Montag 26.10.2015
Dauerkarte? Check! 5 stündiges Blättern und Grübeln über dem perfekten Plan, in dem sich alles subjektiv Sehenswerte unterbringen lässt. Check! Alle Tickets im Gepäck? Check!
Dann auf zur ersten Vorstellung.
Mit einer Neuerung startet das diesjährige Festival und somit auch seine neue finnische Festivalleiterin Leena Pasanen. Es gibt zusätzlich zu den beiden schnell ausverkauften und hauptsächlich für Akkreditierte, Involvierte und Presse besuchten Eröffnungsscreenings auch eine kostenlose öffentliche in einer der beiden großen Eingangshallen des Hauptbahnhofes. So komm ich bei meinem siebten DOK Leipzig nun endlich mal in den Genuss eines Montagsfilmes. Die Atmosphäre ist toll. Ein Traube aus ca. 500 Menschen unterschiedlichster Couleur hat sich vor der riesigen Leinwand gebildet und wartet, überwiegend sitzend, gespannt auf die ersten bewegten Bilder und ihre Geschichten. Was gibt es gleich zu sehen? Es läuft "Alles andere zeigt die Zeit" , der sechste Teil einer Langzeitstudie über sich verändernde Persönlichkeiten, allesamt Kinder der DDR. Kurze Begrüßung, Applaus und schon geht's los. Ein paar alte Aufnahmen von kurz vor der Wende flimmern. Nein! Flimmern kann man leider nicht mehr sagen, obwohl das Wort soooo schön ist. Ein paar alte Vorwendeaufnahmen vom alten Leipzig werfen ihr Licht gestochen scharf in die alten Hallen des Hauptbahnhofes und auf die Retina der Dokwilligen sowie der zufälligen Passanten. Der erste Protagonist wird in Szene gesetzt. Er beginnt zu telefonieren. In einem förmlichen, seiner Situation in der Bundeswehr geschuldetem Ton sagt er "Guten Abend, ...", um daraufhin mit den nächsten beiden ungleich intimeren Worten "...mein Spatzi", mir den ersten Schmunzler der Woche zu entlocken. Es entfaltet sich ein altbekannte Gefühl, welches eindeutig vermittelt, dies wird eine sehr gute und prägende Woche meines Lebens, auch wenn das meiste sicherlich nicht unbedingt zum Schmunzeln bringen, sondern wie auch diese erste abwechslungsreiche und vielschichtige Dokumentation später noch zeigt, mich verwundern oder gerade eben nicht verwundern wird oder mir den ein oder anderen Kloß im Halse bescheren.
Tweet zum Film: #dokdok #DOK140 Umfelder & Systeme zeichnen der Menschen Wege und außerdem er selbst. Nachdenkliche Zeitreise! #AllesAndereZeigtDieZeit
Dienstag 27.10.2015
Um 10 Uhr in einem Kinosessel landen und sich auf großer Leinwand, mit einer Thematik zu beschäftigen, die es in sich hat, dazu braucht es schon Muse. Denn was "Pekka - Inside The Mind of a School Shooter" zu bieten hat, zielt ganz tief in gesellschaftlich komplexe Zusammenhänge. Denn wer glaubt, die Schuld ausschließlich auf das amoklaufende Individuum zu schieben und die Sache damit abzuhaken, der macht es sich mit Sicherheit ein wenig zu einfach. Um dies zu zeigen, ist diese Dokumentation auf der Suche nach dem Menschen Pekka und den Dingen, die sein Leben geprägt haben. Dabei geht der Film sehr umsichtig vor und bietet eine breite Masse an Eindrücken und Meinungen, die ein sehr gutes, aber natürlich kein abschließendes Bild zeichnen. Die direkt betroffene finnische Bevölkerung ist wahrlich wohl mehr auf vergessen und verdrängen aus, dies wird letztlich auch deutlich. Als bei der fürs DOK Leipzig typischen Frage und Antwort-Runde mit dem Regisseur des Filmes verlautbart wurde, dass die bereits seit einem Jahr fertiggestellte Doku noch immer auf einen Termin für eine Erstausstrahlung wartet, unterstrich das diesen Eindruck nur allzu deutlich. Nicht zuletzt auch wegen meines ersten sehr emotional ergreifenden Festivalmoments in diesem Jahr ist Pekka für mich ein Highlight.
#dokdok #DOK140 Erkundung des Menschen hinter der Tat + der komplexen psychischen Einflüssen seines Umfeldes, die keiner sehen will! #Pekka
Ein bisschen Pause. Zum Glück! Dann kann man das gerade Gesehene erst einmal mental verdauen. Dann aber warten schon die beiden nächsten halblangen Filme auf begierige Blicke. Zuerst beglückt mich "Agnosis" mit der ersten Mixform aus echten Dokubildern und teilweise Animation, wobei diese dezent aber effektvoll gehalten ist und die mystische Reise nach einem in den Katakomben von Odessa spurlos verschwundenen spirituellen Sucher passend unter- und übermalt.
#dokdok #DOK140 Aufregende Bildcollage! Spurloses verschwinden einer Person, stößt Tor zur Mystik und Sinnsuche des Menschen auf. "Agnosis"
Im zweiten Film "Strange Particles" tauche ich ein in die sehr persönliche Welt eines Quantenphysikers. Die ganze Zeit hautnah, wie ein Schatten dabei, sehe ich zu, wie der Protagonist in einer Art Jugendcamp mit quantenphysikalischer Nachhilfe, am eigenen Verständnis der Physik der sozialen Faktoren und der Lernunwilligkeit manch eines Schülers festfährt.
#dokdok #DOK140 Quantenphysik begreifen und die Physik der Alltagsrealität, sind halt 2 Paar Schuhe. "Strange Particles"
Kinowechsel, gute Gelegenheit Luft zu schnappen und den ein oder anderen gesunden Snack zu sich zu nehmen. Denn nun steht ein gespannt erwarteter Leckerbissen an. "Scorched Water" erzählt auf sehr eigene Art von der Geschichte der Hauptstadt Mexikos "Mexiko Stadt", die auf ehemaligem Sumpfgebiet gewachsen ist. Dabei spannt sich der Bogen von den Ursprüngen bis zur Moderne, ohne sich jemals einer gewöhnlichen Erzählstruktur zu bedienen. Auch sieht man nur wohlgewählte Ausschnitte der Gesellschaft, in Form von Ereignissen und Personen. Man hört ihren Geschichten über sich und die Stadt zu, die einem eine authentische Stimmung vermitteln. All das wäre sicherlich schon interessant, wäre da nicht noch die Legende um das ursprünglichste Wesens der Region, dem Axolotl. Die Jahrhunderte alten Mythen über dieses, mittlerweile nicht mehr in der Region anzutreffende, sehr spezielle Tier, sind geschickt in die gesamte Doku eingestreut und bilden einen metaphysischen Rahmen, der in mir die Frage nach dem Zusammenhang des in dieser Region vorherrschenden gesellschaftlichen Geistes und eben der speziellen Eigenart des Axolotls aufwarf, mich sogar soweit in meinen Betrachtungen gehen ließ, zu überdenken, ob hier nicht gar der vorherrschende Geist in der menschlichen Eigenart das Leben zu nehmen und die Welt zu betrachten, in gewisser Weise diesem Wesen gleichen. Der Axolotl hat sich in der Evolution einen Schritt zurückentwickelte, um nach ewiger Jugend zu streben, jedoch (So wird es interpretiert) dabei vergessen zurück nach höheren Sphären zu blicken.
#dokdok #DOK140 Winkender metaphysische Zaunpfahl. Das Wesen des Axolotl als Sinnbild fürs verstaubte menschliche Ego? "Scorched Water"