Leider liegt uns keine Statistik vor, wie oft Jon Stewart in den vergangenen 16 Jahren die Hitler-Vergleiche um Aufmerksamkeit heischender Politiker verspotten musste. Vor wenigen Tagen war das Maß voll, kullerte ein Tropfen Blödsinnigkeit ins sprichwörtliche Fass, der es endgültig zum Überlaufen brachte. Stewart saß da in seinem The Daily Show-Studio, völlig sprach-, aber nicht ausdruckslos. Mike Huckabee, Ex-Governor von Arkansas und republikanischer Präsidentschaftsbewerber, hatte die potentiellen Folgen von US-Präsident Obamas Iran-Deal mit dem Holocaust verglichen. Stewart, seit eineinhalb Jahrzehnten darin trainiert, die Schock-Taktiken von Politikern und Medien satirisch zu entlarven, verzog sein Gesicht. Er grunzte, wedelte mit den Armen, schrie, grimassierte, zauberte einen Stinkefinger aus der Jackettasche und blickte, die Augen aufgerissen und völlig entgeistert, in die Kamera. Er demonstrierte in diesen herrlichen drei Minuten, wenige Tage vor seinem letzten Auftritt als Moderator der satirischen Daily Show, die wohl rudimentärste Form des Humors. Und warum er für Millionen Zuschauer zur ersten Anlaufstelle für politische Nachrichten wurde.
Als Jon Stewart Anfang der 1990er die TV-Bühne betrat, war er einer von vielen. Die Ausläufer des Comedy-Booms der vorangegangenen Jahrzehnte schwappten in Gestalt von Stand-ups durch die Clubs in New York, Chicago oder Los Angeles. Allerorten wurde "der nächste Cosby" oder "der nächste Seinfeld" vermutet, der es weg von der Backsteinwand und hinein ins TV-Studio schaffen würde. Stewart, späterer Auftritte in The Faculty und Big Daddy zum Trotz, war stets eher eine "Persönlichkeit" als ein Schauspieler, ein "Host" im traditionellen Sinne: einer, der einen einlädt, mit ihm noch schnell ein Buffet humoristischer Spitzen zu verkosten, bevor die Schäfchen gezählt werden.
Nur dauerte es eine ganze Weile, bis ihm das geeignete TV-Wohnzimmer gereicht wurde. Als bekannter Standup-Komiker gehörte er zur Endauswahl für die Nachfolge von Late Night-Revolutionär David Letterman bei NBC, doch der Job ging an einen unbekannten Simpsons-Autor namens Conan O'Brien. In einer Zeit, in der sich die Late Night-Landschaft dank Lettermans Wechsel zu CBS gerade im Zeitlupentempo aufzubröseln begann, versuchte sich Stewart 1993 mit seiner eigenen Sendung bei MTV. Ohne Anzug und Krawatte präsentierte er die Jon Stewart Show, aber dafür mit einem Tempo, bei dem sich gesitteten Fernsehzuschauern die Fingernägel an der Fernbedienung umgekrümmt haben müssen. Eine erfolgreiche erste Staffel und Formatkorrekturen für ein größeres Publikum später war Stewarts erster Ausflug in die Königsklasse der amerikanischen Abendunterhaltung Geschichte.
[Vorsicht, das folgende Video enthält Spuren der 1990er Jahre]
Die YouTube-Odyssee durch zeitgenössische Jon Stewart-Clips offenbart einen blitzschnellen und zuweilen messerscharfen Komiker. Vielleicht wäre eine traditionelle Late Night-Karriere mit Monologen, Sketchen und Promi-Interviews doch noch drin und langlebig gewesen. Was aber die spätnächtliche Spreu vom Weizen trennt, das wurde bei Stewart erst durch die politische Neu-Ausrichtung der Daily Show hervorgelockt: Intimität und Vertrauen. 1999 übernahm er das ironisch selbstgefällige Comedy Central-Format von Craig Kilborn, was sich auf zweierlei Weisen als perfektes Timing herausstellte: Einerseits hinsichtlich des nahenden und schicksalsträchtigen Wahlkampfs zwischen Al Gore und George W. Bush. Zum Zweiten war die TV-Landschaft und vor allem die popkulturelle Diskussion über die TV-Landschaft selbst im Begriff, sich zu wandeln. Kabelsender wie Comedy Central, FX oder HBO rangen vermehrt mit den großen Networks wie NBC oder CBS um Relevanz und das Internet sollte ihnen und damit auch der Daily Show bei der Ausweitung der Kampfzone behilflich sein.
Unter der Führung von Jon Stewart und The Onion-Autor Ben Karlin fuhr die Daily Show Schritt für Schritt die politischen Krallen aus, drängte der satirische Kommentar des aktuellen Geschehens die wirklich gefälschten "Fake-News" in den Hintergrund. Bei der als "Indecision 2000" betitelten Wahlkampf-Berichterstattung kristallisierte sich schließlich das Muster heraus, das der Daily Show ihren unersetzlichen Platz in der amerikanischen Nachrichtenwelt sichern würde. Umgeben von irrationalen "Charakteren" wie dem aufgeblasen konservativen Stephen Colbert und dem zum Bersten verklemmten Steve Carell gab Stewart die Stimme der Vernunft im Irrenhaus. Die Daily Show geriet auch deswegen zum wohl wichtigsten Sprungbrett für Comedians neben Saturday Night Live. Die amerikanischen Medien boten schließlich reichlich Futter für einprägsame Karikaturen, was den weiteren Karrieren von Korrespondenten und "Experten" wie Colbert, Carell, Ed Helms, Rob Corddry, John Oliver oder jüngst Kristen Schaal entgegenkam. Die vielen auch schauspielerischen Talente der Sendung dienten im Umfeld der Konstante Stewart als satirischer Spiegel des alltäglichen Wahnsinns der Wirklichkeit. Darin gelang der Daily Show, womit die oftmals aufgekratzt wirkende deutsche "Adaption" heute-show am meisten kämpft: die richtige Balance zwischen Realität und Überzeichnung.
Je verzweifelter, lauter und dümmer klassische Nachrichtenmedien in der Präsidentschaft von George W. Bush um die Zuschauergunst brüllten, je tumber sie während der Kriege in Afghanistan und dem Irak zu Scharfmachern der Regierung verkamen, desto wichtiger wurde Stewart als Nachrichtenquelle für liberale bis linke Generation-Xler und Millennials. Zum Lieblingsfeind der Daily Show wurde Fox News mit seinem zum Heulen komischen christlich-patriotischen Einschlag. Kein anderer Sender verkörpert die Pervertierung journalistischer Ideale wie die Murdoch-Tochter und ihre leider realen Karikaturen Bill O'Reilly, Glenn Beck oder Megyn Kelly. Montagen, die Widersprüche, Auslassungen und Lügen in der Fox-Berichterstattung offenbaren, gehören zur Grundausstattung der Comedy Central-Show. Es war und ist ein dankbares, aber auch leichtes Ziel. Unvergessen bleibt indes Stewarts ehrliche Empörung über die Verkommenheit jener, die es besser wissen müssten. Sein vernichtender Auftritt in CNNs Schreihals-Show Crossfire (2004) zählt neben Stephen Colberts Rede beim White House Correspondents Dinner 2006 zu den essenziellen medialen Weckrufen der Bush-Jahre. Ein paar Monate später wurde Crossfire nach über 20 Jahren im Fernsehen abgesetzt. CNN-Präsident Jonathan Klein sympathisierte offen mit Stewarts Kritikpunkten.
Eine gewisse Vorhersehbarkeit gehörte freilich ebenso zur Daily Show unter Jon Stewart. Wer Montag bis Donnerstag Abends Comedy Central einschaltete, erwartete in der Regel nicht, vom Demokraten zum Republikaner zu konvertieren oder seine grundlegenden liberalen Ansichten zu hinterfragen. Als Satire-Sendung mit Links-Drall nahm die Daily Show zwar gerade auch seit dem Amtsantritt von Barack Obama Vertreter beider Parteien aufs Korn. In ihrem verlässlichen Spott über Medien und "die da oben in Washington" hatte sie trotzdem etwas von der Behaglichkeit eines abendlichen Kaminfeuers. Sie war ein kampflustiger Fireside Chat fürs neue Jahrtausend. Wem die neokonservative Wende von der Politik entfremdete, wer von Obama desillusioniert wurde, dem blieb vier Tage die Woche ein halbstündiger Hoffnungsschimmer, eine Dauer-Kundgebung zur Wiederherstellung des gesunden Menschenverstands .
Dem fernen Europa gaben Stewart und seine Autoren nicht nur Einblick in die befremdlich grelle Rhetorik von US-Politikern. Die Daily Show bot internetversierten Fans auf dem Kontinent über die Jahre Anlass zum Amusement aus sicherer Distanz, keine Frage. Allerdings lieferte sie die Beruhigung, dass auf der anderen Seite des Großen Teichs ein letzter Außenposten der Vernunft auf Sendung blieb, gleich mit - und schürte beim ein oder anderen deutschen Zuschauer Neid auf die massenkompatible Satire mit Niveau.
Dass sich Jon Stewart, wenn er in wenigen Stunden seine letzte Daily Show angeht, als amerikanische TV-Legende irgendwo zwischen Edward R. Murrow, Walter Cronkite, Johnny Carson und David Letterman einreihen wird, ist in Ansätzen auch mit diesem wunderbar wortlosen Kommentar zu Mike Huckabees neustem Verbaldurchfall zu erklären. Ungeachtet der bissigen Monologe und eloquenten Dekonstruktionen bildete der Moderator selbst das zugänglichste komödiantische Mittel seiner Show. Stewarts Grimassen, seine notorisch mäßigen wie witzigen Nachahmungen, die unendliche Zahl perfekter mimischer Reaktionen auf absurde Einspieler banden die abstrakten Ausführungen stets an seine Person. Die Daily Show war auch die allabendliche - bzw. in Deutschland allmorgendliche - Rückkehr zu diesem Gesicht, das dem Zuschauer überraschend viel Einblick ins Innenleben bot.
Diese Form der Intimität und das aufgebaute Vertrauen ermöglichten einzigartige Fernsehmomente, wie den ehrlichen, weil tränenreichen Monolog nach dem Anschlägen vom 11. September 2001 . Aus dem distanzierten Comedian aus MTV-Tagen war ein emotionaler Katalysator seiner Zuschauer geworden. Stewart dabei zuzuschauen, wie er auf Tragödien reagierte, wie Schmerz und Unverständnis vor laufender Kamera über ihn hinwegrollten, führte einen als Zuschauer vielleicht nicht zur Katharsis. Halt im Nachrichtenchaos boten die paar Minuten im Fernsehen oder bei YouTube dennoch. Diese semi-therapeutische Funktion könnte sich für Stewarts designierten Nachfolger Trevor Noah als größte Hürde in der Einverleibung der Daily Show herausstellen.
In den letzten Monaten war die damit verbundene Bürde Jon Stewart stärker anzusehen denn je. Ergraut wie sein Hoffnungsträger Obama musste der 52-Jährige in schrecklich kurzen Abständen über Polizeigewalt, systemischen Rassismus oder Amokläufe sprechen. So traurig und resigniert wirkte Stewart in seinem finalen Jahr als Moderator der Daily Show, dass Donald Trumps jüngste Eskapaden als Präsidentschaftsbewerber wie ein Geschenk der Götter auf den Unterhaltungswert der Daily Show wirkten. Dabei verdanken wir Zuschauer Stewart und seinem Team eine bahnbrechende Ära politischer TV-Unterhaltung, deren Langzeit-Wert so kurz vor ihrem Ende gar nicht angemessen wertzuschätzen ist. Comedy sei die Summe aus Tragödie plus Zeit, zitierte er letzten Winter Carol Burnett in einem Monolog über die Impotenz der Justiz im Fall Eric Garner. Stewart beeinflusste die Medienwelt wie kaum ein anderer, doch für manche von ihm beschworene Veränderungen reichen selbst 16 Jahre nicht aus.