Schuld und Sühne statt Katastrophe

30.07.2009 - 06:49 Uhr
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Die Koproduktion zwischen SWR und Schweizer Fernsehen erzählte gestern Abend die tragischen Ereignisse in der Folge der Flugzeugkollision über dem Bodensee von 2002 nach. Dabei wurde der Akzent auf den menschlichen Konflikt des verantwortlichen Fluglotsen und die Trauer des russischen Täters gesetzt, der den Lotsen schließlich erstach.

Flug in die Nacht könnte einer der besten Fernsehfilme 2009 sein. Ohne Pathos, ohne Kitsch wurde in dem Fernsehfilm eine Geschichte erzählt, die auf wahren Begebenheiten beruht, aber von den Filmemachern nicht als Schreckensdrama inszeniert wurde. Um dem Zuschauer die Dramatik der Ereignisse zu vermitteln, setzte Flug in die Nacht alles auf ein ausgewogenes Drehbuch und erstklassige Darsteller und ersparte uns auf wohltuende Weise voyeuristische Bilder von einem Unglück, bei dem 71 Menschen starben.

Das Flugzeugunglück von Überlingen beschäftigte die Öffentlichkeit zweimal: Nachdem zwei Flugzeuge im Jahr 2002 über dem Bodensee kollidiert waren, erstach ein russischer Familienvater, der Frau und Kinder bei dem Unglück verlor, den verantwortlichen Fluglotsen. Gestern Abend zeigte nun das Erste den feinfühligen deutsch-schweizerischen Fernsehfilm Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen, welcher die beiden Vorfälle in den Mittelpunkt rückte und dabei das Hauptaugenmerk auf den Schuldkonflikt legte. Ein großer Vorteil, wie sich gestern Abend erwies.

Foto-Show: Flug in die Nacht

Die beeindruckenden Schauspielerleistungen von Ken Duken und Jevgenij Sitochin waren es, die das Drama um Verantwortung, Schuld und Sühne zu einem intensiven Filmerlebnis machten. Offenkundig schien es den Filmemachern wichtig, Verständnis für das Schicksal beider Männer zu erwerben: Auf der einen Seite der “schuldige” Fluglotse, auf der anderen der russische Familienvater, der eine Entschuldigung einfordert, um verzeihen und vergessen zu können – diese aber nicht erhält, da der Arbeitgeber des Fluglotsen Entschädigungszahlungen fürchtet. Beide werden so Opfer einer Rechtsgesellschaft, die auf Schadensbegrenzung ausgerichtet ist, anstatt auf Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Duken gelingt es, den inneren Konflikt des Fluglotsen Lenders eindringlich darzustellen; seine Machtlosigkeit und Verzweiflung, seine Schuldgefühle und Sühne für das Geschehene. Sitochin wiederum verkörpert hervorragend den trauernden Vater und Ehemann, dessen persönliche Überzeugung und kulturelle Prägung nach einer öffentlichen Entschuldigung seitens der Flugsicherheitsfirma verlangt. Als ihm diese aus Eigennutz verweht wird und er sie persönlich von Lenders einfordern möchte, fallen die letzten Überbleibsel seiner Familie, Porträtfotos in den Schnee – und Balkajew sticht blindlings zu.

Lob gebührt vor allem auch dem Nachwuchsregisseur Till Endemann, den der SWR trotz seiner Unerfahrenheit zu Recht auswählte. Die seichte, unaufgeregte Inszenierung harmonierte stets mit dem starken Spiel der Hauptdarsteller und unterstrich den Fokus auf die fragile Psyche der Figuren. Keine schaurigen Bilder der Katastrophe, keine Schwarzweißmalerei und keine Extravaganzen – Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen blieb ganz nah am Menschen, an seinen Fehlern und Makeln und der Bürde, die ein Einzelner zu tragen hat, wenn er eher zufällig als bewusst 71 Menschenleben zu verantworten hat.

Und was meint ihr: Konnte Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen überzeugen?

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