschen mehr Geld draus machen könnte. International Emmy? Yepp. Mindestens. Ich wär ja schon mit ner zweiten Staffel zufrieden.

      Aber es ist halt wie es ist: “Die Welt ist ein Zebra.”

      Tut euch einen gefallen, und wenn Schotty Werbung dafür machen dürfte, würde er es vermutlich so tun: Wo sich andere vor Angst in die Windel machen, da haben wir das Baby schon geschaukelt.

      Ab diesem Wochenende in der ARD-Mediathek. Nehmt euch ein bisschen Zeit und schaut rein, ihr werdet es nicht bereuen.

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      • jp@movies: Film & TV Kamera 23.01.2021, 14:47 Geändert 23.01.2021, 15:25

        Die Begeisterung über diese Serie konnte ich in ihrem Verlauf immer weniger nachvollziehen. Die Idee ist hervorragend, die Besetzung und die Ausgangssituation in der Gegenwart auch, aber dann hört es halt leider auch schon auf. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn ich Aufmerksamkeit übrig habe, um z.B. auf die Kameraarbeit und die Lichtsetzung zu achten. Oder das Blocking, die Inszenierung, und dann halt auch noch die Drehbücher. All das ist halt leider überhaupt nicht gut, eher gerade mal TV-Durchschnitt, zu hell, zu statisch, zu steif. Wäre zu verkraften, wenn es denn die Drehbücher rausreißen würden, das tun sie meiner Meinung nach aber nicht.

        Der technologische Fortschritt, ökologische und innerpolitische Krisen werden im Großen und Ganzen noch ganz gut vorhergesagt, lehnen sich aber auch nicht allzuweit aus dem Fenster. Vivienne Rook, die populistische Politikerin wird anfangs sehr gut nebenbei eingeführt, aber spätestens mit ihrer Wahlrede, die auf so große Begeisterung stößt, wird es unglaubwürdig. Da wurde es dann halt doch platt, und blieb es auch. Der eigene Medienkanal war noch eine gute Idee, und ist wohl auch das, was uns bei Trump erst noch bevorsteht.

        Die Flüchtlings- und Lagerpolitik dominiert die Serie leider, bleibt dort nur sehr oberflächlich und mündet in ein völlig überzogenes, unglaubwürdiges Happy End, dessen mediale Wirkung in einer Gesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt mehr als ein Jahrzehnt lang indoktriniert und durch Propaganda verseucht und abgestumpft wurde, komplett verpufft wäre, das war schlicht hanebüchener Quatsch. Es sterben heute Coronaleugner auf Intensivstationen, die bis zuletzt Sauerstoffversorgung ablehnen und Pflegepersonal beschimpfen, das sie angeblich umbringen will. Bis dahin haben wir weniger als ein Jahr gebraucht. Zehn Jahre unter solchem Einfluss, und die Befreiung wäre nicht nur als von der Antifa inszeniert abgetan worden, es wäre nichts davon auch nur in die Nähe der "watch next" Empfehlung gekommen. Ja, der eigene Sohn klickt schon in der ersten(!) Folge die "breaking news" erfolglos weg. Ja was denn nun?

        Technologien, die man einführt, muss man auch ernst nehmen. Bethany mag ja voll vernetzt sein, die Maschine selbst hätte ihre Schwester aber nicht mal in die Nähe des Gebäudes gelassen. Wenn sie da die Gesichtserkennung hätte austricksen wollen, hätte sie besser ihre Mutter geschickt. Was sie obendrein selber macht, hinterlässt ja ebenfalls Spuren in den Metadaten. Wenn sie Eigentum der Regierung ist, dann wird die auch ein entsprechendes Cookie gesetzt haben. Mir ist schon klar, dass es dramaturgisch erforderlich war, aber da klafft halt eine Lücke zur eigens dafür geschaffenen Welt, deren Regeln sie nicht begreift, und demzufolge bricht, für den Plot außer Kraft setzt. Sorry, da bin ich raus.

        Und Verzeihung, was ist überhaupt mit der Außenpolitik? Wo sind die Brexit-Folgen? Wo die blinde Gefolgschaft den Amerikanern in jedes noch so hirnrissige außenpolitische Husarenstück zu folgen? Müsste Großbritannien nicht ab Folge 2 an der Seite der USA im Krieg mit China sein? Und Schottland im Zuge dessen spätestens dann wieder erfolgreich der EU beigetreten? Und und und, da fehlt ne ganze Menge. Daniel wäre wohl eher eingezogen worden und dann im Krieg gefallen, ok. Aber mit dem Schlauchboot über den Kanal, und dann nicht mal von einer autonomen Drohne versenkt worden? Damit geht die Glaubwürdigkeit baden, und was bleibt ist eine kitschige Soap mit ein bisschen Fremdgehen und ihrem Kopf in den Wolken.

        War absolut nix für mich, da warte ich lieber weiter sehnsüchtig auf die Serienadaption der Madd Addam Trilogie von Margaret Atwood, die vor drei Jahren angekündigt wurde. Lest das, bringt euch locker durch jeden Lockdown. Versprochen.

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        • Like ... the definition of style over substance.
          So boooring!
          But that style, though ... wow.

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          • Lindelof, alter Schwede, was für ein Brett - Serie des Jahres. <3

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            • Dem Ausschlag auf meinem LOL-O-Meter nach zu urteilen, ist DERRY GIRLS sehr unterhaltsam. Nordirland Anfang der 90er ist ein recht ungewohntes Setting für eine Sitcom, und fühlt sich von der ersten Minute so an wie Stephen Frears auf Speed. Lisa McGee kommt selber aus Derry, und ihre Drehbücher sind so perfekt wie Besetzung und Inszenierung. Der volle Charme entfaltet sich nur im O-Ton, und um dem folgen zu können, sind für einen Erstkontakt englische Untertitel ratsam - auch wenn man das dort als Affront verstehen würde. Aber mit dem Französischen haben sie es dort ja genauso wenig, wie mit dem Englischen, und spätestens wenn dann die Gleichaltrigen aus Tschernobyl ... ach, guckt bitte selber. So viele auf ihre Art liebenswerte Charaktere, die sich vor allem selbst im Weg stehen, und aller Überzeichnung zum Trotz nie verraten werden. Das Ensemble ist hinreißend, auch die Erwachsenen sind echte Scene-Stealer, etwa Schwester Michael, die Eltern und als Cherry on Top ein Wiedersehen mit Opa Barristan Selmy (Ian McElhinney ) aus GAME OF THRONES. Coming of Age mit dem Herz am rechten Fleck, und ein riesengroßer Spaß, wie ihn nur die Britt... äh, Iren hinbekommen können. Lange nicht so gelacht.

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              • "I'm just fuckin' with you."

                Nein, das ist kein Satz des Vergewaltigers, sondern kommt von einem unbedarften "boys will be boys" Mitarbeiter, in einer der vielen alltäglichen Szenen, deren Sexismus immer noch zu vielen Betrachtern (generisches Maskulinum intended) entgeht. Die werden ebenso überhören, dass fast jede Frau in dieser Geschichte bereits selbst ähnliche Situationen erlebt hat, und in einem Nebensatz darauf Bezug nimmt, weil sie im Gegensatz zu Marie Adler bereits gelernt haben damit zu leben. Mit ihrem Fall beginnt (und endet) diese präzise, einfühlsame Mini-Serie, denn ihr Erlebnis ist als exemplarisch zu verstehen: einerseits dafür, wie sehr das Leben von jemanden systematisch zerstört werden kann, obwohl eigentlich alle nur das Beste wollen, in einer nicht enden wollenden Kettenreaktion aus der Hölle, durch die Frauen (und Mädchen) gehen müssen, denen nicht geglaubt wird, und die eigentlich nur wieder zu einer Normalität zurückfinden wollen. Andererseits wird präzise herausgearbeitet, was es für einen Unterschied macht, wenn da nur ein Mensch auftaucht, der zu einem hält, einem glaubt, für einen da ist. Dazu muss man durchhalten. Im Leben ebenso, wie hier als Zuschauer.

                Diese Rahmenhandlung wird vielen unangenehm sein, und das ist gut so, gerade weil der spröde Charakter von Marie es uns nicht einfach macht, sie gleich ins Herz zu schließen. Die Kamera nimmt konsequent ihre Perspektive ein, und der Schnitt unterstützt es, wenn in manchen stressigen Befragungssituationen Flashbacks an die Gewalttat wiederkehren, wie auch die Erinnerung an den Strand, an den sie innerlich noch häufiger flüchten wird. Warum bleibt sie nicht einfach bei der Wahrheit? Weil es weh tut sich wiederholen zu müssen. Weil ihr Leben noch nie auf der Sonnenseite stattgefunden hat, sie sich allein fühlt und es auch ist. Selbst die, die ihr helfen wollen, tun ihr damit keinen Gefall, und einmal mehr erweist sich gut gemeint als das Gegenteil von gut. Man muss sich fragen: würden wir ihr glauben schenken, wenn sie sympathischer wäre? Älter? Größer? Attraktiver? Dann lassen wir bereits das gleiche Einfühlungsvermögen vermissen, wie die mit ihrem Fall vertrauten Polizisten, dann sind wir Teil des Problems, und diese Serie ist für uns.

                Wenn ihr sie deswegen nicht schauen wollt, dann bitte für die Polizeiarbeit, die euch gleich zu Anfang der zweiten Folge zeigt, wie es richtig gemacht wird. Allein die Gegensätze der ersten beiden Folgen sprechen Bände und könnten wohl sogar in der Polizeiausbildung gezeigt werden. Das, was man in der ersten Folge endlich einmal aus Sicht des Opfers erlebt, kennen wir aus tausenden Krimi-Episoden, ohne dass die Polizisten oder Ärztinnen hier als voreingenommene Monster gezeigt werden. Die zweite Folge zeigt uns dann, wie es immer sein müsste. Dem Opfer wird Zeit gegegeben, Kontext vermittelt, Ermittlungsschritte erklärt, neu erinnerte Details werden eingearbeitet, es entsteht EINE Version, nicht sofort mehrere, die leicht voneinander abweichen. Kurz gesagt: dem Opfer wird mit Empathie begegnet, nicht mit Misstrauen. Was das für einen Unterschied macht, kann man nicht hoch genug einschätzen, und allein dafür lohnt sich das Ansehen, und es mangelt nicht an Spannung auf dem uns allen vertrautem Terrain des Krimis.

                Doch die vielen Details setzen noch einen drauf, denn es gibt zum Beispiel auch Männer, die man so ebenfalls fast nie zu sehen kriegt. Väter zum Beispiel, die Zuhause sind und sich um die Kinder kümmern, Fieber messen, den Haushalt schmeißen. Gelebte Gleichberechtigung, andere Frauen- und Männerbilder. Fast schon eine Spur zu verständnisvolle Gatten, vor allem wenn noch Arbeit mit nach Hause gebracht wird, oder ein verspäteter Gutenachtkuss die Kinder wieder aufwecken könnte. Es ist ein seltener Fall das eigene Verständnis von Männlichkeit einmal halbwegs realistisch repräsentiert zu sehen - ausgerechnet in einer Mini-Serie, in der ein Serien-Vergewaltiger gejagd wird, möchte man meinen. Oder gerade eben. Es gibt hier viele "Rollenangebote" zu bestaunen, nicht nur Vergewaltiger (denen nicht ein Jota mehr Aufmerksamkeit als nötig geschenkt wird), gute und böse Polizisten, sondern viele Schattierungen bei Männlein wie Weiblein. Die Drehbücher sind phänomenal, ebenso Besetzung, Inszenierung, Kamera, Schnitt, Ausstattung, der Vergleich zu MINDHUNTER drängt sich auf, ist berechtigt. Hier wird sich ebenfalls viel Zeit genommen, aber während dort die Autofahrten mit auf der FX-Bühne geparkten Fahrzeugen gedreht werden, sitzen Toni Colette und Merritt Wever hier häufig wirklich am Steuer, Licht, Perspektiven und Stoßdämpfer-Wackler sind echt (jedenfalls bei Tag, und auch da leider doch nicht immer, aber immerhin - da waren echte Highlights und Schatten im Auto, die man so nur draußen einfängt). Einen der tollsten Dialoge der beiden Ermittlerinnen gibt es dann auch in einem geparkten Auto.

                Ach ja, und es gibt die tolle Dale Dickey in einer Nebenrolle, Annaleigh Ashford in einer anderen, beide großartig wie immer. Merritt Wever ist wohl die große Entdeckung, dabei habe ich sie schon öfter gesehen (SIGNS, INTO THE WILD, BIRDMAN... und MEADOWLAND von Reed Morano habe ich noch auf der Watchlist), ohne sie dort aber wirklich wahrgenommen zu haben, was vor allem dafür spricht, dass man ihr jede Rolle abgenommen hat, weil rein gar nichts daran gespielt wirkt. Meine Fresse ist die Frau gut. Wie sie Distanz wahrt bei der Zeugenbefragung, den Blick abwendet, oder behutsam DNS-Proben nimmt (leider 1x ohne Handschuhe, sonst aber immer mit) - Toni Colette wirkt daneben leider fast wie auf Autopilot. Eine großartige Serie, präzise und überfällig, UNBELIEVABLE indeed.

                "Maybe we should get rid of me."

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                • Den Film damals im Kino zu sehen, war eins meiner prägendsten Kinoerlebnisse überhaupt, weil so grundsätzlich anders. Ok, ich kannte die Muppets und Puppenspiel, aber das? Ein bisschen anders ist noch untertrieben. Auf eine Serienvariante der Vorgeschichte war ich so gespannt, wie schon lange auf nichts mehr, nur um jetzt so gespalten zu sein, wie Skeksis und urRu. Die Welt ist atemberaubend schön in ihrer Detailverliebtheit, das Puppenspiel wundervoll, die Integration von CGI eher angenehm, die Drehbücher ... okayisch? Ich bin noch nicht über den Piloten raus, weil ... mich die Kameraarbeit wahnsinnig macht. Die kann nämlich nicht still halten. Ständig fliegt und kreiselt sie unmotiviert durch jedes Set wie eine Drohne mit der Steuerung auf Random. Wenn man Deet hinterher fällt und ihren Flug durch die unterirdischen Höhlen folgt, ist das motiviert, aber jeder andere nicht, am wenigsten jener durch die Blibliothek: Brea ist jemand der sich in Bücher vertieft, also auf ihren vier Buchstaben sitzen kann, ohne ein Problem damit zu haben, und wir fliegen an ihr vorbei, bis unters Dach und wieder zurück, grundlos. Die Kamera hechelt ständig atemlos herum, Fahrt hier, Schwenk dort, und wenn man sich der dahinbrausenden Kutsche auf Kopfsteinpflasterhöhe nähert, muss natürlich noch digitales Kameragewackel drübergelegt werden - das ist derart zum Kotzen, weil es (in mir) den Eindruck erweckt, man würde dem Puppenspiel allein nicht vertrauen. So geht jedes Gefühl für Haptik verloren, weil der Blick auf nichts haften bleibt, immer schon weitereilt zum nächsten Ausstellungsstück, wie ein vierjährige Kind im Museum. Die Künstlichkeit dieser Herangehensweise stößt mich dermaßen ab, dass ich gar nicht erst richtig in die Geschichte eintauchen konnte, die in ihrer Konventionalität leider (noch?) nicht überzeugen kann. Hoffentlich wird das in den nächsten Folgen besser, und man nimmt sich etwas mehr Zeit, denn dieses Gezappel holt mich nun wirklich nicht ab. Im Augenblick überwiegt meine Skepsis über die Skesis und die Unruh über die urRu. Das reimt sich zwar, aber ein Gedicht ist das Ergebnis noch lange nicht.

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                  • Eine Wundertüte. Eine bessere Analogie fällt mir gerade nicht ein. Den Trailer hab ich verdrängt und mir spontan die Pilotfolge angesehen - wobei ich einmal mehr den Fehler begangen habe, dies in 4K HDR zu tun. Glaubt mir, so wollt ihr das nicht gucken. Warnung, TECHPORN-EXKURS: Das HDR Grading bemerkt man in erster Linie nur bei starken Gegenlichtsituationen, was vor allem bei Innenaufnahmen mehr nervt, als dass es was bringt. Man hat sich ja daran gewöhnt, dass Fenster gerne überbelichtet werden, vor allem dann, wenn dort eh nichts wichtiges passiert, weil es nur von den Gesichtern davor ablenken würde. In HDR sind die nun noch heller, aber man kann trotzdem die Gardinenmuster studieren. Dann ... guckt man allerdings erst recht nicht mehr in die Gesichter, wo die eigentliche Handlung statt findet. Die sind dann im Vergleich dunkler bzw. eigentlich wie immer, nur dass sich unsere Augen aufgrund des hohen Konrastes erst irgendwie dran gewöhnen müssen. Nur tun sie das normalerweise dann, wenn wir von draußen rein kommen oder umgekehrt, nicht aber im gleichen Bild. Unsere Augen haben nicht den Kontrastumfang dieses Verfahrens, und es ergibt sowas von überhaupt keinen Sinn, der Mehrwert ist exakt Null oder darunter. In einer Szene ist obendrein grad Regentag, es wird an eine Tür geklopft, Gegenschuss von drinnen nach draußen, und der Himmel ist viel zu hell, noch mehr dann bei geschlossener Tür. Grausig! Bei den Außenaufnahmen ist es deutlich besser, etwa wenn Vignette (hat sich ein Colorist die Namen ausgedacht?) auf das Waldende zuläuft, bei Totalen, bei denen die Sonne schön auf den Wellen glitzert, und auch weil die Augenreflexe eine Idee mehr funkeln, das war's aber auch schon. Für mich bestätigt sich einmal mehr das alte Mantra: weniger ist mehr. HDR ist was für Demoprogramme und das Marketing, erzählerischen Mehrwert kann ich daran einfach nicht fest machen. EXKURS-ENDE.

                    Der erste Eindruck ist teuer. Das sieht für eine erste Staffel einfach unglaublich teuer aus, die Masken, die Kostüme, die Ausstattung, die Bauten, selbst wenn sich in der titelgebenden CARNIVAL ROW ein umdekorierter PEAKY BLINDERS Straßenzug-Vibe einstellt, über den einen CGI-Eisenbahnlinie rattert. Atmosphärisch runder war dennoch PENNY DREADFUL, nur dass wir es hier ja mit einer anderen alternativen Welt zu tun haben, deren Parallelen zu unserer schmerzhaft "on the nose" sind. Flüchtinge, Rassismus, Reiche, Arme, Gut und Böse. Die Mischung ist eigentlich gut angelegt, leider sind die Dialoge mitunter gruselig schlecht, teilweise auf TATORT-Niveau. Soll heißen, es wird nicht so geredet, wie es Menschen tun, sondern so, dass man als Zuschauer versteht, was sie sagen wollen. Aus guten Dialogen kann man zusärtzlich den Charakter und dessen Gefühlswelt herauslesen, hier wird es auf Informationsvermittlung reduziert. Das tut sehr weh, gehört aber vielleicht zu den Kinderkrankheiten eines Piloten, der halt viel Plot unterbringen muss? Zu viel, möchte man meinen, denn (Spoiler) der Jack-the-Ripper Plot ist bereits nach Folge 1 durch, um einem ES-Verschnitt mit Lovecraft-Touch zu weichen? Oh, please. (Spoiler-Ende).

                    Die Besetzung ist toll, jedoch darstellerisch ... durchwachsen? Orlando Bloom wirkt auf mich mit seiner künstlich tief gehaltenen Stimme wie ein Sean Bean Imitator, was unfreiwillige Komik produziert, aber nicht ernst genommen werden kann. Ebenso wenig passt die angedichtete Liebesgeschichte zu den beiden Hauptfiguren, die sieben Jahre zurück liegen soll - wann soll das gewesen sein, in der Kita? Bestenfalls Highschool, also nee, das ist ein bisschen viel, was man schlucken soll. Cara Delevingne nimmt man die Flügel ab - also wenn sie nicht unter Klamotten versteckt werden (ein tolles Motiv, das offenbar nicht mal als solches erkannt wurde?) um ... einer Fluchtgefahr vorzubeugen? Ich sach ja, die Dialoge sind furchtbar, selbst wenn sie von Jared Harris gesprochen werden, aber der kann mir erzählen, was er will, und es wird trotzdem interessant wirken. Davon abgesehen ist das flatterhafte Wesen von Cara noch nie so sehr auf den Punkt gebracht worden, und findet in den Flügeln ihre ultimative visuelle Entsprechung.

                    Unterm Strich weiß ich nicht, ob ich weitergucken werde, wahrscheinlich eher nicht, obwohl der Flügelschlag-Sound mich sofort lächeln lässt, und allein für die Sexszene muss man diese eine Folge wohl trotzdem geguckt haben. Dem Worldbuilding wird leider zu wenig vertraut, und dafür ordentlich auf die Plot-Tube gedrückt. Hinweise, ob sich das Weitergucken meiner Bedenken zum Trotz dennoch lohnt, sind herzlich willkommen.

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                    • jp@movies: Film & TV Kamera 20.06.2019, 12:52 Geändert 20.06.2019, 12:56

                      Dieser Vierteiler hat es in sich, und die höchsten Ehren erhalten, die für Filmemacher denkbar sind: die echten Menschen, denen Ungerechtigkeit widerfahren ist, und auf deren Albtraum die Verfilmung basiert, fühlen sich davon verstanden, repräsentiert und berührt - sie kommen im ebenfalls bei Netflix verfügbaren Oprah-Interview entsprechend zu Wort. Jeder dieser vier Filme ist schwer anzusehen, dabei sind die Bilder von Bradford Young in ihrer empathischen Nähe und geradezu gewöhnungsbedürftigen Schönheit atemberaubend. Manche mag dieser “uncoated”, lichtüberflutete Look abstoßen oder nerven, die ästhetische Konsequenz wiegt jedoch schwerer: es wird alles ungefiltert gezeigt, das Licht dringt in jede Ecke, wir müssen hinsehen, und oft verlaufen die Farben, wie von Tränen getränkt, ebenso wie Tisch- und andere Kanten in der Unschärfe. Obendrein wechselt er von anamorphen zu sphärischen Objektiven, und es gibt derzeit keinen Kameramann, der kreativer mit Lensflares arbeitet, als ihn. In Folge 4 gibt es in der Einzelhaft eine Beleuchtungssituation wie in ARRIVAL im Mini-Format, und was er da in einer Szene gezaubert hat, will ich als Poster an der Wand haben. Zaubern tut er überall, und macht den unverblümten Realismus der Inszenierung von Ava DuVernay erst erträglich, die als komplette Filmemacherin in wenigen Jahren zu einer Vollendung gereift ist, die manche in ihrer ganzen Karriere nicht hinlegen. Eine Inspiration für alle, die hinter der Kamera tätig sind.

                      Über das Inhaltliche will ich gar keine Worte verlieren, das spricht für sich selbst, aber der Schnitt gehört ebenfalls herausgestellt, der die Genres gekonnt von Folge zu Folge wechselt (Thriller, Gerichtsdrama, Episodenfilm, Gefängnisfilm), und zum Teil mit der Musik eine traumwandlerische Verbindung eingeht, die fast verstörend ist, und eine “das kann doch alles nicht wahr sein” Atmosphäre verströmt, noch nicht Musikvideo, aber auch kein Dokudrama mehr. Drei Cutter saßen da dran, und haben poetische Verknüpfungen im Material gefunden, die einem das Herz bluten lassen. An diesem Werk wird sich noch lange alles messen lassen müssen, was Realität dramaturgisiert, und ist neben CHERNOBYL der Mehrteiler für alle, die nicht mehr länger Wegsehen können wollen, auch wenn es die Stimmung ruiniert. Mehr auf der Höhe der Zeit geht gerade nicht.

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                      • jp@movies: Film & TV Kamera 13.06.2019, 09:14 Geändert 09.07.2019, 22:07

                        Ach nö, warum, echt jetzt? Seufz. Das ist meine Erstreaktion nach der Pilotfolge auf die Verfilmung eines sehr unterhaltsamen Buches. Noch liegt die Betonung auf “Ver”, aber ich guck das zu Ende, weil … ich weiß es noch(?) nicht? Menno. Das überinszenierte Overacting geht mir derart auf den Senkel, dass der feine Humor der Vorlage auf der Strecke bleibt. Dabei war doch Gaiman selbst involviert? Too much of everything, too little down (and up) to earth. Grummel. Kill your Erwartungen und nochmal von vorn.

                        EDIT: Nach Verschnaufspause und Anlauf noch fertig geguckt, und schon die zweite Folge ging mir wesentlich besser runter, da begann ich das Buch wieder zu erkennen. Allerdings immer noch überzeichnet, mit zu viel Firlefanz (Musik, Schnitte, Einblendungs-Hinweisschild-Reinklapp-Overkill), aber die Exposition ist abgeschlossen und der Plot auf Kurs. Es ist nicht mehr ganz so fragmentarisch, und wird damit anguckbar. Wenn nur nicht alles so ehrfürchtig am Buch kleben würde … es gibt Gags, die besser geschrieben funktionieren (Queen-best-of Tapes) und immer wieder zu viel und aber oder. Wenn der Mehrteiler etwa mit der Agnes Nutter Szene als cold-open angefangen hätte … hm. Wie dem auch sei, ab dieser Episode fing ich an genügend Spaß daran zu haben, um es auch fertig zu gucken.

                        Nur um gleich nach Folge drei wieder daran zu zweifeln. WTAF??? Wieder zerfasert alles, die Szenen haben eine Beliebigkeit, werden von keiner Dramaturgie zusammengehalten. Die “Suche” nach dem Antichrist ist nahezu egal, dafür kriegen wir eine Reihe Flashbacks, die sich viel zu lange hinziehen. Obendrein irritiert die Billigkeit einiger Effekte und der stur gleichbleibende Videolook. Dass ich überhaupt anfange darauf zu achten ist kein gutes Zeichen, aber das komplett von der Leine gelassene Overacting von Michael Sheen ist hier so unerträglich herumgestammelt, das David Tennant daneben wie die Ruhe selbst wirkt. Es ist mir unbegreiflich, wie man das dermaßen kopflos in den Sand setzen kann. Wobei Kopf + Sand in dem Kontext mit ersterem im zweiten ein gutes Erklärungsmodell ist, die Serie allerdings dennoch im Arsch ist. Mal gucken, was Folge vier kann.

                        Vier, fünf, sechs, wieder besser, der Schaden ist aber nicht mehr zu beheben. Bin fassungslos. Immer zu viel von allem. Ich mein, die Szene mit dem billigen Ufo - hätte die irgendjemand vermisst? Dieser Mehrteiler ist sich seiner Künstlichkeit stets bewusst und versucht nicht einmal dagegen anzuspielen, alles geht voll auf die Zwölf, wo der Charme genau beim Understatement läge. Also irgendwie britischer. Wie die Autoren??? Das Buch ist der leiseste Weltuntergang, dem man beiwohnt bzw. versäumt, weil man abgelenkt ist, und hier klingelt und wackelt alles so penetrant, dass es weh tut, zu viel Kamera, zu viel Musik, zu viel, zu viel. Immerhin stimmen die wesentlichen Beats wieder, da ist aber schon alles rettungslos verloren. Trauriger wird mich dieses Jahr keine Serie mehr stimmen, das war ganz schrecklich.

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                        • Schwieriges Remake. Oder ist es doch eher eine Neuverfilmung? Dass es gar nicht so leicht ist, das einzuordnen, ist Teil des Dilemmas. Die Buchlektüre habe ich immer noch vor mir, habe aber bereits mitbekommen, dass auch diese Mini-Serie viel weg lässt, dafür aber anderes hinzudichtet. Als jemand, der die Mike Nichols Version mindestens so liebt ( https://cinephiliabeyond.org/catch-22-mike-nichols-underappreciated-classic-adaptation-one-best-antiwar-novels-time/ ) wie Alan Arkin, hat es jeder andere in der Rolle des Yossarian schwer. Doch ganz allmählich wurde ich mit Christopher Abbott warm, was dann doch schon eine Riesenleistung ist. Der Tonfall der Serie ist meist ernster, was wiederum bedeutet, dass man sich nicht gänzlich für eine trocken erzählte Variante entschließen konnte - allein deshalb ist mir die Version von Nichols näher, ihr gelingt dieser Drahtseilakt meiner Meinung nach besser, was auch an der weiteren Besatz… äh, Besetzung liegt. Hier hat man schon am Anfang Schwierigkeiten die Gesichter auseinander zu halten, da hilft auch keine entsprechende Einblendung. Trotzdem hat mich die Mini-Serie ganz gut unterhalten, obwohl ich mit dem Ende überhaupt nichts anfangen kann. Es fühlte sich ein bisschen wie eine schlecht geträumte XL-Version des Streifens von 1970 an, toll gefilmt und ausgestattet, aber halt unterm Strich zu viele Abers. Schade.

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                          • Das einzige, was die Halbwertszeiten von radioaktiven Materialien übertrifft, ist die menschliche Dummheit. Was CHERNOBYL so erschreckend aktuell macht, ist nicht die Atomkraft, sondern die Ignoranz der Mächtigen gegenüber der Wissenschaft, die kurzfristig “unpopuläre” Ansichten vertritt, wie z.B. das Überleben der Menschheit, und das mit der (kurzfristigen) Wirtschaftlichkeit begründet, bevor eine abschließende Rechnung überhaupt ausgestellt werden kann. Da sind sich dann Atomenergie und Klimakrise näher, als Begrifflichkeiten wie Endlager und durchschnittliche Erderwärmung erahnen lassen.

                            Ich erinnere mich noch gut an die Zeit vor Tschernobyl, als es hieß die Atomenergie sei sicher, schwere Unfälle gebe es rein statistisch nur alle 100 Jahre und sonstigen vergleichbaren PR-Mumpitz der Großkonzerne, die sich an den staatlichen Subventionen jahrzehntelang goldene Nasen verdient haben. Nur hatte es schon vorher schwere Unfälle gegeben, die kleingeredet wurden, bis es uns selber betraf und die Wolke den Fallout vor allem über Süddeutschland abregnete - wo ich zur Schule ging. Danach gab es viel Chaos, weil es noch keine Bundesbehörde gab, die die Länder und Gemeinden irgendwie koordinieren konnte - das wurde erst danach gegründet. Dann erfährt man, das anderswo Schulen und Kindergärten geschlossen blieben, während man selbst zur Schule musste, Jod-Tabletten waren ausverkauft, frisches Gemüse sollte wahlweise vermieden, untergepflügt oder mit warmen Wasser abgespült werden, bitte keine Pilze mehr sammeln, und vereinzelte belastete Wildschweine fängt man heute noch. Das nur mal so. In Wackersdorf wurde trotzdem weitergebaut, und nicht nur da, und ziemlich viel Molkepulver wurde jahrelang hin- und her gekarrt. Lest es nach, da verstecken sich noch einige wunderbar absurde Spielfilmplots.

                            Die Situation damals auf die realen Ereignisse war insofern ähnlich wie heute die auf die Serie, dass viele einander widersprechende Informationen im Umlauf sind, und der Laie in der Bevölkerung auf sich allein gestellt blieb. Im Physikunterricht konnten wir damals immerhin einem knatternden Geigerzähler aus der Nähe lauschen, und mit dem ach so gesunden Blattsalat testen. Die Wucht, mit der mich die Serie in die 80er Jahre zurückversetzt hat, habe ich jedoch nicht kommen sehen. Ja es gibt einige (dramaturgisch begründbare) Verfälschungen in manchen Detailfragen - auf einige weist die Serie am Ende selber hin - aber unterm Strich macht sie physisch erfahrbar, was es damals nur in unserer Phantasie gab. Und ich weiß ehrlich nicht mehr, was schlimmer ist, wohl auch weil sich bereits beides miteinander vermischt. (Doch: Schlimmer war damals das Nicht-Wissen.)

                            Wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, daraus eine Min-Serie zu machen, ist mir schleierhaft. Ja, gut, Katatastophenfilm und so, aber Radioaktivität lässt sich schlecht filmen, und ist damit eigentlich der perfekte Bösewicht: du siehst ihn nicht, du riechst ihn nicht, du spürst ihn nicht, und wenn du seinen Effekt spürst, ist es wahrscheinlich schon zu spät. Ideales Futter für jede Paranoia, und man muss sich entscheiden, ob man auf die Überzeugungskraft von Experten hört, oder sich der Macht von Autoritäten beugt, bzw. zwischen beidem zerrieben wird. Das war und ist leider immer wieder zu beobachten, und so unendlich wie Dummheit und Überheblichkeit der Menschen.

                            Exemplarisch kommt all das in dieser großen Mini-Serie vor. Inkompetenz, Fahrlässigkeit, Hierarchien, Autoritätshörigkeit, Ignoranz, Arroganz, politische und wirtschaftliche Interessen vor Vernunft, sowie der Mut weniger Einzelner, die allen anderen den Arsch retten, und fast immer von der Geschichte vergessen werden. Wunderbar wie erschreckend, wenn etwa die Wissenschaftlerin in Moskau anruft und so routiniert an der angezapften Leitung in Codesprache vorbei redet, dass James Bond vor Neid erblassen würde. Oder der Politikbonze, der nach zweiminütigem Briefing glaubt auf den Wissenschaftler verzichten zu können - hat noch wer erwartet, dass man nach diesem Satz Jared Harris aus dem Helikopter in der Totalen in den See fallen sehen wird? So viele der Bilder brennen sich ein, weil sie unsere innersten Ängste ansprechen, die Unsichtbarkeit der Strahlung ist wie das Graphit am Steuerstab, ein Brandbeschleuniger.

                            Würde nur nicht gleichzeitig an anderen Stellen mit Klischees gespielt, die direkt aus dem kalten Krieg stammen, etwa die Annahme, dass eine Kugel des KGB mit dem eigenen Namen drauf schon auf einen wartet. In der letzten Folge gibt es dieses vielsagende Aufeinandertreffen, indem wir in einem Nebensatz erfahren, dass auch Legasov Dinge auf dem Kerbholz hat, die ihn in überhaupt erst in seine prominente Position gebracht haben. Das wird ein bisschen verschleiert, man ahnt es schon einmal in der vierten Folge, aber das passt nicht zu seiner aufrechten Empörtheit über die politischen Prozesse der Hierarchien - denn er ist ja selbst längst Teil dieses Systems, von Anfang an. Wenn man darüber hinweg sieht - und andererseits hätten wir sonst ja gar keinen Protagonisten, dem wir folgen wollten - ist alles erstaunlich gut, Ausstattung, Bauten, Kostüme, Maske, Frisuren, Kamera, Musik, CGI - der Wahnsinn. Ich will gar nichts mehr herausgreifen, weil es einfach so gut gelungen ist - denn es wird wieder darüber geredet, während in Fukushima immer noch den Robotern die Platinen durchschmoren, und ein Ende nicht ansatzweise absehbar ist, oder die Frage gelöst ist, wie man zukünftige Generationen vor unseren Endlagern warnt, wenn sich weder unsere Dateiformarte öffnen, noch unsere Sprachen dechiffrieren lassen.

                            Wenn man das dann alles automatisch mit der Gegenwart vergleicht, wie sich unsere tollen Politiker heute über die Klimawissenschaftler hinweg setzen, stellt man fest, dass sie es einfach nie begreifen werden, bevor nicht sie selbst, oder jemand der ihnen nahesteht, betroffen ist. Vorher wird abgestritten, geleugnet, diffamiert. Jedes. Verdammte. Mal. Wenn dann Holland und Venedig untergehen? Egal. Aber wehe in Ostfriesland und Hamburg kriegt wer nasse Füße, dann wird es heißen: “Das haben wir aber nicht kommen sehen!” In jedem verdammten Katastrophenfilm warnen die Wissenschaftler, mahnen zur Evakuierung, und dabei wollen wir doch nur die Roland Emmerich Variante sehen, in der alles in die Luft fliegt, einstürzt und in Trümmern versinkt. Ich glaube in CHERNOBYL ahnen wir zum ersten Mal etwas, das darüber hinaus geht. Und doch frage ich mich, ob wir nicht etwas falsch machen. Sollten wir Filme drehen, in denen die Katastrophe ganz ausbleibt, oder sogar in letzter Minute abgewendet wird? Huldigen wir der Vernunft, der Wissenschaft, den mahnenden, pädagogisch wertvollen Worten? Das klingt langweilig, nach einem Flop, ich weiß, das will niemand sehen. Aber vielleicht müsste die Frage eigentlich lauten, ob wir es selbst erleben wollen. Müssen wir wirklich jedes Mal erst im Nachhinein schlauer sein? Unser Pompeji ist uns näher, als wir wahrhaben wollen, und doch werfen wir lieber eine junge Schwedin in den Vulkan, damit wir in dessen Schatten wieder unsere Ruhe haben. Dabei ist sie nur die Überbringerin der offensichtlichen Nachricht: Der Kaiser ist nackt. Und es ist die Stimme der Wissenschaft, der Erwachsenen, die ihr beipflichtet. Was übrig bleibt, sind sich kindisch gebärende Machtmenschen, die sich protestierend in der Wirtschaft auf den Boden werfen, und sich wünschen, das alles gefälligst wieder so werden möge, wie es nie wahr. Der Apfel der Erkenntnis möge sich bitte wieder an den Baum begeben, erschlagen wir die Schlange und die Atomenergie ist wieder so sicher wie die Rente.

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                            • Gervais wird mir immer sympathischer, und es grenzt an traumwandlerische Sicherheit, mit der er sich immer öfter durch Thematiken bewegt, die an sich schon ein Minenfeld darstellen, und um die viele einen Bogen machen, oder höchstens nur eine schnelle Pointe anbringen, ehe sie das Thema wechseln. Schon DEREK war eine Offenbarung zwischen Grenzüberschreitung und verblüffend moralischen Einsichten, die man nicht unbedingt jedesmal hat kommen sehen. In AFTER LIFE ahnt man zwar manche Dinge, wenn sich ab der zweiten Folge Plotbögen abzeichnen, dennoch ist das bei der gewählten Thematik fast Pflicht, und Zeichen dafür, wie ernst er sie nimmt. Denn er nimmt Trauer nicht auf die leichte Schulter, die Serie ist kein Schenkelklopfer, sondern ein behutsamer, einfühlsamer Weggefährte, eigentlich ein Special-Interest Programm, das wir auch ansehen dürfen, ohne zum Kreis der Betroffenen zu gehören. Das ist schön und schult uns in etwas, dass viele Ricky Gervais gar nicht zutrauen würden, Empathie nämlich. Wer nicht genau aufpasst, könnte es mit Kitsch verwechseln, käme es nicht von Herzen, allen Arschlöchern zum Trotz.

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                              • über Maniac

                                Diese Perlenkette von Mini-aber-Oho-Serie wäre mir beinahe entgangen, vermutlich weil der Trailer mich in die Irre geführt hat und eine Liebesgeschichte gegen alle Widerstände erwarten ließ, in der Justin Theroux irgendwie mit unpassendem Overacting reingewurschtelt wurde. Es ist aber viel besser als das, und neben in Wahrheit verspieltem Overacting (diese VR-Sexszene kriege ich nie wieder aus dem Kopf - man kann immer noch das Lachen von Damon Lindelof als Echo hören) gibt es auch viel äh, Underacting der Hauptdarsteller zu sehen. Jonah Hill ist mit seinem in sich versunkenen Genuschel gelegentlich perfekt, an anderer Stelle nervt es sehr, und zwischendurch hat er wie der Rest der Besetzung schlicht Spaß am (durch)drehen. Ähnlich verhält es sich mit Emma Stone, die mal mehr und mal weniger gut in ihre wechselnden Rollen passt. Leichter haben es da die Nebendarsteller, die durch die Bank tolle Leistungen abliefern.

                                MANIAC ist unterm Strich fast so verspielt wie VERGISS MEIN NICHT!, inszeniert von einem nüchternen Terry Gilliam, von zäh bis überbordend, mit vielen sehr, sehr starken Momenten, die Traumata und psychologische Zustände ihrer Figuren auf eine Art und Weise erfahrbar machen, die weder stigmatisierend ist, noch zu sehr auf die Tränendrüse drückt, sondern vor allem eins macht: Spaß. Das lässt einen über Schwächen hinweg sehen, von denen es gar nicht mal so viele gibt. Ja, es gibt ähnlich gestrickte Filme, außerdem einige Filmzitate, mal mehr, mal weniger offensichtlich, und obendrein ein eigenes Motiv-Karussell, das vor allem dazu einlädt sich das Ganze nochmal von vorne anzugucken. Die Rahmenhandlung braucht vielleicht zu lange, um in die Puschen zu kommen, aber im Kopfkino angekommen, zwischen den Genres und Ebenen hin und her springend ist die Serie dann bei sich und findet zur Ruhe im Chaos, wie unser aller Bewusstsein jeden verdammten Tag - wenn es denn mal gut läuft.

                                Fukunaga hatte sichtlich Spaß, inszeniert für seine Verhältnisse frei von der Leber weg, und ich wäre der Letzte, der sich darüber beschwert. So toll, man möchte direkt singen, singen singen! (singing) "Braziiil, where hearts where entertaining Juuune ..."

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                                • jp@movies: Film & TV Kamera 10.12.2018, 10:39 Geändert 10.12.2018, 10:41

                                  Hin- und hergerissen lässt mich diese erste Staffel zurück, die so vielversprechend begann, weiterhin starke Momente hatte, aber auch diverse Klischees bei voller Fahrt rammt, während sie andere elegant umschifft. Vielleicht liegt es daran, dass nicht alle Folgen von Phoebe Waller-Bridge geschrieben wurden, sondern nur die Hälfte. Ihre Handschrift würde ich an Details festmachen, die den Plot mit gut beobachtetem Humor in der Wirklichkeit verankern, etwa beim Umgang mit Lebensmitteln, vom leckeren Croissant bis hin zu den zu heißen Pommes. Das sieht man selten, erkennt sich aber sofort darin wieder. Es gäbe weitere Beispiele, die aber alle in Spoiler münden würden, daher möchte ich sie mir an dieser Stelle verkneifen. Auf der Haben-Seite bleibt die tolle Besetzung, allen voran die beiden Hauptdarstellerinnen, sogar die Auftragskillerin, weil man viel zu selten Frauen in dieser Rolle besetzt. Es dauert allerdings eine Weile, bis man sich auch hier das Klischeehafte hinter sich lässt, und der Mensch dahinter sichtbar wird. Kontraproduktiv sind dabei leider die "Morde der Woche", aber da muss man als Zuschauer durch, mehr Freude hatte ich wie schon erwähnt am situativen Humor, in dem sich die Charaktere der Figuren zeigen, und sei es nur, dass hier immer mal wieder Männer pinkeln müssen. Ebenfalls toll ist, dass mal wirklich "on location" gedreht wurde, und nicht die Stadtteile von Prag für den Rest Europas herhalten müssen, auch wenn etwa bei den Berliner U-Bahnhöfen ein bisschen gemogelt wurde - dafür ist aber Zeit genug für einen Ticketautomaten bzw. das Stempeln der Fahrkarte. Solche Kleinigkeiten haben ihren Charme, auch wenn sie nichts zum Plot beitragen, aber die Welt in der jener spielt, wird glaubwürdiger, als in jedem James Bond Abenteuer, man nimmt den Agenten ab wirklich dort gelebt zu haben. Manche Szenen wirken ein bisschen gehetzt, das sind aber selten die interessanten, insofern ist das zwar ok, hat aber auch einen Hauch von Lieblosigkeit. Bei nur acht Folgen kann man trotzdem wenig verkehrt machen, die zweite Staffel wird dann zeigen, ob es sich lohnt für mehr als die 12 zu gucken. Oh (vielleicht der großartigste Nachname überhaupt), und kann bitte jemand ein Spin-off über die ... äh, Tochter (Yuli Lagodinsky) schreiben und produzieren? Danke.

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                                  • jp@movies: Film & TV Kamera 06.12.2018, 09:55 Geändert 06.12.2018, 10:50

                                    Ok, nach zwei Episoden habe ich entnervt aufgegeben, dabei waren die allerersten zwei Einstellungen so vielversprechend: Palme im Aquarium, Palmen vor dem Gebäude mit Pelikan ... doch danach wurde es redundant, und der Schnitt aber mal so richtig schlecht. Völlig planlos, wie hier mit Halbtotalen, Halbnahen und Großaufnahmen gearbeitet wird, leider wie schlecht ausgewürfelt statt überlegt. Schlecht ausgewürfelt übrigens deshalb, weil in beiden Folgen tatsächlich von einer Halbnahen auf einen Darsteller auf eine andere Halbnahe auf den gleichen Darsteller geschnitten wird. Gäbe es einen dramaturgischen Grund dafür, ok, aber da war keiner erkennbar, und dann ist es leider schlechtes Handwerk.

                                    Natürlich reden die Leute wie schon bei "Mr. Robot" in die Bildkanten, so dass man bei größeren Bildschirmdiagonalen als einem iPad nach dem Schnitt zunächst niemanden mehr sieht, und seiner Intuition widersprechend erst in der "falschen" Bildhälfte nach dem Gesprächspartner suchen muss. Wer kennt das nicht aus Bewerbungsgesprächen, und wundert sich hinterher darüber, dass er den Job nicht bekommen hat?

                                    Noch schlimmer steht es um den Gebrauch der (meist symetrischen) "two shots", wo man mal die Gesprächspartner zusammen im Bild sieht. Sowas hebt man sich eigentlich gerne für den Moment im Dialog auf, wo man sich näher kommt, einander versteht, also auf der gleichen Seite bzw. im gleichen Bild ist, gleich groß, tip top. Nichts dergleichen passiert hier. Da freut man sich über jede ausgetüftelte Kamerabewegung mit geplanten unsichtbaren Schnitten, weil die immerhin nicht ruiniert werden. Erzählen tun sie aber leider auch nichts, außer eine Art Bewerbungsschreiben zu sein, weil man sie in ein Showreel zu cooler Musik schneiden kann. Pastiche, keine dramaturgische Funktion, leider.

                                    Und was ist mit den Objektiven los? Immer mal wieder fabrizieren die unscharfen Matsch ober- und unterhalb der Gesichter - auch damit könnte man kreativ arbeiten, wenn ... ja wenn man darauf achten würde? Kann auch sein, dass es sich hierbei um zusätzliche Masken in der Postproduktion handelt, dem Cutter traue ich hier nicht im entferntesten über den Weg. Es sind zwar anamorphe Linsen im Einsatz, womöglich auch ein Zoom dabei, aber dass niemanden solchen Verzeichnungen am Set aufgefallen sein sollen, wage ich dann doch zu bezweifeln. In Folge 2 ist der Ermittler Thomas Carrasco zum Beispiel erst dann scharf, wenn sein Kopf in die Bildmitte wandert, obwohl der Fokus bereits auf ihm liegt. Übrigens ist es alles andere als ein gutes Zeichen, wenn ich Zeit habe auf solche Details zu achten, weil die Dramaturgie dermaßen im Schneckentempo dahinsiecht.

                                    So bleibt je eine tolle Szene pro Folge (Schuhladen bzw. Frühstück), sowie die beinahe brillante Idee des quadratischen Bildes für die flash-forwards (beinahe, weil auch die Szenen in Folge 2 mit Shea Whigham so gehalten sind). Ärgerlich, denn besonders von Alex Karpovsky hätte ich gerne mehr gesehen, der hat einfach eine tolle Präsenz vor der Kamera (wie auch wie immer Sissy Spacek). Das war mir leider zu wenig um weiter zu gucken (hab danach noch eine Zusammenfassung gelesen und weiß jetzt, dass ich nix verpasse, wenn ich es dabei belasse), dafür gibt es einfach viel zu gute Alternativen auf dem Serienmarkt, die ich gerade lieber weiter verfolge, und die mordsmäßig Spaß machen - "Killing Eve" zum Beispiel. Ich bin dann mal raus.

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                                    • Camerimage 2018 - #3

                                      Jean-Jacques Annaud hatte den als Spielfilmdrehbuch auf dem Tisch, und hat die Produzenten überredet einen Mehrteiler draus zu machen, dessen 9 Stunden Laufzeit er in in 80 Drehtagen in den Kasten gekriegt hat. Gedreht wurde dabei höchstens mit einer Wiederholung, dafür mit bis zu sieben Kameras gleichzeitig (eine davon grundsätzlich an einer Drohne, glaube ich).

                                      So weit so gut, inhaltlich ist vor bla bla Jahren eine 15-Jährige verschwunden, deren Leiche jetzt auftaucht und zwei unsympathische Bestsellerautoren ... nein, Moment, nur einer ist unsympathisch, der andere ist ein angeberischer Mistkerl, den man nicht ausstehen kann, und nun ja, das macht es schwer sich mit ihnen zu identifizieren, und noch schwerer ihnen beim Verschweigen bzw. Nachforschen zusehen zu wollen? Dann gibt es noch eine Zeitebene dazwischen, in der sie sich kennengelernt haben, und auf die ihre höchst befremdliche Männerfreundschaft zurückgehen soll? Professor und Schüler wohlgemerkt, und dann gibt es eine Fight-Club-Gedächtnis-Szene. Doch, doch. Ich wünschte, ich hätte die halluziniert, weil früh am morgen, oder es wäre so ironisch mit Augenzwinkern gewesen, aber, äh, nein. Zack, Drohnenaufnahme und dann eine weitere verunglückte Cop-Buddy-Storyline, die nicht zünden will. Vielleicht wegen dem anfänglichen Regen? Dann gibt es entsetzlich viel unsägliche Voiceover-Passagen, die bestimmt alle aus dem Spielfilmdrehbuch rausgeschmissen worden waren, bzw. nie drin standen. Jetzt aber doch. Und noch eins, und eins, und alles vom Erklärbär, ha! Annaud kommt halt nicht aus seinem Fell, hö hö. Ok, ja, das war jetzt gemein, ich finde es ja toll, dass er mal was anderes macht, mal nicht mit dem Teleobjektiv hinter einer Ländergrenze liegt um authentisch Tier und Natur einzufangen, dass er endlich mal länger Zeit unter Menschen verbringen wollte. Ich glaub das tut ihm gut, ästhetisch sieht das Ergebnis aber aus wie in den 80er Jahren gedreht, die aber für die 2000er herhalten sollen, und ach ich weiß es doch auch nicht. Zwei Folgen wurden gezeigt, und bei denen möchte ich es auch belassen.

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                                      • Himmel, wie konnte ich diese Serie komplett vergessen?
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                                        "What's your point?"

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                                        • Äh ... nein - ich meine: non. Je ne suis pas amused at all, amusé completement?! Am schönsten war noch mein Französisch wieder aufzufrischen (oder auch nicht), aber die Drehbücher lassen einen verzweifeln. Die spannenden Figurenkonflikte (Sohn/Mama, Ehemann/Gattin, Chef/Kollegin) werden nur wiederholt, aber nie thematisiert, höchstens abgeblockt und aufgeschoben, bis irgendwann doch alles - gerne im Off - aufgeklärt wird. Wichtiger ist immer, dass auch ja der nächste Mord unverhindert über die Bühne gehen kann.

                                          Wer sich damit anfreunden kann, dass fast in jeder Folge neue potentielle Täter eingeführt werden, die - oh Wunder - im Verlauf der nächsten Episode häufig auf die Opferseite wechseln, der ist hier gut beraten. Logisch, dass sich dann gegen Ende bereits zu beginn eingeführte Nebenfiguren als ... aber lassen wir das. So kann keine Spannung aufkommen, und wenn dann noch Klassiker wie das "Schweigen der Lämmer" und "Sieben" schlecht gefleddert werden (ey, die Nachtsichtgeräte - ich musste losprusten, so schlecht wurde das umgesetzt - hat da keiner im Team "Sicario" gesehen?), während die Polizisten auf das Startkommando wartend in Reihe vor ihren Laptops sitzen, und ich selbst deutschen Serienermittlern mehr Kompetenz zutrauen würde, dann ist endgültig die Luft raus. Guckt lieber "Copykill", der macht das besser, in einem Drittel der Zeit. Au revoir - jamais.

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                                          • jp@movies: Film & TV Kamera 25.02.2018, 14:18 Geändert 25.02.2018, 16:01

                                            So, trotz anfänglicher Bedenken geguckt und zunehmend Freude damit gehabt, die Folgen steigern sich ganz wunderbar, kriegen zunehmend ihren eigenen Rhythmus. Nein, das ist kein "Stranger Things" in den 90ern, so viel Kohle hatte diese Produktion nicht ansatzweise. Dafür hat sie gelegentlich den Charme des mit viel Liebe gemachten, von Herzen kommenden Projekts, was es auch ist. Ähnlich wie die Hauptfigur Luke (umwerfend gespielt von der Entdeckung Jahi Di'Allo Winston) stolpert Schöpfer, Autor und Regisseur Michael Mohan in die Serienproduktion und wächst sichtlich an der Herausforderung. Toll, das Netflix solchen Talenten Tür und Tor öffnet. Es fühlt sich ein bisschen an wie die Highschool-Variante von "Togetherness" der Duplass Brüder, und das meine ich als Kompliment.

                                            Ich mag zwar nicht glauben, dass eine Highschool mit so einem Videostudio ausgerüstet ist, aber allein die U-matic Recorder und der Bildmischer, an dem ich selber noch das Schneiden gelernt habe, haben mich sofort wieder versöhnt. Das erste Video, was die Kids erstellen sieht auch viel zu professionell aus, dafür hat ihr Abschlusswerk dann schon beinahe echten Amateur-Charme. Wobei das ja eher nebensächlich ist, vor allem das bezaubernde Spiel der Kids lässt einen die anfänglichen Schwächen schnell vergessen, und musikalische Entgleisungen wie Oasis, Spin Doctors und Ace of Base verzeihen (wobei letzteres ... aber das müsst ihr schon selbst herausfinden).

                                            Im Mittelpunkt stehen die üblichen, zeitlosen Sorgen von Teenagern, angenehm gespiegelt in ähnlich gelagerten Problemen zweier alleinerziehender Elternteile. Für sehr viel mehr ist gar keine Zeit, dafür wird erzählerisch aber mehr Boden gut gemacht, als die klischeehafte Einführung der Freshmen-Nerds erahnen lässt. Vor allem bei Tyler tat ich mich bis zum Ende schwer damit den ihn umgebenden Art-Garfunkel-als-Kid-Vibe abzuschütteln. Für alle, denen es genauso ging: https://www.youtube.com/watch?v=PUd71o9nWGM

                                            Der Figurenpark ist übersichtlich, mit Potential zur weiteren Entfaltung in einer zweiten Staffel, denn die erste fühlt sich dann doch einfach viel zu kurz an, mit ihren 10 Folgen à 24 Minuten, in denen so manche dramaturgischen Schwergewichte angegangen, und mühelos gemeistert werden. Die Außendreh-Episode ist ein richtig rundes Kleinod, das den Aufwand lohnt, und von vielen Szenen hätte man gerne die 45 Minuten Fassung gesehen - wie die Fahrt zum Tori Amos Konzert. Apropos, für alle, die sie damals verpasst bzw. jetzt den uns leider verständlicherweise vorenthaltenen Gegenschuss vermisst haben, hier direkt mal eine entsprechende Tori Amos Performance: https://www.youtube.com/watch?v=PL7VCUA7lQU (ach, was soll's, das hier muss auch noch sein, weil vielleicht die gänsehautigste Coverversion wo gibt: https://www.youtube.com/watch?v=HaAI3jI7uCc )

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                                            • jp@movies: Film & TV Kamera 15.11.2017, 22:10 Geändert 15.11.2017, 23:22
                                              über Genius

                                              Camerimage 2017 - #8

                                              Ron Howard shot this first, before Solo. Leider wirkt das alles ein bisschen lieblos und unausgegoren, sehr auf Sicherheit bedacht um ja nicht zu lange über Physik reden zu müssen. Passiert es dann doch, muss es schnell visualisiert werden, was dank Pixelgebrizzel im Bild so fremd und aufgesetzt wirkt, dass es einen aus der Erzählung haut. Dann sprechen die Deutschen Englisch, manche Deutsche Englisch mit deutschem Akzent, umgekehrt imitieren angloamerikanische Darsteller Englisch mit deutschem Akzent, und um es noch eine Idee verwirrender zu machen, sprechen deutsche Polizeibeamte im Feuergefecht untereinander - nun ja - Deutsch? Also was denn jetzt? Im Bild jagt eine Flare die nächstkleinere aus dem Bild, und Lichtstrahlen stechen im Gegenlicht durch den Trockeneisnebel, wenn Einstein mal wieder eine Tafel vollschreibt - was schlaue Leute eben so machen, wenn sie keine Fensterscheibe zur Hand haben. Uff. Das macht es einem schon ziemlich schwer überhaupt in die Erzählung zu finden, die obendrein im Piloten zwei Zeitebenen miteinander verknüpft, den jungen Einstein, der sich gegen seinen Vater behaupten und an einer Universität in der Schweiz aufgenommen werden will, um aus München heraus zu kommen, sowie dem älteren Einstein, der sich im Berlin kurz vor der Machtergreifung um eine Ausreise in die USA bemüht. Außerdem wird er wenig überzeugend als Schürzenjäger eingeführt, wobei Geoffrey Rush das deutlich schwerer vermittelt, als Johnny Flynn, der hier auf mich sehr wie ein jüngerer Bruder von Oscar Isaac wirkt. Richtig warm werden konnte ich damit unterm Strich nicht, dafür ist das Erzähtempo einfach zu schnell, wie es Stationen abhakt, die Dialoge wirken zu pädagogisch, und bei den Kulissen fragte ich mich, ob das vielleicht die gleichen sind wie bei Babylon Berlin (was ich noch nicht gesehen habe)? Wenn nicht, könnte man sich ja mal über ein Kostüm-, Darsteller- und Bautentauschsystem Gedanken machen. Fazit: Eine Idee zu formelhaft (kicher).

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                                              • jp@movies: Film & TV Kamera 14.10.2017, 12:05 Geändert 14.10.2017, 13:08

                                                Geht mir weg mit Serienkillern. Ich kann es nicht mehr hören, will es nicht mehr sehen. Seit dem SCHWEIGEN DER LÄMMER und SE7EN dreht sich gefühlt jeder fünfte Plot um einen. ZODIAC war dann eine interessante Ausnahme von der Regel, und mit MINDHUNTER ist es zum dritten(!) Mal wieder Fincher, der der Thematik neue Facetten hinzufügt, denn die "Sequenzmörder" stehen viel weniger im Mittelpunkt, als es den Anschein hat.

                                                Viel mehr fühlt sich MINDHUNTER ein bisschen an wie eine FBI Version von THE WIRE - hier finden sich zwei Ausbilder von zukünftigen Agenten, die beide wie Fremdkörper wahrgenommen werden, der eine jung, ambitioniert und hoch motiviert, aber ohne das rechte pädagogische Fingerspitzengefühl im Umgang mit einfacher gestrickten Gemütern - wenn es um die Wissensvermittlung geht, und nicht die Verhandlung mit Geiselnehmern, seinem Spezialgebiet. Denen scheint er von Beginn an näher zu stehen, als seinen unmittelbaren Kollegen. Jonathan Groff spielt diesen Holden fantastisch, seine Verunsicherung, seine Leidenschaft, seine mangelnde Distanz. Verloren und einsam wirkt er in seinem Job, bis er von einem älteren, abgeklärten FBI Mann (ebenfalls ganz großartig: Holt McCallany) unter seine Fittiche genommen wird, und mit ihm das Land bereist, mit Flugzeug und Leihwagen zu den bildfüllend eingeblendeten Ortsnamen kreuz und quer in Amerika, wo sie Polizisten psychologische Grundsätze vermitteln. Dort kommen sie auch mit aktuellen Fällen in Kontakt, die sich in den Köpfen der damit überforderten Ermittler festgesetzt haben. Holden kommt dabei die Idee und wenig später Gelegenheit einen dieser Mörder zu befragen, und wer jetzt einen Hannibal Lecter artigen Plot erwartet, liegt nicht gänzlich falsch, aber doch meilenweit daneben.

                                                Viel mehr interessiert sich die Serie für die Dynamik der beiden Ermittler, was für sich betrachtet auch nicht neu ist, genauso wenig wie deren Kampf gegen innere wie äußere Widerstände, sondern um das Beschreiten neuer Wege. Die beiden leisten Pionierarbeit, was ihnen erst gelingt, wenn Frauen in ihr Leben treten, und hier wird die Serie so richtig großartig.

                                                Einmal ist da Debbie, die Holden kennenlernt, die ihm intellektuell und emotional haushoch überlegen ist, ohne dass er davon so sehr eingeschüchtert wird, dass er sie nicht mehr attraktiv fände. Von ihr kommen Impulse und Gedanken, die ihn menschlich wie beruflich zu einem runderen Menschen machen. Noch akademischer ist dann Professorin Wendy, die unseren Ermittlern die fehlende wissenschaftliche Methodik an die Hand gibt und ihnen überhaupt erstmalig Feedback gibt. Es ist ein Genuss mit anzusehen, wie diese harten Männerwelten aufgebrochen werden, und starke Frauen sich darin bzw. daneben behaupten können. Zwar sind bislang (habe erst vier Folgen gesehen) einmal mehr nur Frauen (und Hunde) Opfer geworden bzw. Mütter beschuldigt worden, doch wird das hier selber geschickt zum Thema.

                                                Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich schleichend auch kleine Traumata und obsessive Züge bei den Ermittlern zeigen, die bei den Inhaftierten ins pathologische umgeschlagen haben - dabei haben wir von Wendy bereits gehört, dass Konzernchefs oder auch Präsidenten die gleichen psychopathischen Muster zeigen. Die Frage ist viel mehr, was unsere Gesellschaft zusammenhält oder kollektiv krank macht. Der Schlüssel dazu sind einmal mehr die Frauen, die hier (noch?) eine gesunde Distanz wahren, und das Ermittlerduo auf dem Teppich halten, statt Dinge darunter zu kehren.

                                                Die Serie ist wunderbar langsam erzählt, großartig gefilmt, geschnitten, geschrieben, besetzt, ausgestattet und inszeniert, eine absolute Wucht und ein süchtig machender Hochgenuss, mit einer famosen Titelsequenz und ebensolchen Musikthema. Lange habe ich keins gesehen, dass die Essenz der Serie so präzise einfängt: Die Musik gibt ein Thema mit sich wiederholenden Muster wieder, dass dann leicht verfremdet wiederholt, ja nachgespielt wird - wie die Psychologen, die in die Köpfe der Mörder sehen wollen. Ihr Werkzeug wird der Bandrekorder, dessen Technik eine Distanz vortäuscht, die sich nicht einhalten lässt, wenn man ein empathischer Mensch ist, was sich in den in blitzartig einmontierten Tatortfotografien ausdrückt. Wäre HANNIBAL so erzählt worden, hätte ich es geguckt. Aber hier werden nicht die Taten ästhetisiert, stilisiert und überhöht, es gibt keine Zeitlupen, keine Klassik, kein tropfendes Blut, sondern mit dem Job, dem Privatleben und den inneren Dämonen ringende Menschen, denen man gerne beim Leben zusieht.

                                                Das nächste Serienhighlight, das es ansatzlos in meine Top 5 des Jahres 2017 schaffen dürfte (neben bislang THE LEFTOVERS, HANDMAID'S TALE und HALT AND CATCH FIRE - ja, ich weiß dass das erst vier sind, um den fünften Platz prügeln sich mindestens ebenso viele Serien bis mindestens zum Jahresende).

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                                                • http://jack.worlord.com/blacklodge2600/

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                                                  • http://ew.com/tv/2017/05/17/the-alienist-trailer-tnt/

                                                    Daniel Brühl als Hauptdarsteller in einer Qualitätsserie irgendwo zwischen "The Knick" und "Hannibal" - das ... sieht gar nicht mal übel aus. Wann soll man das denn alles gucken???

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