Es geht um das Geld. Immer und überall. Zu dieser Feststellung lässt sich Marty Bird (Jason Bateman) gleich in den ersten Minuten von Ozark hinreißen, von Verzweiflung ist in seiner Stimme allerdings kein Deut zu vernehmen. Stattdessen spricht er mit der lässigen Sicherheit eines Mannes, der genau weiß, wie er stets die Oberhand behält und den eigenen Profit nicht aus dem Blick zu verliert. Als Finanzberater betet er täglich ahnungslosen Kunden ihre Optionen herunter und schreckt dabei nicht davor zurück, seine Aussagen unterschwellig zu manipulieren, während er sich augenscheinlich nicht einmal im Ansatz für die Menschen interessiert, die ihm gegenübersitzen. So charmant und vertrauensvoll Marty wirkt, so düster sind die Abgründe, die er verbirgt, obgleich er auf den ersten Blick jedem anderen Familienvater gleicht, der täglich zur Arbeit geht, um seinen Kindern eines Tages das College zu finanzieren.
Marty gehört zu jener Art von Protagonisten, die es seit Beginn der 2000er Jahre unzählige Male im Fernsehen zu sehen gab. Er ist ein Anti-Held, der sich in moralischen Grauzonen bewegt, allerdings nur, um seine Familie zu retten. Dass er sich dabei immer tiefer in einem Labyrinth der Verwerflichkeit verirrt, dürfte niemanden mehr überraschen - spätestens, seitdem Breaking Bad im Lauf von fünf Staffeln eindrucksvoll zum modernen Maßstab dieser Abwärtsspirale aufgestiegen ist. Was bei Walter White das Meth ist, offenbart sich in Martys Leben in Form von Geldwäsche. Die betreibt er mit seinen Geschäftspartner Bruce Liddell (Josh Randall) bereits seit geraumer Zeit. Doch dann ist dieser gierig geworden, was zum Auslöser all der schrecklichen Ereignisse wird, die uns die 1. Staffel von Ozark über begleiten werden. Plötzlich fehlen acht Millionen Dollar, was den Kartell-Abgesandten Camino Del Rio (Esai Morales) überhaupt nicht glücklich macht.
In Ozark geht es folglich schnell zur Sache und ehe wir uns an ein paar der eingeführten Figuren gewöhnt haben, liegen sie tot auf der Straße, wahlweise erschossen oder aus dem obersten Stock eines Hochhauses geworfen. Ozark macht keine Gefangenen und will mit dieser Skrupellosigkeit schockierende Härte beweisen. Serienschöpfer Bill Dubuque, der jüngst als Autor von The Accountant für einen kompromisslosen Actionthriller verantwortlich war, weiß genau, dass die Prämisse von Ozark im Jahr 2017 kein Novum mehr darstellt und sich im Angesicht der massigen Konkurrenz erst einmal behaupten muss. Also betont er die Bredouille, in der sich Marty befindet, mit drastischen Ereignissen, die auf den ersten Blick durchaus für ein unangenehmes Gefühl im Magen sorgen. Dem zweiten Blick kann Ozark dagegen nur bedingt standhalten und die allzu vertraute Formel dieser Art von Serie kommt zum Vorschein.
Um seine eigene Haut zu retten und das Überleben seiner Familie zu sichern, muss Marty sein Leben in Chicago aufgeben, um im trostlosen Ozark-Plateau von Missouri noch mehr Geld zu waschen. Die Kinder, Charlotte (Sofia Hublitz) und Jonah (Skylar Gaertner), sind von der plötzlichen Veränderung in ihrem Leben aus offensichtlichen Gründen alles andere als begeistert, während Martys Frau Wendy (Laura Linney) im Mitwissen um das eigentliche Problem die bittere Pille schluckt und den Umzug in die Sommer-Resort-Gemeinschaft unterstützt. Greifbar werden die familiären Konflikte in den ersten Episoden von Ozark allerdings kaum, was insbesondere am großen Ungleichgewicht zwischen den abgründigen Geschehnissen und den darauffolgenden Reaktionen der einzelnen Familienmitglieder liegt, die viel zu selten das vonstattengehende Grauen angemessen widerspiegeln. Eine gewisse Grundspannung verliert Ozark trotzdem nie.
Sobald die kühle Kulisse von Chicagos Stadtzentrum erhabenen Aufnahmen von Wäldern und Seen weicht, beschwört Ozark in seinen blau-grauen Bildern eine unangenehme Atmosphäre. In jedem Augenblick könnten sich die Schleusen des Himmels öffnen und ein gewaltiger Regenfall für noch mehr Unbehagen und Chaos sorgen. Spätestens, wenn Decks Dark von Radiohead erklingt, gelingt es Ozark, all die ambivalenten Aspekte der Geschichte einzufangen, potenziert von der ungeheuren Ruhe der mächtigen Landschaft. Erklärte Marty im Prolog noch völlig von sich selbst überzeugt, wie gut er sein Leben unter Kontrolle hat, sieht er es nun binnen weniger Stunden komplett in sich zusammenbrechen. Hilflos steht er zwischen all den Bäumen, die seit Jahrhunderten der Witterung standhalten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch Martys hoffnungslose Existenz weit überdauern werden. Während die Kamera das große Bild sucht, verschwindet Marty geradezu komplett.
Solch atemberaubende Momente stellen in Ozark bisher leider noch eine Ausnahme dar. Viel zu selten kann das Erzählte wirken, das Drama sich entfalten und die Figuren eine richtige Persönlichkeit entwickeln, die mehr über sie erzählt als das Casting. Natürlich hat es seinen Reiz, Jason Bateman in einer ungewohnt düsteren Umgebung zu verfolgen. Gleichzeitig gibt es diesen düsteren Jason Bateman schon lange, in Arrested Development zum Beispiel, wo der schwarze Humor oft darüber hinwegtäuscht, wie grausam die Menschen wirklich sind. Ozark will dagegen ab der ersten Sekunde sichergehen, dass wir uns dieser Grausamkeit bewusst sind, was die schleichende Erkenntnis dieser Tatsache unglücklich untergräbt. Wie soll sich das Drama jetzt noch steigern, wenn der Eskalationskurs bereits eingeschlagen wurde, aber die Überzeugungskraft der Figuren bloß schwammig nach Protokoll formuliert wurde?
Die 1. Staffel von Ozark ist ab heute, dem 19.07.2017, komplett auf Netflix verfügbar. Als Grundlage für den Serien-Check dienten die ersten fünf Episoden.