Auf den Spuren des Drogenkrieges in Cartel Land

24.10.2015 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Cartel Land: Ab 30. Oktober 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.dcm
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Der Dokumentarfilm Cartel Land begleitet mexikanische und US-amerikanische Bürgerwehr-Gruppen, die es im Alleingang mit Kartellen aufnehmen wollen. Wir verlosen Blu-rays zum Film, der einen etwas anderen Blick auf den Drogenkrieg in Mexiko wirft.

Kinobilder, gleich zu Beginn: Orangefarbenes Licht durchbricht das digitale Schwarz der Nacht, aus weiter Entfernung nähert sich ein Auto und bleibt stehen. Vermummte Männer entladen Fässer und Kanister, andere stehen mit Waffen daneben und schauen zu. Sie rühren Chemikalien zusammen, stochern kräftig darin herum, bewegen sich mit Gasmasken durch aufsteigende Dämpfe. Wir wissen, dass dies eine Drogenküche unter freiem Himmel ist, und wir wissen auch, dass hier gerade Crystal Meth hergestellt wird. Erklären muss uns das niemand, mit schicken Bildern wie diesen sind wir schließlich bestens vertraut: Ihre Aufeinanderfolge ruft einen bekannten Bildervorrat ab, den wir nicht wenigen Kinofilmen über den Drogenkrieg in Mexiko und über die Macht der Kartelle, vor allem aber auch jüngeren Fernsehserien über Drogenbarone und deren mörderische Geschäfte zu verdanken haben.

Vielleicht erwarten solche Bilder, die immer zu Bildern der Gewalt werden, dass wir in der Lage sind, sie richtig zu deuten und sie notfalls auch von uns zu weisen. Wenn Geschichten über Drogenkriminalität schon keine erzählerische Distanz zu ihrem Material einnehmen können, müssen sie zumindest eine ästhetische bewahren. Und es besitzt, ungeachtet der sehr ernsthaften Umstände, beinahe einen ironischen Witz, wenn diese bewaffneten Männer aus dem Dunkel der Nacht behaupten, "ein amerikanischer Chemiker und dessen Stiefsohn" hätten sie zu den besten Meth-Köchen im mexikanischen Bundesstaat Michoacán ausgebildet. Wie soll der Dokumentarfilm Cartel Land also eine ästhetische Nähe zu Hollywood oder Serien wie Breaking Bad leugnen, wenn doch sogar seine Protagonisten diese Nähe zu suchen scheinen. So viele Widersprüche nach nur wenigen Minuten, das kann spannend werden.

"Wir sind die besten Meth-Köche in Michoacán."

Spannend ist Cartel Land tatsächlich, vor allem seiner Struktur wegen. Regisseur Matthew Heineman interessiert sich für zwei Perspektiven auf ein und dieselbe Sache, nämlich den bürgerlichen Widerstand gegen die von Staat und Justiz befreiten Räume der Kartelle. Er begleitet eine Vigilanten-Gruppe mit Namen "Arizona Border Recon", die auf Anweisung des US-Patrioten Tim Foley das amerikanische Grenzland vor Kartellspähern und Drogenkurieren schützen will. Und er gewinnt auf der buchstäblich anderen Seite das Vertrauen von José Manuel Mireles, dem Anführer einer Autodefensas genannten Bürgerwehr, die ihrerseits gegen Kartelle und deren Mittelsmänner vorgeht. Beide paramilitärische Gruppen eint ein tiefes Misstrauen gegenüber ihren Regierungen, sie fühlen sich im Stich gelassen und der Drogengewalt hilflos ausgeliefert. Beide stehen in der Kritik, weil sie die Lage unter Umständen noch verschlimmern könnten.

Das war es allerdings auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Während sich Tim Foley im Verlauf der Interviews als Ex-Junkie entpuppt, der die bewaffneten Aktionen offenbar als spirituellen Wildwest-Rachefeldzug von Gottes Gnaden versteht, scheinen die Beweggründe von José Manuel Mireles ein wenig komplexer, zumindest aber politisch zu sein. Die Autodefensas vertreten Familien in Michoacán, deren Angehörige von Kartellmitgliedern ausgeraubt, verschleppt oder ermordet wurden. Sie wollen Landkreise zurückerobern, die sich im unrechtmäßigen Besitz der Kartelle befinden, und sie wollen diese Landkreise dauerhaft schützen. José Manuel Mireles – tagsüber fürsorglicher Arzt, abends verschmitzter Patron – tritt dabei als ein gutmütiger Patriarch auf, der ebenso das Vertrauen seiner Familie wie das vieler Dorf- und Stadtbewohner genießt. Er ist eine faszinierende Gestalt. Und der Film weiß eigentlich bis zuletzt nicht, was er von ihr halten soll.

Aufschluss geben darüber noch am ehesten jene Gefahrensituationen, in die sich Regisseur Matthew Heineman mit seiner Handkamera begeben muss, um den Autodefensas bei der Arbeit zuzuschauen. Er dreht lautstarke Schießereien im irritierenden Scope-Format, als handele es sich um einen Film von Michael Mann (im auf der DVD und Blu-ray enthaltenen Interview mit Produzentin Kathryn Bigelow erklärt Heineman, seine Suche nach einem filmischen Blick, nach optimaler Schärferegelung und ansprechender Cadrage, sei ein Ablenkungs- und damit Schutzmechanismus in genau solchen lebensgefährlichen Momenten gewesen). Und er folgt den mexikanischen Vigilanten sogar in deren Hauptquartier, wo offenbar willkürlich eingesackte Männer festgehalten werden, die José Manuel Mireles und seine Organisation für Schergen des Kartells halten.

Verschmitzter Patron: José Manuel Mireles, Anführer der Autodefensas.

Wenn also kommt, was kommen muss, blendet Heineman ab, weil er nicht zum Komplizen werden möchte. Zugleich aber kann er die Autodefensas trotz ihrer nachvollziehbaren und möglicherweise guten Absichten auch nicht problemlos als eine Formation in Szene setzen, die den innerstaatlichen Krieg grundlegend anders zu bekämpfen versucht, als es das – so ihr Vorwurf – von Kartellen unterwanderte Militär- und Polizeiwesen tut. José Manuel Mireles und seine Anhänger foltern, verscharren und töten Menschen. Sie wollen einen sicheren Zustand herstellen, der seinerseits schwerlich sicher genannt werden kann. "Ihr reißt Funktionen an euch, die euch nicht zustehen", schimpft ein Mann auf der Straße, als die Autodefensas gerade dabei sind, eine weitere Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Während die Medien schon über den drohenden Zerfall der Gruppe berichten.

Tim Foley, der Anführer der "Arizona Border Recon", hält die Grenze zwischen richtig und falsch für eine imaginäre. Gut und Böse, das vermittelt dieser unbedingt sehenswerte Dokumentarfilm, können nicht auseinander gehalten werden. Cartel Land mag so ansprechend photographiert sein wie jene Spielfilme aus Hollywood, die sich des gleichen Sujets annehmen, die also wie Traffic - Macht des Kartells, The Counselor oder jüngst Sicario vom mexikanischen Drogenkrieg als multiperspektivische Thriller erzählen. Matthew Heineman aber wirft einen anderen Blick auf die Problematik. Mit Bildern von Ohnmacht, die letztlich doch eher an weniger spekulative Filme wie Miss Bala oder Heli erinnern. Diesem ungeheuerlichen Konflikt kann man nicht beikommen mit geopolitischer Bescheidwisserei. Abbilden, zuhören und leider auch mittendrin sein ist vielleicht alles, was ein Film zu diesem Thema leisten kann. Inklusive vieler Widersprüche.

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