Wir schauen The Walking Dead - Staffel 5, Folge 14

17.03.2015 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Maggie Greene (Lauren Cohan)AMC
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Ein Ausflug in ein nahegelegendes Warenhaus gerät zur Todesfalle, während sich die Intrigen in Alexandria zuspitzen. Und obwohl The Walking Dead es schafft, neue Handlungsabläufe komplexer zu gestalten, tun sich alte Probleme auf.

Über was genau reden wir, wenn wir über The Walking Dead reden?

Robert Kirkmans Comicbuchvorlage orientierte sich zwar anfänglich an gängigen Zombiegenreklischees, jedoch konnte er früh eigene Akzente setzen. Shane Walshs Motive mögen zwar höchst egozentrisch veranlagt gewesen sein, doch die Lösung des Konflikts hatte weitreichende Implikationen für die thematische Auseinandersetzung mit dieser neuen Welt. In vielen Belangen rückten die Zombies nämlich glücklicherweise nahezu völlig in den Hintergrund, sodass sich Kirkman und sein Zeichner Charlie Adlard mit dem wichtigsten Charakter überhaupt auseinandersetzen konnten: dem postapokalyptischen Amerika.

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Kirkman verzichtete dankenswerterweise auf die gängigen romero-esken Zombie-Interpretationen und –metaphern und konzentrierte sich hauptsächlich auf die Phase der Nachwelt, die im Kino erst auf die Credits folgt. In der ersten Sammelausgabe des Comics gibt er sich klar zu bekennen: Er stellt größere Fragen an das Genre, die nur in einer längeren Auseinandersetzung mit dem Setting und seinen Eigenschaften zu beantworten sind. Das ist ihm gelungen. Entzieht man seiner Geschichte die Gore- und Horrorelemente, bleibt ein aussagekräftiger Western übrig (der im Comic gerade seine Vollendung erreicht), der sich mit seinen Parabeln im nun landesweiten Grenzland auf sehr einzigartige und beeindruckende Weise mit den Urfragen der Soziologie beschäftigt.

AMCs The Walking Dead hingegen hat dies aus diversen Gründen nie geschafft. Die Welt der Serie wirkt stets klein und eindimensional. Jede Straße sieht gleich aus, jeder Handlungsstrang endet gleich, jeder neue Ort wird gleich abgehandelt. Etliche Autoren und insgesamt drei Showrunner haben es verfehlt, diese Komplexität des Comics abzubilden. Einer, weil man ihn nicht ließ. Zwei, weil sie es anscheinend nicht können. Nach dem initialen Schock der Naturgewalt der Zombies und dem Kampf ums Überleben wurde die thematische Auseinandersetzung singulär in der Serie fortgesetzt. Seit nun fast 4 Staffeln beschäftigt sich eine der erfolgreichsten Serien des Goldenen Zeitalters des Fernsehens ausschließlich mit der Frage, ob man sich seine Menschlichkeit in dieser Welt bewahren kann und ob diese Anstrengung es überhaupt wert ist. Eine mehrdimensionale Betrachtung dieses inneren und äußeren Konflikts kann durchaus spannend, wenngleich durch redundante Plots ermüdend sein. Besonders, wenn die Bemühungen „guter“ Figuren ausschließlich im Tod enden.

Dem Comic sei Dank erreichte die Serie in der 5. Staffel Alexandria, den Handlungsort, an dem sich all dies ändern könnte. Die Figuren können ihre Urinstinkte für eine gewisse Zeit abschalten und wieder ein halbwegs normales Leben führen. Das führte in den bisherigen Episoden zu ansprechenden, aber auch mäßigen Momenten, für die die neue Folge „Spend“ musterhaft herhalten kann. So kann Autor Matthew Negrete bei dem Arbeitsalltag zwar die gegensätzlichen Handlungsmaximen der noch unsicheren Gruppierungen gegenüberstellen, während er jedoch auf der zwischenmenschlichen Ebene, so muss man befürchten, in die unterste Schublade der Klischees greift.

Dass Rick zum Bösewicht mutieren könnte, ist eine der großartigsten Entwicklungen der Serie - doch nur auf der organisatorischen Ebene innerhalb Alexandrias Machtgefüge. Es mag zwar auf visueller Ebene für gespenstische Momente sorgen, dass Rick nun Facetten von Shane aufweist, aber in der Handlungsabfolge lassen sich keine ausreichenden Beweggründe für diese extreme Entwicklung finden. Das wissen auch die Autoren, denn bereits seit mehreren Folgen wird Pete zum Buhmann Alexandrias, der säuft und, so interpretiert es Carol, seine Familie schlägt. Jessie hat zudem außerhalb dieser Dynamik noch keinen sonderlichen Charakter entwickelt und wird zur Damsel in Distress, die Rick als rechtschaffender Sheriff am Ende der getanen Arbeit als Trophäe mit nach Hause nehmen wird.

Ricks Rückkehr zum zivilisierten Mann des Gesetztes wird dadurch mit Problemen und neuen Lösungen der postapokalyptischen Welt konterkariert, während er sich doch gerade eigentlich ein Stück von der alten wiedererkämpft hatte. Das wäre ein Fundament für gutes Drama, wenn sein Gegenspieler nicht so eindimensional dargestellt würde. So verbleibt die Einordnung eines neuen Gegenspielers wieder nur zwischen „gut“ und „böse“. Das ist sonderlich schade, denn die Serie schafft es auch in dieser Folge wieder, die restlichen Figuren in moralisch komplexere Kategorien zu stecken, die zu wesentlich spannenderen Konflikten führen.

Abraham zum Beispiel leidet unter den schweren posttraumatischen Folgen der letzten Monate. Vom Anführer degradiert zum Arbeiter hilft er den Einwohnern Alexandrias bei der Mall weitere Mauerelemente zu transportieren. In der Nähe des ewig währenden Waldrandes Georgias sieht er Vögel wegfliegen: Ein Zeichen für Bewegung im Wald? Er versucht sich zu beruhigen. Regisseurin Jennifer Chambers Lynch, die zum ersten Mal für The Walking Dead drehte, findet mitreißende Bilder für diesen Moment, den Michael Cudlitz durch eine großartig physische Präsenz toll verkauft. Und Abraham sollte Recht behalten. Ein Pack Zombies kommt aus dem Wald, eine Frau gerät in Gefahr und Abraham hat wieder eine Mission.

Ebenso ist der Ausflug zum Warenhaus (wegen Stromausfall und zwecks Beschaffung von Gleichstrom-Wechselstrom-Umschaltern) ein thematisch gelungenes Unterfangen. Leider wurde dieses Setting bereits etliche Male als Lückenfüller und scheinbar unverzichtbares Actionelement einer jeden Folge eingesetzt, als dass es jetzt wirklich noch spannend sein könnte. Doch seine Wirkung für die Machtverhältnisse und das Zusammenleben in Alexandria dürften enorm sein. Weiterhin wird die Auffassung Abrahams zementiert: Die Einwohner des „Nirwanas“ (Zitat, Gabriel) sind Feiglinge - und das ist so simpel wie revolutionär.

Das Aufregende daran besteht darin, dass die Figuren ihre Handlungen nicht vollziehen, weil sie schlichtweg „böse“ sind oder sich auf niedere Beweggründe berufen, sondern ängstlich und unerfahren sind. Überhaupt: Was sie tun, ist nicht einmal notwendigerweise verwerflich. Sie kategorisieren diese Vorfälle nicht wie Ricks Gruppe, deren postapokalyptische Sozialisierung einen unzertrennlichen Zusammenhalt produzierte, der alle konträr agierende Akteure verurteilt. Im Gegenteil. Die Alexandrianer akzeptieren diese Situationen schlicht einfach als gegeben. Das ist weder „gut“ noch „böse“, sondern irgendwo verständlich und vor allem nachvollziehbar in diesem Kontext. Wieso sollte man sich in Gefahr geben, ja sogar womöglich opfern, für den Nachbarn am Ende der Straße? Das war vor der Apokalypse schließlich auch nicht anders. Für die sonstigen Verhältnisse von The Walking Dead ist dies außerordentlich gut geschrieben.

Schlussendlich kann natürlich nur eine Mentalität die Oberhand erlangen und es wird die von Ricks Überlebenden sein. Die Koordination, Arbeits- und Rollenverteilung werden bei einem Angriff der Wolves das Überleben der Einwohner der Siedlung garantieren und fortan bei dem Wiederaufbau führend sein. Und so gelingt es auch bisher eher blassen Figuren dadurch an Farbe zu gewinnen. Eugenes heroische Taten fühlen sich verdient an. Die Schuldzuweisung des Priesters ist zwar redundant, aber immer noch klar motiviert. Und die Tode sind so grausam und spektakulär wie niemals zuvor. Es verstimmt zwar ein wenig, dass Noahs kleine (und bereits verdächtige) Szene zu Beginn der Episode erneut nur als Abschied für Schauspieler Tyler James Williams Aufbau und Belohnung für eine der lächerlichsten Einstellungen der Serie dient, aber in den letzten Momenten können der Schauspieler und sein Partner Steven Yeun das Konstrukt dennoch gut verkaufen.

Noahs Tod bleibt einem aber dennoch auf eine weitere Art im Halse stecken. Er steht am Ende einer langen Kette aus Toten, deren Opfer nun zu Nichte gemacht wurde. Und da stehen wir wieder vor dem hauptsächlichen Problem der Serie. Worum genau geht es in der Welt von The Walking Dead? Wieso soll man gute Taten vollführen, wenn sie losgelöst von gesellschaftlichen Konstrukten keine innewohnende Wertigkeit besitzen und einem nur Nachteile bringen? Selbst nach fast fünf ganzen Staffeln kann die Serie keine zufriedenstellende Antwort darauf bieten. Lediglich der kleine Flirt mit dem Abgrund ist drin, bevor dann erneut ein Schritt zurück gemacht wird. Man ist nicht gewillt oder mutig genug, den vollen Weg, wie zum Beispiel in Breaking Bad, zu Ende zu gehen.

Immerhin geben einem Rick und Glenn Hoffnung auf eine rosigere Zukunft. Dass Glenn nach Noahs entsetzlichem Ende Nicholas nicht sofort umbringt, zeigt, dass er tief in sich etwas bewahrt hat, worauf er nun aufbauen kann. Ebenso bedeutet Ricks „Broken Windows“ Theorie im Umkehrschluss auch nur eine Nulltoleranzstrategie mit nachvollziehbaren und Konsequenzen mit Maß - um die neue Heimat vor Schlimmerem zu bewahren. Es mag vielleicht lange gedauert haben, aber vielleicht kriegt The Walking Dead nach fünf langen Staffeln doch endlich die Kurve. Vielleicht wird die Postapokalypse trotz einem lächerlich adaptierten Setting in den Produktionsstätten Georgias und eindimensionalen Figurenzeichnungen doch nun endlich interessant und vollends genutzt. Vielleicht hat sich das Warten gelohnt.

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Sascha bündelt auf seinem Blog PewPewPew  die kulturelle Kraft von Filmen, Katzen und Pizza und hat für alle The Walking Dead  Episoden eine Review verfasst. Man kann ihm auch auf Twitter  folgen.

Was bisher geschah:

Staffel 5, Folge 1: No Sanctuary
Staffel 5, Folge 2: Strangers
Staffel 5, Folge 3: Four Walls and a Roof
Staffel 5, Folge 4: Slabtown
Staffel 5, Folge 5: Self Help
Staffel 5, Folge 6: Consumed
Staffel 5, Folge 7: Crossed
Staffel 5, Folge 8: Coda
Staffel 5, Folge 9: What Happened and What's Going to Happen
Staffel 5, Folge 10: Them
Staffel 5, Folge 11: The Distance
Staffel 5, Folge 12: Remember
Staffel 5, Folge 13: Forget

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