Warum der Oscar an den falschen Hauptdarsteller ging

24.02.2015 - 08:50 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Mit Mimikry zum Oscarsieg: Eddie Redmayne als Stephen Hawking
Universal Pictures
Mit Mimikry zum Oscarsieg: Eddie Redmayne als Stephen Hawking
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In Birdman feierte Michael Keaton ein derart furioses Comeback, dass er lange Zeit als Oscarfavorit galt. Den Preis aber gewann vergangenen Sonntag Eddie Redmayne – und einmal mehr siegte damit Mimikry über Schauspiel.

Ich habe mal Adolf Hitler gespielt. Obwohl es gespielt nicht recht trifft, eher verkörpert. Das ist ein Unterschied: Ich habe mir lediglich ein Darstellungsklischee übergestülpt und der Rest ergab sich von allein. Es handelte sich um eine dieser schrecklichen ZDF-Serien von Guido Knopp, "Geheimnisse des Dritten Reiches" hieß sie. Am Rande tauchte darin ein junger Adolf Hitler auf, der sich als Kunstmaler in Wien und München verdingen wollte. Lose gefilmte Alltagsszenen, die später unter Interviewsequenzen geschnitten werden sollten. Ein Auftritt in Unschärfe und abgeschnittenem Bild, aber eben: mein Auftritt.

Die Nervosität war groß, legte sich jedoch rasch. Mit einem zeitgenössischen Kostüm, mit mühsam angeklebtem Bärtchen und reichlich Pomade im Haar fiel es mir erstaunlich leicht, wortlos den Diktator in spe zu mimen. Ich fühlte mich schlicht gut versteckt hinter einer Aufmachung, die mir schon deshalb sicheren Schutz bot, weil sie nichts mit mir zu tun hatte. Es schien nicht schwer, diese "Rolle" auf Distanz zu halten, diese bloße Verkleidung. Und ich bin ja sowieso gar kein Schauspieler. Natürlich habe ich bestenfalls eine Ahnung bekommen von dieser Kunstform, soweit es Komparserie und Kleindarstellerei eben zulassen. Aber es war eine lehrreiche Erfahrung.

Szenenwechsel. Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit gilt als großer Gewinner der vergangenen Oscarverleihung, weil er die wichtigsten Kategorien (Film, Regie, Drehbuch) für sich entschied. Birdman ist – unter anderem – ein Metafilm über darstellende Kunst. Er fragt buchstäblich, wie nackt sich ein Schauspieler machen müsse, um noch Künstler sein zu dürfen. Und diskutiert, ob Schauspieler erst zu einer künstlerischen Wahrheit finden, wenn sie ihre Eitelkeit nicht mehr länger vergeblich bezwingen, sondern produktiv machen könnten.

Es ist viel geschrieben worden über Hauptdarsteller Michael Keaton und dessen selbstreferentielle Besetzung, über das "Comeback des Jahrhunderts" (Variety ) und die Art, wie hier ein Schauspieler seine Karriere noch einmal neu denkt. Bei der Oscarvergabe wusste Birdman augenscheinlich größte Sympathien auf sich zu vereinen, ging in den Schauspielkategorien aber leer aus. Bester Hauptdarsteller wurde nicht Michael Keaton, sondern Eddie Redmayne, dessen Rolle des schwerkranken Physikers Stephen Hawking in Die Entdeckung der Unendlichkeit zwar an einer biographischen Wirklichkeit geschult ist, allerdings gerade nichts mit künstlerischer Wahrheit zu tun hat.

Denn Mimikry ist keine Kunst, wahrscheinlich nicht einmal gutes Handwerk. Sie ist ein Gewerbe. Die Nachahmung historischer Persönlichkeiten führt auf sicherstem Weg zum Oscarziel, selbst noch in einem Jahr, das mit Birdman eher auto- statt fremdbiographisches Kino feiert. Für Schauspieler muss das ein tristes Signal sein: Nicht die eigene Schöpfung, sondern das Imitat gewinnt Anerkennung und Preise. Kaum überraschend, dass Michael Keaton unter den fünf für einen Oscar vorgeschlagenen Hauptdarstellern als einziger eine originäre Figur spielte. Er hat sie nicht kreiert, aber mitgestaltet. Hat etwas von sich selbst in sie gegeben und daraus einen abgehalfterten Schauspieler namens Riggan Thomson gefertigt.

Das ist eine selbstverständliche Leistung für jeden Schauspieler, der einzigartige Kunst erschaffen möchte, aber dem Oscargewerbe ist es abträglich. Die Bekömmlichkeit des Biopic, des biographischen Films also, bemisst sich nicht am kreativen Schöpfungsprozess, sondern am Dagewesenen. Je genauer ein Schauspieler diese und jene Person der Zeitgeschichte zu fassen bekommt, desto lobenswerter das Resultat. Und schlimmer noch: Je mehr er sich dazu offenbar verstellen (oder künstlich verunstaltet werden) muss, desto vermeintlich eindrücklicher seine künstlerische Errungenschaft.

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