Deutschland 83 - Weniger Ernst ist mehr

17.12.2015 - 11:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Deutschland 83RTL
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Die Rettung des deutschen Fernsehens durch Deutschland 83 ist ausgeblieben. Das Fernsehpublikum hat den Helden Martin Rauch mit Desinteresse abgestraft. Ich liebe ihn dennoch. Es ist Zeit, seine Qualitäten zu preisen. Denn heute strahlt RTL die letzten beiden Folgen Deutschland 83 aus.

Endlich späht eine Serie, die ohne grauen Einheitslook und vergrämte Agenten auskommt. Im sonst eher bonbonfarben gestrichenen Programm von RTL fällt das wohl nicht weiter auf. Wobei, dass Deutschland 83 dem sonst klassischen Privatfernsehwerbefilter entkommen ist, macht sich schon bemerkbar. Die Deutschen sichern sich spät ihren Anteil an der eigenen Geschichte, dafür erhebt sich RTL im Genre und lässt die Sache ganz entgegen deutscher Tugenden locker angehen.

Der DDR-Grenzdienstler Martin Rauch (Jonas Nay) wird auserkoren, sich als Moritz Stamm in Bonn in der obersten Bundeswehrriege einzunisten und ohne viele Nachfragen zu spionieren, was die amerikanisch-kameradschaftlichen Westoffiziere in ihren Schubladen hüten. Das Ganze wird getragen von 80er Jahre-Hitparadenmusik, bunter Kulisse und einem Durchschnittstypen. Dabei gibt es doch viel zu viel zu hinterfragen und außerdem ist es doch so eine ernste Sache. 1983 stand die Welt kurz vor dem Ausbruch des Dritten Weltkriegs und mittendrin lag Deutschland als geteilte Pfanne auf der politischen Herdplatte. Im Vergleich mit den aktuellen Serien, die im Kalten Krieg der 70er bis 80er Jahre mitspielen, hebt sich Deutschland 83 besonders in der Aktionslust der Figuren ab. Die Briten (The Game) und Amerikaner (The Americans) widmen sich in ihren Serien der Rettung der Welt mit trägem Respekt vor der Brisanz der atomaren Kraft und der damit einhergehenden Langeweile.

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Mit Abstand am lethargischsten davon ist die BBC-Miniserie The Game. Folge für Folge plagt sich der Geheimagent Joe Lambe (Tom Hughes) vom MI5 durch sein Amt. Eine mysteriöse Information über einen Geheimplan des sowjetischen Geheimdienstes unter dem Stichwort „Operation Glass“ treibt die Handlung voran, aber vor allem auch das geschundene Herz der Hauptfigur. Klingt kitschig und genauso schlägt es auf die Nerven. Eigentlich habe ich einen Faible für leidende, gutaussehende Männer, die tiefgründig starren und mit vollen Lippen einfühlsame Fragen stellen, aber besonders in der deutschen Synchronisation treibt es die Stimmlage des Hauptdarstellers zu weit. Nur einen Hauch von der Rosamunde Pilcher-Nebelschwade entfernt, erinnern die vergleichsweise hellen Rückblenden an seinen tragischen Verlust. Beim letzten Diensteinsatz verlor der Agent seine Geliebte. Denn das will uns The Game wohl in erster Linie sagen: Agenten sind auch nur Menschen mit moralischen Fragezeichen über ihrem Handeln. Ansonsten regnet es einfach. Gehört sich wohl in Großbritannien und erst Recht in einem Agentenklischee. Die aktuelle stille Post beim MI5 flüstert die Rückkehr des Geliebten mordenden Russen aka der Feind. Passend melodramatisch hinterlässt der an seinen Tatorten rote Apfelschalen, die er, während er meuchelt und foltert, in aller Ruhe für seinen täglichen Vitamin C-Haushalt konsumiert. An apple a day keeps the doctor away. So sadistisch und abgebrüht dürfen wohl nur Ostblockler agieren. Dabei ist er so gerissen, dass er immer entkommt und die MI5-Agenten wirklich immer eine Spur hinterher sind. Geheimoperationen gehen schief. Wirklich alle sind in The Game zu Tode betrübt und John Lambe kann sich einfach nicht konzentrieren. Statt mal anständig im Arbeitshandbuch für Geheimagenten nachzuschlagen wie Beschattung, Übergaben und Fallenstellen in der Regel funktionieren, hängt er seinen Gefühlen nach.

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Bei den Americans Elizabeth und Philip Jennings (Keri Russell und Matthew Rhys) kann man zumindest sagen, dass sie es drauf haben. Eine perfekte Nahkampfausbildung, ein prallgefüllter Perückenschrank und ein großes Waffenarsenal warten hinter der Eingangstür des amerikanischen Reihenhauses. Zwei sowjetische KGB Agenten lernen ihr Familienidyll mit zwei Kindern zunehmend lieben und geraten dabei in Zweifel, wer denn jetzt die Guten sind. Erschwert werden die Gedanken durch den Zuzug eines FBI-Agenten in die Nachbarschaft. Beide Figuren schleichen im klassischen Spionagegeschäft nahezu pedantisch professionell umher. Trotzdem geht das Für und Wider „Sind wir jetzt Russen oder Amerikaner, KGB oder FBI?“ eher später als früher auf die Ketten. Zwei Sowjets, die ihre Identität im kapitalistischsten aller Staaten ad acta legen, müssen in eine Identitätskrise geraten - eine perfekte Psychologiestudie. Doch dann liegt über all der wirklich spannenden Dramatik der leidlich emotionale Schatten einer Zweckehe, die sich langsam in Liebe umwandelt. Wo hört das Geschäft auf und fängt das Gefühl an? Regenwahrscheinlichkeit: 50 Prozent.

Deutschland 83 strahlt in diesem Dreierbund mit The Game und The Americans mit der größten Hoffnung auf Überleben. Während die Briten und die Amerikaner ihre Agenten an ihren moralischen Ansprüchen und Liebesproblemen verzweifeln lassen, schickt RTL Martin Rauch alias Moritz Stamm ins Rennen. Nach dem ganzen Hadern, Zaudern und Abwägen ist es endlich mal jemand mit Tatendrang. Der arglose Jungheld von nebenan sieht durchschnittlich aus, wirkt sympathisch, liebt seine Freundin ebenso wie die Mutter und tritt ein für sein Vaterland.

Anstatt sich mit der in TV und Kino vielfach thematisierten Überwachung innerhalb der DDR auseinanderzusetzen, wird der Held zur Spionage in exotischere Gefilde schickt – in den Westen nach Bonn. Moritz Stamm: 24 Jahre alt, schachspielend, fußballbegeistert, englischsprechend. Fertig ist die neue Identität. So einfach geht das. Eingesetzt als Adjutant beim Generalmajor Edel mutiert Rauch vom Ost- zum Westdeutschen: Stamm. In Deutschland sollen Pershing II-Raketen stationiert werden. Die Frage lautet nur wozu? Für die perfekte Tarnung wird erst einmal gelernt. Schrippen sind Brötchen, Plaste ist Plastik und die Kaufhalle ist ein Supermarkt. Die geheime Übergabe wird mit einer Orange trainiert und am Ende kann Rauch/Stamm perfekt schleichen, springen und fotografieren. Spionagearbeit ohne High-Tech, fast geerdet und so simpel. Zu einfach ist das, kann man einwerfen, historisch nicht präzise genug, aber die Serie gibt nicht vor, dokumentarischen Charakter zu haben. Schon der Vorspann bietet zwar die altbekannte Collage historischer Symbolbilder des Kalten Krieges, allerdings als zweite Haut projiziert auf den nackten Oberkörper von Jonas Nay, unterlegt mit der Neuen Deutschen Welle. Überhöhter geht es kaum. Hier verlässt man sich auf einen Mann. Besser man legt die Geschichtsbücher zur Seite und lässt sich auf die eigenen Interpretationen ein und das, obwohl die Serie keine Satire ist.

Deutschland 83 bietet ein Tableau an facettenreichen Figuren: kranke, verletzliche Mutter; knallharte, supercoole Tante; rebellischer und sich nach Frieden sehnender Stubennachbar; sowie abgeklärter, sie alle täuschender Agentenausbilder. Allen voran steht Rauch/Stamm, mit seinem zweifelnden Mundwinkel, dem sanften Blick auf die im Osten zurückgebliebene Freundin und, noch besser, das unschuldige, aber gerissene, weil wissende Lächeln um das Spiel mit dem Doppelleben, wenn er die Sekretärin des Feindes näher kennenlernt. Auch wenn er anfangs etwas mault und zaudert, vergisst er die meiste Zeit, dass er kein Agent sein will und überzeugt mit seinen intuitiven Qualitäten. Er kann geschickt lügen und Situationen für sich ummünzen. Wenn bei der Übergabe etwas runterfällt, hebt er es einfach wieder auf. John Lambe hätte wahrscheinlich elegant seinen Fuß daraufgestellt und in einer langen Rückblende an die Geliebte gedacht, wie sie damals etwas fallen ließ und die Jennings hätten mit aussagekräftigen Blicken diskutiert, wer denn dieses Mal mit Bücken dran ist. Rauch/Stamm denkt nicht weiter drüber nach.

Viel zu lange war Dunkelheit, zu viel Grau, zu viele Maulwürfe. Das neu eingefärbte Spionagegenre konnte meine Lust daran retten. Ich sitze bis zuletzt auf meiner Faulenzercouch und glaube an ihn. Dabei sind Agenten doch die zwielichtigen Helden der historischen Realität, die über Gebäude springen, Leute täuschen, Angreifer abwehren und perfekte Pokerspieler wären. Ich möchte gerade nicht ständig darüber nachdenken, ob ein Agentenleben hart ist. Die Antwort kenne ich. Es ist erfrischend, „klare“ Verhältnisse zu schaffen. Nicht in der Frage, wer ist böse und wer ist gut, sondern, viel wichtiger: Haben die Agenten jetzt Bock oder keinen Bock?

Meinetwegen - endlos standfest ist auch Stamm/Rauch in seiner Agentenüberzeugung nicht. Im moralischen Kern hat er damit schließlich Recht. Bisher wird er in Deutschland 83 noch regelmäßig auf rabiate Weise überzeugt. Der entscheidende Unterschied ist, dass dabei seine darüber erweckten Gefühlsduseleien nicht in wehleidige Sturzbäche an Anschuldigungen und traurige, hinterfragende Blicke ausarten. Mit seiner Intuition wird er schon wissen, wann es Zeit wird, Privatagent zu werden. Das rechne ich ihm hoch an. Stamm/Rauch ist ins deutsche Fernsehen gekommen, um Deutschland zu retten. Hoffentlich lernt ihn das deutsche Fernsehpublikum wertzuschätzen in den folgenden Staffeln 1986 und 1989.

Frau_Schwalbe beobachtet Figuren gerne in gestaffelter Folge, weil sie nicht alle mag, aber gerne lieben lernt. Für moviepilot schreibt sie ihre persönlichen Empfindungen auf.

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