Gerade war da noch ein unerträglich stechender Schmerz in der Brust.
Aber jetzt ist er vergangen und ich fühle mich irgendwie... anders. Als ich aufstehe,
habe ich das Gefühl, etwas auf dem Boden zurückzulassen. Aber ich schaue nicht nach unten. Ich sehe mich um. Der Kampf
ist vorüber. Die Sonne steht grell und höhnisch über Paris. Meine Freunde, sie
liegen auf den Barrikaden, auf den Straßen, tot. Sie sind tot. Ich bin tot. Wir
sind tot.
Ein letztes Mal muss ich noch in unser Café. Dorthin wo alles begonnen hat. Wer überleben
konnte, ist sicher dort.
Nur du, Marius? Nur du? Und was ist hier nur geschehen? Unser Café, es sieht anders aus. Hell war es hier immer, voller Gelächter und Gerede. Wie wir uns im flackernden Kerzenlicht dem Wein hingaben und diskutierten. Bis zum Morgen saßen wir oft. Erinnerst du dich, Marius? Erinnerst du dich?
Hier waren wir unter Freunden, lachten, sangen, ja, auch vom Kampf, von Revolution. Wollten wir nicht alle für eine bessere Zukunft kämpfen? Ja, wir sehnten uns danach. Doch diese Zukunft, mein Freund, die wird es nicht mehr geben. Da ist kein morgen mehr. Diese Stühle und diese Tische hier, sie werden leer bleiben. Denn deine Freunde sind tot, Marius. Denkst du, unsere Opfer haben sich gelohnt? Wussten wir, was wir riskieren? Ich weiß es gerade nicht. Denkst du nicht, auch unsere Trauer ist unaussprechlich? Denkst du nicht, auch unser Schmerz ist unaufhörlich? Da sind so viele Fragen, die du mir nicht beantworten kannst. Und auch ich habe keine Antworten für dich. Könntest du mich doch hören. So wie du mich gestern noch hören konntest. Wenn wir nur geahnt hätten, dass das unsere letzte Zusammenkunft war. Was kommt nach Mut, nach Tapferkeit, nach Tugenden? Das hier! Denn im Morgengrauen strandeten wir statt in einer neu geborenen Welt an einsamen Barrikaden.
Du willst,
dass wir dir vergeben? Aber es gibt nichts zu vergeben. Du lebst und wir sind tot. Du bleibst und wir gehen. Du denkst, du kannst uns immer noch hier sehen, noch spüren, noch singen hören.
Aber gemeinsame Abende, Marius, kann es hier nicht mehr geben. Verstummt ist, was hier mal war, erloschen die Lichter. Du siehst erschöpft aus, mein Freund. Während bei dir die Tränen
rinnen, sind meine schon längst versiegt. Mein Herz ist gebrochen. Mein Herz, das ist nicht mehr. Bist du der Elende, oder ich? Hör auf zu
zweifeln! Hör auf zu bereuen! Denn das Lied ist gesungen…unser Lied ist
gesungen…