Seelenverwandtschaft mit Veronica Mars

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Veronica Mars
Warner
Veronica Mars
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Wie viel jemandem eine Fernsehserie bedeuten kann, fast völlig unabhängig von ihren inhaltlichen Qualitäten, lest ihr in diesem Beitrag zu unserer Aktion Lieblingsserie.

Veronica Mars und ich

Man fragt sich immer, wie groß die Löcher in der Seele eigentlich sein können, die das Leben so bereithält. Fragt sich, ob man sich jemals ihres Ausmaßes bewusst werden kann, allein durchs Zuschauen. Man weiß nicht so recht, was es bedeutet, was es bedeuten könnte.
Bis solch ein Riss die eigene Seele zerfetzt.

Und dann fragt man sich, ob es jemals jemanden geben wird, der diesen Schmerz versteht, den dir das Leben zugefügt hat. Ob jemandem jemals das Ausmaß bewusst wird. Ob jemals jemand begreift, ob es jemandem was bedeutet. Ob jemand kommt und dir dabei hilft, deine Seele zu flicken, die so irreparabel beschädigt wurde.

Deine Umwelt ist ratlos. Du selbst bist ratlos. Die Zeit vergeht. Ein bisschen heilt, vieles bleibt kaputt. Wächst neu und anders zusammen. Das, was du nun bist, passt nicht mehr in das, was andere von dir erwarten. Du fragst dich, ob du zurück willst. Du weißt nicht, wo du hin sollst. Es ist, als würden alle auf Podesten im Meer stehen, sich dessen bewusst wo sie sind und wo sie später sein werden, bemerken nicht einmal, wie sicher sie dort oben stehen, während man dich ins Wasser geschubst hat und du weißt nicht, woher du die Kraft für die nächsten Züge nehmen sollst. Man erwartet Schritte von dir auf dem Land, macht aber keine Anstalten dich aus dem Wasser zu ziehen. Und selbst wenn, wer könnte das?

Ich hatte es gerade so geschafft zumindest wieder Boden unter den Füßen zu haben, als ich auf Veronica traf. Sie erinnerte mich vage an die Geschichte eines alten Bekannten, die von einer toten Laura erzählte, die sie in Plastik eingewickelt aus einem See gefischt hatten. Ich wusste zunächst nicht, was ich von ihr halten sollte. Sie war mir zu ähnlich und doch waren wir zu verschieden.

Und dennoch hatte ich das Gefühl, ich würde sie verstehen. Oder als würde sie mich verstehen. Ich sah ähnliche Verletzungen wie meine auf ihrer Seele. Ich wusste, wie sie sich verhielt, vielleicht sogar, warum sie sich so verhielt. Zumindest schien es mir so, die Wahrheit ist mir nun sogar letztendlich egal, denn sie half mir. Sie war der Spiegel, der sonst niemand sein konnte. Den ich so heimlich zu mir heranziehen konnte, wenn keiner schaute. Der Spiegel, dem ich keine Fragen beantworten musste, der mich einfach in Ruhe zuschauen ließ, ohne von mir zu fordern.

Zunächst fühlte ich mich von ihr zurück ins Wasser geschmissen. Das ist auch heute noch so, wenn ich jemandem mit diesen Narben begegne. Ich kann es einfach nicht. Und suche Abstand. Als ich begriffen hatte, dass ich nicht erneut schwimmen musste, sah ich, dass sie es war, der ich beim hilflosen Schwimmen zwischen den Podesten zusah. Ich konnte ihr nicht helfen, aber das war egal, denn ich hätte ihr sowieso nicht helfen können. Also beobachtete ich.

Ich sah, wie auch sie es schaffte sich langsam zu retten. Wie ihre Narben verheilten. Wie sie damit umging. Die nette, detektivische Unterhaltung war ein angenehmer Nebeneffekt. Doch mehr als all das fühlte sie sich wie eine stumme, passive Freundin an, die von meiner Existenz nichts wusste und mich damit weder ausnutzen, noch erschöpfen konnte.

Im Nachhinein betrachtet, erscheinen alle diese Empfindungen sehr naiv, einsam, isoliert. Zumindest auf den ersten Blick, denn auf den zweiten kann ich sagen, dass es in manchen Situationen egal ist, wie viele Menschen um dich herum stehen; du bist einsam, weil nicht einmal du selbst mehr in dir verweilst.

Veronica Mars war wie Therapie. Vielleicht keine besonders empfehlenswerte, und auch die Schauspielkünste der Crew sind bestimmt objektiv betrachtet einer solchen Lobeshymne nicht würdig. Manchmal jedoch kommt der richtige Charakter im richtigen Moment zu dir und allein dadurch, dass du dich verstanden fühlst, egal wie projiziert diese Gefühle auch sein mögen, hilft er dir durch die dunkelsten Zeiten. Denn, um Albus Dumbledore zu zitieren: „Natürlich passiert es in deinem Kopf, […] aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?“

Meine Heilung war real. Veronica verließ mich, konnte mich auch nicht weiter begleiten. Ich habe sie seither nicht mehr gesehen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir uns wiedersehen werden, denn ich brauche sie nicht mehr.

Sie ist, in vielerlei Hinsicht, wie dieser eine Sommer, den man nur mit ganz bestimmten Menschen erlebt, in dem die Welt still zustehen scheint und alles und nichts passiert. Von dem man noch jahrelang redet. Nach dem man diese Menschen nie wieder sieht; den man so nie wieder erleben wird, höchstens als Schatten dieser Erinnerungen. Und trotzdem, wenn man gefragt wird, welches die liebste Jahreszeit ist, wird man sich immer an diese spezielle Zeit und die Menschen erinnern und mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck, vielleicht sogar einem Lächeln, sagen: „Sommer.“


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