Mary und Max - Vom Lebenskampf zum Lebenstanz

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Mary & Max
MFA/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Mary & Max
1
19
Bei der Aktion Lieblingsfilm ist Eure Meinung gefragt. Diesmal schreibt ein User über “ein in Knete gegossenes Melodram über enie Freundschaft zwischen Außenseitern”: Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?

Eigentlich war ich übersättigt, von zu flachen, zu aufwändig produzierten Animationsfilmen, die in Dauerwerbeschleifen schmackhaft gemacht werden sollten. Aber ein lieber Freund überredete mich dann doch, mit ihm seine neue Heimkinoanlage einzuweihen, und er habe auch was ganz „Frisches“ zum Anschauen. Also war ich erst mal unvoreingenommen und neugierig. In ausgewaschenem Grau und Schwarztönen wollten mich die Bilder in den ersten Minuten nicht so ganz ansprechen, aber es änderte sich etwas: Durch den schonungslosen und emotional bewegenden Blick in das Innenleben der beiden Protagonisten.

Als Zuschauer lernt man zuerst das Mädchen Mary Daisy Dinkle kennen, die 1976 in einem gottverlassenen Dorf irgendwo in Australien aufwächst und auch genauso verlassen ist. Mit ihrer riesigen quadratischen Brille, ihrem völlig unpassenden Haarschnitt und ihrer schlechten Haut hat sie keine großen Chancen angenehm aufzufallen und beliebt zu sein. Nähe im Familiennest kennt sie überhaupt nicht. An einem trübseligen Tag ist Mary mit ihrer volltrunkenen Mutter, die niemals nüchtern zu sein scheint, auf dem Postamt und fischt beliebig eine Adresse aus dem Telefonbuch: Max Jerry Horowitz aus New York. Ein verschlossener ehemaliger Multijobber, der sich enttäuscht zurückgezogen hat und schon lange zu viel wiegt.

Mary Daisy Dinkle spürt ihre Einsamkeit am meisten dann, wenn sie niemanden hat, der überhaupt zuhört, wenn sie fragt. Und sie hat viele Fragen. Nun schreibt sie Max einfach einen Brief um Fragen loszuwerden wie: Woher die Babies in Amerika kommen? Max ist völlig „confused“ über die überraschende Post, aber er gibt ohne Umschweife zu, er sei ständig durch den Kontakt mit seinen Mitmenschen verwirrt. Es ist der Beginn einer unvorhergesehenen Freundschaft unter Menschen, die einen Weggefährten vermissen mit dem sie teilen können.

Was verbindet beide in ihren Lebenswelten? Beide schwimmen mit in einem Strom, ohne genau die Richtung zu kennen oder gar mitzubestimmen. Beide spüren große Einsamkeit und Ohnmacht. Max beantwortet geduldig, gründlich und konzentriert Marys Fragen und schildert ihr sein Leben, das vor allem von seinen seltsamen Haustieren bevölkert wird und natürlich von seiner tiefen Liebe zu Schokolade geprägt ist. Seine sozialen Ängste gibt er so offen zu wie seine inneren Kämpfe für ein von Zwängen freies Leben. Der über Jahre andauernde Briefwechsel beflügelt beider Vorstellungskraft und schafft einen Ankerpunkt von Vertrauen. So werden auch die exzentrischen Nachbarn und Nebenfiguren des täglichen Lebenstanzes mit viel schwarzem Humor vorgestellt. Mit der Zeit entstehen liebevolle Gewohnheiten: Kein Brief wird mehr verschickt ohne eine besondere schokoladige Köstlichkeit.

Stilistisch wird mit einem allwissenden Erzähler gearbeitet, der die Handlungsfäden in der Hand hält und mit Sprecherstimmen (Mary gesprochen von Bethany Withmore und Toni Collette / Max gesprochen von Philip Seymour Hoffman), die man immer dann hört, wenn der Empfänger seinen Brief liest. Aus den geschriebenen Wörtern entstehen innere Bilder, die als Kopfkino über den Gesichtern schweben. Mary strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie die Briefe von ihrem Brieffreund aus Amerika erwartungsvoll verschlingt.

Trotz der aufkeimenden Vertrautheit bleibt eine selbstsprechende Distanz, die beider Leben ausmacht. Die farblich triste Kulisse vermittelt eine große Leere und Sehnsucht, auch dann wenn Mary in ihrem griechischen Nachbarn einen Ehemann findet. Max ist am Hochzeitstag aus der Ferne an ihrer Seite und freut sich mit ihr. Doch dann kommt es zu einer abrupten Trennlinie beider Wege. Die Psychologie-Studentin Mary veröffentlicht ein Buch über das Asperger-Syndrom, das sie durch die Alltagssorgen und Ängste aus Max Erzählungen kennen gelernt hat. Max fühlt sich durchleuchtet und bricht den Kontakt zu ihr ab. Mary steht am Abgrund. An dieser Stelle scheint es keinen Ausweg mehr aus der erdrückenden Traurigkeit zu geben. Man möchte sich zu Mary legen, die zwischen den leeren Whiskey-Flaschen ihrer verstorbenen Mutter und dem Hochzeitsbild ihres ausgewanderten Mannes, der nun Männer liebt, kauert. Verlassen – mutlos – Verlassen! Nimmt diese Freundschaft hier ihr Ende?

Dem Regisseur und Drehbuchautor Adam Elliot ist mit dieser australischen Filmproduktion aus dem Jahr 2009 eine besonders anrührende und liebevoll gestaltete und meisterhaft umgesetzte Geschichte gelungen, die den Unterschied macht und unvergesslich bleibt. 96 Filmminuten gefüllt mit hoffnungsvollen, wehmütigen, irrwitzig-komischen und schönen Momenten über zwei außergewöhnliche Menschen. Vom Lebenskampf zum Lebenstanz.


Sollte der Text euer Gefallen finden und ihr möchtet ihn gern in der weiteren Auswahl für die Jury sehen, dann drückt bitte auf den Button “News gefällt mir” unter diesem Text. Wir zählen am Ende der Aktion Lieblingsfilm alle moviepilot-Likes zusammen.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News