Cosmopolis' kapitalistisches Universum des Kalküls

17.08.2013 - 08:29 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Cosmopolis' kapitalistisches Universum des Kalküls
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Cosmopolis' kapitalistisches Universum des Kalküls
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Dieser Film ist anstrengend, betont der Kommentar der Woche, und dies gänzlich ohne die nicht selten nervöse Zuckungen auslösenden Worte Pattinson und Prostatauntersuchung zu gebrauchen.

Im Kommentar der Woche versuchen wir jede Woche einen eurer zahlreichen Kommentare zu feiern, egal ob kurz oder ausführlich, alt oder neu, zu einer Person, einem Film, einer Serie oder einer News – die Voraussetzungen für den Kommentar der Woche kann theoretisch jeder Kommentar erfüllen. Wenn ihr über einen gestolpert seid, der euch besonders gut gefallen hat, schlagt ihn uns vor, am besten per Nachricht.

Der Kommentar der Woche
Die Verfilmung von Cosmopolis, des gleichnamigen Romans von Don DeLillo, durch David Cronenberg gilt es zu entschlüsseln. Kamell hat diese Herausforderung angenommen und nähert sich dem sperrigen Film in ihrem Kommentar auf die wohl vielversprechendste Weise, mit reichlich Reflexion und Wittgenstein:

Als Ludwig Wittgenstein 1921 die offizielle Version seines “Tractatus Logico-Philosophicus” herausgab, war man sich in Teilen der akademischen Welt sofort darüber einig, dass es sich um ein bahnbrechendes Werk handele. Es war der Versuch, die Welt konsequent in logischen Sätzen zu beschreiben, um sprachliche Irrtümer auszuräumen. Im Ergebnis war für Wittgenstein die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin obsolet geworden, da sie ihre Inhalte aus sprachlicher Ungenauigkeit – so Wittgenstein – schöpfte.

Einige Jahre und mehrere intensive Diskussionen mit Mathematikern später, kehrte Wittgenstein an die Universität zurück, erhielt für den Tractatus akademische Grade, lehrte als Philososphieprofessor in Cambrigde und widmete sich in seinem Spätwerk philosophischen Untersuchungen, die – je nach Auffassung entgegen dem Tractatus oder in Fortsetzung –, der Erkenntnis nachgehen, dass Sprache wesentlichen Einfluss auf unseren Blick auf die Welt, auf das Bewusstsein, auf das Verständnis von Sachverhalten und Identitäten hat. Die Funktion von Sprache bei der Entwicklung von „Bedeutung“ ist nicht zu überschätzen, sie ist unhintergehbar. Und damit komme ich zum Film (wer mehr über die einflussreichen Überlegungen Wittgensteins erfahren möchte, lese die ganz guten Wikipedia-Seiten zu ihm).

Meine – nicht ganz willkürliche – Assoziation zu Cosmopolis ist dem Abstraktionsgrad der verfilmten Suche nach Bedeutung geschuldet. Ich ertappte mich wiederholt schon während der Vorführung bei der Suche nach Formeln, also schlüssigen Formulierungen in versprachlichten ‚mathematischen‘ Gleichungen. Ich wollte das Spiel in Kreisbewegungen um die abstrakten Größen „Zeit“, „Zukunft“, „Geld“, „Wert“ sowie „Leben/Tod“ zu fassen kriegen und logisch abhandeln, um die Deutungsnot, in die einen die Dialoge treiben, aufzulösen. Damit, behaupte ich, durchlebte ich als Zuschauerin 1:1 das, was die Hauptfigur Eric Packer antrieb: eine unbewusste und umso verzweifeltere Suche nach dem Sinn, nach der Bedeutung. Und nicht nur ihn. Der ganze künstliche Kosmos innerhalb der abgeschotteten, sinnenfeindlichen Limousine, die sozialen und geschäftlichen (was eins ist) Begegnungen, die seltsamen, von unverständlichen Symbolen bestimmten Massenbewegungen, selbst künstlerische Aktivitäten und Werke sind bestimmt von Bezuglosigkeit. Diese entsteht aus den hermetischen Strukturen, d.h. in sich verschlossenen Systemen, einer sog. postmodernen Welt, die definiert wird von abstrakten Begriffen. Was bestimmt z.B. den Wert eines Rothko? Seine Schönheit? Seine Unnachahmlichkeit? Nein. Einzig und allein Worte und Zahlen in einer Kunstwelt, die Bedeutung schafft durch komplizierte, abstrakte Deutungen und eine willkürlich entstehende Nachfrage.

Und noch ein Abstraktum: Ein Milliardär, sollte man meinen, lebt in absoluter Freiheit. Was aber macht diese Freiheit aus, wenn sie aus abstrakten Zahlen, die über Bildschirme laufen, besteht? Eine Freiheit, die die Wahl hat zwischen Yen und Yuan, die die Macht besitzt, die Existenzgrundlage vieler, vieler Menschen zu vernichten, auch eine Freiheit, aus der sich sicher mehr Wahlmöglichkeiten ergeben, als für einen Armen. Dennoch ist Packers Freiheit strikt reglementiert, sie ist ausgerichtet auf ein zeremonielles Dasein, klare Regeln, Gesetze und Formeln bestimmen seine Handlungen und, viel wichtiger, sein Denken. Es ist kein Raum, wirklich kein Nanometer Raum für Willkür übrig. Und das ist der tragische Subtext dieses Films, daran knüpfen die Handlungsmomente, die Ereignisse an. Asymmetrien spielen eine wesentliche Rolle, Asymmetrie ist die lebenserhaltende Willkür der Natur.

Ich kann gar nicht genug betonen, dass in meinen Augen Cronenberg genial umsetzt, was DeLillo da erkannte und beschrieb. Es geht um ein kapitalistisches Universum des Kalküls, der leidenschaftslosen Berechnung von Zukunft. Es gibt keine Magie mehr, die Sprache dafür ist verloren (die reiche Erbin, Packers Frau, erkennt selbst als Poetin den Sinn der Poesie nicht mehr, sie ist für sie zum Selbstzweck verkommen). Alle Kausalitäten sind erkannt, erfasst und manipuliert, der Moment existiert nicht, die Zukunft bestimmt die Gegenwart. Man erlebt in jeder Szene mit, wie sich die Gegenwart entzieht, wie sie oberflächlich – im wörtlichen Sinn auf der Oberfläche bleibend – vorüberzieht, weil in der Welt der Figuren kein Platz für das gegenwärtige Geschehen, den Zauber des Moments ist. Das ist weder schön anzusehen noch weckt es Interesse, es ist lediglich konsequent. Denn die Gegenwart mit ihren Wurzeln in der Vergangenheit ist alles, was Lebendigkeit, in Gefühlen erfassbar, hervorrufen kann; wo sie vernichtet wird, fühlt sich das Leben leer an. Und genauso leer blicken die Figuren, reden sie, so verlaufen ihre Gesten, Worte, Handlungen ins Nichts, in die Bedeutungslosigkeit.

Nun steht das Medium des Films, zumindest als Spielfilm, eher in der künstlerischen Tradition des Theaters, automatisch folgt eine Erwartungshaltung, die der aristotelischen Forderung nach Läuterung (Katharsis) geschuldet ist. Wir wollen bewegt, berührt, erschüttert werden, um mit einem neuen Lebensgefühl aus der Erfahrung einer Geschichte hervorzugehen. Der Held soll uns zeigen, wie das Leben zu bewältigen ist. Wie aber bildet man die Ausweglosigkeit vieler Menschen, ob reich oder arm, in einer von Abstraktionen regierten Welt ab? Die Helden der neuen Welt sind Anti-Helden wie Packer und bleiben zwangsläufig unsympathisch. Wir wollen uns nicht mit ihnen identifizieren, er bleibt uns fremd. Das einzige, was wir mittels einer ausgeklügelten Kameraführung über sein Innenleben erfahren, ist sein wechselndes Machtgefühl, im Besitz der Deutungshoheit über die Geschehnisse und Personen zu sein – oder nicht. Überlegen von oben, auf Augenhöhe in Linie oder unterlegen von unten wechselt die Perspektive auf die Figuren spielerisch und wiederum schlüssig. Dem zu folgen macht intellektuell Spaß, diese Erkenntnis ist einem intuitiven Zugang aber weitgehend versperrt.

Ein weiteres Problem, das sich (verständlicherweise) in der häufig vernichtenden Bewertung von Cosmopolis spiegelt, ist die Oberflächenarchitektur der Handlung. Ich meine, sie ist dialogisch bewusst so konstruiert, dass man immer wieder abgleitet beim Versuch, eine tiefere Bedeutung einzelner Elemente zu erkennen. Man rutscht sozusagen haltlos (parallel zur hohlen Figur) von einem (belanglosen) Moment, von einer Metapher und einem sprachlichen Symbol zum nächsten. Gegen Ende wird es einfacher, Szenen oder Handlungen als symbolisch zu erkennen und Aussagen zu treffen wie etwa in der Tortenszene, dass Kunst sich auch zur Bedeutungslosigkeit verflüchtigt, wenn sie sich vollkommen in den Dienst anderer Diskurse wie der Politik stellt.

Dieser Film ist anstrengend (noch anstrengender als dieser Kommentar). Er ist dicht und oberflächlich, er setzt viel voraus und fordert von seinen Zuschauern, sich ohne die Mittel der Identifikation und emotionalen Motivation zu engagieren und sich zu interessieren für Dinge, die fern sind und uns zugleich beeinflussen. Immerhin scheinen inzwischen viele zu ahnen, dass unser Leben von Mächten gelenkt wird, die kein Interesse an Sinn und Bedeutung haben. Sie sind nicht böse, denn sie handeln leidenschaftlos, in (sinn)leeren, selbstbezüglichen Kreisläufen. Ich könnte jetzt noch mal so viel Text über die Psychologie der Gefühlstaubheit schreiben und anschließend eine Abhandlung über Anspielungen, Bezüge, Deutungsmöglichkeiten von Cosmopolis insgesamt, plädiere an dieser Stelle pragmatisch aber einfach für die Einsicht, dass Cronenberg gezielt die Eindrücke hinterlassen wollte, mit denen man konfrontiert ist. Wenn man ein Bewertungssystem akzeptiert, das Filme an ihren selbstgesetzten Maßstäben misst, dann verdient dieser, denke ich, Bestnoten.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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