Wie The Big Bang Theory 10 Jahre überleben konnte

26.09.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
The Big Bang TheoryCBS
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Die Sitcom The Big Bang Theory wird 10 Jahre alt und ist nur noch ein Schatten früherer Tage. Und genau das macht sie so besonders. Ihre Figuren haben sich fortbewegt in ein neues Leben.

Wie nerdig genau, also von Frauen ignoriert, einsam, seltsam usw. usf. (sic!), ihre Hauptcharaktere sein sollten, wusste The Big Bang Theory vor 10 Jahren zu ihrer ersten Stunde auch noch nicht so richtig. Wenn ihr, wie ich, die allererste Folge der Serie ein paar Mal versehentlich in einem der geschätzt 35 Ausstrahlungszyklen bei ProSieben gesehen habt, ist euch dort vielleicht ein winziges zerrissenes Gitterstäbchen in der The Big Bang Theory-Matrix aufgefallen. Wir sehen Leonard und Sheldon durch einen dieser pastellfarbenen Puppenhauskorridore zu einer Samenbank für intelligente Menschen spazieren. Beim Ausfüllen der Formulare meint Sheldon, dass er das (also Masturbieren) nicht kann, worauf Leonard bemerkt, er, Sheldon, tue doch sonst den ganzen Tag über nichts anderes. Die ersten Jahre der Sitcom verbringt Sheldon jedoch als ohne romantische Bindung sehr zufriedener, weitgehend asexueller Mensch, Masturbationswitze in seine Richtung fallen nie wieder. Zellteilung, spekuliert der krankhaft romantische und deshalb mit einstweiligen Verfügungen im Zaum gehaltene Howard (auf den der Witz oben schon eher zutrifft) sei wohl Sheldons wahrscheinlichste Fortpflanzungsweise.

Auf dem Planeten Nerd blüht das Leben

Die Charakterfortschreibung - oder Evolution - der Serie sah im zwischenmenschlichen Bereich andere Entwicklungen für Sheldon (Jim Parsons) und seine Freunde vor. Man könnte auch sagen, die Sitcom legte die Feinheiten der Theorie des Großen Knalls sehr genau auf ihre Figurenzeichnung an. Nach dem großen Knall (The Big Bang) durch die Ankunft der Sexbombe Penny blüht auf dem sozial kargen Nerd-Planeten das Leben. Es beginnt im Kleinen. Erst wachsen Einzeller, dann wandert der amphibische Nerd aus dem Wasser ans Land, irgendwann werden Ehen geschlossen und Kinder geboren. Fans der ersten Stunde gefällt das nicht, und das auch nicht ohne Grund. Eine herablassende Kritik am Nerd-Lebensstil lässt sich aus dem Fortgang der Serie und ihres derweil von den Vorzügen des echten Lebens missionierten Ensembles lesen. Der Nerd-Status war in The Big Bang Theory von vorneherein etwas, das es zu verbessern und zu entwickeln galt, zumindest die soziale Seite. Das Leben da draußen ist auch in The Big Bang Theory die erstrebenswerte Alternative zum Leben zwischen Comics, eingeschweißten Actionfiguren, Rollenspielen und Fan-Coventions. Und das Nerdsein ein Gefängnis, aus dem es zu entfliehen gilt, quasi mit dem How I Met Your Mother-Way-of-Life als Idealzustand sozial vernachlässigter Menschenwesen.

The Big Bang Theory

Der Sitcom und ihren Autoren selbst, die nun mal irgendwas erzählen müssen, ist das nicht unbedingt vorzuwerfen. Sie wollten nie jemandem wehtun. Die Serie tat nur, was sie tun musste, um zu überleben, also nicht der natürlichen Selektion des strengen Network-Fernsehens zum Opfer zu fallen. Sie ergab sich den Wünschen eines breiten Publikums und entwickelte sich und ihre Figuren und tat das in der oft biederen Sitcom-Sparte auch durchaus respektabel. Der Konflikt mit einem mittlerweile schrumpfenden Teil der Fans, den Ureinwohnern von The Big Bang Theory, war unausweichlich. Die erfreuen sich mehr an klugen Physik- und Popkulturreferenzen als an Beziehungssperenzchen.

Bemerkenswert ist der Pragmatismus, mit dem The Big Bang Theory seine Nerd-Inhalte rationalisierte. Nachdem es sich zwischen Leonard und Penny aus-ge-on-offed hatte, Adam und Eva (lasst uns den Kreationismus in dieser Darwin-Welt nicht vergessen) sich endgültig gefunden hatten, war der Rest der Clique an der Reihe. Es knallte noch zwei Mal und Bernadette und Amy schlossen sich der Gruppe an, und damit die wohl reifsten Figuren der Serie. Nach und nach werden die Nerds übergeführt in eine Welt, die ihnen zu Beginn der Serie so fremd erschien. Die Geste der Sitcom an den Zuschauer ist klar: Es wird besser für eure Lieblinge, sie finden die Liebe, ihr solltet euch für sie freuen. Sie alle finden ihr Glück. Raj, dessen Ego in den ersten Folgen zu einem zitternden Welpen zusammenschrumpfte, wenn er Frauen begegnete. Howard, der durch eine bedenkliche Beziehung zu seiner Mutter den Absprung ins Erwachsenenleben verpasst hatte, und doch so viel Liebe in sich trägt. Der geniale Sheldon, dessen Selbstherrlichkeit eine Zumutung für seine Umwelt war und eigentlich immer noch ist.

Sheldon wird zum RomCom-Helden

Die Love-Joker sind verbraucht, in der nächsten Staffel, so heißt es, wird Raj (Kunal Nayyar) wohl der Wunsch einer festen, erfüllenden Beziehung gewährt. Die soziale Isolation ist Geschichte. (Jetzt kommt ein dicker Spoiler) Wie sehr sich alles verändert hat, zeigt sich in der letzten Episode der zurückliegenden 10. Staffel. Wie ein RomCom-Held führt Sheldon vor seinem Liebesfinale eine Dreiecksbeziehung. Die Läuterung erfolgt durch einen Kuss von Fan-Girl Ramona Nowitzki, der Sheldon erkennen lässt, wem sein Herz wirklich gehört. Er eilt quer durchs Land für einen Heiratsantrag zu seiner Amy (Mayim Bialik): der asexuelle Sheldon ist zum Romantic Comedy-Helden geworden.

Aber tatsächlich hat sich abgesehen von den großen Lebensmeilensteinen die Ausrichtung der Serie erschreckend wenig verändert. Die Serie klebt an ihrem warmen Kern wie Sheldon an seinem Stammplatz. Ihre Geruhsamkeit erschließt sich mit einem Blick auf das tägliche Treiben der Figuren. Die pflegen ihre üblichen Rituale: Gegessen wird in der Uni-Mensa und auf dem Sofa mit Bestelltem, es gibt Ausflüge in den Comicbuch-Laden und der Trott wird unterbrochen von Ausflügen, etwa zur Comic-Con, und Cameos. Nur drumherum dreht sich alles. Das Nerdtum wird unter neuen Bedingungen kultiviert und hier und da schmerzhafte Abstriche gemacht. Vater Howard verzichtet halt irgendwann auf den langen Weg zur Comic-Con, um zu Hause bei seiner Familie zu bleiben.

Eine bittersüße Poesie liegt auf diesen späten Jahren der Sitcom. Menschen verändern sich nicht, nur die Dinge um sie herum. Nerds bleiben Nerds, Menschen bleiben Menschen. The Big Bang Theory tat nicht, was sich ProSiebens Show Das Model und der Freak

vor ebenfalls einem Jahrzehnt anmaßte: ein militantes, menschenverachtendes Wesensumstyling. Die Nerds dürfen Nerds bleiben, was vielleicht auch an einem Paradigmenwechsel innerhalb der Gesellschaft liegt, in der attraktive Menschen die Makellosigkeit ihrer Gesichter mit Fensterglasbrillen verwirren und das nerdige Silicon Valley die Großhirnrinde des Weltgeschehens ist.

The Big Bang Theory

The Big Bang Theory hat längst begriffen, dass ihre Stärke in der logischen Verwaltung und liebevollen Pflege ihrer Figuren liegt. Steve Holland, der neue Showrunner , wird auch nicht viel experimentieren: "Die Charaktere sind während der 10 Staffeln gewachsen, haben sich entwickelt und ihr Leben in die Hand genommen. Meine Aufgabe ist es, diese Charaktere zu ehren und zu schützen." Süß, was der Steve Holland da sagt, ja, geradezu langweilig.

Aber was soll man auch machen? 10 Jahre ist diese Serie jetzt alt. Nach so vielen Jahren muss The Big Bang Theory nicht mehr brillant sein. Sie wird in den USA sowieso nur noch aus Gewohnheit geschaut. Oder hier bei uns von prokrastinierenden Studenten, bei denen die immergleichen Laugh Tracks im Hintergrund aufschreien, während sie Absatz für Absatz in ein Hausarbeitsdokument zimmern. Niemand verlangt oder erwartet noch irgendwas von The Big Bang Theory. Ihr bleibt nur die Abwicklung ihrer geliebten Figuren ins ewige Glück. Ist The Big Bang Theory ein Schatten seiner selbst, wie viele sagen? Aber bestimmt. So wie wir alle, die wir älter werden, nur noch der Schatten eines früheren Selbst sind. Eine Sitcom wäre keine Sitcom, würde sie nicht mit ihren Zuschauern gemeinsam älter werden.

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