jp@movies - Kommentare

Alle Kommentare von jp@movies

  • An sich gucke ich Amy Adams ja gerne dabei zu, wie sie sich aus schicken Weingläsern betrinkt, und auch darüber hinaus spielt sie gewohnt fantastisch, nuanciert, überzeugend. Nur hat hier außer ihr niemand viel zu tun, was schade ist, denn die Besetzung war zum Finger schlecken, versprach großartiges, kriegte immerhinpro Kopf eine halbgare Minute, in der aufblitzt, was hätte sein können, oder werden gleich ganz übergangen, wie Jennifer Jason Leigh von Moviepilot - ja, die ist hier nämlich auch noch mit dabei, und in dem Moment, wo sie beinahe was interessantes am Telefon gesagt hätte, wird unhöflich aufgelegt. So wagt sich noch vor der Protagonistin vor allem das Drehbuch nicht aus den selbst gesetzten Genre-Grenzen hinaus, und wenn allein das Production Design, sowie die Kameraarbeit mehr Hitchcock Easter-Eggs unterbringen, als der zugrunde liegende Plot, dann hat der Film ein Problem. Ein Riesenproblem, mit einem großen, schimmligen Loch aus Langeweile in der Mitte. Die Inszenierung hat gar keinen Bock, der Schnitt fragmentarisiert alles lieb- ja sogar grundlos, und über die dumme, alles viel zu dick zukleisternde Musikbrühe würde ich mich immer noch aufregend, wenn davon wenigstens ein Motiv hängen geblieben wäre. Das hatte aber ja nicht mal der Mörder, also was soll's. Prost Amy, we feel you.

    PS: Wie kann es sein, das Netflix so unfassbar schlecht in der Produktion von Spielfilmen ist? Ich mein, wenn sie welche einkaufen und sich nur noch ins gemachte Nest setzen müssen, geht's noch, aber sonst? Grundgütiger.

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    • SPOILER durch und durch, bitte weitergehen!

      Eigentlich fängt dieses Tom Hanks Vehikel ja prima an, ist dabei vielleicht ein bisschen zu platt in seinen Metaphern (die Texaner, die ihre Nachrichtensendung von CNN auf Lokalnachrichten umschalten, die Turbokapitalisten, die ihr eigenes Fox-News betreiben und nach einer(!) liberalen Nachricht die Rebellion ausrufen, das „Flüchtlings“-Mädchen ohne Zuhause, für das sich niemand zuständig fühlt, das in der Knarre richtig „angelegte“ Kleingeld…), aber kommt halt doch ganz gut in Fahrt. Dariusz Wolski haut toll geleuchtete Bilder raus, und es läuft auf ein tolles Ende im Sandsturm hinaus, Johanna bringt dem Captain ein Pferd und kehrt zu den Indiandern zurü… oh. Wtf?

      Ok. Was soll das jetzt? Wir sind doch vorher nach links(!) abgebogen, während die deutschen Siedler auf der A8 im Stau stehen. Johanna hat ihre Kindheitserinnerung konfrontiert, kann sie hinter sich lassen und kehrt zu den Indianern zurück. Tom „Kidd“ Hanks nimmt sich daran ein Beispiel und stellt sich dem Tod seiner Frau und kehrt daanch zu der tollen Hotelbetreiberin zurück, die seit Jahren auf ihn wartet - zu der Person dank derer Sprachkenntnisse der „Onkel“ dann auch weiter Kontakt zu seiner Adoptiv-Nichte halten kann. Eine ganzheitliche, kreisförmige Lebensphilosophie, nicht mehr linear der Straße folgen, wie in der stärksten und anrührendsten Szene des Films, wo Helena Zengel ohne Worte Hanks an die Wand spielt, und ihn den Wagen und uns die Luft anhalten lässt. Hammer! Auch so wär’s immer noch ein Wohlfühlfilm, aber nun ja, runder vielleicht?

      Das liest sich doch so, als wäre es exakt so angelegt worden, oder spinne ich? Hat hier jemand den zugrunde liegenden Roman gelesen? Ist es da auch so? Stattdessen zieht sich das echte Ende danach endgültig in die Länge und hört auf wie jede Nachrichtensendung heute: mit der lustigen Meldung, die einen die Hiobsbotschaften davor vergessen lässt. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Und jetzt das Wetter.

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      • Mal unabhängig von Inhalten: Was geht denn hier in den Kommentaren schon wieder ab? Wie empfindlich muss man bitte sein, dass Mann schon vom Wort "Patriarchat" getriggert wird? In einer Fantasy-Mittelalterserie? Ernsthaft? Wer emotional so instabil ist, sollte besser weder Kommentare schreiben, noch politische Ämter übernehmen :)

        Und noch was. Lisa ist noch keine 100 Tage in ihrem Amt, gönnt ihr also doch bitte wenigstens etwas Eingewöhnungszeit, um sich unter diesem aufbrausend kindischen Haufen zurecht zu finden. Da wird einem nämlich wieder deutlich, wie gut dieser Seite ein erfahrener Community-Manager tun würde. Gibt es da vielleicht jemanden mit entsprechendem Hintergrund, dem man so einen polarisierenden Posten anvertrauen könnte? Dann bitte mal anrufen. Es wäre an der Zeit.

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        • über MaPa

          Noch kein einziger Kommentar hier? Na dann… mach ich halt den Anfang. Wie die Serie auch, denn sowas habe ich aus Deutschland noch nicht gesehen. Jedenfalls nicht so ehrlich und gut beobachtet. Vielleicht in AFTER LIFE, aber mit einem Kleinkind anstelle des Hundes? Ok, das ist jetzt nicht fair, denn jeder weiß, dass der deutsche Fernsehzuschauer da lieber dem Schäferhund folgt, als einem alleinerziehenden Vater auf den Spielplatz. MILCHEINSCHUSS fiele mir noch als andere Referenz ein, aber bleiben wir mal in Berlin und lassen uns auf der Straße stilecht von einem Bettelpunk beleidigen.

          Der Plot klingt natürlich erstmal gar nicht nach lustig - wie denn auch, wenn die Mutter des Babys tot ist? Dank der nichtlinearen Erzählweise kriegen wir aber die sehr ansteckend lebendige Emma trotzdem viel zu Gesicht, und ich gebe gerne zu, dass Lia von Blarer dem Protagonisten hier ein wenig die Schau stiehlt. Ja, es geht durchweg um Eltern- und Vaterschaft, und davor darf man gerne auch ein bisschen Schiss haben, verdammt. Aber wie bei allem im Leben gibt es eine Geheimwaffe, mit der man alles bewältigen kann, und die heißt Humor. Damit sind manche Deutsche schon in der Vorstellung überfordert, aber glücklicherweise nicht die Autoren (“Voll geil mit der Amnesie, haben wir voll lang nicht mehr erzählt.”). Der Humor ist hier endlich mal nicht von der Hau-Drauf-Sorte, sondern fein inszeniert, leise, hintergründig, und traut seinen Zuschauern zu das alles ohne Lacher vom Band zu verstehen. Wenn ich mich so ernst genommen fühle, kann ich befreit lachen. Es geht nämlich auch ohne Dauergelaber und mit Montagesequenzen. Und Klobürsten.

          Selbst Situationen, die uns zunächst als gefährlich "pädagogisch wertvoll" anmuten, weil uns Jahre an ÖRR-Produktionen schon entsprechend kaputt konditioniert haben, fallen uns hier auf die Füße und lassen erleichtert losprusten. “Du schubst deine Mutter?”

          Ein geübtes Auge sieht der Serie zwar ihren Geldmangel an, aber das wird durch Engagement und Herzblut vom Team und dem tollen Ensemble aufgefangen, was eigentlich eine Schande ist. Die Grimme-Preis Nominierung haben sie sich mehr als verdient, und wenn es eine höhere Gerechtigkeit (und nicht nur eine Jury) gäbe, dann würden sie mit Abstand gewinnen. Dass es sie überhaupt gibt ist ein kleines Wunder, wie jedes Kind, dass es auf die Welt schafft. Das spürt man, und ich wollte Lene weiter beim größer werden und Metin beim erwachsener werden zusehen. Stattdessen wird das Baby wohl aus dem Fenster geschmissen. Nicht auszudenken, was man da mit ein bisschen mehr Geld draus machen könnte. International Emmy? Yepp. Mindestens. Ich wär ja schon mit ner zweiten Staffel zufrieden.

          Aber es ist halt wie es ist: “Die Welt ist ein Zebra.”

          Tut euch einen gefallen, und wenn Schotty Werbung dafür machen dürfte, würde er es vermutlich so tun: Wo sich andere vor Angst in die Windel machen, da haben wir das Baby schon geschaukelt.

          Ab diesem Wochenende in der ARD-Mediathek. Nehmt euch ein bisschen Zeit und schaut rein, ihr werdet es nicht bereuen.

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          • Was für ein zeitloses Meisterwerk! Der Film beginnt mit einem recht langen Ausschnitt einer Wochenschau von 1938, in der wir Adolf Hitler mit seiner Entourage in Rom eintreffen sehen. Mit dem Zug wohlgemerkt, und die ungeschnittene Szene am Bahnhof könnte fast von Tati stammen: der Duce wartet dort, der Zug hält, Adi steigt aus, hält sich die Hand wie gehabt über die Schulter, es steigen immer mehr hohe Tiere aus, es wird schnell unübersichtlich und die Nazis sehen aus wie eine Gruppe aufgeregter Touristen, die einander mit ausgestreckten Armen kreuz und quer durcheinander Postkartenmotive zeigen, oder nach dem Weg zum Bahnhof gefragt wurden. Eine so bizarre wie lächerliche Szene, dass ich mir die Stelle beinahe gleich nochmal angesehen hätte.

            Dann kommt aber die erste Filmszene, die einen in ihrer Schlichtheit und Perfektion aus dem Socken haut: in einem Wohnblock werden nacheinander zwei Fahnen aufgehängt und der Müll rausgetragen. Dies geschieht nicht plakativ und augenzwinkernd, sondern rein beobachtend, wie in Hitchcock’s FENSTER ZUM HOF. Mit dem hat der Film einiges gemeinsam, denn diesen Hinterhof bzw. Gebäudekomplex verlassen wir nicht mehr, und die Kameraarbeit und Komposition ist durchgängig so wundervoll und leise, wie man sie heute immer seltener findet (und wenn ich mich nicht irre, ist alles mit ein und derselben Brennweite gedreht - auch das hilft ungemein dabei hier immer tiefer in die Psyche der beiden Protasgonisten einzutauchen). Die Kamera sieht sich kurz um, macht uns mit dem Gebäudekomplex vertraut, wir schweben im sechsten Stock, sehen Licht in einem Fenster, eine Frau dahinter und die Kamera nähert sich langsam, wir erkennen in ihr Sophia Loren (oder auch nicht) und folgen ihr durch die ganze Wohnung, in der sie ihre Familie weckt, und da ist immer noch ein Kind mehr im Bild versteckt, als man vermutet hätte, und alles ohne Schnitt, ohne Effekthascherei, wie eine Nebensache. Wahrscheinlich würde es den wenigsten überhaupt auffallen, weil alles völlig ruhig und gleichmäßig geschieht, aber seht selbst: https://www.youtube.com/watch?v=o_YtSYd74tg

            Die Kamera hat hier schon den Innenhof wie den eines Gefängnisses gefilmt, und das wird noch deutlicher, wenn die Mutter Antonietta ihre Familie vor die Tür begleitet, die auf dem Weg zur großen Parade ist (während sie Zuhause bleiben wird um sich um die Hausarbeit zu kümmern): da filmt die Kamera durch das Treppengeländer, und als sie endlich alle weiter hat und selbst oben allein am Treppenabsatz steht, ist sie endlich „frei“, nicht mehr hinter Gittern. Der ganze Film ist voll von solch wunderbaren Kompositionen, die nur weiter unterstreichen, wie sehr sie und auch ihr Nachbar Gabriele Gefangene sind, oft mit dem Innenhof zwischen sich, jeder für sich in seiner Zelle gefangen. Selbst der ausbüchsende Vogel bleibt im Innenhof, findet nicht den Himmel - jedenfalls nicht den sprichwörtlichen, dafür aber kurzzeitig jenen im De­kolle­té der Loren. Mist, jetzt hab ich mich ablenken lassen, wo war ich? Ach ja. Der sich anbahnende Flirt dieser beiden findet seinen Höhepunkt auf dem Dach, beim Wäsche abnehmen (ohne sich dabei ausziehen zu müssen). Dann ist da noch die … hm, wie soll ich es sagen, Vergewaltigungsszene? Denn einvernehmlichen Sex sieht man hier eigentlich nicht, so wie Marcello dabei guckt und sich der Schatten der Loren über sein Gesicht schiebt. Interessant, wie still auch das inszeniert wird. Nur weil er es hinterher herunterspielt, zeigt sein Gesicht etwas anderes - und er ist dabei uns zugewendet, nicht ihr. Wir können sehen, dass er für sie lügt, sie nicht. So arbeitet man mit der Kamera, so positioniert man Menschen zueinander in Räumen, Bildern, Schnitten. Der Film ist ein Lehrstück für klassisches Filmemachen, die Zeit verfliegt, und alles ist gesagt worden, ohne das viele Worte darum gemacht werden mussten. Die Kamera hat uns alles gezeigt, Sophia und Marcello spielen Gefangene, Klassenunterschiede, Macht, alles steckt drinnen, ohne es an die große Glocke hängen zu müssen. So macht man großes Kino. Das nehme ich am Ende mit, wie andere ein Bild ins Exil, oder wiederum andere ein Buch im Küchenschrank. Gegen sich breit machenden Faschismus bleibt uns hier nur das Festhalten an Kultur, die die Massen um uns herum schon nicht mehr verstehen. Lesen, hören, fühlen und sehen können als Akte des Widerstands gegen die Barbarei. Erinnern wir uns immer daran, denn das macht uns zu Menschen.

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            • Komisch, dass einem der Abspann viel zu lang vorkommt, wo doch die ganze Zeit nur ein Schauspieler vor der Kamera steht, pumpt, flickt, funkt, steuert, schwimmt, taucht, klettert, säuft, angelt, leidet - und keiner von denen kommt ihm zu Hilfe!

              PS: Ich hoffe er hat sich die Nummernschilder aufgeschrieben.

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              • jp@movies: Film & TV Kamera 29.03.2021, 18:11 Geändert 29.03.2021, 20:55

                Bin mir ziemlich sicher, dass im Director’s Cut auch wirklich alle Namen vorgelesen werden. Release the Sorkin-Uncut-Cut!

                PS: Ging es noch jemanden streckenweise so, als würde Eddie Redmayne hier eigentlich Tom Cruise spielen, wie der Tom Hayden portätiert hätte? Wenn man erst einmal den Gedanken hat, dann wird es auf der Tom-Tom-Ebene richtig gruselig.

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                • jp@movies: Film & TV Kamera 07.03.2021, 13:32 Geändert 07.03.2021, 13:49

                  Da hab ich auch noch eine wollige Angelegenheit mit einem famosen Christopher Walken: https://www.youtube.com/watch?v=OIXHzKpgBFo

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                  • jp@movies: Film & TV Kamera 07.03.2021, 13:12 Geändert 07.03.2021, 13:25

                    Meine Fresse, was für ein langweiliger Streifen. Dieses Desinteresse an den Figuren, die Einfallslosigkeit und Wurstigkeit ist schon fast wieder beeindruckend. Wenn man glaubt, dass einen Netflix-Filme nicht noch mehr enttäuschen können, dann wird man schneller als einem lieb ist vom Gegenteil überzeugt. Ein Film, der sich daran erschöpft Material für einen schicken Trailer zu liefern, der um Klassen unterhaltsamer ist, als der Film selbst.

                    Kaum eine Szene kommt ohne Musik aus, die alles verstopft und doch fast nie Montage-Sequenzen unterlegt, die den Namen verdient hätten, sondern wird schon durch jede Bewegung der Figuren von A nach B ausgelöst, so dass man beinahe hofft, sie mögen jetzt bitte sitzen bleiben. Dann wird es aber noch schlimmer, weil man schlechten Dialogen zuhören muss. Etwa in der Schlüsselszene, in der der Anwalt der Gegenseite auftritt und zwei Minuten Zeit bekommt. Noch nie haben sich zwei Minuten so lang angefühlt. Wie knackig wäre die Szene ausgefallen, wenn sie wirklich(!) nur zwei Minuten gedauert hätte. Ein Feuerwerk zwischen zwei Profis, die dennoch ein doppeltes Spiel spielen. Verdammt, jede Anwaltsserie hat versehentlich besser geschriebene Dialoge irgendwo in ihren Staffeln versteckt.

                    Die uninspirierte Kamera setzt viel unmotiviertes, buntes Licht, als hätte jemand den Malkasten von Refn geklaut ohne damit umgehen zu können, und löst alles so brav in Schnitt und Gegenschnitt auf, das man einschläft, während der Schnitt versäumt auch nur einen Hauch von Tempo in die Geschichte zu bringen, die mindestens 40 Minuten zu lang für die Story und den Film ist. Das Drehbuch ist schwach und nicht halb so clever, wie es gerne wäre, und die Inszenierung macht die Lücken nicht mit seinen tollen Darstellern wett, sondern lässt es halt so. [Spoiler voraus:] Deswegen erfährt man nichts darüber, wieso die Bindung von Mutter und Sohn so eng ist, warum umgekehrt die Hauptdarstellerin ihre Mutter den Häschern überlässt, aber angeblich doch der Liebe fähig ist (so lange es sich um eine heiße lesbische Nummer handelt - natürlich mit entsprechendem „tiefenpsychologischen“ Ende - sol heißen: sagt mehr über den Autoren und sein Weltbild aus, aber ist ja sooo clever, der Twist. Not.), das Verschwinden (Taxi-Fahrer-Gehilfe) oder der Tod von Nebenfiguren (Ärztin) werden hingenommen, weil sie nur den Plot vorantreiben, aber weder wird es mit schwarzem Humor, noch als Thriller inszeniert, als wüsste der Film selbst nicht so genau, in welchen Ton er erzählen möchte, oder was er sein will. Außer natürlich ein pädagogisch unglaublich wertvolles Lehrstück zu sein. Da werden Mitarbeiter in der Klinik erschossen, und niemand trauert um sie? Ich meine im Hintergrund oder Details, wie einer Trauerschleife oder was weiß ich, aber nix. Als gehöre das zur Alltäglichkeit dort. Sogar ein Zahn bekommt hier mehr Screentime.

                    Eine Szene wird mir dann aber doch in Erinnerung bleiben: Wie die durchgefrorene Rosamund Pike den Würstchenofen in der Tankstelle umarmt. Das war der zärtlichste, menschlichste Moment des ganzen Films, den man sich gänzlich sparen kann. Ach Halt, eine tolle Kamereinstellung gab es, und die war ja auch im Trailer: Als sich die Glastüren hinter der Zwangseingewiesenen schließen, verschwindet sie hinter den Rahmenelementen, während die Pfleger noch zu sehen sind. Aber das könnte auch ein Zufall gewesen sein, wenn ich es recht bedenke, und jetzt habe ich diesem Ding eh schon mehr als genug Zeit gewidmet.

                    Um euch auf bessere Gedanken zu bringen, wechseln wir doch vom „ich“ zum „wir“, bitte sehr: https://www.youtube.com/watch?v=LQhX8PbNUWI

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                    • Da legst du den Finger in eine offene deutsche Wunde, liebe Andrea. An der Synchronisationskultur alleine oder dem Hochdeutsch liegt es nicht. Deutsche sind entsetzliche Besserwisser (ein Punkt, den ich natürlich gerade selbst belege ^^). Nimm zum Beispiel DAS BOOT - nein, nicht das Remake, sondern das Original. Ist damals in der hiesigen Presse zerrissen worden. Verharmlosung, und so weiter und so fort. Da wurde extra so besetzt, das Dialekte vertreten waren, und an der Sprache lag es nicht, das gemäkelt wurde. (Aber immerhin gab es damals überhaupt noch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs darüber, Interviews mit dem Autoren der Vorlage, und haste nicht gesehen.) Inzwischen haben alle den Film und die Serie schon immer gut gefunden, jetzt wo Jahrzehnte später kein Zweifel mehr über den Stellenwert besteht. Deutsche brauchen immer Jahrzehnte, ehe sie wirklich wissen, was sie schon immer gesagt haben. Waren ja auch alle keine Nazis, sondern versophieschollen im Widerstand, und den Kniefall von Willy Brandt fanden auch schon immer alle gut und richtig, sogar die Union. Wir sind scheiße darin Kritik zu üben und sogar noch beschissener darin Kritik anzunehmen, weil zwischen totaler Zustimmung ("wollt ihr den…" ähem) und kompletter Ablehnung kein Platz für einen Diskurs gelassen wird. Deutsche wollen recht (ähem) haben, nicht diskutieren.

                      DIE ZWEITE HEIMAT von Edgar Reitz wurde überall im europäischen Ausland geliebt und mit großem Interesse geguckt, bei uns führte die schlechte Quote zum Niedergang einer Serienkultur, die es gab. Qualitätsserien haben eine erstaunlich lange Geschichte in Deutschland, von der die aktuellen Fernsehredakteure noch nie gehört haben. Dann müssten sie sich ja mit Film- und Fernsehgeschichte befassen. Es gab Autorennamen und namhafte Regisseure, die jedem etwas sagten, und es wurde darüber gesprochen. Nur galt uns Deutschen auch damals erst dann etwas, wenn es uns von außerhalb bestätigt wurde. Diese Verunsicherung sitzt so tief, sich auf der richtigen Seite wähnen, und dann hinterher feststellen müssen, wir waren die Bösen? Das hat die deutsche Seele nie verwunden. Wenn andere unsere Werke plötzlich gut finden, dann können wir endlich, endlich sicher sein, und wussten das in Wahrheit schon immer, sind natürlich nur immer falsch verstanden worden. Ehrenwort.

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                      • Schade, dass dieser Haneke in den Kommentaren hier so wenig Liebe findet. Dabei werden Behauptungen aufgestellt, die mich ratlos machen, als hätte ich einen anderen Film gesehen. Die Kamera von Christian Berger könnte nicht klarer machen, welcher Figur hier die Schlüsselrolle zukommt. Mit ihrer Perspektive beginnt und endet der Film, und zwischendrin heftet sich die Kamera immer wieder an ihren Hinterkopf, folgt ihr überall hin. Wie klarer soll man es formal denn noch machen? Überhaupt begeistert mich die Kamera hier sehr. Kompositorisch ohnehin über jeden Zweifel erhaben, aber auch hier verbirgt sich immer wieder eine Versuchsanordnung für den Zuschauer unter der Oberfläche. Offenbar müsste vielen Einstellungen der Hinweis „wait for it“ vorangestellt werden, damit den ungeduldigen Zuschauern nicht entscheidendes entgeht. Denn die Medienkritik steckt eher hier, nicht in den hochkanten Handyaufnahmen oder Computerbildschirmen - und wird glatt übersehen, weil laaangweilig. Noch toller sind die „oner“, die Plansequenzen, in denen man nicht nur ein sehr präzises Gefühl für Echtzeit und Räume bekommt, sondern die gekonnt mit Licht- und Perspektivwechseln so viel erzählen. Großes Kino, mit einer Bildsprache zum Augen öffnen.

                        Wer den Film noch sehen möchte, sollte jetzt nicht weiterlesen, denn es folgen SPOILER. Die Parallelen zu AMOUR sind nicht nur überdeutlich, sondern die entsprechende Szene ist der Höhepunkt des Films, der Schlüssel zum Verständnis. Dazu muss man AMOUR nicht gesehen haben. Das unterstreicht nur die Seelenverwandtschaft von Großvater und Enkelin - hier ist sie diejenige, die (auch?) im Ferienlager gewesen war, und verhandelt werden zwei Tötungen, von der eine nicht gestanden wird, der wir aber am Anfang des Film beigewohnt haben. Ja, ein Unfall mit Todesfolge, sehr Haneke eben. Wesentlich ist, dass die beiden sich in ihrer geistigen Schärfe hier ebenbürtig sind, es ist die einzige Szene echter Nähe, von Verwundbarkeit, Menschlichkeit. Wärmer wird es bei Haneke nicht, und es gibt keine Erlösung durch eine gemeinsame Kadrierung, es bleibt beim Schnitt und Gegenschnitt, aber immerhin bis in Großaufnahmen hinein.

                        Schaut man sich dann die Familienkonstellation an, liegt eine klassische Versuchsanordnung vor: Auf der einen Seite die Mutter, die zu sehr liebt, ihren Sohn erdrückt, der sich nicht in die für ihn vorgesehene Rolle fügen will, der beim Karaoke nicht aus der Bühne ausbrechen kann; „die Lieder der anderen“ eben, die will er doch gar nicht singen. Auf der anderen Seite ist der Vater, der der Liebe nicht mächtig ist, und die Distanz braucht, um überhaupt so etwas wie Gefühle zu zeigen. Der Großvater sucht den Ausweg im Suizid, und es bleibt unklar, ob er seine dementen Episoden nur spielt, um in Ruhe gelassen zu werden, aber davon würde ich mal ausgehen. Auf jeden Fall ist er klar genug im Kopf, um als einziger die offensichtliche Verbindung zwischen den Tabletten und der Vergiftung zu ziehen. In der besagten Szene gibt es dann echte Empathie, wie sie die Enkelin selbst beim Baby zeigt, wenn es schreit und von ihr aus dem Bett gehoben wird. Bei Haneke heißt das so viel wie: hier ist noch nicht alles verloren.

                        Bleibt die „Medienkritik“. In einem der Videos filmt sie ihren Halbbruder, wie er im Bett spielt und teilt (mit wem?) den Schmerz über den Verlust ihres älteren Bruders, als sie fünf war. Das ist ein ganz zentraler Moment, und eben nicht so platt, wie es mal bei BENNY’S VIDEO war - ja, auch ein Haneke entwickelt sich weiter und stößt nicht nur ins gleiche (Bocks)Horn. Wenn ich das mit dem YouTuber, den die Enkelin anguckt richtig verstanden habe, dann macht sich der doch über seine eigenen Haarschnitte und Tanzfiguren von früher lustig? Reflektiert sich also selbst. Und die Enkelin reagiert trotz der Kopfhörer auf das Schreien des Babys. Ich mein, these kids are alright. Und wie. Denn die Vermutung liegt nahe, dass die Enkelin diese Videos diesem reflektierten jungen Mann schickt. Und was genau sind das eigentlich für Videos, die sie da live mit Kommentaren versieht? Die eben nicht als Chatverlauf oder E-Mail einsehbar sind, wie die der doofen Oldschool-Noob-Elterngeneration? Ich nehme an: Streams. Denn was dort fehlt, ist der rote „Aufnahmeknopf“, wie wir ihn erst ganz am Ende sehen. Hier passiert etwas, das erste, was festzuhalten würdig ist: es wird jemandem zu Hilfe geeilt, dem das Wasser schon bis zum Halse steht. Und der kurze Blick den Isabelle Huppert der Kamera zuwirft, ist der Blick auf uns Zuschauer zurück, der „call to action“: Was machst du? Siehst du auch nur zu, läufst du mit, nur hinterher, oder bist du gar der Beihilfe schuldig? Vielleicht eben all das auf einmal. Es macht eben einen Riesenunterschied, ob man etwas nur im Fernsehen sieht, oder in echt, wie es der Großvater seiner Enkelin in der Schlüsselszene erzählt hat. Und wenn man das begriffen hat, dann lässt man vermutlich weder Flüchtlinge ersaufen, noch den eigenen Vater.

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                        • jp@movies: Film & TV Kamera 23.01.2021, 14:47 Geändert 23.01.2021, 15:25

                          Die Begeisterung über diese Serie konnte ich in ihrem Verlauf immer weniger nachvollziehen. Die Idee ist hervorragend, die Besetzung und die Ausgangssituation in der Gegenwart auch, aber dann hört es halt leider auch schon auf. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn ich Aufmerksamkeit übrig habe, um z.B. auf die Kameraarbeit und die Lichtsetzung zu achten. Oder das Blocking, die Inszenierung, und dann halt auch noch die Drehbücher. All das ist halt leider überhaupt nicht gut, eher gerade mal TV-Durchschnitt, zu hell, zu statisch, zu steif. Wäre zu verkraften, wenn es denn die Drehbücher rausreißen würden, das tun sie meiner Meinung nach aber nicht.

                          Der technologische Fortschritt, ökologische und innerpolitische Krisen werden im Großen und Ganzen noch ganz gut vorhergesagt, lehnen sich aber auch nicht allzuweit aus dem Fenster. Vivienne Rook, die populistische Politikerin wird anfangs sehr gut nebenbei eingeführt, aber spätestens mit ihrer Wahlrede, die auf so große Begeisterung stößt, wird es unglaubwürdig. Da wurde es dann halt doch platt, und blieb es auch. Der eigene Medienkanal war noch eine gute Idee, und ist wohl auch das, was uns bei Trump erst noch bevorsteht.

                          Die Flüchtlings- und Lagerpolitik dominiert die Serie leider, bleibt dort nur sehr oberflächlich und mündet in ein völlig überzogenes, unglaubwürdiges Happy End, dessen mediale Wirkung in einer Gesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt mehr als ein Jahrzehnt lang indoktriniert und durch Propaganda verseucht und abgestumpft wurde, komplett verpufft wäre, das war schlicht hanebüchener Quatsch. Es sterben heute Coronaleugner auf Intensivstationen, die bis zuletzt Sauerstoffversorgung ablehnen und Pflegepersonal beschimpfen, das sie angeblich umbringen will. Bis dahin haben wir weniger als ein Jahr gebraucht. Zehn Jahre unter solchem Einfluss, und die Befreiung wäre nicht nur als von der Antifa inszeniert abgetan worden, es wäre nichts davon auch nur in die Nähe der "watch next" Empfehlung gekommen. Ja, der eigene Sohn klickt schon in der ersten(!) Folge die "breaking news" erfolglos weg. Ja was denn nun?

                          Technologien, die man einführt, muss man auch ernst nehmen. Bethany mag ja voll vernetzt sein, die Maschine selbst hätte ihre Schwester aber nicht mal in die Nähe des Gebäudes gelassen. Wenn sie da die Gesichtserkennung hätte austricksen wollen, hätte sie besser ihre Mutter geschickt. Was sie obendrein selber macht, hinterlässt ja ebenfalls Spuren in den Metadaten. Wenn sie Eigentum der Regierung ist, dann wird die auch ein entsprechendes Cookie gesetzt haben. Mir ist schon klar, dass es dramaturgisch erforderlich war, aber da klafft halt eine Lücke zur eigens dafür geschaffenen Welt, deren Regeln sie nicht begreift, und demzufolge bricht, für den Plot außer Kraft setzt. Sorry, da bin ich raus.

                          Und Verzeihung, was ist überhaupt mit der Außenpolitik? Wo sind die Brexit-Folgen? Wo die blinde Gefolgschaft den Amerikanern in jedes noch so hirnrissige außenpolitische Husarenstück zu folgen? Müsste Großbritannien nicht ab Folge 2 an der Seite der USA im Krieg mit China sein? Und Schottland im Zuge dessen spätestens dann wieder erfolgreich der EU beigetreten? Und und und, da fehlt ne ganze Menge. Daniel wäre wohl eher eingezogen worden und dann im Krieg gefallen, ok. Aber mit dem Schlauchboot über den Kanal, und dann nicht mal von einer autonomen Drohne versenkt worden? Damit geht die Glaubwürdigkeit baden, und was bleibt ist eine kitschige Soap mit ein bisschen Fremdgehen und ihrem Kopf in den Wolken.

                          War absolut nix für mich, da warte ich lieber weiter sehnsüchtig auf die Serienadaption der Madd Addam Trilogie von Margaret Atwood, die vor drei Jahren angekündigt wurde. Lest das, bringt euch locker durch jeden Lockdown. Versprochen.

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                          • jp@movies: Film & TV Kamera 22.01.2021, 13:08 Geändert 03.04.2021, 19:50

                            Hallo zusammen, schön euch alle wieder zu sehen!

                            Da bin ich wieder.

                            Ein Jahr lang habe ich nach der Kängufant-Krise mit meiner Beziehung zu Moviepilot gerungen, sie reflektiert und nach einem neuen Zugang gesucht - bislang ziemlich erfolglos. Eine bruchlose Rückkehr zum Schreiben wie zuvor ist mir nicht möglich, aber da es auch vor 10 Jahren, als ich anfing hier mitzulesen bis zu den ersten gelungenen Kommentaren ein langer Prozess war, bis ich endlich die richtigen Worte und Sätze fand, werde ich auch jetzt wieder in einem Prozess auf die Suche nach einer neuen Sprache gehen. Die Geschichte wiederholt sich also nur. Überraschung!

                            Der Schlüssel oder Weg dorthin soll das “Wiedersehen” sein, genauer gesagt das Wiedersehen von Filmen oder Serien, die man bereits gesehen hat, vielleicht als man noch jünger war im Vergleich zu heute, oder in der Begeisterung mehrfach in kurzer Folge hintereinander - alles ist möglich. Darin steckt gelegentlich nicht nur ein großer, oft überraschender Erkenntnisgewinn sowohl über die besagten Filme, sondern meist mehr noch auch über uns selbst.

                            Wichtig ist mir dabei gerade diese persönliche Beziehung zum Werk, weil wir Filme und Serien immer seltener mehrfach auf uns wirken lassen, und wie mir scheint, uns immer häufiger keine Zeit mehr zur Reflektion des Gesehenen nehmen, und stattdessen schon auf den nächsten Trailer oder Film klicken. Ein Fluch der Streaminganbieter, Bequemlichkeit, was auch immer. Als wir noch DVDs geguckt haben, versanken wir Kinoliebhaber nach dem Film noch im Bonusmaterial - wisst ihr noch damals, die Stunden an Bonusfeatures vom “Herrn der Ringe”? Wie sehr die das Warten auf den nächsten Film erleichtert, die Liebe zu den Filmen, dem Team, der Drehfamilie vertieft haben? Gut, manche von uns machen das immer noch, oder können sich jetzt auch die ganzen Blu-rays und alles leisten, aber was ist mit den Generationen, die zunehmend von Algorithmen versaut werden, anstatt von schrägen Filmfreaks hinter dem uns schützenden Tresen einer Videothek? Wie vielen muss man eigentlich schon erklären, was eine Videothek war? Suchen wir nicht viel zu selten nach einer Sichtung making-of Schnipsel auf youtube? Oder lesen uns eine halbe Nacht auf https://cinephiliabeyond.org/ fest? Ja, eben, auch darum geht es mir. Denn Filme und Serien mehrfach zu sehen sollte so selbstverständlich sein, wie beim Anhören von Musik, nur eben dass es mit mehr Zeitaufwand verbunden ist. Zugegeben, bei Musik ist das auch sonst leichter, da kann im Zweifel jeder nach kurzer Aufwärmphase der Stimmbänder mitsummen, nachdrehen erweist sich hingegen als vergleichsweise schwer und scheitert schon oft an den Terminproblemen und Gagenvorstellungen der Darsteller. Hollywood Snobs!

                            Kurz gesagt, die Wirkung eines Films auf uns ist nicht von der Art und Weise wie wir damit umgehen und uns damit beschäftigen zu trennen. Je mehr Zeit wir in das Sehen investieren, desto mehr sehen wir manchmal auch Sachen, die gar nicht da sind, dann haben vor allem andere das Nachsehen. Wir laden den Film, das Material und das Drumherum mit Bedeutung auf, die nur zum Teil tatsächlich da ist, und zu immer größeren Teilen allein aus unserer Beschäftigung damit entspringt. Das macht es ja auch manchen so schwer darüber zu reden, ohne sich gleich angegriffen zu fühlen, wenn jemand unseren Lieblingsfilm runter macht; wir haben selbst vielleicht schon mehr Zeit in unsere Vorstellung davon investiert, als die Filmemacher selbst in den eigentlichen Film. Dann könnte man auch von einer Form von Besessenheit reden, oder?

                            Aber da ist noch eine Möglichkeit des Wiedersehens, und die bringt mich endlich zu diesem Film, den ich sicher öfter gesehen habe, als die meisten von euch. Weil ich ihn geschnitten habe.

                            “Wir werden uns wiederseh’n” war der erste Spielfilm, den ich schneiden durfte. Ja, ich weiß, im Abspann steht nur “unter Mitarbeit von”, weil schlicht kein Geld da war, um mich bis zum Ende zu bezahlen; ich war junger Vater und konnte es mir nicht leisten unentgeltlich weiter daran zu arbeiten, obwohl ich das gerne getan hätte. Willkommen im Filmbusiness, ihr Lieben. Jedenfalls haben mir die beiden Regisseure - die viel zu selten Geld von Förderungen bekommen, weil sie ihre Drehbücher erst während des Drehs organisch mit den Darstellern entwickeln, was regelmäßig das unterkomplexe Vorstellungsvermögen der Gremien sprengt - so viel Vertrauen geschenkt, dass sie mich eine erste Version haben alleine erstellen lassen. Ich weiß nicht, ob ich irgendwann jemals wieder so viel in so kurzer Zeit über Filme gelernt habe.

                            Wenn man einen Film schneidet, der so entsteht wie dieser, mit einem losen dramaturgischen Gerüst, viel Spielfreude, Mut zum Experiment und Glaube an das Medium Film, dann sieht man nicht nur einen, sondern immer gleich mehrere Versionen, die miteinander verschwimmen. Im Sichtungsprozess wachsen einem die Figuren ans Herz, Nebenstränge überschatten dann schon mal die Haupthandlungen, manche Szenen wollen überhaupt nicht funktionieren, passen nirgendwo hin, sind aber notwendig, wieder andere finden überhaupt keinen Platz. Beispiel gefällig? Diese Szene ist weder im Film, noch auf der DVD zu finden, und im Beschreibungstext dort steht auch nochmal explizit warum: https://vimeo.com/28812494 - und? Wäre doch schade drum gewesen, oder? Aber in den Film gehört sie zurecht nicht.

                            Jetzt habe ich ihn mir eben zum ersten Mal seit dem 13.10.2007 angesehen (hab gerade die Kinokarte in der DVD Hülle entdeckt), und es war tatsächlich ein unverhofftes Wiedersehen. Und wie das unter Freunden und guten Bekannten eben so ist, nimmt man aneinander neue Dinge war. Was der Film an mir sieht, weiß ich jetzt im ersten Augenblick nicht, aber ich sehe ihm heute vor allem den unglaublichen Sprung der digitalen Kameratechnik an. Alter Schwede, was sich da inzwischen getan hat. So sehr sieht er jetzt nach Dogma 95 aus. An der Kameraarbeit selbst gibt es nichts auszusetzen, ist ja auch von Daniela Knapp, deren jüngster Filmbeitrag aktuell für Deutschland in das Rennen um den Auslandsoscar geht. Der Look des Materials lässt den Film halt inzwischen älter aussehen, als er ist, und ich hab ihn damals in Final Cut Pro auf einem G5 geschnitten, wem das noch was sagt. Meine Fresse, was sich da in der Zwischenzeit getan hat. Heute drehe und grade ich in 4K bei 10bit Farbtiefe zu Hause, was damals undenkbar war und auch so schon Unsummen an Geld verschlungen hat, die dann der Produktion an anderen Stellen fehlte. Traurig, aber wahr.

                            Der Film hat seine Momente, seine Stärken und Schwächen, und ich fand ihn immer noch schön, wenn man von diversen Ab- und Aufblenden absieht, geteilte Szenen verzeiht, und den für meinen Geschmack zu häufigen Musikeinsatz überhört. Ohne jetzt meine Schnittfassung im Vergleich zu gucken, weiß ich, dass ich das jetzt anders schneiden würde, um irgendwo gefühlt zwischen beidem zu landen. Das wäre sicher auch damals so ähnlich geworden, wenn wir das Geld gehabt hätten, aber ob es auch ein besserer Film geworden wäre? Ich weiß es nicht. Das muss man sich auch nicht fragen. Erstaunlicher finde ich, wie präsent so viele Szenen noch immer in meinem Kopf sind, auch fehlende Szenen, andere Chronologie und so viel mehr. Das Mehrwissen vor allem, wer Schauspieler und wer Laie ist, wer mit der Improvisation besser konnte und wer nicht, was in etwa so geplant war und was nicht… das trötet mir immer noch im Hinterkopf rum, und stört vermutlich niemanden, der den Film erst heute für sich entdeckt. Das sind eben meine Geister, die mir durch den Kopf spuken, so lange ich lebe. Geister, auf die man beim Schnitt nicht hören darf, die man ausblenden muss. Das ist gar nicht so leicht. Ich wusste auch da schon von anderen Filmen, die ich schneiden durfte, dass manche Darsteller im Rohmaterial durchweg schlecht rüber kommen, aber in geschnittener Form plötzlich überzeugender wirken, als ihre Partner, als würden sie sich mehr für die Kamera eignen, als andere. Aber eben erst in der Montage. Da die richtige Balance zu finden ist eine Kunst, und immer wieder auf’s neue verblüffend.

                            Einzig beim Ende würde ich meine Version immer noch vorziehen, denn die hat ein happier end, für Barbara, Holger und Frau Opels. Übrigens allein mit dem gleichen Material, nur durch eine andere Reihenfolge. Probiert’s mal aus (aber nicht so: https://www.youtube.com/watch?v=U58IdBjMeS4 ). Damit bleibt es allerdings weniger offen und das ist dann am Ende doch eine Geschmacksfrage? Würde mich interessieren, wie die beiden Regisseure das heute sehen, mit Abstand und so.

                            Und was sieht der Film jetzt Neues an mir? In Ermangelung eines besseren Wortes würde ich sagen: Altersmilde? Und neue Ideen. Zum Beispiel wenn Holger mit seiner Ex in der Wohnung explodiert - das kommt so zu heftig, dabei müsste man nur sein wütendes Umrühren vorziehen, vor die Frage mit dem “Weißt du noch, Rathenow?” - und schon träfe einen die Performance nicht mehr so unvermittelt. Filme sind halt nie fertig, man könnte ewig daran herum tüfteln. Das macht es ja auch so schön, das Filmemachen. (Hab jetzt doch in meine Schnittfassung gespickt, und da hatte ich das so gemacht! Manche Ideen sind halt gar nicht neu, sondern man bläst sie nur wieder ins gleiche Bockshorn… seufz) Andere nervt das vielleicht, aber ich liebe diese Suche nach der passenden Form. Nicht mehr nach der perfekten, richtigen, wie auch immer gearteten Form - die ist ja selbst immer nur temporär, ein Abbild dessen, was gerade möglich ist. Man muss auch lernen Filme loslassen zu können, und das kann ich inzwischen besser, das auch mal “gut sein” lassen können. Alles geben, aber Unebenheiten ertragen, aushalten, hinnehmen können, das musste ich erst lernen. Da geht sicher auch noch mehr. Hier noch mein alternativer Trailer von damals, der den Ton des Films etwas besser wiedergibt, als der offizielle: https://vimeo.com/28812811

                            Diese Art Filme zu machen ist eine wunderbare Nische, mit der man mal experimentiert haben sollte, wenn man selbst in der Richtung Ambitionen haben sollte. Und da habe ich Glück gehabt, denn es gibt ja noch andere Filmemacher, die so ähnlich mit Improvisation arbeiten, Axel Ranisch zum Beispiel. Da würde ich wahnsinnig werden, das ist einfach nicht meins, zu viel Geschrei, zu schrill. Ich ziehe einen geerdeten Realismus vor, wie ihn hier etwa das Altersheim bietet. Im Idealfall kann man Realität und Fiktion dann gar nicht mehr auseinander halten, wie zum Beispiel bei “The Rider” von Chloé Zhao, oder auch aktuell ihrem “Nomadland”. Bei ihr verschmilzt beides zu perfektem Kino. Bei uns kriegt man so etwas gar nicht erst finanziert, oder muss sich jahrelang darum bemühen und Anträge schreiben, bis man eigentlich gar keine Lust mehr auf den Film hat.

                            Bis zum nächsten Mal, euer Schnittch… Ach nee, halt, das wäre ja eine Wiederholung dessen, was ich schon gemacht habe. Die Macht der Gewohnheit. Streicht das. Hm… Wisst ihr was? Macht doch mit! Wir machen das jetzt anders, denn wir sind eine Community, und gemeinsam über Filme zu schreiben, sollte uns wieder viel mehr miteinander verbinden. Um uns gegenseitig die Augen zu öffnen, gerade für das, was wir nicht sehen oder übersehen, machen wir hieraus doch gleich den Auftakt einer Mitmachliste: EDIT (die Idee hatte ich schon vor Jahren als Liste angelegt, und - ach, es ist mir ein wenig peinlich. Hab die jetzt zusammengelegt) https://www.moviepilot.de/liste/als-kind-gesehen-und-geliebt-vs-wiederbegegnung-als-erwachsener-jp-movies

                            Alle, die mit uns eine wiederholte Seherfahrung teilen wollen, posten mir den Link zu ihrem Text als Kommentar unter die Liste, die ich gleich anlegen werde, wo ich dann auch gleich diesen Kommentar einpflegen werde. Alles weitere ist dann… ein Wiedersehen. Schön wieder hier zu sein.

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                            • Den mit Abstand schönsten Adventskalender macht dieses Jahr übrigens Kirsten Fuchs auf youtube, wo sie seltene und lange nicht gehörte Texte von sich vorliest. So schnell kann man gute Laune kriegen: https://www.youtube.com/channel/UCl5ORXAPjwDlwoLUCLnxw7A/videos

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                              • Stantz zum grün wabernden Geist von Spengler beim Anblick des Autos: "Chewie, we're home..."

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                                • Tag zusammen, zwei Lichtlein brennen und ... Moment, es brennt? Löööschen!!!
                                  *in Panik Kaffee über den Adventskranz schütten und jetzt im Qualm sitzend*

                                  Für *frenzy_punk<3 gewichtelt: https://www.moviepilot.de/movies/rocco-und-seine-brueder/kritik/2024508

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                                  • Dies ist ein Wichtelkommentar für frenzy_punk<3 , enthält Spoiler über einen Film, den ihr euch wahrscheinlich sowieso nicht ansehen werdet, weil alt, in s/w und auch noch knapp drei Stunden lang. Außerdem drin: persönliche Befindlichkeiten, intellek… intelli… schlaues Geschwurbel ohne Duden und flache Gags. You’re welcome :)

                                    Näheres zur MP Kommentar Wichtelaktion 2019: https://www.moviepilot.de/news/user-kommentar-wichtelaktion-2019-1122862

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                                    Mein Sinn stand zwar überhaupt nicht nach Melodram, dennoch habe ich mich Hals- über Kopf in dieses gestürzt. Visconti denn das passieren? Na, weil dieser Kommentar für Gina ist, und da liegt ein italienischer Film schon allein klanglich nahe. Gefilmt vom großen Giuseppe Rotunno, der vor 20 Jahren auf dem Camerimage in Toruń den Preis für sein Lebenswerk bekam, und damals war ich zum ersten Mal hingefahren und hab dort die Chance verpasst den Film im Kino zu sehen. —> Hier bitte den Soundtrack starten: https://youtu.be/-uJFVb6L2hM <— Jetzt, 20 Jahre später kehrte das Festival (und ich ebenso) nach ebenso vielen Jahren im Exil in eben diese Stadt zurück, wo es einst gegründet worden war. Doch kann man nach so langer Zeit überhaupt in eine Heimat zurückkehren, die sich in den Jahren ebenso verändert hat, wie man selbst?

                                    Fragen, mit denen man bereits kopfüber in den Motiven des Films steckt, in dem es auch um eine entwurzelte Familie geht. Man war vielleicht arm, aber man hatte immerhin einander, und das bedeutete Halt. Doch auch die italienische Mama wollte von dort immer weg, wie sie gegen Ende des Films verrät, weiß dann aber auch nicht mehr weiter, als es endlich so weit ist, die ökonomischen Sorgen überdecken alles andere. Und hat man es endlich so weit auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben geschafft, dann klebt das Blut schon symbolträchtig an allen in der Familie, dem Türrahmen, der Wohnung. Diese Heimat, von der hier die Rede ist, kriegt man nie zu sehen, was eine brillante ästhetische Entscheidung ist, wie sie heute niemand mehr macht: Heute würde es da eine Rückblende in Farbe und Zeitlupe geben, die uns ein Italien aus der Olivenöl-Werbung zeigt. Direkt kaltgepresst. Hier muss man sich das noch selbst dazu denken, und erst dadurch wird es universell. Man muss sich selbst vorstellen, von Zuhause weg zu gehen, hinaus in die weite Welt oder auch nur die großen Stadt, um Arbeit zu finden, mit der man seine Familie mit durchbringen muss. Wie sehr diese Familie anfangs noch aneinander klebt, sieht man schon in der ersten Szene am Bahnhof, wenn sich selbst der mutigste Sohn von Mama nicht weiter weg wagt (WWW?), als eine Waggonlänge. Dann kommt es zum ersten Boxkampf (oder Schattenboxen), wenn die beiden zukünftigen Schwiegermütter aufeinander treffen und ihre Prioritäten verbal und mit theatralen Gesten untermauert ausfechten. Man gerate ja nicht zwischen zwei sich streitende Mütter! Es braucht die Kraft zweier Familien, die beiden nicht nur wieder in getrennte Ecken, sondern in getrennte Wohnungen auf der Ringbahn Mailands zu führen. Die Verlobung liegt auf Eis und es heißt erstmal Schnee schaufeln - endlich Arbeit! Auf dem Weg dahin wird man im Vorbeilaufen schon Immigrant geschimpft, was eigentlich nur Konkurrenz meint, die im Zweifel bzw. aus der Not heraus noch billiger zu haben ist, als man selbst. Klingt sehr aktuell, nicht wahr? Hier steht den Ertrinkenden halt nur das Kellerfenster bis zum Hals, aber man muss ihn recken, um hinaus zu sehen. Wer nichts hat, weder Arbeit, Geld, Liebe, Familie oder Heimat - was bleibt da noch als Halt? Hass vielleicht, Neid und Rache, aber die richten einen hier zugrunde. Nur dem Jüngsten, Luca stehen am Ende noch alle Wege offen, er kann vielleicht die richtigen Lehren aus dem Versagen seiner Brüder ziehen, ebenso wie wir.

                                    Anzuschauen ist das vor allem schön, weil die Bilder, die Kompositionen wunderbar sind. Allein wie sparsam Großaufnahmen in den drei Stunden eingesetzt werden ist eine Wohltat, man erschrickt förmlich, wenn ein Kopf mal bildfüllend wird. Sie werden für eine handvoll Momente reserviert, ansonsten dominieren Bezüge der Personen zueinander im Raum, bei Licht und ordentlich Schatten. Etwa diese tolle späte Kranfahrt, wenn der Boxtrainer wütend in sein Büro geht, dort wie ein wütender Tiger im Käfig im Kreis läuft, sich selbst bemitleidet und Trophäen umwirft, dann mit dem Kollegen draußen diskutiert, um schließlich doch einen Blick über den “Zaun” zu werfen: fantastisch. Oder die, wenn Simone beim Manager in der Wohnung ist, und beide nur als Silhouette erkennbar sind - ehe dann das Cutout-Fernsehbild-Compositing nachhaltig auf sich aufmerksam macht. Was habt ihr denn gedacht, dass es Greenscreens in einer s/w Produktion gibt?!1!11 Hallo?! Oder die Szene auf dem Dach der Milaner Kathedrale? Ganz stark. Nicht zu ertragen ist allerdings die Vergewaltigungsszene, an der gleich drei Menschen zerbrechen. Als wäre die nicht schon schlimm genug und zu lange zu wenig am Opfer interessiert, wird sie durch eine andere spätere Szene unterschwellig auch noch mit Homophobie aufgeladen, dass es einem die Fussnägel aufrollt. Es trifft immer diejenigen am Härtesten, die gesellschaftlich ganz unten stehen, bis alles melodramatisch in einem Gemisch aus Blut und Tränen zu Ende geht.

                                    Man könnte jetzt sagen, dass das mit der - durch seinen Tod begünstigten - Abwesenheit des Vaters seinen Anfang nimmt, der außer als wiederkehrendes Portrait auf einem Button über dem Herzen der Mutter getragen, nur insofern eine Rolle spielt, als dass er diese an seine Orgelpfeifen von Söhnen vererbt, die dann der Reihe nach (ihre Vornamen werden dem Alter nach eingeblendet) daran scheitern - jedenfalls in den Augen der Mutter, deren Geldsorgen nie gestillt sind, obwohl es sichtlich aufwärts geht. Einzig dem Ältesten gelang quasi der Liebe wegen die Abkapselung von Zuhause und oder der Mutter, was diese ihm ja wohl nie verzeihen wird, Enkelkind hin oder her. So bleiben viele auf der Strecke, und unterwegs werden reichlich Ohrfeigen verteilt, Backen abwechselnd gewatscht oder geküsst, und da sind die Boxkämpfe noch nicht mal mitgerechnet. Also hat der Film alles, was einen waschechten Klassiker ausmacht, der einem obendrein die Hosen in fünf Minuten bügelt.

                                    Und was ist mit der Frage? Kann man je in seine aufgegebene Heimat zurückkehren? Nein. Aber man könnte sich neu in sie verlieben.

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                                    Vielen Dank Gina, dass ich dieses mit Schmuckstück bei dir mitgehen lassen durfte. Eine letzte Assoziation fehlt aber noch, denn ich kannte vor Jahren mal eine Gina, die jedesmal die Flucht ergriff, wenn auf einer Party dieses Lied lief: https://youtu.be/7pOr3dBFAeY - was für einige vielleicht an sich schon verständlich sein mag, aber auch die mögen sich jetzt bitte ein Video vorstellen, dass so geschnitten ist, als würde es Simone in der zweiten Hälfte des Films Nadia als Ständchen bringen. Toxic masculinity, right there. Creepy, oder? Eine Renaissance der Backpfeifen wäre da schon mal ein Anfang: lasst der Italienerin in euch öfter freien Lauf, Ladys!

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                                    • Lassen sich Traumata, die von einer Generation an die nachfolgenden weitergegeben werden, überwinden? Wenn man diesen Gedanken überhaupt erstmal annimmt und begreift, dann ist die Antwort: ja, natürlich. Das ist das vielleicht wichtigste Thema, das man derzeit aufgreifen könnte, was in diesem Jahr sogar - CG Jung lässt grüßen - dreimal der Fall ist: In STAR WARS kommt die Skywalker-Saga gewohnt oberflächlich zu ihrem Ende, WATCHMEN jongliert virtuos damit und vielen weiteren Geschichts-Schneebällen, und THE AFFAIR macht eben das, was sie schon die vorangegangenen Staffeln ausgezeichnet hat: sie erfindet sich einmal mehr neu, ohne sich zu wiederholen.

                                      Trotzdem dieser Echos geht es hier jetzt allein um THE AFFAIR, denn ihr “unique selling point” wird viel zu selten in seiner Zentrifugalkraft gewürdigt, denn es ist gerade die Abwesenheit dieser einen zentralen Erzählperspektive, die sie so herausragend macht. Viele verkennen die Brillanz dieser Serie, weil sie sie gucken, wie jede andere auch. Das mag in der ersten Staffel funktioniert haben, wenn die Rahmenhandlung mit dem ermittelnden Polizisten eine “wahre Perspektive” und damit zuverlässigen Angelpunkt erahnen lässt, doch spätestens ab der zweiten Staffel ist man mit vier einander überschneidenden und oft widersprechenden Perspektiven konfrontiert, ohne jemals wieder die Sicherheit einer “wahren Sicht auf die Dinge” zu erlangen. Was anderswo als Continuity-Fehler angekreidet würde, ist hier nicht mehr als Erinnerung daran, dass wir gerade die selektive, verfälschende Wahrnehmung nur eines Charakters erleben, und damit nur seine bzw. ihre Ansicht und Interpretation der Wirklichkeit. Am deutlichsten wird das bei Helen, die in den Augen anderer (oder ihrer eigenen) jedesmal sehr anders wirkt oder “erscheint”. Nichts kommt unserer eigenen Wahrnehmung näher, als diese Form des Erzählens (die auch z.B. gerade die GAME OF THRONES Buchvorlage auszeichnet). Man wechselt nicht nur die Schuhe, um darin ein paar Meilen zu laufen, obwohl sie drücken und man Blasen kriegt, sondern sieht die Welt ganz sprichwörtlich noch einmal mit anderen Augen. Nur eben, dass all das ein labiles Konstrukt von Realität ist, an dem jede/r anders scheitert. Wer das nicht mitdenkt und fühlt, verpasst mehr als die Hälfte.

                                      Der Mut dieser Serie, diesem Konzept jedes Jahr etwas neues abzugewinnen, begeistert mal mehr, und mal weniger. Allein das Risiko einzugehen spricht für Sarah Treem, die Showrunnerin, die obendrein jedes Jahr neue AutorInnen um sich schart, und damit Karrieren startet. IN dieser letzten Staffel wird für meinen Geschmack zwar zu viel geredet, aber das tut dem sich schnell wieder einstellenden Genuss keinen Abbruch. Man muss halt zuhören können, und sich dann Zeit nehmen das Gehörte (und Gesehene, und Gefühlte) zu reflektieren - anders verpasst man halt wieder zu viel. Schade, das viele die nötige Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr mitbringen oder zu investieren bereit sind, drum bleiben wirklich einzigartige, herausragende Serien wie diese auf der Strecke. Aber während andere längst wieder von Unkraut überwuchert sein werden, wird dieser Weg so frisch und gangbar bleiben, dass er auch noch in hundert Jahren jene Wanderer sicher ans Ziel bringen wird, die, wenn sie nur die ersten Schritte wagen, und einen langen Spaziergang nicht scheuen, jede Menge Freud (und Jung) und Leid unterwegs erleben wollen. Als Lohn wartet ein befriedigendes und schönes Serienfinale, wie ich nur wenige erlebt habe.

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                                      • *hust* Netflix vertickt sehr wohl physische Medien seiner Eigenproduktionen, jedenfalls jene, bei denen es sich offensichtlich für sie lohnt: STRANGER THINGS, ORANGE IS THE NEW BLACK...

                                        Ansonsten sehe ich das mit der Chance in der Spezialisierung von Kinos ebenso, möchte aber ergänzen, dass Disney es da aber den Betreibern schwieriger macht, etwa auf den Katalog von Fox zuzugreifen: https://www.change.org/p/distributors-ask-disney-to-release-older-titles-for-repertory-usage

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                                        • Liebes Dashboard, die letzten Wochen waren hier richtig scheiße, der Verlust von Kängufant weder zu kompensieren, noch vergessen (nehmt ihn virtuell bei jeder Gelegenheit in den Arm —> Profilbild) und eine adäquate Reaktion fehlt von Seiten der Redaktion ebenso, wie die Community weiter mit ihrer Trauer ringt. Nein, eine Lösung habe ich auch nicht anzubieten. Aber:

                                          Dennoch gibt es mich verhalten hoffnungsvoll stimmende Lebenszeichen aus der Community, etwa die dank *frenzy_punk<3 wiederbelebten Wichtelkommentare, schaut mal rein: https://www.moviepilot.de/news/user-kommentar-wichtelaktion-2019-1122862 - und dank Mekridi habe ich die Liebe zum Musik auf Moviepilot posten wiederentdeckt: https://www.moviepilot.de/liste/meine-top-50-songs-mekridi - beides hat mich dazu veranlasst, mich nach langer Pause wieder an etwas zu versuchen, einem Mix-Tape (ja, ich nenne es immer noch Mixtape, erstens bin ich alt, und zweitens alt genug um tatsächlich noch selbst welche gemacht zu haben) zu Weihnachten, nur in neuer Form (vgl. Listenbeschreibung oben).

                                          Kängufant, lieber Andreas, das ist für dich. Und alle die dich vermissen.
                                          We remember everything.
                                          Always.

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                                            • Für den zweiten Advent wäre ich zu haben, wenn sich ein/e Partner/in findet.

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                                              • Like ... the definition of style over substance.
                                                So boooring!
                                                But that style, though ... wow.

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                                                • Camerimage 2019 - #10

                                                  IF! Verzeihung. Der Anfang ist ein bisschen holprig erzählt, das wäre wahrscheinlich besser - FRESSE, MACH’S DOCH BESSER! - äh, es muss halt ein bisschen Exposition sei - FREMDWÖRTER MACHEN DICH NICHT SCHLAUER, OPA - dann groovt sich der Film langsam ein, mit einem schönen Jazz-Vibe - DAMIEN CHAZELLE STYLE? - mehr so Miles Davis, jedenfalls wenn dann Michael Kenneth Williams seine Performance hinlegt. Allein für die Szenen mit ihm sollte man sich den Film angesehen haben. Wer Chinatown CHINATOWN SPIELT DOCH NICHT IN NEW YORK, DUMMY mochte, der findet hier eine Art Ostküstenvariante davon vor. Nicht ganz so elegant vielleicht, aber fern liegt der Vergleich nicht. Dick Pope hat gezaubert, denn optisch ist der Film ein Genuss. Kleiner Unstimmigkeiten, wie die ästhetisch irritierenden Rückspulmomente HA, HA, VORFÜHRER ANS TELEFON! verzeiht man gerne, weil dafür gibt es ja so wunderbare Sequenzen, wie die Einführung des Antagonisten, dessen Gesicht uns lange clever vorenthalten wird. Edward Norton macht seine Sache gut, Leute mit Ticks zu spielen macht er ja nicht das erste Mal. IF! Entschuldigung. Wen das auf die Dauer nervt, etwa wie in diesem Kommentar, der sollte besser einen Bogen um diesen Film machen. Alle anderen werden an diesem sonst sehr klassischen Werk ihre Freude haben, denn die machen sich zunehmend rar. KLAPPE MARVEL. Das, ich kann das nicht kontrollieren, tut mir leid.

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                                                  • Camerimage 2019 - #8

                                                    Fängt stark an, wirkt beinahe wie ein Dokumentarfilm, der fließend in eine Romanze, die nicht sein soll übergeht, täuscht dann eine Tragödie an, um schließlich eine märchenhafte Parabel mit einem Hauch Krimi zu werden. Das mag zwar ein bisschen durcheinander sein, aber die starken Bildern von Claire Mathon, die die Fiebrigkeit und Schönheit von Dakar fantastisch einfängt, halten die Teile gut zusammen. Dieser Debütfilm hat zwar sichtliche Schwächen in der Inszenierung, und der Schnitt könnte stellenweise etwas das Tempo anziehen, sehenswert ist er dennoch, denn die Ausbeutungs- und Fluchtthematik einmal so anders erzählt zu bekommen, ist in ihrer Schlichtheit schaurig schön.

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