Skandalregisseur beendet Horror-Serie nach 25 (!) Jahren und begeistert Venedig – trotz eines großen Problems

01.09.2022 - 18:00 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Riget Exodus
Mubi
Riget Exodus
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Geister gehört zu den besten Horror-Serien aller Zeiten. Jetzt bekommt Lars von Triers Meisterwerk endlich ein "richtiges" Ende und macht dabei fast alles richtig.

Wenn euch jemand sagen würde, dass es eine Serie gibt, die das Beste aus Stranger Things und Scrubs miteinander vereint – würdet ihr das glauben? Ich nicht. Bis ich Riget Exodus gesehen habe.

25 Jahre nach der zweiten Staffel und dem ersten "Ende" seiner Kultserie Geister liefert Lars von Trier nun eine dritte und wohl endgültig letzte Staffel nach. Die 5 finalen Episoden feierten bei den Filmfestspielen in Venedig ihre Premiere und sind einerseits eine absolute Ausnahmeerfahrung. Andererseits aber auch genau das, was man vom Skandalregisseur erwartet. Leider.

Scrubs trifft Stranger Things: Darum geht's in Riget Exodus

Im Kern handelt es sich hier um eine Workplace-Comedy im Krankenhaus. Figuren mit ihren ganz eigenen Ticks und skurrilen Eigenheiten treffen aufeinander und müssen bis Feierabend irgendwie miteinander auskommen. Wir kennen das aus Scrubs - Die Anfänger, hier heißt das Krankenhaus allerdings Rigshospitalet (zu deutsch: Reichskrankenhaus) und hat eine Besonderheit: Das Gebäude wurde auf alten Bleichteichen gebaut und im Keller befindet sich ein Portal in eine düstere Parallelwelt.

Seht hier den Trailer zur ersten Staffel von Geister:

Geister - Trailer (Dänisch)
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Weil Geister aus der anderen Dimension drohen, diese Schwelle zu überschreiten und somit den Untergang unserer Welt herbeiführen würden, muss das Portal geschlossen werden. Von Trier typisch gibt es dazu jede Menge absurde bis verstörende Bilder: Abgeplatzter Putz legt pulsierende, fleischige Wände frei, der Sohn einer Krankenhausangestellten droht in einem Teich aus seinen eigenen Tränen zu ertrinken und in einem Raum schlägt ein riesiges, krebsbefallenes Herz. Wer die ersten beiden Staffeln von Geister nicht gesehen hat, wird sich in Riget Exodus zumindest auf der Horror-Seite der Geschichte sehr verloren vorkommen.

Die gute Nachricht ist aber: Die Serie funktioniert auch so. Lars von Trier mit seinem Gespür für das Eklige schafft Bilder, die im Gedächtnis bleiben und eine irgendwie kohärente Story, die das Beste aus Stranger Things und Scrubs in sich vereint.

Die Horror-Serie sorgt für Begeisterung in Venedig und lässt Alexander Skarsgard und Co. zu Höchstform auflaufen

Wenig überraschend ist Riget Exodus ein von vorne bis hinten selbstreferenzielles Egoprojekt von Triers. Das beginnt mit einer Szene, in der sich Protagonistin Karen (Bodil Jørgensen) über das Ende der zweiten Geister-Staffel ärgert und nach einem neuen, richtigen Ende verlangt. Es geht weiter mit mehreren Szenen, in denen Figuren Lars von Trier als Idioten beschimpfen und findet schließlich seinen Höhepunkt in Episode 5, als er selbst vor die Kamera tritt. Eine Szene, die ich hier nicht spoilern will. (Nur so viel: Das Publikum in Venedig ist aus-ge-ras-tet.)

Doch Lars von Trier wäre nichts ohne seine Stars und das ist auch bei Riget Exodus nicht anders. Alexander Skarsgård spielt einen Anwalt, der seine Mandant:innen von der Toilette aus betreut. Lars Mikkelsen ist ein gespentisch ruhiger Chefarzt zwischen passiv-aggressiver Freundlichkeit und sadistischen Teambuilding-Maßnahmen. Und Willem Dafoe gibt einmal mehr den großen Bösewicht mit Verbindungen ins Dämonenreich.

Eigentliches Highlight ist aber Mikael Persbrandt, der als frischangestellter Co-Chefarzt Stig Helmer Jr. in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters treten will und dabei einen Krieg zwischen dem dänischen und dem schwedischen Teil der Belegschaft lostritt. Dabei kommt es zu Situationen, die zum Witzigsten gehören, was ich dieses Jahr in einem Kinosaal gesehen habe. Leider sorgt eine der Storylines genau dieses Charakters auch dafür, dass einem das Lachen manchmal im Hals stecken bleibt.

Lars von Trier macht sich einmal mehr über Sachen lustig, die er nicht versteht: Gewalt gegen Frauen

Denn Helmer Jr. ist selbsterklärter Feminist, will direkt zu Beginn Maßnahmen gegen Gender-Diskriminierung einführen und fragt potenzielle Liebschaften nach ihrer Zustimmung, bevor er sie berührt. Wie die Serie direkt zu Beginn klarmacht, macht ihn das zu einem Idioten, der durch sein fehlgeleitetes Gutmenschentum alles nur schlimmer macht.

Patient:innen bekommen die falsche Operation, weil man sie nur noch geschlechtslos adressieren darf und sie dadurch nicht mehr richtig identifiziert werden können. Ganz explizit nachzufragen, ob es für eine Kollegin Anna (Tuva Novotny) OK ist, sie nach diversen flirtiven Unterhaltungen am Hintern zu berühren, eskaliert schließlich darin, dass Helmer Jr. öffentlich als Sexualstraftäter gebrandmarkt wird und besagter Kollegin Schmerzensgeld zahlen muss. Die wiederum als manipulative Frau dargestellt wird, die sich Anschuldigungen ausdenkt, um davon finanziell zu profitieren. Dass ihr von Kolleg:innen geglaubt wird, wird zur Pointe.

Dieser Holzhammer-Versuch, aktuelle genderpolitische Diskussionen aufzugreifen, schließt nahtlos an das an, was schon an seinem Serienmörder-Film The House That Jack Built problematisch war: Gewalt an Frauen ist für von Trier einfach nur ein weiterer Witz, Unterhaltung, kein Problem, das eines gewissen Fingerspitzengefühls bedarf. Deswegen sind alle, die das als Problem benennen oder darauf bedacht sind, Übergrifflichkeit zu vermeiden, natürlich Idioten.

Lars von Trier kann vieles, hier wirkt er aber vor allem kleingeistig, gestrig und dadurch nicht zuletzt langweilig. Und das schadet nicht nur ihm als Person, sondern macht Riget Exodus auch ein klitzekleines bisschen weniger grandios.

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