Videospiele, so scheint es mir, sind kein guter Platz für Kinder: Die Minderjährigen, die mir auf meinen virtuellen Reisen bisher begegneten, stellten sich viel zu häufig als nervige Plagen heraus, die entweder einen einzigen Satz immer wieder herunterspulten oder sich in High End-Gebüschen vor mir versteckten. Ansonsten haben Kinder in unserem Spieleregal nur selten etwas verloren.
Ausgerechnet This War of Mine gewährt nun mit seiner Erweiterung This War of Mine: The Little Ones den kleinen Strolchen Zutritt zu seiner Welt. Ausgerechnet das bewegendste Antikriegsspiel der letzten Jahre nimmt Kinder in seiner grauen, vom Krieg zerrütteten Welt auf, bürdet ihnen und uns Spielern gleichermaßen gigantische Lasten auf und macht sie zu kleinen Erwachsenen. Krieg kennt keine Kinder und folgerichtig nennt 11bit Studios seine Neuzugänge "the little ones" ("Die Kleinen") und stellt uns damit vor eine gigantische, emotionale Hürde.
Der Krieg tobt noch immer
This War of Mine erschien Ende 2014 und war für interessierte Spieler nur schwer zu übersehen: Fast ausnahmslos überschlugen sich die Kritiken vor Anteilnahme und Faszination gleichermaßen. Dem bis dato unbekannten Indie-Team von 11bit Studios war es gelungen, die drückende Stimmung einer vom Krieg befallenen Stadt in ein Spiel zu übersetzen, in dem wir uns nicht angewidert oder schockiert von den vielen Eindrücken abwenden, sondern – ganz im Gegenteil – einen Ehrgeiz entwickeln, möglichst lange in der fiktiven Stadt Pogoren auszuharren.
Dies gelingt über die enorme emotionale Bindung, die 11bit Studios zwischen uns und den Charakteren herstellt, deren Schicksale wir zwischen den Häuserruinen entscheiden. Schon zu Spielbeginn wird uns die Vorgeschichte der drei zufällig erwählten Figuren ins Gesicht gedrückt, die von dem tobenden Krieg aus ihrem Lebensmittelpunkt gerissen wurden: Sie waren Rentner, Bäcker, Polizisten oder Studenten, doch This War of Mine beginnt an dem Punkt ihres Lebens, wo diese Kategorien keine Rolle mehr spielen. Zwar erzählen nur kurze Texte von ihren Biographien, doch liegt es ohnehin ab sofort in unserer Hand, ihre Geschichte weiterzuschreiben. Nun geht es ums blanke Überleben in der isolierten Stadt — und das ist alles andere als einfach.
Das Spiel teilt sich recht deutlich in zwei Spielphasen, die sich ständig wiederholen: Tag und Nacht. Während die Sonne hoch am Himmel steht, nutzen wir die langsam verstreichende Zeit, um mit den vorhandenen Ressourcen Betten und Wasserfilter zu bauen, soziale Kontakte zwischen den Überlebenden zu pflegen und schließlich den Unterschlupf gegen Plünderer zu verbarrikadieren. Sobald die Nacht hereinbricht, schlüpfen schließlich wir in die Rolle des Plünderers und erkunden einen von uns erwählten Schauplatz in der Hoffnung, möglichst viel wertvollen und nützlichen Krimskrams zurück ins Lager bringen zu können.
Weder gut noch böse
Das sind auch die Momente, in denen sich This War of Mine mit einer unangenehmen Schwere auf unsere Brust setzt: Rauben wir wirklich das wehrlose Rentner-Paar aus? Und nehmen wir einem Obdachlosen seine letzten Medikamente weg? Dieses Spiel kennt weder ein klares Gut noch Böse und bietet aus genau diesem Grund ein so frisches Spielerlebnis. Wir selbst sind der Richter über unsere eigenen Taten und nicht etwa ein Karma-Balken oder Punktestand. Dieses Bauchgefühl, das damit zur obersten Instanz unserer Entscheidungen wird, bekommt mit der Erweiterung The Little Ones, die exklusiv für Konsolenspieler verfügbar ist, nun eine neue, große Herausforderung vorgesetzt.
This War Of Mine: The Little Ones dreht sich um eine einzige Neuerung: Ab sofort toben Kinder in den Häuserruinen und unserem Unterschlupf umher und verleihen dem Spiel eine ganz neue Erfahrung. Während das Überleben bisher vom kalkulierten Gegenrechnen von Kosten und Nutzen geprägt war, und Erwachsene durchaus auch einmal tagelang hungern mussten, stellen uns die Kinder nun vor neue Herausforderungen: Manche von ihnen wünschen sich Spielzeug, das wir auf unseren Streifzügen entdecken und zu Ungunsten überlebenswichtiger Ressourcen wie Nahrung oder Baustoffe in den Rucksack packen. Währenddessen bauen die Kinder eine tiefe Beziehung zu den Erwachsenen auf, die sich besonders gut um die Kleinen kümmern: Eine völlig neue Dimension von emotionaler Schwere, die den Tod der Bezugsperson noch viel schwerer wiegen lässt als ohnehin.
Fazit
In gewisser Weise erinnerte mich der Konsolen-DLC The Little Ones an die Menschlichkeit, die ich in den zahlreichen Spielstunden zuvor allmählich vergessen hatte. In meinen Überlebenden sah ich schon lange nur noch Arbeitskräfte, Plünderer, Baumeister und Köche und wusste, wie viel ich für jeden einzelnen opfern könnte und würde. Durch die Ankunft der Kinder änderte sich mein Spielgefühl allerdings dramatisch und auf einmal mussten all die fleißigen Arbeiterbienchen auch eine emotionale Stütze für die Kleinen sein.
Diese Bereicherung eines ohnehin gelungenen Spiels wird durch die hohe Qualität der Portierung auf die Konsolen noch garniert: This War Of Mine: The Little Ones fühlt sich auf den Konsolen mit einigen wenigen "Nein, ich sagte doch, mach das andere!"-Momenten ebenso intuitiv und angenehm an wie auf dem PC. Hinzu kommt nun die Möglichkeit, eigene Kriegsszenarien zu entwerfen und damit die Rahmenbedingen der kommenden Erlebnisse auf euren Spielgeschmack anzupassen.
Dieses Review wurde mit Hilfe eines vom Publisher zur Verfügung gestellten PS4-Keys erstellt.