Der Zucker sei auf dem Löffel, sagt er. Doch ist er nicht mehr süß – sondern schon bitter. Aber nicht einmal diesen gemeinsamen Moment haben sie noch; nicht die Stille, nicht das Schweigen, nicht den Abschied, nicht ein letztes Wort. Stattdessen wütet Schmerz in ihren Blicken, während Dolly einen Kaffee fordert. Unsägliche, plappernde Dolly! Ich wünschte, du würdest aufhören zu reden, deinen Fuchspelz ordnen, das Kinn recken … und gehen. Fort von hier, wohin auch immer. Aber natürlich regst du dich nicht. Stattdessen schallt eine Klingel, die den Zug nach Churley auf Bahnsteig vier ankündigt. Alecs Zug. Alecs Zug fort von Laura. Alecs Zug fort von mir. Fort von meinen Illusionen, Träumen und der Hoffnung, zumindest im Film gebe es ein Happy End. Meine Hoffnung schwindet, als Alec sanft Lauras Schulter drückt. Zum Abschied. Und in seinen Augen ein hoffnungsloses Wissen liegt, das nur nach Außen drängt, wenn der Reichtum der Worte versagt.
Ich liebe dich. Ich liebe deine großen Augen.
Wie der Zucker auf dem Löffel ist auch Alec nur eine Randnotiz, die sich zu einem kurzen Augenblick wandelt, auf den sich viele kurze Augenblicke türmen. Aber Alec ist mehr als eine Metapher und mehr als ein Geschmack: Alec ist ein ganzes, mittelgroßes Universum in einem Paket aus Wismutweiß und Rußschwarz. Immer wenn er ein Staubkorn aus Lauras Auge fischt, nimmt Poesie Platz und Farbe schleicht sich in die Bilder. Es ist eine Liebe an sieben Donnerstagen, zwischen Churley und Latchworth, zwischen Betrug und Selbstaufgabe. Es ist eine Liebe, die in einem Bahnhof beginnt und in einem Bahnhof endet. Es ist eine Liebe, der ich immerzu in einem schwingenden Karussell beiwohnen möchte. Jeder Moment ist auf bedeutende Weise unbedeutend. Denn in jedem Moment offenbart sich Sehnsucht: Als Laura und Alec im Royal Hotel dinieren, eine Bootsfahrt unternehmen, sich über die Cellistin im Kardomah amüsieren, Myrtle Bagot und Albert Godby schief beäugen, aus „Flammen der Leidenschaft“ im Palladium fliehen. Als sie meinen, noch einige Minuten zu haben – aber keine Zeit bleibt.
Die Art, wie du lächelst. Deine Schüchternheit.
David Lean reicht Laura und Alec diese Liebe, er schenkt sie ihnen. Und ich verschmelze mit ihr. Doch in demselben Atemzug, in dem ich mit der Liebe verschmolzen bin, zieht es mich wieder zurück. Genauso wie Alecs ersten Ausruf Euphorie tränkt – und seinen zweiten Trübsal. „Donnerstag!“, ruft er; einmal mit Inbrunst, einmal in Kummer. Ein Gewitter geht unaufhaltsam nieder: das Gewitter der Liebe. Die Bilder pulsieren, sie atmen ein und aus – und ziehen mich in einen Strudel der Gefühle, den nur Laura und Alec teilen. Nicht aber die große Schönheit oder die große Traurigkeit plagt mich, nicht die Ausweglosigkeit der Beziehung, nicht das Unvermögen, gegen die Gesellschaft und deren Konventionen zu rebellieren. Es ist der einfache Fakt, dass Liebe ein Kreuzworträtsel ist. Und es reicht auf Dauer nicht, lediglich ein Wort zu kennen. Laura und Alec wissen um diese Marginalität, sie wissen darum, dass sie über jeden Ton dankbar sein sollten, selbst wenn er ein Requiem anstimmt. Mich plagt, dass diese Liebe möglich ist, da sie David Lean als möglich zeigt.
Und wie du über meine Witze lachst.
Am Ende bleibt ein sanfter Druck auf einer Schulter, die nicht meine ist – doch sich wie meine anfühlt. Ein beißender Griff, dessen Tod ich erst bemerke, als alles Leben aus ihm gewichen ist. Am Ende bleibt nichts. Weder Glück noch Verzweiflung. Aber immer wenn ich jene Wehmut nicht bezwingen kann, erinnere ich mich an Lauras Worte: „Wir sollten nicht so verschlossen und schüchtern und schwierig sein.“ Denn passen wir einmal nicht auf – dann bleiben unsere Sehnsüchte nichts als kurze Begegnungen, auf die wir wie im Traum zurückblicken, als wären sie nie passiert. Das Leben aber sollte passieren; selbst wie bei David Lean. Es sollte rasen, schlummern und jubeln; uns töten, quälen und brechen. Jederzeit. Wenn ich Laura und Alec folge, sehe ich eine nahe Liebe, die fern ist. Ganz detailliert, allgemein. Ohne abseitige Zuckungen, exzessive Spiele. Die Bilder erinnern sich ohnehin, dass die Liebe nicht mehr süß ist – sondern schon bitter.
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