Daniel Plainview und die Negation des Scheiterns

10.10.2016 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Daniel Plainview in There Will Be Blood
Buena Vista / Miramax
Daniel Plainview in There Will Be Blood
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Ein Mann, ein Monster. Und Paul Thomas Anderson bekommt es in There Will Be Blood nicht gezähmt. Daniel Plainview ist noch dann eines der großen furchterregenden Geschöpfe des Kinos, wenn es regungslos daniederliegt.

Daniel Plainview ist zu Boden gegangen. Stolpert im Dunkel des Minenschachtes über sich selbst, presst ein wütendes "No!" durch staubtrockene Lungen. Der Niederlage hält er entgegen, auch mit gebrochenem Bein – eine Negation des Scheiterns im Moment des Scheiterns, kein Eingeständnis, sich Kräften geschlagen geben zu müssen, die nicht seine eigenen sind. Daniel Plainview, scheinen die sonst wortlosen anfänglichen Bilder von There Will Be Blood vermitteln zu wollen, ist ein Stehaufmännchen, dessen ungebrochenen Willen es in eine Geschichte von Aufschwung und Wohlstand zu übersetzen gilt. Als Silberhändler, Prospektor und "Ölmann" gelangt er zu Reichtum; als Arbeitgeber, Unternehmer und Großgrundbesitzer zu Ansehen. Noch im Verlust findet dieser Mann das große Glück, der Tod eines Mitarbeiters schenkt ihm einen fremden Sohn, das Junggesellendasein die vorteilhafte Lüge, Witwer zu sein. Gerührt ist, wer Land zur Ölgewinnung besitzt, und neidvoll erblasst, wer in der Erschließung des amerikanischen Kontinents auf der Strecke bleibt. Wenn keine Regung ohne Zweck ist, lassen sich auch die Bedingungen des eigenen Scheiterns aushandeln. Der Film hat ein Monster geboren, es kommt aus den Tiefen der Erde.

There Will Be Blood

Daniel Plainview ist zu Boden gegangen. Schläft auf den harten Dielen seiner Laube, kann nur mit Gewalt aus Träumen von schwarzem Gold gerissen werden. Ein weiterer verlorener Mann am Bohrturm, sagt ihm die Stimme, wieder ein Werkzeug, das irgendwem den Körper zerfetzte. Kein menschlicher Verlust, allenfalls ein finanzieller: Den Namen des Arbeiters hat Daniel Plainview nicht einmal gekannt. In Aufruhr versetzt fühlt sich allein der Geistliche Eli Sunday. Er habe den "Ölmann" vor Unfällen wie diesem gewarnt, wollte seine Gemeinde mit Taufzeremonien vor Gottes Zorn schützen. Kapital und Kirche bekommt Daniel Plainview nicht zusammen, keine Aussicht auf ein lohnenswertes Geschäft lässt ihn die Farce des Kontrahenten ertragen: Sein Hass gilt allen Menschen, besonders aber allen Monstern. Das ideologische Kräftemessen der Männer schlägt viele und manchmal aberwitzige Haken, die Segnung des falschen Vaters durch den falschen Prediger ist ein als öffentliche Komödie ausgetragener Akt gegenseitiger Demütigung. Zweckdienliche Bündnisse, behaupten die jetzt wortgewaltigen Bilder von There Will Be Blood, können das Ringen zweier ungeheuerlicher Weltanschauungen zwar besänftigen. Aber nicht verhindern, dass ein Monster sich im Angesicht eines anderen Monsters offenbart.

There Will Be Blood

Daniel Plainview ist zu Boden gegangen. Hat einen Mann erschossen, dem er Vertrauen schenkte, hat einen Lügner beerdigt, den er für seinen Bruder hielt. Dem Triumphalen ist nunmehr das Trotzige gewichen: In der Verbannung des fremden Sohnes, der seinen Ziehvater beschützen wollte, in brüderlichen Momenten der Selbsterklärung, die Daniel Plainview eigentlich allen Menschen verweigert, im unwahrscheinlichen Zufall, an die ein Geschäftsmann wie er sonst nicht zu glauben wagt. Den Zeitpunkt monströser Offenbarung hat er verpasst oder schlicht versoffen, ein erstes Mal ist ihm der Film somit voraus: Paul Thomas Anderson verstößt den angeblichen Bruder in die Schatten der immer enger werdenden Cadrage, lässt ihn verkümmert am Strand zurück, während sein "Ölmann" wieder einmal zu bezwingen versucht, was nicht bezwungen werden kann. Dass sich Daniel Plainviews schwindende Urteilsfähigkeit und verschlechternder Geisteszustand im Augenblick buchstäblicher Nacktheit abzeichnen, ist vielleicht eine monströse Geste des Films selbst: Ihren widerspenstigen Protagonisten bekommen die allmählich ritualisiert ablaufenden Bilder von There Will Be Blood nur mit großer Mühe zu fassen, müssen ihn übergehen, wie er immer wieder andere übergeht.

There Will Be Blood

Etwas, das mal Daniel Plainview war, liegt auf einer Kegelbahn zwischen Essensresten und altem Geschirr. Schießt wahllos auf Einrichtungsgegenstände. Führt einen sonderbaren Tanz auf. Einsam schlagen die Restzuckungen der öffentlichen Komödie ihre Haken, was zuvor aberwitzig anmutete, ist jetzt trister Wahnsinn ganz ohne Publikum. Nichts Zweckdienliches, nichts von Vorteil lässt sich darin noch erkennen, die eingepeitschte Kraft reicht gerade für ein letztmaliges Aufbegehren: Gegen den verstoßenen Sohn, "schlimmer als ein Bastard", der zurückkehrt ist in der aussichtslosen Hoffnung, das väterliche Band zu erneuern. Und gegen Eli Sunday, den ewigen Rivalen und falschen Propheten, vom Glauben herausgefordert, von Daniel Plainview besiegt. Beiden Männern haben die Öl- und Gottgeschäfte stark zugesetzt, haben den einen in die ewige Isolation und den anderen in den Ruin getrieben. Um Geschicklichkeiten geht es beim finalen Ringen der Monster deshalb nicht mehr, Todessehnsucht und Vernichtungsfantasie zweier ungeheuerlicher Weltanschauungen fügen sich zu einem Kräftemessen auf Augenhöhe. Unter Blut und Gekröse scheint Daniel Plainviews Lebenswerk endlich vollbracht. "I'm finished", murmelt es, fertig, erledigt, durch. Wunschlos glücklich geht das Monster zu Boden.

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