Freude an Unterschieden mit Glee

03.09.2012 - 08:00 Uhr
Glee
20th Century Fox
Glee
4
17
Für den Autor dieses Textes ist Glee mit seiner Mischung aus Freude und Ernsthaftigkeit der ganz große Wurf. Die ehrliche Auseinandersetzung mit Unterschieden wird Glee dabei besonders hoch angerechnet.
maybe this time

Viele Jahre lang habe ich es geschafft, die gegenwärtige Kulturrevolution amerikanischer Fernsehserien zu ignorieren. Ich hatte einfach kein Interesse daran, meine Zeit, in der ich genauso gut Filme schauen könnte, mit Serien zu verschwenden, die meistens unnötig in die Länge gezogen werden und letztendlich eher nur zur Unterhaltung da sind. Nun ja, ich wusste, was gute Serien sind. Ich bin mit ihnen aufgewachsen. Wegen David Lynch hatte ich mir sogar Twin Peaks auf DVD gekauft und es genossen, wahrlich genossen. Ich wusste also ungefähr, worauf ich verzichte. Mein Serien-Schutzschild bekam dennoch langsam Risse, als es auch auf moviepilot immer mehr um Serien ging, als man sie z.B. endlich bewerten konnte, und es brach endgültig, als ich von Glee hörte. Glee, was schlicht Fröhlichkeit bedeutet, ist eine Musical-Serie. Das war wohl auch der Grund, warum ich mein dickes Fell ablegte und mich mal wieder vor den Fernseher setzte um Fernsehen zu schauen. Am 17. Januar 2011 war es soweit. Die erste Folge lief auf Super RTL. Der Rest ist Geschichte.

silly love songs

Wie schon gesagt, Glee ist eine Musical-Serie und wie viele, spätestens seit Mr. Vincent Vegas fulminantem Kolumnen-Auftakt wissen, ist es ein schwieriges Genre. Ein Genre, was beim Publikum selten gemischte Gefühle, sondern eher Begeisterung oder Ablehnung hervorruft. Dazu kommt, dass Musicals mit einem Haufen Vorurteile beladen und ohnehin in Deutschland keine Crowdpleaser sind. Schwerer kann es eine Serie, die auf ein anhaltendes Publikum angewiesen ist, doch gar nicht haben, oder? Trotzdem, es geht noch schwerer. Wenn die besagte Serie in einer Highschool spielt und mit Teenagern bevölkert ist, die lauthals Popsongs trällern, dann engt das die Zielgruppe noch viel weiter ein. Zumal man unangenehm an Disneys High School Musical erinnert wird.

you can’t stop the beat

Gut, ich fange mal bei Null an. Glee erzählt die Geschichte eines Schulchors an einer fiktiven Highschool. Diese Chöre, Glee-Clubs genannt, haben nicht gerade den Ruf Schmieden der Coolness zu sein, anders als die bekannten Grundpfeiler der Highschool-Aristokratie wie Football- und Cheerleader-Team. Trotzdem hat es sich der Spanischlehrer Will Schuester zur Aufgabe gemacht den Glee-Club aufzupolieren und zu neuem Ruhm zu verhelfen. Genug Windmühlen sind also da, man braucht nur noch losreiten. Serien-Schöpfer Ryan Murphy erzählt hier die typische Geschichte einer Gruppe Underdogs und ihres Ringens nach Anerkennung. In den ersten Folgen besteht der Club aus nur fünf Leuten. Da gibt es Rachel, das egozentrische Starlet mit zwei schwulen Vätern, aber ohne Freunde; Mercedes, das etwas füllige, afroamerikanische Mädchen mit großer Stimme; Tina, das kluge, asiatische Goth-Girl mit Sprachfehler; Artie, den typische Nerd im Rollstuhl; und Kurt, den einzigen geouteten Homosexuellen der Schule.

open your heart

Sofort fällt eines auf. Anders als bei High School Musical steht nicht die Illusion der Vielseitigkeit im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit den gemeinsamen Unterschieden. Die Charaktere in Glee sind starke Individuen. In High School Musical ist es egal, ob du People-of-Color, schwul, lesbisch, korpulent, disabled oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht Teil des gesellschaftlichen Ideals bist. Dieser Gedanke wäre ja wunderbar, wenn er nicht so verlogen wäre und sich die Filme nicht ohnehin ausschließlich für ihre perfekten Hauptfiguren interessieren würden. Glee dagegen zelebriert die Unterschiede zwischen seinen Figuren, bricht Klischees und führt auf ehrliche Weise vor, wie man Teil einer Gruppe sein kann, ohne perfekt zu sein. Alle Figuren in dieser Serie ringen mit dem Anspruch perfekt zu sein. Es berührt ihre Lebenspläne, Beziehungen und ihr Ansehen innerhalb der Schule. Dabei werden typische Coming-of-Age-Themen wie das „erste Mal“, Zukunfts- und Versagensängste durchlaufen. Natürlich spricht diese Serie in erster Linie Teenager an, aber auch Erwachsene kommen auf ihre Kosten. Die High-School ist hier nichts anderes als ein Mikrokosmos der äußeren Welt. Die Vorurteile mit denen die Jugendlichen zu kämpfen haben sind die gleichen, denen man auch später noch begegnet, meistens sogar in härterer Form. Es ist immer noch unglaublich, dass eine Fox-Serie sich mal so klar gegen LGBT-Phobie, Sexismus und Perfektionswahn positionieren wird und dafür gerne auch reaktionäre Kritik in Kauf nimmt, wie z.B. bei der Episode als Kurt und sein Freund das erste Mal Sex haben. Der Vorwurf „schwuler Propaganda“ war die Folge. Glee hat sich dadurch nicht verbiegen lassen, auch wenn die Serie sich spürbar weniger leistet als HBO-Kollegen, ist sie von Staffel zu Staffel gewachsen, mutiger und auch ein wenig ernster geworden.

I dreamed a dream

Ich weiß, viele Leute stören sich an den Songs und kritisieren z.B. die Qualität der Stimmen. Man muss natürlich ein kleines Faible für Pop-Musik haben um Glee zu genießen. Lady Gaga, Katy Perry und Pink gehören zum Standard-Repertoire der Serie, aber trotzdem gibt es auch viele unbekannte Stücke der Musikgeschichte, die hier ihre Wiedergeburt feiern, ganz zu schweigen von den Musical-Klassikern, denen Glee sich immanent verpflichtet fühlt. Die „Rocky-Horror“-Episode ist eine meiner Lieblingsfolgen. Umso schöner, dass die Songs sich so wunderbar in die Handlung einfügen und wirklich das Innerste der Figuren nach außen kehren, so wie es ein Musical leisten sollte. Darüber hinaus ist der Humor großartig, mal laut, mal leise, aber nie kalauerartig und ohne Lacher aus der Dose. Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und verneine jegliche Schwächen dieser Serie. Glee wird seinem Namen eindeutig gerecht. Bei jeder Folge fühle ich mich richtig wohl wenn ich sie schaue und selten weine ich so leicht wie hier, wenn es mal sentimental wird. Glee hat etwas, was im Pessimismus vieler Dramaserien und im „comic relief“ karikierender Sitcoms untergeht, nämlich ein ehrliches Anliegen, eine gesellschaftliche Utopie. Hinter all den typischen Americana, dem Musical-Pomp und dem Erbauungskitsch pocht laut ein Herz. Man muss nur darauf hören.


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