Das Märchen vom Sommer, der dein Leben verändert

24.02.2018 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Call me by your name and I'll call you by mine.Sony Pictures/moviepilot
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Ob ein Oscar draus wird oder nicht, Call me by your name gelingt es, uns für ein paar Minuten zu verzaubern, uns in den Moment zurück zu versetzen, als wir Liebe entdeckten. Mit all dem Schönen, all dem Schmerz. Und das ist so viel mehr wert als ein Goldjunge...

Erinnert ihr euch an den Moment, als aus einer Freundschaft, vielleicht nur aus Sympathie, vielleicht sogar nur aus einem Vorbeigehen etwas wurde, das eure Welt veränderte? Der Moment, der dafür sorgte, dass die Welt auf einmal mehr Farben hatte als zuvor? Als eine Unschuld verloren ging und es auf einmal so viel mehr Glück und so viel mehr Schmerz gab als jemals zuvor? Dieser Moment ist Call Me by Your Name - und DerDude_ hätte keine besseren Worte finden können, um diesem Film und seinen Momenten gerecht zu werden.

Der Kommentar der Woche von DerDude_ zu Call me by your name

How much sorrow can I take?
Blackbird on my shoulder,
and what difference does it make?

Es ist schwer zu sagen, ob Mut eine Rolle spielt, wenn es darum geht, Liebe zuzulassen. Die meisten Gefühle sind sowieso nicht erklärbar und das Meiste "passiert" einfach. Es wird in dem Augenblick geboren und kann in jenem auch wieder sterben. Wie lange jener Augenblick andauert ist relativ.

Es kann nur 1 Sekunde sein, ein ganzes Jahr oder ein ganzes Leben. Im Fall von Call me by your name ist es ein einziger Sommer. Norditalien blüht in goldenen Farben, an der sich der 17-jährige Elio gar nicht satt sehen kann. Er ist zu jung um schon genau zu wissen, was er vom Leben erwartet, und verlangen tut das sowieso keiner von ihm. Als der ältere Oliver in sein Leben tritt, kann er die wachsenden Gefühle zwischen den beiden nicht in Worte fassen und noch weniger bändigen. An dieser Stelle trifft man bereits auf einen der vielen Punkte, die Call me by your name so auszeichnen: Der menschlichen Sexualität wird Raum geboten sich zu entfalten und nicht ins Off verbannt. Zwar ist der Film keineswegs so explizit wie z.b. ein Film von Bertolucci und geht auch Nacktszenen fast völlig aus dem Weg, dennoch ist die aufblühende Körperlichkeit zwischen den beiden Männern in den gemeinsamen Szenen ein nicht zu verdrängender Faktor. Egal, ob nun zwischen den beiden, für beide einzeln oder mit einer Frucht. Schade an dieser Stelle, dass das Verspeisen von jenem Objekt der Lust nicht aus der Romanvorlage (mit der ich, zugegeben, nicht vertraut bin) übernommen wurde, ganz so weit geht der Film dann doch nicht, aber was soll's?

Es ist das Märchen vom Sommer, der dein Leben verändert. Vom Schmerz und vom Wunder der wirklich ersten, großen Liebe. Diese simple Prämisse erzählt der Film mit einer Intimität und einem Gefühl für alle Sinne. Bäume und Felder erleuchten die Leinwand, das Essen sieht aus, als könnte man gar nicht genug davon kriegen, und das Tanzen bei einem nächtlichen Fest lädt dazu ein, sich anzuschließen. Mitten in dieser Idylle scheint alles erlaubt, den Sinnen wird keine Grenze gesetzt, es sind Ferien für den Verstand. Nur muss man dann auch mit dem Schmerz leben. Luca Guadagnino bewegt sich auf einem Grad zwischen jugendlich-naivem Treiben und alternder Weisheit, auf der auch Elio und Oliver sanft tänzeln. Elio ist für sein Alter unglaublich gebildet und gibt sich seiner sexuellen Neugier dennoch naiv hin, wie könnte er auch anders? Neuentdeckung Timothée Chalamet erweist sich als schauspielerischer Gigant, wenn er Elio zwischen Gewitztheit und hemmungsloser Neugier interpretiert. Sein Spiel und das von Leinwandpartner Armie Hammer erheben diesen Film auf ein schwebendes Trapez bei dem jedes Wort fast überflüssig wirkt, weil die Blicke alles sagen.

Erst gegen Ende hin gibt sich Call me by your name als Drama über das Finden der Identität zu erkennen. Wie soll man jemanden lieben, wo man sich doch gar nicht im Klaren ist, was man langfristig will? Und welche Wahl hat man? Der Mensch braucht Zuneigung und muss sie irgendwann zulassen, egal wie weh das gebrochene Herz am Ende tun wird. Nur die Ungewissheit ist eine Große. Wenn ich mich selbst schon nicht kenne, was weiß ich dann über die Liebe? Über den Menschen, den ich nicht mehr gehen lassen will? Ist Sex nicht im Endeffekt nur ein unsicheres Abtasten eines Körpers, dessen Inneres ein ewiges Rätsel bleiben wird, das ich gerade deswegen lösen will, in der Gewissheit, dass ich es niemals kann?

Die Frage, die im Film zitiert wird: Reden oder Sterben?
Jedoch wo ist der Unterschied? Ich selbst habe für mich entschieden, lieber zu reden. Doch ein Teil von mir stirbt jedes Mal, wenn ich es tue - und wie kann ich das je erklären?

Words don´t come easy....

Den Originalkommentar findet ihr hier.

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